Cushing-Zwischenfall

Begonnen von Mark Alt, 07 Januar 2025, 23:39:21

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Mark Alt

Hallo,

über den Cushing-Zwischenfall habe ich im Netz nur wenige Informationen finden können. Auf JSTOR gibt es ein New York Times-Zusammenfassung mit dem Titel Falaba, Cushing, Gulflight, und in der Krieg zur See-Serie Handelskrieg mit U-Booten, Band 2 etwas über den eigentlichen diplomatischen Zwischenfall. Im ersten Lusitania-Notenwechsel versicherte sich die deutsche Regierung die USA darüber, dass der Fall untersucht werde. Die nächste Note der Amerikaner vom 10. Juni 1915 begrüsst die deutsche Haltung, und sagt zu, dass sie ,,das vollständige Material über den Angriff auf den Dampfer ,,Cushing" unterbreiten" werden.

Kann man wissen wie es dann weiterging? Mit was für einem Ergebnis endete die deutsche Untersuchung? Wie erklärte der Pilot (und der Bombenwerfer) den Angriff?

Gruß
Andreas

beck.Schulte

habe ich im Netz nur wenige Informationen finden können Dann bleibt dir wohl nichts anderes übrig   als in Freiburg, Berlin & London Akten und viel Literatur zu lesen. Haben vor dir Generationen von sich Kundigmachern auch so gehalten. Oder warte, bis so in ca. 20 - 50 Jahren alles "im Netz" steht. Hier und heute wird dir wohl nicht weitergeholfen werden können.  8-) PS: Was in "Home Waters" dazu steht ist grenzwertige britische Propaganda.

Mark Alt

Danke für die Antwort. Doch ich weiss, dass es hier viele Experten vorhanden sind, und gerade betrefflich Marineflieger haben wir einen bestimmt. Ob er auch im Ersten Weltkrieg kundig ist, weiss ich nicht, aber irgendwie hoffe ich noch einige Informationen zu bekommen.

Unter "Home Waters" versteht man weiterhin ein Teil der "Naval Staff Monographs"-Serie.  Die 19 Bänden entahltan 35 Monographien, neun tragen den Namen ,,Home Waters" und die bilden je einen Band (Bände X-XV, XVII-XIX.). Home Waters IV hat den Titel: ,,The First Phase of the Submarine Attack on Shipping in Home Waters, February to July 1915", enthält aber nichts über die Cushing. Etwas interessantes wird aber im Band 19. (The Tenth Cruiser Squadron) auf Seite 34 mitgeteilt:

Zitat,,A new development had arisen with regard to vessels from the United States. Two German oil-tankers, the Kiowa and Prometheus, changed their names and registry to Pioneer and Cushing, of New York, and came across under American colours with petrol for Sweden and Copenhagen. They were both stopped and sent in ; but the transfer of flag, though subsequent to the outbreak of war, was recognised on the grounds that the formei owners— the Deutsche Amerikanische Petroleum Gesellschaft— was a subsidiary of the Standard Oil Company. Consequently both vessels were released."

Das soll ungefähr im Februar oder März 1915 geschehen sein. Ob es hier um das gleiche Schiff geht? Beide sind Öltanker und kamen aus New York. Wurde vielleicht der Pilot so informiert gewesen sein, dass dieses einst deutsches Schiff von den Briten beschlagnahmt wurde, und deswegen gedacht hat, es segle unter falscher Flagge? Wie in der deutschen Note hiess, konnten solche Schiffe angegriffen werden, die sich ,,verdächtigt" machten. Das ist reine Spekulation, aber vielleicht weiss hier jemand Bescheid.

Andreas

Violoncello

Hallo Andreas,

zur Klärung deiner Fragen kann ich nichts Konkretes beitragen, an der Sichtung des diplomatischen Notenwechsels wird man vermutlich nicht vorbeikommen, da es sich bei der Frage wohl um ein echtes Minenfeld handelt. Ohne Sachkenner zu sein - mir war der Vorfall vor diesem Thema unbekannt - habe ich einmal in der 2. Auflage der deutschen Übersetzung der Arbeit des amerikanischen Historikers Charles Callan Tansill "America goes to war" nachgeblättert und bin auf folgende Ausführungen gestoßen:

"Während der Präsident [Woodrow Wilson] noch über den genauen Wortlaut einer Note an Deutschland als Protest gegen die Versenkung der `Falaba´ nachdachte, erhielt das Departement die Nachricht, am 28. April sei der amerikanische Dampfer `Cushing´ von einem deutschen Marineflugzeug angegriffen und am 1. Mai der amerikanische Tanker `Gulfbright´ torpediert worden. Menschenleben der `Cushing´ waren nicht zu beklagen [...]. Im Fall `Cushing´ teilte Admiral Behncke,der stellvertretende Admiralstabschef,  Botschafter Gerard am 29. Mai mit, der Angriff sei ein `unseliger, nicht beabsichtigter Unglücksfall´ gewesen, der `sehr bedauert´ werde. [...].
Wie zu erwarten war, erregte der `Cushing´- und der `Gulfbright´-Zwischenfall den Zorn Lansings [Robert Lansing wurde am 9.6.1915 US-Außenminister]; umgehend sandte er eine Note an Sekretär Bryan [US-Außenminister bis 9.6.1915], in der er sofortige und durchschlagende Maßnahmen befürwortete. Der Angriff auf die `Cushing´ sei eine `noch offenkundigere Verletzung neutraler Rechte auf hoher See´ als die Torpedierung der ´Falaba´. Daraus gehe hervor, dass die Deutschen darauf abzielten, `sinnlos und unterschiedslos Schiffe ohne Rücksicht auf die Neutralität zu vernichten´".

(Tansill: Amerika geht in den Krieg, Stuttgart 1939, S. 209 f.)

Zumindest enthält das Zitat Hinweise, wo weiter nachgeforscht werden könnte.

Viele Grüße

Violoncello

beck.Schulte

Mal kurz was dazu: Die ganze Geschichte ist ohne die zeitgleiche Unterbindung des Baumwoll-Exports nach Deutschland und die Ausweitung der Embargoliste nicht zu verstehen. .  Alles ein vereinter Versuch britischer und ihrer US-amerikanischer Unterstützung, das in großen Teilen recht diffuse Seerecht für ihre Interessen auszulegen.  Vorstöße der Briten gegen den freien Schiffsverkehr der Amerikaner nach Deutschland, der auch zu US-Schiffsverlusten führte, Behinderung der freien Weiterfahrt in Dover und Schottland wurden recht halbherzig diplomatisch abgearbeitet. Alles, was Deutschland angelastet werden konnten  (wie im gefragten Fall)  massiv propagandistisch ausgenutzt.  Dazu weiteres im politischen Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin. Ich war als die noch in Bonn waren, öfters da und hatte ein recht hilfreiches Personal vorgefunden. US-Literatur hat, soweit ich sie gelesen habe, keine deutschen Quellen benutzt. Wie gesagt, ohne Quellenstudium bring es nix.

Mark Alt

Danke Violoncello für die Informationen. Das Zitat in sich selbst war schon ganz hilfreich. (Buch nicht aus dem Jahre 1952?) Nun habe ich dann die Wörter "Behncke + Cushing" eingegugelt, wie immer mit einer Reihe von Suchergebnissen mit "Cushing-Syndrom". Dann aber ergänzt so: "Behncke + Cushing + 1915", und Volltreffer:

Cases arising under the German War-Zone Proclamation of February 4, 1915: Torpedoing of the "Falaba" and "Gulflight," attack on the "Cushing"—Cases arising under the British Order in Council of March 11, 1915: Detention of the "Seguranca" "Ogeechee," and "Joseph W. Fordney"—Note of April 28, 1915, to Germany asking diplomatic settlement of the "Frye" case—British prize-court rules

Sicherlich nicht alle Fragen beantwortet, aber hier wird einiges zum Thema geben.

Gruß
Andreas

beck.Schulte

Mit was für einem Ergebnis endete die deutsche Untersuchung? .. alles was du bisher so als Quelle dir ansehen willst, sind reine US Information und wohl kaum, was die deutsche Seite angeht objektiv . Da ist  nix betr. deiner Frage nach den deutschen Untersuchungen zu finden. Wenn du dich aber- so scheint es- ausschließlich auf Internet verlassen willst, dann bleiben deine Fragen betr. deutscher Unterlagen wohl weiterthin oberflächlich und in der Sache unbeantwortet . Auskunft nur in den Akten des AA, Berlin, die es nicht im Internet gibt . In den erhaltenen Marine Akten wird sowas in den Anlagebänden behandelt und die gibt es nur noch in eingen Fällen.

Urs Heßling

moin,

aufgrund der angegebenen Angriffs-Position kann man vermuten, daß die beteiligten deutschen Luftfahrzeuge (ein Zeppelin und ein Flugzeug ?) mit hoher Wahrscheinlichkeit zum "Kommando des Luftfahrtwesens des Marine-Korps"  in Flandern gehörten.  Deren Einsätze im April 1915 werden in "Der Krieg zur See 1914-1918 - Der Krieg in der Nordsee", Band 4, im Kapitel "Flandern und der Seekrieg" auf Seite 118 beschrieben. Der Angriff auf die Cushing wird dabei nicht erwähnt.

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

beck.Schulte

Lieber Urs, in der veröffentlichten deutschen Literatur ist nix zu finden. Auch das KTB-Flandern zeigt für den betreffenden Vorfälle nix an. Der 1. Mai ist dann natürlich seitenlang abgehandelt. Nochmals: Solch brisanten Themen sind aktenmäßig bei den obersten Dienststellen und dem AA, selten bis nie im KTB.  Auch haben in der Zwischenkriegszeit alle beteiligten Nationen kein Interesse gehabt, ihre wahren Absichten zu veröffentlichen. Nach 1945 war dann 14-18 für deutsche  Marine-Historiker kein Thema mehr, sieht man von Jütländ, U-bootskrieg und Revolten einmal ab. In diesen hier betr. Fällen sind alle Details zw. Reichsleitung und Marine abgehandelt.  Das Archiv des AA Berlin wird reichlich was haben. Jedenfalls konnte ich mich dort für die zeitgleiche US-Deutschland Baumwoll-Arie reichlich eindecken. Gruß aus BHV  8-)

Mark Alt

Danke Urs für die Erklärung, KzS Bd. 4. soll ich mindestens nicht mehr zu diesem Thema nachschlagen. Habe einige Artikel bezüglich Marinekorps Flandern nachgeschaut, aber nichts zur Cushing gefunden.

Urs, ich war zuerst auch verwirrt, um was für eine Maschine es hier geht, Luftschiff, Flugzeug (dann mit Räder oder Wasserflugzeug, oder vielleicht Flugboot). Bei Kapitän Herland soll ,,airship" ein Wasserflugzeug bedeuten, denn Admiral Behncke soll so formuliert haben (laut Botschafter Gerard):

ZitatIn this case the officer of the hydroaeroplane recognized no marks showing the ship to be a neutral and it was very much regretted that the attack had been made but it was hoped that it would be regarded as an unfortunate, unintentional accident. No damage had been made.

Meine Frage wäre noch, was für Flugzeug hatten die Marineflieger zu dieser Zeit in Belgien? Waren sie ausschließlich Friedrichshafen FF 29, oder waren auch andere Typen dabei?

Herr Langensiepen, ich freue mich für diese Quelle auch. Möchte mich nicht ausschließlich auf das Internet verlassen, deswegen habe ich hier nachgefragt. (Na ja, das ist sowieso Internet, aber hat jemand vielleicht etwas zu Hause auf dem Regal. Wie zum Beispiel Violoncello.) Die Krieg zur See-Serie hat fünf ,,Handelskrieg mit U-Booten" Bände. Die ersten drei sind im Internet aufzufinden, Band 4 und 5 aber nicht. Es kann sein, dass diese Bände etwas über die Untersuchung sagen. (Vielleicht hat jemand die auf dem Regal. Nur bei Wortverzeichnis nach Cushing nachschauen...)

Leider kann ich nach Freiburg, Berlin etc. nicht reisen um diese Informationen einzusammeln. Bitte verzeihen Sie das mir.

Schorsch

Hallo Andreas!

Zitat von: Mark Alt am 10 Januar 2025, 00:12:58(...)
Die Krieg zur See-Serie hat fünf ,,Handelskrieg mit U-Booten" Bände. Die ersten drei sind im Internet aufzufinden, Band 4 und 5 aber nicht. Es kann sein, dass diese Bände etwas über die Untersuchung sagen. (Vielleicht hat jemand die auf dem Regal. Nur bei Wortverzeichnis nach Cushing nachschauen...)
(...)
Melde Vollzug! Zumindest in den Personen- bzw. Sachverzeichnissen beider Bände ist kein Eintrag zu Cushing zu finden.

Mit freundlichen Grüßen
Schorsch
'Judea, London. Do or Die.'

"Ubi dubium, ibi libertas." (Wo Zweifel ist, da ist Freiheit.)

beck.Schulte

#11
Ich starte mal einen Versuch eine Einordnung:  In der Zeit 8.1914 bis in das Frühjahr 1915 war die Haltung der US Regierung und ihrer Behörden in Fragen des freien Seehandels, teils verdeckt, teils offen, schon voll auf britische Linie eingeschwenkt (Sieh dazu auch meine Arbeit betr. Baumwolle im MNB)  Dies zeigte sich bei der Unterbindung von Getreide - und Baumwolle Export in die Mittelmächte. Man wartete nur auf einen Zwischenfall der zum Abbruch der noch laufenden US Exporte nach Deutschland führen würde.  Die Wertung in Berlin dieser Zwischenfälle ist  nur im Gesamtkomplex der Deutsch-Amerikanischen Beziehungen zu verstehen. Falls es aus den letzten 50 Jahren deutsche wissenschaftliche Arbeiten gibt, in denen auf die Einzelfälle eingegangen wurde, würde es mich stark interessieren. Angelsächsische Arbeiten sind -so weit ich sie gelesen haben – kaum objektiv zu nennen.
Also nochmals: Für das, wie Berlin die Angelegenheiten behandelte sind in KTBs usw natürlich nix zu finden. Sollte es bisher keine brauchbare deutsche – ins Detail gehende – Literatur geben, bleibt nur das Archiv des AA Berlin . In Freiburg könnte etwas in einer der Stabsakten zu finden sein. In beiden Fällen in Ableitung der Worte unsres ersten Bundespräsidenten ,,Na, dann sucht man schön"  8-)

Urs Heßling

moin, Bernd,

Zitat von: beck.Schulte am 10 Januar 2025, 10:28:58Ich starte mal einen Versuch eine Einordnung: 
:MG:  top

Zitat von: beck.Schulte am 10 Januar 2025, 10:28:58Angelsächsische Arbeiten sind -so weit ich sie gelesen haben – kaum objektiv zu nennen.
Ja, leider :|
Das kenne ich aus der englischen Nachkriegsliteratur zu Schnellbooten : tapfere und einfallsreiche britische Seemänner, die gegen Deutsche kämpfen, die sich schnell zurückziehen, aber auf Schiffbrüchige schießen :roll:

Zitat von: beck.Schulte am 10 Januar 2025, 10:28:58Für das, wie Berlin die Angelegenheiten behandelte sind in KTBs usw natürlich nix zu finden.
Kann ich für KTBs nachvollziehen.
Aber der "Krieg zur See, Nordsee", Band 4 kam 1924 heraus.
Da war man doch schon (zumindest seitens der Reichsregierung) um Annäherung und Aufnahme in den Völkerbund bemüht ...
Nur die Reichsmarine scheint eine andere Melodie gespielt zu haben ...

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

beck.Schulte

#13
Das soll ungefähr im Februar oder März 1915 geschehen sein. Ob es hier um das gleiche Schiff geht? Beide sind Öltanker und kamen aus New York. Wurde vielleicht der Pilot so informiert gewesen sein, dass dieses einst deutsches Schiff von den Briten beschlagnahmt wurde, und deswegen gedacht hat, es segle unter falscher Flagge? Wie in der deutschen Note hiess, konnten solche Schiffe angegriffen werden, die sich ,,verdächtigt" machten. Das ist reine Spekulation, aber vielleicht weiss hier jemand Bescheid.
Ach Mensch, bring doch nicht alles durcheinander. Die beiden der DAPG gehörenden Tanker
waren in NY aufgelegt und wurden an die ,,Mutter" , die S.O. (Esso) verchartert oder verkauft (Habe die Infos. Z.Z. nicht zur Hand). Ein rechtlich einwandfreies und übliches Verfahren. Punkt.
..und son Pilot in 1915 konnte mit etwas Glück vielleicht feststellen, ob das ne Frachter oder ne Schlachtschiff war. Gezielte Suchaktion aus der Luft gab es nicht. Wie auch?

Mark Alt

Zitat von: beck.Schulte am 11 Januar 2025, 11:20:17Ach Mensch, bring doch nicht alles durcheinander.

Dann handelt es sich um zwei verschiedene Öltanker mit den gleichen Namen?

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