Der Bombenangriff auf Sassnitz

Begonnen von Zerstörerfahrer, 06 Mai 2006, 20:11:45

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Zerstörerfahrer

Die Informationen zu diesem Beitrag sind aus Wolfgang Müller " Schiffsschicksale Ostsee ".
Fritz Brustat-Navel " Unternehmen Rettung ", Heinz Schön " Flucht über die Ostsee 1944/45 im Bild " sowie
Zeitzeugenberichten von Bekannten.



[align=center]Der Bombenangriff am 06.März 1945 auf Sassnitz Hafen und Reede.[/align]

Sassnitz, ein kleiner Fischerei- und Fährschiffhafen, wird ab Ende Februar zunehmens Umschlagplatz für die Flüchtlinge aus dem Osten, da Swinemünde immer mehr überlastet ist.
Für grosse Schiffe ist dieser Hafen völlig ungeeignet und daher werden sie auf Reede durch kleinere Schiffe entladen. Da dieser Vorgang naturgemäss mehr Zeit in Anspruch nimmt als das direkte Entladen der Flüchtlinge, befindet sich am 06.03.1945 eine grössere Schiffsansammlung auf der Reede von Sassnitz.
Am 05.03.1945 können noch 3 Züge mit ca. 5500 Menschen aus Sassnitz abtransportiert werden, dann stehen aber keine Lokomotiven zur Verfügung, so das sich viele Flüchtlinge in den Zügen im Hafengelände aufhalten
und  auf den Abtransport warten. Ausserdem befanden sich noch viele Verwundete auf den Schiffen im Hafen und auf Reede.
In dieser Situation, erfolgte der brit. Bombenangriff mit ca. 150 Lancaster-Bomber auf die Stadt und den Hafen , während 41 weitere Bomber mit 7 Mosquitos als Jagdschutz die Reede angreifen.
Um 22.52 Uhr fallen die ersten Leuchtbomben Über Sassnitz und die Reede, der Kampfverband befindet sich im Anflug.
Ab 22.53 Uhr fallen die Bomben des 1. Angriffs und um 23.03 Uhr beginnt der 2. Angriff, mit laufenden Bombenabwürfen bis 23.12 Uhr.
Dabei fallen auf das Stadtgebiet und den Hafen ca. 500t Bomben. Im Stadtgebiet, fallen relativ wenige Bomben, da das Hauptziel eindeutig der Hafen und die Reede waren. Trotzdem sterben 136 Sassnitzer Bürger dabei.
Das Bahnhofshotel erhält einen Volltreffer, wobei auch 10 Offiziere fallen, die im Keller Schutz gesucht hatten.
Ein Teil der Bevölkerung flieht in die nahegelegenden Wälder, um den Bomben zu entgehen.
Im Hafen erhalten die Flüchtlingszüge auf den Gleisen 13 und 13a, sowie die Quarantänestation Bombenvolltreffer und werden vollständig vernichtet. Der im Fährbett 1 liegende Verwundetentransporter " Robert Möhring " wird
durch 2 Bomben getroffen, fängt an zu brennen und sinkt schliesslich. Dabei finden 353 Verwundete den Tod.
Auf der Reede fallen 173t Bomben, wobei 4,8t Brandbomben und Luftminen sind. Z 28 wird von 2 Bomben getroffen und sinkt, wobei 150 Besatzungsmitglieder den Tod finden. Ebenso sinken der zum Flakschiff umgebaute Dampfer " Sofia " und mehrere kleinere Fahrzeuge.
Da die " Potsdam " , " Pitea " und " Pretoria " keine Flüchtlinge mehr an Bord hatten und schon seit den Abendstunden seeklar machten, konnten sie bei
Angriffsbeginn  das Seegebiet verlassen. Ebenso entzog sich T 36 durch Zick-Zack-Kurse dem Bombenteppich.
Den anderen grösseren Flüchtlingschiffen " Deutschland , " Hamburg ", " Der Deutsche " und " General San Martin " geschah glücklicherweise nichts.

Bei diesem Angriff fanden ca. 1200 Menschen den Tod und 17 Fahrzeuge wurden versenkt.
Diese waren im einzelnen ( laut Wolfgang Müller ) :
- Verwundetentransporter " Robert Möhring "
- Z 28
- Flugsicherungsschiff " Hans Rolshofen "
- Tanker " Altengamme " ( bei Mukran gestrandet )
- 3 Fischkutter ( SAS 60 und 2 weitere )
- UJ 1109 ex St. Georg
- UJ 1118
- UJ 1119 ex Malangen
- Hebeschiff " Jägersberg "
- Taucherfahrzeug " Delphin "
- ein Taucherprahm
- Torpedofangboot " Karl "
- Motorbarkasse " Kuno "
- Schute " Dwarsdorf "

Aufgrund der abgeworfenen Luftminen, erstirbt nach dem Angriff jede Schiffsbewegung im Hafen und auf der Reede.
Die weitere Ausschiffung erfolgt mit kleinen hölzernen Booten, was sehr viel mehr Zeit in Anspruch nimmt.
Trotz der Minengefahr verlegt der Kapitän der " Hamburg " am nächsten Tag sein Schiff weiter seewärts. Dabei erhielt das Schiff 2 Minentreffer im Vorschiff und kentert. Zum Glück befanden sich keine Flüchtlinge an Bord, so das keine Todesopfer zu beklagen waren.
Obwohl der Hafen schwer beschädigt war, sollten noch viele Flüchtlinge über Sassnitz in den Westen durchgeschleust werden.



Wer noch weitere Informationen hat, immer her damit.

Mario

ich habe mich immer schon gefragt, wieso Stunden vor Ende des Krieges Flüchtlinge angegriffen wurden.
Wollten die Westalliierten den Flüchtlingsstrom unterbinden ??? Oder sollte das russisch besetzte Gebiet schon vorab zerstört werden, quasi als Auftakt zum kalten Krieg ???

Torpedo

Nein, ich glaube eher, dass auch von seiten der Allierten "Vernichtungskrieg" geführt wurde. Da die deutschen Gräueltaten ungleich grausamer und zahlreicher waren und die Allierten den Krieg gewannen, wurde diese Seite des Kampfes bis heute totgeschwiegen. Ist ja auch unangenehm, wenn man Europa von den Nazis befreit und sich dann eigene Grausamkeiten vorwerfen lassen muß.

Es wird aber Zeit, dass auch diese Taten aufgedeckt und untersucht werden - das sollten aber möglichst Historiker aus den "Siegerländern" tun und nicht wir hier in Deutschland, sonst unterstellt man uns wieder Beschönigung.

Allein die Behandlung von Schiffbrüchigen im Pazifikkrieg von BEIDEN Seiten ist ein Schwarzbuch für sich. In diesem Zusammenhang sage ich nur "Lakonia-Fall". Aber wie gesagt, das sollen andere mal anprangern...
Uli "Torpedo"   [WoW Nic: Torpedo_uas]

"Man muss seine Geschichte kennen, um nicht die gleichen Fehler zu wiederholen"

Restaurierungsbericht des SEELÖWE, 20er Jollenkreuzer Baujahr 1943
http://facebook.com/r167seeloewe

Thomas

Hallo,

hat jemand Kenntnisse von den allierten Hintergründen des Angriffs?
Im Rahmen des strategischen Bombenkrieges wird der Angriff in den Monographien nicht genannt.

In der RAF-History und auch bei Roskill zur Royal Navy ist dagegen von einer Luftoffensive und Minenoffensive im März gegen die verbliebenen Bereiche der Minensucher/Minenleger und U-Boote in Nord- und Ostsee die Rede. Könnten die Angriffe damit in Zusammenhang stehen? Weiterhin wird für den März nur von operativen Angriffen aufgrund der "Offensiv-Pause" der Roten Armee berichtet.

Grüße
Thomas

Zerstörerfahrer

Zitat von: cpa95In der RAF-History und auch bei Roskill zur Royal Navy ist dagegen von einer Luftoffensive und Minenoffensive im März gegen die verbliebenen Bereiche der Minensucher/Minenleger und U-Boote in Nord- und Ostsee die Rede. Könnten die Angriffe damit in Zusammenhang stehen?  

Für den Angriff auf Swinemünde am 12.März 1945 mag man das Argument noch gelten lassen, denn dort waren 1945 die 2., 22., 23., und 31. MS-Fl., sowie die 2., 3., 8., 14. R.-Fl., die 1. und 2. Sich.-Fl. stationiert. Aber selbst dann halte ich einen Angriff mit 671 schweren viermotorige Bomber  sowie 412 Jagdflugzeuge für völlig übertrieben.
Für Sassnitz, kann ich aber keine Stationierung von Minensuchern finden, obwohl der Zwangsweg 51 öst. und der Zwangsweg 1 nördl. an Rügen vorbeiführen.
Im Endeffekt hat die Luftaufklärung der Alliierten sicherlich gut funktioniert und sie wussten genau, was sie da bombardierten.

Thomas

Hallo Z-Fahrer

671 VIERMOTS und 412 JÄGER :shock:

So viele wurden doch sonst gegen Grossstädte angesetzt? Und das gegen Sassnitz? Ich wundere mich aber sehr, dass der Angriff dort nirgends erwähnt wird.

Grüße
Thomas

EDIT: Sorry, da war wohl Swinemünde gemeint.

Zerstörerfahrer

Zitat von: cpa95Hallo Z-Fahrer

671 VIERMOTS und 412 JÄGER :shock:

So viele wurden doch sonst gegen Grossstädte angesetzt? Und das gegen Sassnitz? Ich wundere mich aber sehr, dass der Angriff dort nirgends erwähnt wird.

Grüße
Thomas
Nee Nee, da hast du mich falsch verstanden. Swinemünde war gemeint.
Sassnitz wurde " Nur " von 191 Bombern angegriffen.

Thomas

Hallo Z-fahrer

sind dass vielleicht Ausweichziele gewesen?
Grüße
Thomas

Zerstörerfahrer

Glaube ich nicht, die Aufklärung wird festgestellt haben, das sich im Hafen und auf Reede eine grössere Schiffsansammlung aufhält und die war halt ein lohnendes Ziel.
Vor allen Dingen, weil ein paar dicke Pötte darunter waren.
So wirds auch in Swinemünde gewesen sein, obwohl man ja nur " Rangierbahnhöfe " angreifen wollte und dabei die ganze Stadt und den Hafen in Trümmern gelegt hat.
Sassnitz als Ausweichziel wird schon daher unwahrscheinlich, weil sich der Bomberverband ja trennte und 41 Bomber die Reede angriffen und Luftminen abwarf.

Thomas

Hallo Z-fahrer,

ich schlag am Wochenende mal zu Swinemünde nach.

Grüße
Thomas

EDIT: Swinemünde betraf die USAAF:

"The mission of 12 March brought an exciting variation from the normal routine. A lasthour Russian request for an operation against Swinemunde, a Baltic port assuming tactical importance as a German center of seaborne reinforcement now that the Russians were moving into eastern Germany, brought a vigorous Eighth Air Force response. About half the operating strength of each air division was pulled off planned operations and dispatched to Swinemunde, a total of 67 I bombers making sorties.Although the city was only fifteen to twenty miles from the Russian
lines and ordinarily too close for an H 2X mission, it was decided to use
the radar device because the area was so easily identified on screens.
The attacks were good, 1,609 tons falling on vessels in the harbor,
quays, slipways, and a large number of buildings in the port and on
industrial areas. Flak was meager and inaccurate, and the only bomber
which failed to return made for Sweden. Doolittle hailed the mission as
successful in spite of the IO/IO cloud. The Americans requested the
Red air force to photograph the results of the Swinemunde attack.
After a three-week delay came a brief reply minimizing the effectiveness
of the bombing, but no photographs. British photographs taken
later showed substantial damage.

aus: AAF-History, Band 3, Europa: Jan 1944 bis May 1945

Achilles

Fernab jeglicher Unterstellung und nicht mit der Absicht mich an dieser Diskussion ernsthaft zu beteiligen, Aber:

Natürlich waren die Feuerstürme in Dresden, Pforzheim (und vielen anderen Städten, meinetwegen auch Sassnitz, wobei ich da die Hintergründe nicht genau kenne) Verbrechen. Verbrechen gegen die Menschlichkeit und jegliche Moralvorstellung. Aber es war Krieg, was erwartet ihr? Hier schwingt, wenn auch subtil,  wieder diese "aber die Anderen waren auch ganz böse" Haltung mit, die ich für leicht gefährlich halte. (man möge mich korrigieren falls ich falsch liegen sollte!)

Wer des Krieges Hund entfesselt, sollte nicht von Menschen Menschlichkeit erwarten, wenn Selbige nicht schon lange vom Krieg selbst aufgefressen wurde.

An sachlicher Aufklärung ist nichts verkehrt und sie ist wünschenswert, aber man sollte sich immer bewusst sein auf welch dünnem Eis man sich bewegt!

Just a thought  :wink:

Thomas

Hallo Achilles,

für die sachliche Aufklärung würde ich auch die Nachkriegs-Darstellung als Quellenlage zunächst einmal auswerten, wie oben geschehen. Und das sollte auch wertfrei geschehen können, denn es ist "Geschichte".

P.S. In der RAF-Histroy wird sich zu Dresden auch aus der Sichtweise der 50er Jahre drastisch geäußert, so etwas würde wohl heute nicht mehr veröffentlicht.

Grüße
Thomas

Zerstörerfahrer

Hallo cpa95,

ich weiss, das Swinemünde von der USAAF angegriffen wurde. Ich glaube , ich habe mich nicht verständlich genug ausgedrückt. Ich meinte, das wenn es eine Brit. Bomberoperation gegen dt. Minensucher gegeben hat, ich es verstehen könnte, wenn man dann den Hafen von Swinemünde, aufgrund der dort stationierten Flottillen , angreift.
In welchem Zusammenhang der Angriff auf Sassnitz zu dieser Anti-Minensucher-Operation steht, ist mir nicht ganz klar.
Aufgrund  der langsamen Entladung der Flüchtlinge kam zu einer grossen Schiffsansammlung auf Sassnitz Reede über mehrere Tage und ich nehme mal an, das das für die Briten ein lohnendes Ziel war.
Mir liegt es sicher fern, hier Verbrechen gegen Verbrechen aufzurechnen, aber es muss erlaubt sein, auch diese traurigen Sachen zu hinterfragen, wobei mich sehr die Frage nach dem Warum interessiert.
Eine Anti-Minensucher-Operation wäre da ja schon mal ein Grund, ein sehr zweifelhafter, aber immerhin.

Spee

Servus,

als kleinen Gedanken, mal alte Wochenschauen aus der Zeit ansehen. Da wird immer wieder von erfolgreicher Rückführung von Truppen über See gesprochen. Auf vielen Schiffen waren eben nicht nur Flüchtlinge, sondern auch Soldaten, zwangsläufig. Ich bezweifle, daß man solche Transporte strikt getrennen hat. Zwar dürfte den Briten klar gewesen sein, daß in solchen Häfen viele Flüchtlinge sind, aber eben auch viele Soldaten, die mit Schiffen dort ankommen. Rücksicht dürfte da kein Thema sein.
Servus

Thomas

Suicide Is Not a War-Winning Strategy

Scheer

Achilles, ich muss dir zustimmen.

Eine Aufrechnung von Kriegsverbrechen gegen Kriegsverbrechen macht überhaupt keinen Sinn, Letztendlich gerät man dan leicht in Versuchung eigenes Tun mit dem Tun anderer zu rechtfertigen.
In keinem Krieg, der bisher gefochten wurde ist es beim reinen Krieg der Truppen gegeneinander geblieben. Immer hat auch die Zivilbevölkerung unter dem Vernichtungspotential der Kontrahenten zu leiden gehabt. Heute wird so etwas, schon zynisch, als Kollateralschaden verbucht. Es wird also schon als etwas Unvermeidbares hingenommen.
Um deine Anmerkung bezüglich der Erwartung von Menschlichkeit zu erweitern:

Der Krieg, der in seiner ureigensten Art etwas Unmenschliches ist, wird vom Menschen selbst entfacht.
Es ist also der Mensch, der Unmenschlichkeit durch den Krieg entstehen lässt und dies billigend in Kauf nimmt.
Somit ist der Mensch an sich nicht mehr in der Position sich über Unmenschlichkeit im Krieg zu beklagen.
Der Mensch selbst ist die Unmenschlichkeit des Krieges.

Daher denke ich bei "Aufdeckungen" irgendwelcher Kriegsverbrechen (damals wie heute) immer:
"Na und, ich habe nichts anderes erwartet." Mag auch zynisch klingen, ist aber die nackte Realität.

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