Was ist das Rohr vor dem Turm (U 20)?

Begonnen von R.B., 27 Juni 2012, 11:45:06

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R.B.

Hallo,
ich verweise hier auf eine Abbildung aus der Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Datei:U_20_grounded_Denmark_1916.JPG

Die Frage ist, wozu diente das (auch bei manchen anderen U-Booten vorhandene) ca. 1 Meter lange Rohr auf dem Aufbau kurz vor dem Hauptturm?

Momentane Vermutungen:
* Stabilisierendes Führungsrohr für ein gerade eingefahrenes "Marschperiskop"
* Belüftungsrohr
* Kabeldurchführung für die Funkanlage

Teddy Suhren

Hai

Ich hoffe ich hab das richtige 1m lange Rohr gefunden: Das dürfte m.E. das Führungsrohr für das Zentralesehrohr sein.
Gruß
Jörg

WoWs Nick: Teddy191

R.B.

#2
Hallo,
lässt sich das verlässlich machen oder belegen?

Das Problem bei der Vermutung Sehrohr ist, dass dieses dritte Rohr vor dem Turm in Konstruktionsplänen anderer U-Boot-Typen (beispielsweise SM U 17-18, Abbildung im Anhang, SM U 31-U37) nur bis 0 ... 1,5 Meter über Turmoberkante reichend eingezeichnet ist (Geländerhöhe Brücke), während die normalen Sehrohre 5 Meter höher ausfahrend dargestellt sind. Bei SM U 19-22 ist es im Konstruktionsplan garnicht enthalten, hier muss es ein späterer Umbau sein.

Köln

#3
Hallo R.B.,

deine letzte Vermutung ist richtig. Es ist die Kabeldurchführung für die Funkanlage. Auf dem Bild von U 54 kann man dies und die weitere Verkabelung mit der Netzabweiserantenne gut erkennen. Die zur Mastantenne führenden Kabel sind um den Marsch-/Lichtbildkompass gewickelt und wurden wohl bei Bedarf angeklemmt.

Die beiden Sehrohre sind auch gut erkennbar. Bei der Optik auf dem vorderen Periskop handelt es sich vermutlich um eine solche, die auch eine Beobachtung des Luftraumes zuläßt. Ist meine Vermutung richtig? Weiß jemand, ab wann eine solche eingebaut wurde?

Gruß aus dem verregneten Rheinland

Köln

R.B.

Vielen Dank, Super-Foto. Es gibt da zwar sowohl links als auch rechts ein Rohr, aber keines kann ein Zentrale-Sehrohr sein. Somit ist aus technischen Gründen ausgeschlossen, dass sich beim Angriff auf die Lusitania, wie in der Literatur beschreiben, 4 ... 5 Leute um das Periskop herum befunden haben. Den Tum von SM-U-20, in den die Sehrohre einfuhren, gibt es noch. Er steht in einem Küstenmuseum in Dänemark. Darin finden nur 2, höchstens 3 Leute Platz. Die Geschichte mit der Befehlsverweigerung durch Vögele muss auch daher eine Erfindung sein.

Felix Schultz

#5
Zitat von: R.B. am 10 Juli 2012, 12:29:27
Vielen Dank, Super-Foto. Es gibt da zwar sowohl links als auch rechts ein Rohr, aber keines kann ein Zentrale-Sehrohr sein. Somit ist aus technischen Gründen ausgeschlossen, dass sich beim Angriff auf die Lusitania, wie in der Literatur beschreiben, 4 ... 5 Leute um das Periskop herum befunden haben. Den Tum von SM-U-20, in den die Sehrohre einfuhren, gibt es noch. Er steht in einem Küstenmuseum in Dänemark. Darin finden nur 2, höchstens 3 Leute Platz. Die Geschichte mit der Befehlsverweigerung durch Vögele muss auch daher eine Erfindung sein.
Das ist aber ja keine neue Erkenntnis, da Bernd Langensiepen die Angelegenheit ja schon im MNB Nr. 8 schlüssig als Märchen entlarvt hat, wenn der Vögele gar nicht an Bord war, kann er auch nicht gemeutert haben, bzw. ist es unerheblich, wieviele Leute um das Periskop herumstanden, oder gibt es da neue, bisher unveröffentlichte Fakten zum Thema?

R.B.

#6
Zitat von: Felix Schultz am 10 Juli 2012, 19:38:18
Das ist aber ja keine neue Erkenntnis, da Bernd Langensiepen die Angelegenheit ja schon im MNB Nr. 8 schlüssig als Märchen entlarft hat, wenn der Vögele gar nicht an Bord war, kann er auch nicht gemeutert haben, bzw. ist es unerheblich, wieviele Leute um das Periskop herumstanden, oder gibt es da neue, bisher unveröffentlichte Fakten zum Thema?

Nun ja, zumindest theoretisch bestand noch die Möglichkeit, dass Vögele als Elektriker für ein erkranktes Besatzungsmitglied eingesprungen ist. Falls er zu einer kurzen Zeitverzögerung beim Torpedoabschuss geführt hat, wäre er der Grund gewesen, warum die Lusitania überhaupt getroffen wurde. Es hätte sich dann um einen geplanten Warnschuss handeln können, da das Schiff Munition transportierte. Da das ganze wohl peinlich für die deutsche Marine gewesen wäre, hätte es gute Gründe gegeben, ein solches Missgeschick zu vertuschen.

Vielleicht sind im folgenden neue Fakten enthalten:

Der Torpedo müsste, falls die Schussunterlagen im Kriegstagebuch stimmen und Schwieger auf die Schiffsmitte gezielt hat, den Rumpf direkt am Laderaum getroffen haben und nicht, wie in der Literatur und im Kriegstagebuch angegeben, etwas weiter hinten unter der Brücke. Eine Verschätzung der Augenzeugen und von Schwieger bezüglich der tatsächlichen Trefferlage kann, wie Colin Simpson in seinem Buch schon vor Jahren erläutert hat, durch die Zeitverzögerung erklärt werden, bis die Luftblasen des Torpedos die Wasseroberfläche erreichen und bis die Wassersäule der Detonation ihre volle Größe erreicht.

Falls das Kriegstagebuch stimmt, muss sich SM-U-20 bereits vor dem Tauchen zum Angriff in Sichtweite der britischen Leuchttürme an der irischen Küste befunden haben. Die Frage ist dann, warum die Briten ihrem Schiff keinen Ausweichbefehl geschickt haben oder ob sie es gar in Richtung des U-Bootes gelotst haben.

Falls das Kriegstagebuch verfälscht wurde, bleibt die Frage, warum. In meiner Rekonstruktion sieht es so aus, als könnten die angegebenen Kurse, Uhrzeiten und (Höchst-)Geschwindigkeiten unter keinen Umständen mit den sich rechnerisch ergebenen Entfernungen und Sichtweiten zusammenpassen.

Ich werde demnächst Aufzeichnungen über technische Details von SM-U-20 einstellen, die ich bei dieser "Flohmarkt"-Aktion erworben habe: http://forum-marinearchiv.de/smf/index.php/topic,11063.0.html ("Technische gegenüberstellung der U-Boote S.M. U 3 - U 20 an einen Marine Bauing.") Vielleicht ergibt sich daraus etwas. Falls es Interesse gibt, gebe ich die Originale kostenfrei an ein öffentliches Archiv ab.

Peter Strasser

Ein Warnschuss mit einem Torpedo  :?
Ich denke Langensiepen hat ausreichend bewiesen, dass es an Bord keinen Vögele gab.

Gruß
Piet

R.B.

Zitat von: Peter Strasser am 11 Juli 2012, 19:51:26
Ein Warnschuss mit einem Torpedo  :?
Ich denke Langensiepen hat ausreichend bewiesen, dass es an Bord keinen Vögele gab.

Gruß
Piet

Ich wollte hier halt auf Nummer sicher gehen. Ich hatte in einer Buchrezension im Internet gelesen, dass es im Privatbesitz eines Buchautors Unterlagen geben soll, die eine spätere Inhaftierung Vögeles belegen. Diese wurden jedoch nur kurz gezeigt, aber nicht zur genaueren Analyse herausgegeben. Es soll hierzu einen entsprechenden Bericht einer der damaligen Besatzungsmächte geben, bei denen sich Vögele gemeldet haben soll.

UC 67

Moin R.B.,

Warnschuß mit einem Aal? Die Dinger haben viel Geld gekostet. Da hätte "Turmzeigen" durchaus gereicht.

Das mit dem Zielen ist auch so eine Sache. Dazu muß man die genaue Entfernung und die Gegnerfahrt kennen. Die geringste Lageänderung des Zieles schmeißt die ganze Berechnung (Schätzung) über den Haufen. Dann wohl eher 1 bis 2 Schiffslängen vorhalten und hoffen, daß der Aal sitzt.

Übrigens, ohne U-Boot-Ausbildung konnte auch ein Herr Vögele nicht einfach mal einspringen.

Es gab keine "Meuterei" an Bord von U 20!!!

Man darf auch nicht den Fehler machen, Handlungen und Beweggründe von Personen in der Vergangenheit mit heutigen Maßstäben zu messen. Man muß sich in die damalige Zeit hineinversetzen können, ohne zu werten. Einfach Fakten aus Akten sammeln, ordnen und auswerten. Heute sind wir schlauer, kennen beide Seiten und die Auswirkungen von Handlungen der damals agierenden Menschen. Das war damals schlicht und ergreifend unmöglich. Dabei sollten wir es belassen.
Gruß aus Potsdam

Simon

R.B.

#10
Zitat von: UC 67 am 11 Juli 2012, 20:18:43
Warnschuß mit einem Aal? Die Dinger haben viel Geld gekostet. Da hätte "Turmzeigen" durchaus gereicht.

"Turmzeigen" wäre für das U-Boot gefährlich gewesen, da man auf deutscher Seite mit einer Bewaffnung des Schiffs rechnen musste.

Zitat
Das mit dem Zielen ist auch so eine Sache. Dazu muß man die genaue Entfernung und die Gegnerfahrt kennen. Die geringste Lageänderung des Zieles schmeißt die ganze Berechnung (Schätzung) über den Haufen. Dann wohl eher 1 bis 2 Schiffslängen vorhalten und hoffen, daß der Aal sitzt.

Die deutschen U-Boote hatten bereits vor Kriegsbeginn ein Stadimeter am Periskop, mit dem man die Entfernung sehr präzise messen kann, sofern man die genaue Masthöhe des Schiffes kennt. Damit kann man den Rest, Lagewinkel und Gegnerfahrt, genau bestimmen. Die Masthöhe der Lusitania ist tatsächlich vor dem Krieg in einer britischen Fachzeitschrift veröffentlicht worden.

Ein anderer Weg, die Gegnerfahrt zu messen, funktioniert über die Schiffslänge (die in den Erkennungshandbüchern drin stand) und über die Zeit. Bei Lagewinkeln im 90°-Bereich reicht eine sehr grobe Schätzung aus, sofern die Gegnerfahrt genau bestimmt wurde. Die Gegnerfahrt ist die einzige wirklich kritische Komponente beim Torpedoschuss. Hier hat sich Schwieger, sofern das Kriegstagebuch in diesem Punkt stimmt, mit 22 statt 18 kn entweder erheblich verschätzt oder vermessen.

Zitat
Es gab keine "Meuterei" an Bord von U 20!!!

Ich habe auch nicht die Absicht, etwas anderes zu behaupten. Ich muss dabei jedoch auch dem eventuell entgegenstehe Argumente beachten.

UC 67

"Turmzeigen" natürlich nicht 100 m vor dem Bug des betreffenden Schiffes.... :roll:

"...Die deutschen U-Boote hatten bereits vor Kriegsbeginn ein Stadimeter im Periskop, mit dem man die Entfernung sehr präzise messen kann,..."

Tja, dann hat es wohl zwischen Torpedoschießstand und Front einige Unterschiede gegeben...

Hast Du schon mal Kriegstagebücher gelesen? Dann wäre Dir aufgefallen, daß entweder mit den Periskopen was nicht in Ordnung war, oder die Kommandanten damit anscheinend nicht umgehen konnten... Lobeshymnen über die Präzision der E-Messung habe ich bis jetzt nicht gesehen. Die Anzahl der Fehlschüsse spricht eine andere Sprache.
Gruß aus Potsdam

Simon

R.B.

#12
Zitat von: UC 67 am 11 Juli 2012, 21:17:40
"Turmzeigen" natürlich nicht 100 m vor dem Bug des betreffenden Schiffes.... :roll:

Natürlich wäre das auch in 5 Kilometern Entfernung für das U-Boot noch ziemlich gefährlich gewesen, sofern es dabei entdeckt würde. Die angenommenen 12 Geschütze von je 15 cm Kaliber entsprechen etwa der Mittelartillerie eines Schlachtschiffes.

Zitat
"...Die deutschen U-Boote hatten bereits vor Kriegsbeginn ein Stadimeter im Periskop, mit dem man die Entfernung sehr präzise messen kann,..."

Tja, dann hat es wohl zwischen Torpedoschießstand und Front einige Unterschiede gegeben...

Natürlich. Der Unterschied könnte gewesen sein, dass man das Schiff in der zur Verfügung stehenden Zeit oder Sichtweite oft nicht genau identifizieren konnte und/oder seine Masthöhe nicht kannte.

Zitat
Hast Du schon mal Kriegstagebücher gelesen? Dann wäre Dir aufgefallen, daß entweder mit den Periskopen was nicht in Ordnung war, oder die Kommandanten damit anscheinend nicht umgehen konnten... Lobeshymnen über die Präzision der E-Messung habe ich bis jetzt nicht gesehen. Die Anzahl der Fehlschüsse spricht eine andere Sprache.

Fehlschüsse waren meines Wissens überwiegend auf Torpedoversager zurückzuführen. Ansonsten auf unerwartete Kursänderungen des Gegners bzw. damit zusammenhängend notgedrungenes Schießen aus ungünstigen Lagewinkeln.

Für die Lusitania, die bereits aus sehr großer Entfernung über eine lange Zeit beobachtet werden konnte, relativ leicht zu identifizieren war und einen schnurgeraden Kurs steuerte, trifft das nicht zu.

UC 67

Im Jahre 1915 war U 20 in 5 km Entfernung sowas von in Sicherheit... Bitte nicht verwechseln mit Atlantik 1944/Anfang 1945. Da war "Sehrohrzeigen" bereits tödlich.

Über die Aufschlüsselung der Fehlschüsse müssen wir nicht diskutieren. Das würde zu weit führen. Nur soviel. Die Aale waren besser als Du denkst.

Aber, war es nicht eine unerwartete Kursänderung der "LUSITANIA", die das U-Boot doch noch in Schußposition brachte???
Gruß aus Potsdam

Simon

R.B.

#14
Zitat von: UC 67 am 11 Juli 2012, 22:13:18
Aber, war es nicht eine unerwartete Kursänderung der "LUSITANIA", die das U-Boot doch noch in Schußposition brachte???

Das ist eine klare Fehleinschätzung in der Literatur, die offensichtlich nach dem Krieg von früheren Admiralen der deutschen und britischen Marine in Umlauf gesetzt und seitdem immer weiter übernommen wurde. Dies wird erleichtert durch die Behauptung, dass die Lusitania bei ihrer Entdeckung einen statistisch besonders unwahrscheinlichen, für das U-Boot ungünstigen Kurs gefahren sein soll. Früher oder später MUSSTE sie diesen jedoch wieder ändern, sonst wäre sie an der Küste auf Grund gelaufen.

Ich kenne inzwischen eine Original-Quelle für obige Behauptung. Der deutsche Kapitän zur See Friedrich Lützow, (korrigiert) früher Admiralstabsoffizier beim Führer der U-Boote, schrieb einfach nicht die Wahrheit, als er nach dem Krieg im Buch "Unsere Marine im Weltkrieg 1914-18" erklärte, die U-Boote hätten getaucht nur 2-4 sm/h erreicht.

Tatsächlich waren sie 9-10 sm/h schnell. Die Angaben zur Überwassergeschwindigkeit der U-Boote sind genauso falsch, behauptet werden 10 sm/h, tatsächlich 15,4 sm/h. Das liegt nur wenig unter der Reisegeschwindigkeit der Lusitania von 18 kn. Auch die Angaben zu den maximalen Sichtweiten stimmen nicht, behauptet werden 10 sm, tatsächlich dürften die Rauchfahne oder die Masten der Lusitania etwa 15-20 sm weit sichtbar gewesen sein.

Dies erlaubt es unter den gegebenen idealen Wetterbedingungen keine geringe sondern eine relativ hohe (etwa 66%-) Wahrscheinlichkeit abzuleiten, dass ein U-Boot in der Lage war, die Lusitania abzufangen, nachdem sie einmal in dessen Sichtweite geraten war.

Hätte die Lusitania ihre erste Kursänderung in Richtung Küste und ihre zweite Kursänderung wieder parallel zur Küste unterlassen, wäre sie genauso in die Unterwasserreichweite von SM-U-20 gelaufen. Insgesamt erscheint mir der ganze Ablauf als recht gut vorhersagbar, jedenfalls keineswegs unwahrscheinlich.

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