Strömungen und deren Auswirkungen auf die Lenkbarkeit eines Schiffes

Begonnen von t-geronimo, 05 Oktober 2006, 23:29:35

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t-geronimo

So, mal ein wenig Gedankenfutter für Harold (und andere?).

Harold hat ja schon recht ausführlich seine strömungsdynamischen Gedanken zu Schrauben, Rudern usw. verbreitet.
Von mir auch immer mit höchstem Interesse gelesen, wenn auch nicht immer alles im Detail verstanden (bin halt kein Ing. und werd auch keiner mehr werden).

Jetzt mal ein hoffentlich interessantes Beispiel der Interaktion der verschiedenen strömungstechnischen Systeme.

Ich war ja nun letztens in San Francisco.
Da gibt es ja u.a. das wohl sehr bekannte Alcatraz-Gefängnis. Eine Insel, von der ein Entkommen schier unmöglich erscheint.
Zum einen wegen der recht niedrigen Wassertemperatur (es war äußerst interessant zu beobachten, wie sich jeden Tag gegen Nachmittag eine starke Nebelwand von der offenen See her durch das Golden Gate in die San Fran Bucht schob!).
Zum anderen auch wegen der starken Strömungen.
Und ich kann Euch sagen, von der Golden Gate Bridge aus (von der das folgende Foto gemacht wurde), sahen die Strömungen und Strudel noch viel, viel heftiger aus als auf dem Foto sichtbar!!!!!!!!)



Wenn man den Abstand von Alcatraz zum Festland sieht, denkt man wirklich: "Hey, was soll das? 10 km und 20 km Schwimmen sind olympische Disziplinen und den Ärmelkanal durchschwimmen mittlerweile 15-jährige, so what??"
Aber wenn man diese Strömungen mal von oben gesehen hat, möchte man wirklich nicht darin gefangen sein (lassen sich mit einer Standard-Digicam nicht so prickelnd einfangen, wie sie in echt sind!).


Tja, und dann kam ein Tanker durch Golden Gate.
Nix besonderes eigentlich.




Aber an seinem Hintern hing ein Schlepper.
Eigentlich ja ungewöhnlich, dass ein Schlepper von einem Tanker gezogen wird... :roll:




Und da der Schlepper auch auf dem weiteren Weg des Tankers durch die San Francisco Bay hintendran blieb:




blieb mir nur eine Erklärung:

Der ist anscheinend zur Kursstabilisierung da!!

Denn rausfahrende Schiffe (u.a. habe ich einen riesigen Kreuzliner gesehen, aber nicht fotografiert) hatten keinen Schlepper am Heck!

Nun würde ich ja eigentlich denken:
Egal, mit welcher Strömung ein Schiff fährt: solange es genug Eigen-Fahrt macht, sollte das Schiff dem eigenen Ruder gehorchen. Und der Tanker war wirklich recht fix!!
Warum also den Schlepper am Heck??

Langes Vorspiel, kurzer Sex:


Ach ja, wenns der falsche Themenbereich sein sollte: Bitte gerne verschieben! ;-)
Kann mir das jemand allgemeinverständlich erklären (darf auch gerne bis nach Kiel dauern...:-D)??
Gruß, Thorsten

"There is every possibility that things are going to change completely."
(Captain Tennant, HMS Repulse, 09.12.1941)

Forum MarineArchiv / Historisches MarineArchiv

harold

Nix Erklärung, aber auch ne Beaobachtung dazu:

von Labuhanbajo (Flores) Richtung Komodo mit'm gecharterten Fischerboot unterwegs, Warane gucken. Nun sind die Sunda-Inseln quer zur Strömung, und zwischen den Inseln wirbelt's manchmal gewaltig.
Siehst du aber nicht ... nur manchmal, auf spiegelglatter See, neigte sich das Boot (mal so geschätzte 6-8 t, also nix allzu-kleines) seltsamerweise mal so, mal so.

Noch nix dabei gedacht...

Auf der Rückfahrt fiel der Motor aus, für ne Weile ... Bastelei angesagt, wie halt üblich in Indonesien. Und, ei guck, windstill war's, und das Boot begann munter zu kreiseln, und zwar gar nicht so langsam (ca 1.5-2 x / Minute). Und: NIX an der Oberfläche sichtbar.

Anschließend hab ich unserm Baas genauer auf die Finger geguckt : was der Ruder gab nach beiden Seiten, während wir wieder "geradeaus" fuhren.
Nur konnte ich gerade soviel Bahasa Indonesia, um mit ihm nen Preis und Zeiten auszumachen, und auch wenn ich mehr gekonnt hätte, "immer nur lächeln" und nie was Genaues sagen war die Devise im Indonesischen.


Ja ... dass man im schweren Wetter achteraus ne Trosse nachschleppt, bekannt, oder? Und für nen großen Tanker, der bei wenig Fahrt zuwenig Ruderdruck zusammenbekommt, als Kurs-Stabilisator halt eben n Schlepper ... sooo abwegig ist dies ja nicht.
Vielleicht war der Tanker ja MIT der rausgehenden Strömung unterwegs, und das Gespann durfte in engen Gewässern eben nicht über ne bestimmte Geschwindigkeit gehen?

Soweit mal n erster Kommentar. "Handbuch der Seemannschaft" liefert vielleicht noch weitere Ideen...
Ciao,
Harold
4 Ursachen für Irrtum:
- der Mangel an Beweisen;
- die geringe Geschicklichkeit, Beweise zu verwenden;
- ein Willensmangel, von Beweisen Gebrauch zu machen;
- die Anwendung falscher Wahrscheinlichkeitsrechnung.

t-geronimo

Hehe, auf Flores war ich auch schon. Die Warane hab ich mir zum Glück geschenkt, weil ich dadurch das große Seebeben, das Maumere (auf der Nordseite von Flores) plattgemacht hat, zum Glück um eine Woche versäumt habe (über 5000 Tote)...

Ja, ich kenne die Schleppsegel, die die Seenotretter hinter sich her gezogen haben, als es durch die Brandungen ging - nur physikalisch verstanden habe ich sie halt noch nie so richtig... :-(
Gruß, Thorsten

"There is every possibility that things are going to change completely."
(Captain Tennant, HMS Repulse, 09.12.1941)

Forum MarineArchiv / Historisches MarineArchiv

harold

"Ja, ich kenne die Schleppsegel, die die Seenotretter hinter sich her gezogen haben, als es durch die Brandungen ging - nur physikalisch verstanden habe ich sie halt noch nie so richtig..." ...

... mal nen Kinderdrachen gebastelt? So n einfaches Kreuz, über die Ecken verspannt und Seidenpapier drüber? -als Stabilisator in der Luftströmung braucht der auch ne Verlängerung, möglichst langen Hebelarm zum Aufhängepunkt - also ne "Schlepptrosse" (= Schnurschwänzchen mit Quasten) hintendran. Das wedelt zwar munter in den Turbulenzen, hält das Ding aber stabil.

Ciao,
Harold
4 Ursachen für Irrtum:
- der Mangel an Beweisen;
- die geringe Geschicklichkeit, Beweise zu verwenden;
- ein Willensmangel, von Beweisen Gebrauch zu machen;
- die Anwendung falscher Wahrscheinlichkeitsrechnung.

Timo

Hallo.

Noch eine andere Lösung. Bei den Holthausener(?) Schleusen Kiel spielte sich ein ähnliches Bild ab. Relativ großes Containerschiff zieht einen Schlepper. Dieser Schlepper hatte aber keinen Maschinenschaden, sondern bremste das Containerschiff.
Gruß Timo

- Kompliziert werden die Dinge von alleine! -

ufo

Ich glaube das war ein sogenannter "Exxon Valdez Schlepper", den Du da gesehen hast; ein Stand by Schlepper, der im Falle von Problemen direkt zupacken kann und nicht erst eine Leine überbringen muss. Die Amerikaner sind da ein wenig empfindlich geworden seit dem oben genannten Desaster. Seitdem werden viele empfindliche US Küsten Regionen von Tankern nur noch mit Stand by Schleppern and der Leine angelaufen.
Und so ein Schlepper stoert am Wenigsten und kann ad hoc am effektivsten eingreifen, wenn er eben über Heck vertäut ist.

Ich vermute mal ein Containerschiff, ein leerer Tanker oder ein Kreuzfahrer wären ohne Schlepper eingelaufen. 

Ciao,
Ufo

P.S. Holtenau, Timo, Kiel-Holtenau!  :-D

Timo

Richtig Ufo, so wars. :-D

Holthausen ist ein Örtchen hier in der Nähe :-D
Gruß Timo

- Kompliziert werden die Dinge von alleine! -

Scheer

Ähnliches kann ich hier vor Ort einmal im Jahr sehen. Immer wenn die Meyer-Werft einen Kreuzfahrer über die Ems bringt arbeiten sie mit zwei schleppern. Einem der schleppt, und einem der stabilisiert.
Schön zu sehen unter http://images.google.de/imgres?imgurl=http://www.ostfriesland.de/content/otg_emssperrwerk_schiff.jpg&imgrefurl=http://www.ostfriesland.de/index.php%3FpageId%3D443&h=240&w=384&sz=19&hl=de&start=10&tbnid=SSHaAO_voyrc5M:&tbnh=77&tbnw=123&prev=/images%3Fq%3Dmeyer%2Bwerft%2B%25C3%25BCberf%25C3%25BChrung%2B%26svnum%3D10%26hl%3Dde%26hs%3DGqH%26lr%3D%26client%3Dfirefox-a%26rls%3Dorg.mozilla:de:official_s%26sa%3DG

Übrigens, der schleppende ist am Heck, der stabilisierende am Bug (kurios, aber bei der Überführung fährt das Schiff über Heck)
Dir Rückwärtsfahrt hat gute Gründe:
Einerseits lässt sich das Schiff (da Pod-Antrieb und zuhilfenahme der Bugstrahlruder) auf der engen Ems so besser manövrieren und andererseits wird ein Vorgang vermieden der Squat-Effekt genannt wird. Der Squat-Effekt macht sich dadurch bemerkbar, das bei Vorrausfahrt durch die Schrauben Wasser unter dem Schiffboden weggezogen wird und das Schiff dadurch tiefer geht.
Bei Rückwärtsfahrt wird Wasser unter den Schiffsboden gedrückt und das Heck hebt sich. Bei geringen Fahrwassertiefen kann dies entscheidende Vor- bzw. Nachteile bringen.

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