Geheime Kommunikation Gefangenenfeldpost / Feldpost (Marine, U-Boote)

Begonnen von D.Bubenzer, 11 März 2025, 10:56:50

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D.Bubenzer

Ich bin auf der Suche nach einem Experten für Kriegsgefangenenpost/Feldpost der Marine. In einem Feldpostbrief, den mein Großvater vor dem Auslaufen mit U-271 an seine Ehefrau in Hamburg geschrieben hat, bin ich auf eine für mich sehr merkwürdige Stelle gestoßen. Zum Kontext: Mein Großvaters Helmut Bubenzer (1911-1978) war als Marinestabsarzt Bootsarzt bei der zweiten Unternehmung von U-271 (2.10.-3.11.43). Kurz vor Beginn dieser Unternehmung schreibt er am 27.09.1943 von Brest aus einen «Abschiedsbrief». Der Name «Shell», der gleich auftauchen wird, ist sein Spitzname, den er oft am Ende seiner Feldpostbriefe verwendet. Sein richtiger Vorname lautet «Helmut», der ebenso oft Verwendung findet. In besagtem Brief an seine Ehefrau schreibt er nun:

«(...) Eine Formalität bitte noch, mein Schatz. Wenn ich in Gefangenschaft geraten sollte, mußt du alle Briefe, die du von mir bekommst und die mit «Shell» unterzeichnet sind, an die F.Nr. M 24943 schicken. Du bekommst sie von dort nach 3-4 Wochen wieder, die normalen Briefe unterschreibe ich mit Helmut, die brauchst du nicht abzugeben. Es handelte sich um Nachrichtenübermittlung. Mehr kann ich nicht sagen, es ist ja auch nur für alle Fälle.»

Hat jemand irgendeine Ahnung, von was hier die Rede sein könnte? Auf welche geheime Kommunikation könnte dies verweisen? Kann die Feldpostnummer «F.Nr. M 24943» irgendwie identifiziert werden? Verweist dieser Briefausschnitt auf irgendeinen definierbaren Geheimauftrag?
Ich bin gespannt, ob irgendjemand etwas dazu sagen kann! 😊

M-54842

Ich weiß lediglich, dass bis zum BdU/OBdM postalisch Nachrichten aus Kriegsgefangenenlagern gelangt sind. Dies betraf beispielsweise das Verhalten bestimmter Gefangener oder geplante Ausbruchsversuche. Ich kann mir gut vorstellen, dass dieser Austausch über die Familien verschlüsselt/verklausuliert erfolgte.

Violoncello

Ein spannendes Thema!

Unter der FpNr. 24943 verbarg sich nach dem Feldpostverzeichnis im hier interessierenden Zeitraum die 10. leichte Fahrkolonne der in Russland eingesetzten 73. Infanterie-Division. Diese FpNr. könnte also auch als "Tarnadresse" gedient haben.

Viele Grüße

Violoncello

D.Bubenzer

Zitat von: Violoncello am 11 März 2025, 19:51:46Ein spannendes Thema!

Unter der FpNr. 24943 verbarg sich nach dem Feldpostverzeichnis im hier interessierenden Zeitraum die 10. leichte Fahrkolonne der in Russland eingesetzten 73. Infanterie-Division. Diese FpNr. könnte also auch als "Tarnadresse" gedient haben.

Viele Grüße

Violoncello

Vielen Dank für diesen Hinweis! Ich kenne mich mit der Systematik der Feldpostnummern leider nicht aus, frage mich aber gerade, was das vorangestellte "M" bei der im Brief genannten Feldpostnummer "M 24943" für eine Bedeutung hat. Ist dies nicht ein Hinweis auf Feldpost der Kriegsmarine (M = Marine)? Könnte es also sein, dass sich die FpNr. 24943 auf die von dir genannte 10. leichte Fahrkolonne bezieht, die FpNr. "M 24943" aber ganz unabhängig davon auf eine (fiktive oder reale) Feldpostnummer im Marine-Kontext?

Violoncello

Die Frage ist berechtigt, aber die FpNr. wurden ohne vorangestellte Buchstaben für alle Teilstreitkräfte  vergeben. Zumindest bei der Kriegsmarine wurde gelegentlich wohl informell ein "M" davorgesetzt. Die Feldpost hätte grundsätzlich aber auch ohne diesen Zusatz den richtigen Empfänger (in Heer, Luftwaffe, Kriegsmarine) erreicht. Vielleicht, dies ist aber spekulativ, wurde hier ausdrücklich der Zusatz vereinbart, um ein Aussortieren auch ohne Öffnen der Feldpost erleichtern und an den nach der FpNr.eigentlich nicht gemeinten Adressaten weiterleiten zu können. Das "M" und die hier gemeinte FpNr. passten ja nicht zusammen.

Viele Grüße

Violoncello

Teddy Suhren

Hai

Wurde der Name Shell auch vor und noch nach dem Krieg für Ihren Großvater verwendet oder taucht er nur in den Briefen auf?
Gruß
Jörg

WoWs Nick: Teddy191

atlantis

Hallo zusammen,

ich zitiere aus Terence Robertson: Der Wolf im Atlantik, (Otto Kretschmer), Seite 304:

"Inzwischen hatte Kretschmer Dönitz über die Entwicklung der Dinge im Kgf-Lager auf dem laufenden gehalten. Kurz nach Kriegsausbruch hatte Dönitz einen geheimen Privatcode ausarbeiten lassen und diesen seinen U-Boot-Offizieren für den Fall einer Gefangenennahme übergeben.
Dönitz ging dabei von der Annahme aus, dass es seinen Offizieren im Falle einer Gefangennahme gewiß erlaubt sein würde, sich mir ihren Angehörigen in Verbindung zu setzen und er hatte über seine Offiziere sicherstellen lassen, dass die verwandten ggfs. solche Schreiben an das U-Boot-Hauptquartier weiterleiten sollten.
So kommen denn auch Kretschmers Briefe, die er an seine Mutter schrieb, in die Hände des Admirals. In seinem 1. Brief teilte K. mit. dass er während seines Aufenthalts in Lorient an einer kleinen von KaLeu Lemp veranstalteten Festlichkeit teilgenommen habe. Dabei erwähnt er, dass Schepke auch anwesend war und führt dann ein gutes Dutzend anderer Offiziere auf. Diese Namen waren frei erfunden, aber aus dem Nummerncode läßt Dönitz die Namen der beiden, K. und Schepke zum Verhängnis gewordenen Zerstörer entziffern. Die Buchstaben ergeben die Worte "Vanoc" und "Walker".
Dönitz weiß Bescheid, auf welchen Zerstörern Englands fähigste Killer sitzen.
K.s Briefe, die seine Gesundheit betreffen, verschlüsseln den Namen "Cockfosters" und einen kurzen Bericht über seine (K.s) Unterredung mit Captain R.N. Creasy. Weitere Buchstabengruppen verraten Dönitz Einzelheiten über die Besatzung von U 99 und das tragische Ende des L.I.
Dieser und alle anderen Briefe durchliefen unbeanstandet die britische Zensur."

Beste Grüße
Ingo

D.Bubenzer

Zitat von: Teddy Suhren am 12 März 2025, 16:53:17Hai

Wurde der Name Shell auch vor und noch nach dem Krieg für Ihren Großvater verwendet oder taucht er nur in den Briefen auf?

Der Name "Shell" war auch vor dem Krieg schon sein gängiger Spitzname und er hat auch viele seiner Feldpostbriefe mit diesem Namen unterschrieben (offensichtlich ohne zusätzliche Bedeutung und "doppelten Boden"). Ich vermute, dass er tatsächlich erst mit diesem Brief der Unterschrift "Shell" eine Zusatzbedeutung gegeben hat. Im Sinne von "plausible deniability" macht es auch Sinn, diese bereits im Briefverkehrt etablierten zwei Namen mit unterschiedlicher Bedeutung aufzuladen, denn falls irgendjemand bei den zwei verschiedenen auftauchenden Unterschriften "Shell" und "Helmut" irgendeinen Verdacht schöpfen sollte, liesse sich schnell zeigen, dass er diese beiden Namen auch sonst immer wieder einmal im Wechsel verwendet hat... (spannend wäre natürlich, ob er diese zwei Unterschriften tatsächlich bewusst schon langfristig für diesen Zweck im Briefverkehr eingeführt hat, oder ob die Entscheidung, gerade den Namen der Unterschrift "Shell" als "Signalwort" zu verwenden, ad hoc gefällt wurde, weil es sich gerade anbot...).

D.Bubenzer

Zitat von: atlantis am 12 März 2025, 17:43:13Hallo zusammen,

ich zitiere aus Terence Robertson: Der Wolf im Atlantik, (Otto Kretschmer), Seite 304:

"Inzwischen hatte Kretschmer Dönitz über die Entwicklung der Dinge im Kgf-Lager auf dem laufenden gehalten. Kurz nach Kriegsausbruch hatte Dönitz einen geheimen Privatcode ausarbeiten lassen und diesen seinen U-Boot-Offizieren für den Fall einer Gefangenennahme übergeben.
Dönitz ging dabei von der Annahme aus, dass es seinen Offizieren im Falle einer Gefangennahme gewiß erlaubt sein würde, sich mir ihren Angehörigen in Verbindung zu setzen und er hatte über seine Offiziere sicherstellen lassen, dass die verwandten ggfs. solche Schreiben an das U-Boot-Hauptquartier weiterleiten sollten.
So kommen denn auch Kretschmers Briefe, die er an seine Mutter schrieb, in die Hände des Admirals. In seinem 1. Brief teilte K. mit. dass er während seines Aufenthalts in Lorient an einer kleinen von KaLeu Lemp veranstalteten Festlichkeit teilgenommen habe. Dabei erwähnt er, dass Schepke auch anwesend war und führt dann ein gutes Dutzend anderer Offiziere auf. Diese Namen waren frei erfunden, aber aus dem Nummerncode läßt Dönitz die Namen der beiden, K. und Schepke zum Verhängnis gewordenen Zerstörer entziffern. Die Buchstaben ergeben die Worte "Vanoc" und "Walker".
Dönitz weiß Bescheid, auf welchen Zerstörern Englands fähigste Killer sitzen.
K.s Briefe, die seine Gesundheit betreffen, verschlüsseln den Namen "Cockfosters" und einen kurzen Bericht über seine (K.s) Unterredung mit Captain R.N. Creasy. Weitere Buchstabengruppen verraten Dönitz Einzelheiten über die Besatzung von U 99 und das tragische Ende des L.I.
Dieser und alle anderen Briefe durchliefen unbeanstandet die britische Zensur."

Beste Grüße
Ingo

Vielen Dank, atlantis, das ist ja ein sehr klarer und wunderbar belegter Hinweis. Das würde ja tatsächlich sehr gut zu dem passen, was sich in diesem Briefausschnitt meines Großvaters findet. Es würde zudem nahelegen, dass dies ein gängiges Verfahren war, welches U-Boot-Offizieren grundsätzlich geläufig war. Danke auch für die konkrete Quellenangabe!

D.Bubenzer

Jetzt habe ich selbst noch einen kleinen Hinweis auf die Code-Praxis zwischen Dönitz und seinen Offizieren gefunden in Neitzel, Welzer (2011): "Soldaten". Da ich nur über Google-Books hineinschauen konnte, hier ohne Seitenangabe zitiert: "Kapitän zur See Hermann Witt ließ es sich nicht nehmen, aus der Gefangenschaft in einem Brief an seine Frau mit versteckten Codes Großadmiral Dönitz von seinem Kampf auf der Außenmole von Cherbourgs zu berichten."

Kennt jemand weitere Hinweise zu dieser Code-Kommunikation zwischen Dönitz und seinen Offizieren aus der Kriegsgefangenschaft heraus?

wirbelwind

Hallo,
wenn ich mich recht entsinne, spielte doch auch die verschlüsselte Gefangenenpost aus dem kanadischen Kriegsgefangenenlager Bomanville eine nicht unerhebliche Rolle bei der Planung der Operation ,,Kiebitz". Mithilfe von U 536 unter Kaleu Schauenburg sollten letztendlich nach erfolgreichem Ausbruch aus besagtem Lager die 4 vorgesehenen U-Boot-Kommandanten, darunter Otto Kretschmer, nach Frankreich gelangen. Leider schlug das Unternehmen fehl. Schauenburg und seine Besatzung konnten gerade so mit viel Mühe entkommen.
Der geplante Ausbruch von Otto Kretschmer war bereits 2022 Thema im Forum.
MfG Wirbelwind

D.Bubenzer

Zitat von: wirbelwind am 13 März 2025, 19:25:46Hallo,
wenn ich mich recht entsinne, spielte doch auch die verschlüsselte Gefangenenpost aus dem kanadischen Kriegsgefangenenlager Bomanville eine nicht unerhebliche Rolle bei der Planung der Operation ,,Kiebitz". Mithilfe von U 536 unter Kaleu Schauenburg sollten letztendlich nach erfolgreichem Ausbruch aus besagtem Lager die 4 vorgesehenen U-Boot-Kommandanten, darunter Otto Kretschmer, nach Frankreich gelangen. Leider schlug das Unternehmen fehl. Schauenburg und seine Besatzung konnten gerade so mit viel Mühe entkommen.
Der geplante Ausbruch von Otto Kretschmer war bereits 2022 Thema im Forum.
MfG Wirbelwind

Vielen Dank, wirbelwind. Da haben wir also wieder einen Hinweis darauf, dass es die Praxis gab, über "harmlose" Kriegsgefangenenpost an die Angehörigen den weiteren Weg zum BdU zu suchen. Spannend wäre nun, ob dies nur punktuell praktiziert wurde oder ob es hier so etwas wie ein "Standard-Training" bei U-Boot-Offizieren gab. Auch wäre spannend zu wissen, auf Basis welches Verschlüsselungssystems dies stattfand. Dazu habe ich hier noch Beispiel gefunden, bei dem aber wieder nicht klar ist, ob dies ein anekdotischer Einzelfall war, oder ob dies ein gängiges und verbreitetes Verfahren war: https://scienceblogs.de/klausis-krypto-kolumne/2014/09/28/eine-versteckte-nachricht-aus-dem-zweiten-weltkrieg/

Den von dir genannten Hinweis aus dem Forumsbeitrag zum Thema "Befreiung Otto Kretschmer aus der Kriegsgefangenschaft" füge ich hier auch kurz ein (Hervorhebungen von mir):

Zitat von: Eugen am 24 November 2022, 19:50:41Es handelte sich um U 536 ,,Schauenburg". Schauenburg wurde bereits vor dem Auslaufen über den Plan informiert (von Dönitz). Durch einen selbst gegrabenen unterirdischen Gang wollen vier U-Boot Offiziere ( Kretschmer, von Knebel-Döberitz, Elfe und Ey) aus einem kanadischen Kriegsgefangenlager fliehen. Mit Hilfe eines Geheimschlüssels haben sie Briefen an ihre Angehörigen übermittelt. Die geheimen Nachrichten waren über Briefe von Kretschmers Erstem Wachoffizier von Knebel-Döberitz an dessen Familie gegangen. Von dort zum Nachrichtenoffizier des BdU und von Dönitz wieder über Frau von Knebel-Döberitz an ihren Mann.



Thor

Grüß Euch,

ein kleines Puzzlestück aus "Der U-Boot-Krieg, Die Jäger - 1939-1942" von Clay Blair im Zusammenhang mit der Aufbringung von U 110, der sich gut mit dem scienceblog deckt:

"Vor dem Krieg hatte Dönitz ein Chiffriersystem eingeführt, das kriegsgefangene Offiziere in Briefen an ihre Familien verwenden konnten. Es war derselbe Code, den Kriegsgefangene von U-Booten im Ersten Weltkrieg benutzt hatten. Dabei standen die ersten Buchstaben bestimmter Wörter für die Punkte und Striche der Morsezeichen. Die Familien waren angewiesen, jegliche Post von Kriegsgefangenen an Dönitz weiterzuleiten, der die Briefe auf wichtige chiffrierte Informationen prüfte, etwa auf Gründe für den Verlust des Bootes, Torpedoversager usw.
Die Briten hatten diesen relativ simplen Code bereits im Ersten Weltkrieg entschlüsselt und waren nicht überrascht, als er im Zweiten Weltkrieg wieder auftauchte. Daher 'lasen' sie alle chiffrierten Informationen, die an Dönitz gingen. Durch diesen Strom an verschlüsselter Post gelangten die Briten an Informationen, die sich ihnen auf andere Weise nicht offenbarten, darunter einige ziemlich wertvolle. Außerdem nutzten die Briten den Code zur Verschlüsselung der Post, um falsche Informationen an Dönitz weiterzuleiten, aber auch für andere Zwecke."


Gruß
David
"Wooden ships with iron men beat iron ships with wooden men" - Zusammenfassung der Seeschlacht von Lissa (1866)

wirbelwind

Moin David,

für mich ein sehr interessanter Post, den Du in den Thread gestellt hast. In meinen Augen ist die Verwendung des Codes aus dem 1. Weltkrieg wiedermal ein typischer Fall von ,,Denkste". Dönitz und seine Leute meinten wohl, dass die Engländer nicht in der Lage waren, diesen Code zu knacken. Gerade auch, weil er bereits im voran gegangenen Weltkrieg bereits verwendet wurde. Da gab es bestimmt noch andere Möglichkeiten, als unbedingt darauf zurückgreifen zu müsssen. So war jedenfalls gewährleistet, dass der Feind mitlas und gegebenenfalls Falschinformationen übermitteln ließ. Kein Wunder für mich, dass unter diesen Bedingungen die Flucht von O. Kretschmer und den 3 anderen U-Boot-Kommandanten scheitern musste. Schauenburg und seine Besatzung hatten Glück, dass sie voerst entweichen konnten, bevor sie das Schicksal ereilte.

MfG Wirbelwind

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