Weihnachten auf M 575 in Kolberg

Begonnen von Seekrieg, 23 Dezember 2011, 14:41:38

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habichtnorbert

is eine Internet Seite:

http://freepages.genealogy.rootsweb.ancestry.com/~ldroess/Wracks/Ostsee/Wracktauchen-in-der-Ostsee.htm 

die Karte ist ganz unten, an der Seite steht dann unter Position 3 Seehund ist auf der Karte als Schiffswrack eingezeichnet über der Oie,
:MG:
Gruß Norbert

Wo die Flotte hinfährt, sind die Minensucher schon gewesen

Das Historische Marinearchiv: www.historisches-marinearchiv.de

Seekrieg

28. Dezember In See - Kiel
04.00 Uhr morgens. Ich habe doch ein paar Stunden tief und fest geschlafen. Man fühlt es ja in allen Knochen. Man ist ausgeruht und einigermaßen wieder frisch. Nun aber hoch! Es ist stockdunkel draußen. Der Mond ist längst untergegangen, und nun kann man die Hand nicht mehr vor den Augen sehen. Ich taste mich zur Kombüse und will einen Schluck heißen Kaffe ergattern. Vergebliche Liebesmühe. Hier ist alles krank und was vom Kaffee noch vorhanden war, das hat die See getrunken. Also nicht. –
Im Funkraum ist alles in Ordnung. Keine Eingänge von Bedeutung. Oder doch? Ja, seit 03.50 Uhr Fliegeralarm für die mittlere Ostsee. Das auch noch! Möchte nur wissen, was man bei diesem Wetter will. Da hat doch, weiß Gott, jeder mit sich zu tun.
Wie sieht es auf der Brücke aus? Alles klar. Wir fahren noch. Der Sturm hat nachgelassen man merkt es. Wir holen nicht mehr so weit über. Das schwere Stampfen klingt nicht mehr so beängstigend wie am gestrigen Abend. Es war auch höchste Zeit. Noch immer ist man in der Bilge am Lenzen, auch die Minen- und Rudergeschirrlast sind abgesoffen. Seit einer Stunde ist auch die Rudermaschine ausgefallen und die Maschinenfreiwache arbeitet auf Hochtouren, um sie wieder in Gang zu bringen. Unser Bedarf ist vollauf gedeckt. K I ist wieder in Betrieb. Dafür hat K II gelöscht, um die Feuer zu reinigen. Wir fahren also nach wie vor nur halbe.
Und M 557? Nichts! Keine Spur! Es wäre ja auch Zufall jetzt bei stockdunkler Nacht. Sicher liegt es schon weit voraus. Sehnsüchtig warten wir auf den Morgen. Stunde um Stunde verrinnt. Endlich wird es im Osten grau. Träg und müde steigt ein später Wintertag aus seinem durchwühlten Wolkenbett.
07.40 Uhr: Entwarnung für die mittlere Ostsee. 08.20 Uhr: Auf Steuerbordseite wird die Insel Moen passiert. 09.00 Uhr: Es ist wieder Tag, hell und einigermaßen sichtig. Jetzt gibt es in der Kombüse auch eine Tasse heißen Kaffe. Also hin. Der Gaumen ist mehr als trocken.
Aber wie sieht es auf dem Oberdeck aus: Der Weg von vorn nach achtern ist auf einem M-Bock immer ein Balancieren zwischen allen möglichen und unmöglichen Geräten, aber heute wird er gar zu einer Klettertour. Steigeisen und Eispickel möchte man am liebsten auch noch haben. Alles ist ineinandergeschoben, verbeult, verkeilt und mit einer dicken Eisschicht überfroren. Die Schwimmwestenkästen, die an den Aufbauten aufgehängt waren, sind losgeschlagen und liegen kreuz und quer an Oberdeck. Die See hat schwer gehaust.
Der Smutje steht im Schott seiner Kombüse und kredenzt mir im Vorübergehen eine Tasse Mokka. Mokka ist gut. Es schmeckt zwar  nach Kaffee, hat aber irgendwie noch einen widerlichen Beigeschmack. Fragend schaue ich den Kaffeeimitator an. ,,Ja", lacht er, ,,die Speisewasserzellen sind doch alle mit abgesoffen." Daher also der komische Geschmack. Das Zeug schmeckt fast wie Karlsbader Sprudel.
09.30 Uhr: Eben passieren wir die Gjedser Sperre. Nach dem säuerlichen Umtrunk setze ich meinen Inspektionsgang fort. Überall trifft man auf die gleichen Bilder der Zerstörung und Vernichtung. Das auf dem Achterschiff verstaute Sperrgerät ist zu einem großen Haufen zusammengerutscht. Alles hat sich in der vergangenen Nacht losgerissen, und ist auf Wanderschaft gegangen. Schwere Seilrollen, an denen vier Mann zu tragen haben, sind wie leichte Garnknäule hin- und hergerollt. Auch die Drachen und Ottern sind nicht untätig gewesen und haben die Minen diesmal gleich an Deck geschnitten. Bojen und Scherleinen sind ihnen dabei fleißig mit zur Hand gegangen. Jetzt aber sitzen sie still und friedlich in einem großen Wirrwarr zusammen und rühren sich nicht von der Stelle. Der Winter hat seine schwere Pranke darüber gelegt und hält alles mit einer dicken Eiskruste fest. Sogar das flotte Dingi, das ganz obenauf liegt und sich im allgemeinen Durcheinander still empfehlen wollte, hat er im letzten Augenblick noch ergriffen und auf seine Weise festgezurrt. Wir sind mit seiner Methode zufrieden. Er arbeitet schnell und gründlich. Es kann alles so bleiben. Nur am Niedergang zur Minenlast, der auch zugefroren ist, müssen wir das Eis losschlagen, damit wir das eingedrungene Wasser ausschöpfen können. Jetzt besteht ja keine Gefahr mehr. Der Seegang ebbt immer mehr ab. Ohne Zweifel aber hat uns die starke Eisbildung viel geholfen und manche lecke Stelle schneller und besser abgedichtet, als wir es vermocht hätten, soweit wir dazu überhaupt in der Lage gewesen wären. Der alte Griesgram Winter hat auch seine guten Seiten. –
Auf Steuerbordseite sind die Oberlichtfenster zur Kommandantenkammer durch das hin- und herrollende Gerät eingeschlagen worden. Die überkommende See ist nachgestürzt und hat sich auch hier in den unteren Räumen breitgemacht. Wohin man auch immer schaut, überall wird gelenzt, gewischt und getrocknet oder Zerschlagenes und Verbeultes zur Seite geräumt. Auch ich bekomme bald alle Hände voll zu tun. Ein Lautsprecher nach dem anderen wird mir mit klagender Mine zur Reparatur gebracht. Sie haben ja auch alle den nächtlichen Reigen mitgemacht und sind zerschlagen, beschunden und zerkratzt. Nun wollen sie nicht mehr. Bei vielen Lautsprechern fehlt außerdem die Zuleitungsschnur.
Es ist nur gut, daß man jetzt einigermaßen sicher stehen und arbeiten kann, und daß das Werkzeug nicht mehr fortrennt, sondern liegenbleibt, wohin man es legt. Die See hat sich ausgetobt. Von Stunde zu Stunde wird es ruhiger. Man kann wieder aufatmen.
Wenn wir nur wüßten, wo M 557 abgeblieben ist. Weit und breit ist nichts zu sehen. Sollte es einen so großen Vorsprung haben? Sein Verschwinden  beunruhigt uns doch mehr, als man es wahrhaben will. Es bestand ja auch noch eine dritte Möglichkeit. Es ist nämlich nicht von der Hand zu weisen, daß es irgendwo Landschutz aufgesucht oder gar Swinemünde angelaufen hat. Heute morgen haben wir ein diesbezügliches FT losgelassen und bei der Signalstelle Swinemünde angefragt. Wir warten noch auf Antwort.
Eben haben wir unser Mittagsmahl beendet. Das Essen schmeckte, abgesehen von dem Salzwassergeschmack, vorzüglich. Bei vielen Kameraden war es die erste Kostprobe, die sie ihren Magen seit gestern wieder anzubieten wagten. Es ist ein eigen Ding mit dem Seekranksein. Gibt es doch kaum einen an Bord, dem diese wilde Schaukelei zuletzt nicht doch noch mehr oder weniger Beschwerden bereitet hat. Ich bekomme gewöhnlich nach einiger Zeit etwas Kopfschmerzen.
Andere wieder müssen sich übergeben oder leiden unter starken Schwindelgefühlen. Es mag von der Natur des Einzelnen abhängig und eine Reaktion des Magens und des gesamten Nervensystems sein. Ausschlaggebend aber und bestimmend ist die Stärke des Widerstandswillens, den der einzelne der Situation entgegenzusetzen vermag. Hinzu kommt, daß man die See auf dem einen Schiff besser verträgt als auf dem anderen. Auf meinem alten Vorpostendampfer mit seinen 4,5 m Tiefgang hatte ich mich mit der Zeit so an das schwerfällige Stampfen und Rollen gewöhnt, daß mir auch der ärgste Seegang kaum noch etwas anhaben konnte. Auf M 575 dagegen bin ich noch nicht ganz so weit. Vielleicht bekommt mir ein M-Boot, das sich im bewegten Wasser gern etwas nervös und hastig benimmt, auch nicht so gut, oder ich bin nicht mehr der alte; denn auch darüber muß man sich im klaren sein. Der Krieg währt jetzt schon über zwei Jahre, und man wird nicht jünger und kräftiger, sondern von Tag zu Tag älter, abgespannter und mitgenommener. Vielleicht merken wir erst später einmal, wenn wir wieder zu Hause sind, was uns die Kriegsjahre an Kraft und Gesundheit eigentlich gekostet haben. Aber da gehen die Gedanken schon wieder spazieren und schwelgen in einer fernen Zukunft. Vielleicht geht der Krieg auch einmal schnell zu Ende? Man weiß es nicht. Ich will darüber auch nicht nachdenken. Es kommt dabei doch nichts weiter heraus als Kreise, Kringel und Spiralen.
15.00 Uhr: Wir fahren ,,zweimal Halbe". KI und K II sind wieder voll in Betrieb. Wie zwei alte, brave Ackergäule legen sie sich wieder in die Stränge. Die Rudermaschine klappert auch wieder. Mit der Zeit wird alles.
Die See ist kaum noch bewegt. Merkwürdig, wie rasch sie sich beruhigt und von einem Extrem zum anderen hinüberwechseln kann. Sie weist doch unverkennbar typisch weibliche Wesenszüge auf.
Eben ist die Antwort  der Signalstelle Swinemünde eingetroffen. ,,M 557 in Swinemünde nicht eingelaufen."
Das Rätselraten um den Verbleib unserer Kameraden beginnt wieder. Schließlich mußte M 557 auch unser FT erhalten haben und schon von sich aus eine Antwort geben. Es weiß ja nun, daß es gesucht wird. Wenn, ja wenn... Voller böser  Ahnungen getraue ich mir den Satz gar nicht fertig zu denken. Veilleicht ist auch ihre FT-Station unklar. Die Antennen können abgerissen sein. Manchmal bocken auch die Umformer. Wieviel war denn bei uns allein ausgefallen. Wir wollen nicht weiter raten, wir wissen es nicht. Gegen Abend sind wir in Kiel. Da wird uns Gewißheit werden. Bis dahin müssen wir uns gedulden.
19.00 Uhr: Kiel Scheerhafen festgemacht. Nein, M 557 ist nicht eingelaufen. Dann ist es ... Alles in uns wehrt sich gegen diese Erkenntnis. Noch nicht! Wir wollen noch warten und hoffen. Vielleicht kommt es noch heute nacht oder morgen. Vielleicht trifft von irgendwo her eine Nachricht ein. Ein Boot, das eben noch dicht hinter uns herfuhr, kann nicht auf einmal, ohne daß wir es merken oder gewahr werden, spurlos verschwinden. Wo hat man das schon einmal erlebt? Ja, wir hoffen! Die Hoffnung kennt keine Grenzen. Unsere Kameraden kommen noch!
23.00 Uhr: Eben habe ich mich mit ein paar Kameraden von Bord gemeldet. Wir wollen mit der letzten Straßenbahn noch bis zum Bahnhof fahren, im Roten Kreuz übernachten und morgen früh mit dem ersten Zug in Urlaub fahren. Endlich!

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