Britisches Wissen über deutsche- Panzerung und Durchschlagskraft der Geschütze

Begonnen von Matrose71, 23 Februar 2010, 15:05:56

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Matrose71

oder

"Engage the enemy more closely"!


Salve,

um das Thema auf den Punkt zu bringen muss ich mehrer Dinge vorrausschicken, damit man meine Gedankengänge besser nachvollziehen kann.

Durch einige Forenmitglieder und ihre umfangreiche Bibliothekssammlung ist mir aufgefallen, dass auf deutschen Schiffen, zumindestens im 2. Weltkrieg, ausführliche Materialien über gegenerische Schiffe und Geschütze vorhanden waren, die den Besatzungen Empfehlungen für ein Gefecht bezgl. Entfernung und Lagewinkel gaben und sozusagen eine "Stärken/Schwächen" Analyse darstellten.

Meine Frage ist nun, gab es das bei der britischen Admiralität und auf den britischen Schiffen auch?
Und wurde danach auch gehandelt?

Aus heutiger Sicht und mit heutigem Wissen betrachtet,

kann man daran seine Zweifel haben, wenn man sich das Verhalten der Briten in den stattgefundenen Seeschlachten des 2. Weltkrieges gegenüber deutschen Schiffen ansieht, . Im Grunde genommen haben sie eigentlich immer das gemacht, was den deutschen Schiffen in die Hände gespielt hat und haben den "Nahkampf" gesucht. Dafür waren die deutschen Schiffe "gebaut", zumindestens konnten sie dort alle ihre Stärken voll ausspielen.
Alle deutschen Schiffe angefangen von der Deutschlandklasse, Hipperklasse, SH/GS und BS/TP hatten einen besseren Vertikalschutz als ihre britischen Gegner und alle deutschen schweren Geschütze ab 20,3cm waren mit ihrer hohen Mündungsgeschwindigkeit und der Art ihrer Granaten auf Durchschlagsfähigkeit am Gürtelpanzer optimiert. Bei den Briten war es eher das genaue Gegenteil sowohl von der Panzerung als auch von den Geschützen.

Wußten die Briten etwas darüber, haben sie eine Analyse der deutschen Panzerung und Geschütze durchgeführt und ihren Besatzungen zur Verfügung gestellt?

Wenn man sich z.B die Schlacht in der Dänemarkstraße und am Nordkap herauspickt, sieht es für mich so aus, das beide britischen Admiräle (ich verwende eine Metaffer aus der Pokersprache)  sofort "All in" gegangen sind, ohne die gesamten taktischen Vor und Nachteile ihrer Schiffe abzuwägen.

Rein vom technischen Standpunkt und den wirklichen Möglichkeiten der Schiffe (Panzerung, SA und Radar), hatte Adm. Frazer sehr viel Glück am Nordkap. Ohne den Treffer von Norfolk auf SH mit dem Ausfall ihres Radars, den Adm Frazer nicht wissen konnte, ist es aus meiner Sicht von Heute, schon fast abenteuerlich sich SH auf 11000-12000m zu nähern und erst dann das Feuer zu eröffnen. Die Aktion hätte völlig unnötig auch nach "Hinten" losgehen können, da Adm Frazer DoY in die einzig mögliche Situation gebracht hat, wo SH gleichwertig oder überlegen war, sowohl von ihrer Panzerung, als auch von der Durchschlagskraft ihrer Geschütze. Das Glück war auf seiner Seite aber m.M nach nicht seine taktische Analyse bzgl. der Vor- und Nachteile seines Schiffes.

Bei Adm. Holland verhält es sich ähnlich wie bei Adm. Frazer, obwohl er durch die Anordnung von Hoods Panzerung eher unter Zugzwang stand, die Gefechtsentfernung zu verkürzen. Allerdings standen dem sowohl die Panzerung von POW, sowie die stärken aller seiner Geschütze entgegen, die eher ihre Stärken im Decksdurchschlag haben.
Rein vom technischen Standpunkt arbeitete auch in der Dänemarkstraße alles für die deutschen Schiffe. Auch wenn es ein Glückstreffer war, der Hood versenkte, ist es von der technischen Analyse aus heutiger Sicht, nur eine Frage der Zeit, wann Bismarck bei der geringen Gefechtsentfernung eines der beiden Schiffe sehr schwer beschädigt , ohne das sie selber großartig in Gefahr ist.



Viele Grüße

Carsten

ufo

Doch, doch – ich denke die Briten haben das auch mit einem gewissen Ernst betrieben. Ulrich hatte hier:
http://forum-marinearchiv.de/smf/index.php/topic,11315.0.html
mal ein Gegenstueck zu den Deutschen 'Hauptkampfentfernungsheftchen' vorgestellt. Da wird genauso mit Immunzone und Lage ab oder ran gerechnet wie bei der Kriegsmarine.

An diesem Beispiel sieht man, dass auch die Britischen Heftchen kontinuierlich aufgearbeitet wurden wenn neue Informationen zu Verfuegung standen. Soweit ich weiss haben sie zum Beispiel auch nach dem Kauf und der Untersuchung des Wracks der Graf Spee die Kampfanweisungen gegen Panzerschiffe ueberarbeitet.

Frazers Aktion hat aber denke ich wenig von dem in diesen Hauptkampfentfernungsheften angenommenen Szenario. Hier fuhr ein erheblich langsameres Schiff mit staerkerer Artillerie einen Feuerueberfall auf ein schnelleres Schiff mit vergleichbarer Panzerung aber schwaecherer Artillerie. Mir leuchtet ein, dass er versucht hat die Kampfentfernung so gering wie moeglich zu bekommen um innerhalb der verbeibenden Kampfdauer einen verlangsamenden Treffer zu landen. Alles danach konnten selbst im ungluecklichsten Falle seine Kreuzer und Zerstoerer erledigen aber die absolute Paemisse war dem Duke so lange wie moeglich Zeit zu verschaffen auf die erheblich schnellere Scharnhorst einzuballern. Ich denke das hat Ueberlegungen zur 'idealen' Gefechtsentfernung gegenstandslos gemacht. Scharnhorst haette sich ja nicht an die vorgeschlagenen rund 22.00 yards gehalten sondern waere einfach weggefahren.

Holland hat eventuell aehnliche Ueberlegungen angestellt. Seine Aufgabe war ein nominell etwa gleich schnelles (real vermutlich schnelleres) Schiff aus sehr ungluecklichem Abfangwinkel zu stoppen. Ich denke auch hier ueberwiegt die Notwendigkeit durch eine kurze Kampfentfernung eine moeglichst lange Kampfdauer zu erzwingen die Ueberlegungen zur optimalen Hauptkampfentfernung. Hier kommt sicher die Sorge mit der Panzerung der HMS Hood gegen Deckstreffer hinzu aber die ist denke ich nicht so wesentlich weil die Deutschen eben flach schiessende Geschuetze bevorzugen.

Letztendlich war Hollands Aufgabe Bismarck abzufangen. Er hat ein Schiff dabei verloren aber Bismarck hat (um Haaresbreite) genug abgekriegt als das Rheinuebung vorbei war. Mission accomplished. Haette Holland "rechtzeitig" auf Parallelkurs gedreht und Bismarck waere im Gegenzuge einfach weggefahren, wuerde man noch Heute Threads damit fuellen wie daemlich sich die Royal Navy in der Daenemarkstrasse angestellt hat. 

So hat denke ich das "Engage the enemy more closely" immer dann den Vorrang ueber die optimale Hauptkampfentfernung bekommen, wenn die Notwendigkeit ein laengstmoeglichen Schlagabtausch zu erzwingen gegeben war. Dass das von Matapan bis zum Nordkap haeufig der Fall war liegt eher an den verschiedenen strategischen Voraussetzungen der Kriegsparteien als an unterschiedlichen Gefechtsphilosophien. Die Briten hatten durch ein besseres Netz an Stuetzpunkten und groessere Werftkapazitaet erheblich bessere Moeglichkeiten beschaedigte Schiffe wieder aufzumoebeln. Ein Gefecht welches mit einem schwer angeschlagenen Britischen Schiff und einem nur angeschossenen Achsendampfer endete mag strategisch durchaus ein passabler Britischer Erfolg gewesen sein. Um das Beispiel von oben nochmal aufzugreifen: eine zusammengeschossene HMS Duke of York im Murmansk waere irgendwann wieder nach Hause gekommen. Vielleicht erst 1945. Eine Scharnhorst mit auch nur moderaten Gefechtsschaeden waere im Winter 43 kaum mehr nutzbar gewesen.         

Just my two Pence
Ufo

Thoddy

Im Fall des Nordkapgefechts war DoY offenbar trotz Artillerieradars nicht in der Lage das Gefecht auf 22000 yard (~20km) und mehr zu führen, da sie das Schießen bereits bei einer Entfernung von weniger als 20.000 yards einstellte.

Edith
Auch sollen innerhalb des Gefechts die Ablagen wechselnd teilweise sehr hoch gewesen sein, daraus ist zu schließen, daß DoY Probleme bei der Stabilisierung der Geschütze hatte, leider habe ich keine Berichte, um das im einzelnen herausarbeiten zu können.
Meine Herren, es kann ein siebenjähriger, es kann ein dreißigjähriger Krieg werden – und wehe dem, der zuerst die Lunte in das Pulverfaß schleudert!
WoWs : [FMA]Captain_Hook_

Matrose71

ZitatUm das Beispiel von oben nochmal aufzugreifen: eine zusammengeschossene HMS Duke of York im Murmansk waere irgendwann wieder nach Hause gekommen. Vielleicht erst 1945. Eine Scharnhorst mit auch nur moderaten Gefechtsschaeden waere im Winter 43 kaum mehr nutzbar gewesen.

Wie wir heute Wissen ist das gar nicht so abwegig. Der Geschwindigkeits reduzierende Treffer kam ja erst bei 18000-20000m von DoY, wenn man den Treffer von Garze/Dulin in Rechnung stellt, obwohl ich persönlich glaube das nur der Explosionsschock auf dem Panzerdeck und kein Durchschlag, den Kesselraum1 ausfallen ließ, aber Sinn und Zweck des Treffers wurden erreicht. Bei den Treffern auf kurze Entfernung hatte man das riesen Glück mit den ersten 2 Salven Turm A ausser Gefecht zu setzen und durch die Flutung des Magazins auch Turm B vorrübergehend auszuschalten, aber an der Geschwindigkeit von SH änderte das 1,5 Stunden gar nichts.
Mit einem intakten Radar und allen 3 Türmen in Funktion hätte es von 11000-14000m verdammt unangenehm für DoY werden können, da auf diese Entfernung die 28er durch den Gürtel von DoY kommen.
Insoweit kann ich deine Argumentation von Adm Frazers Verhalten schon nachvollziehen und erkenne auch den Sinn, aber der ist bei der Aktion schon volles Risiko gegangen um SH auszuschalten. Bei einer Entfernung von 15000m ist DoY wieder sicher gegen die 28er Granaten.
Auch wenn Adm. Frazer beiweitem nicht die Informationen von Heute hatte, mußte ihm zumindestens klar sein, dass bei einer Entfernung von 11000m SH verdammt unangenehm zurückschlagen kann, 28er zu klein hin oder her.

ZitatDoch, doch – ich denke die Briten haben das auch mit einem gewissen Ernst betrieben. Ulrich hatte hier:
http://forum-marinearchiv...ex.php/topic,11315.0.html
mal ein Gegenstueck zu den Deutschen 'Hauptkampfentfernungsheftchen' vorgestellt. Da wird genauso mit Immunzone und Lage ab oder ran gerechnet wie bei der Kriegsmarine.

An diesem Beispiel sieht man, dass auch die Britischen Heftchen kontinuierlich aufgearbeitet wurden wenn neue Informationen zu Verfuegung standen. Soweit ich weiss haben sie zum Beispiel auch nach dem Kauf und der Untersuchung des Wracks der Graf Spee die Kampfanweisungen gegen Panzerschiffe ueberarbeitet.

Bei eingehender Betrachtung, sind die aber sehr sehr weit weg von der Realität! Thoddy hat sich ja schon dazu geäußert und die optimistischen Werte für Gürtel und Decksdurchschlag der Britischen Granaten analysiert, komischerweise zeichnen die in ihrem Querschnitt die Böschungen ein, beziehen sie aber null mit ein in den Vertikalschutz, aber zusätzlich ist die Immunitätszone einer KGV gegenüber den deutschen 38er beim Vertikalschutz völlig neben der Realität. Die hatte keine IZ bis 19000-20000m gegen einen Gürtelpanzerdurchschlag bei Lage 0.

Insoweit kann man den britischen Admirälen zu Gute halten, dass sie annehmen mußten ihr Panzer hält wesentlich besser gegen deutsche Granaten als in Wirklichkeit der Fall und der deutsche Vertikalschutz ist bei weitem schlechter als er in Wirklichkeit war.

Persönlich interessieren würde mich ob Adm. Frazer die gleiche Taktik angewendet hätte, wenn TP das Schiff gewesen wäre, oder ob er da mehr "Vorsicht" walten lassen hätte.
Darüber hinaus wäre es auch spannend zu wissen welche nachrichtendienstliche Informationen er über die Fähigkeiten des deutschen Radars hatte.
Viele Grüße

Carsten

Thoddy

Zu dem Schießen von Bismarck in der Dänemerkstraße bin ich persönlich der Meinung, dass trotz des scheinbar guten Trefferergebnisses und des sehr vorteilhaften Ausgangs des Gefechts, die erreichten Ergebnisse eigentlich "unter aller Sau sind". Bismarch ist meiner Meinung nach aufgrund unzureichender Ausbildung in vielen Schießabschnitten deutlich unter den Möglichkeiten geblieben, welche die dicke Wumme  als auch die Feuerleitanlagen ermöglicht hätten. und ich wiederhole nochmals; auch wenn das Schießen selbst mit vergleichsweise hoher Trefferquote und schnellem Einschießen auf das Ziel einherging.
Meine Herren, es kann ein siebenjähriger, es kann ein dreißigjähriger Krieg werden – und wehe dem, der zuerst die Lunte in das Pulverfaß schleudert!
WoWs : [FMA]Captain_Hook_

Matrose71

@ Thoddy

Was war denn für dich unter aller Sau?
Es kann ja nur die Trefferquote sein.
Und wenn ich das richtig in Erinnerung habe, war die Trefferquote von PG ähnlich der von Bismarck, also müssten dort ja auch Defiziete sein.

Vergessen darf man auch nicht, dass PoW eigentlich schon den entscheidenden Treffer von Bismarck bekommen hat, der aber nicht explodiert ist.
Meistens wird der Treffer unter der Wasselinie der direkt neben der Munitionskammer im Fahrstul lag vergessen zu erwehnen, aber nach Expertenmeinung wäre der Gefechtentscheidend gegen PoW gewesen.
Auch darf man nicht vergessen, dass zumindestens Bismarck sich auf PoW neu einschiessen mußte während die, die sinkende Hood umfahren hat, was ja nicht die einfachste aller Übungen ist.

Also zu der These hätte ich sehr gerne noch mehr Input.
Viele Grüße

Carsten

ufo

Zitat von: Matrose71 am 24 Februar 2010, 12:06:31
...
Vergessen darf man auch nicht, dass PoW eigentlich schon den entscheidenden Treffer von Bismarck bekommen hat, der aber nicht explodiert ist.
Meistens wird der Treffer unter der Wasselinie der direkt neben der Munitionskammer im Fahrstul lag vergessen zu erwehnen, aber nach Expertenmeinung wäre der Gefechtentscheidend gegen PoW gewesen.
...

Hmmmm ... der Wundertreffer wieder. Ich gestehe, dass ich mehrfach und auch von Leuten, deren Meinung ich ausgesprochen respektiere (Bill Jurens zum Bispiel) vorgerechnet bekommen habe, dass dieser 'Treffer' genau zwei Dinge erreichen konnte:

Entweder haette die Granate korrekt gezuendet. Dann waere die weit ausserhalb des Prince im Wasser detoniert. Oder die Granate hat eben nicht korrekt gezuendet. Dann hatte die alle Zeit der Welt bis unter des Prince Panzerguertel zu kommen ... als Blindgaenger.

Aber beides zusammen kann man nicht haben. Die Granate kann nicht weit vor dem Prince ins Wasser gehen, ihren Zuender 'warten' lassen und dann zuenden, wenn sie endlich das Ziel erreicht.

Da ist schon ein erheblicher Unterschied zwischen den gegenseitigen Unterschuessen, die Bismarck und HMS Prince of Wales erzielt haben. Der Prince hat das geschafft mit einer Granate, die im Ziel noch zuendfaehig war. Bismarck konnte da nur hinschiessen mit einem Bliendgaenger.

Aber das nur am Rande.

Zitat von: Matrose71 am 23 Februar 2010, 22:28:44
ZitatDoch, doch – ich denke die Briten haben das auch mit einem gewissen Ernst betrieben. Ulrich hatte hier:
http://forum-marinearchiv...ex.php/topic,11315.0.html
mal ein Gegenstueck zu den Deutschen 'Hauptkampfentfernungsheftchen' vorgestellt. Da wird genauso mit Immunzone und Lage ab oder ran gerechnet wie bei der Kriegsmarine.

An diesem Beispiel sieht man, dass auch die Britischen Heftchen kontinuierlich aufgearbeitet wurden wenn neue Informationen zu Verfuegung standen. Soweit ich weiss haben sie zum Beispiel auch nach dem Kauf und der Untersuchung des Wracks der Graf Spee die Kampfanweisungen gegen Panzerschiffe ueberarbeitet.

Bei eingehender Betrachtung, sind die aber sehr sehr weit weg von der Realität! Thoddy hat sich ja schon dazu geäußert und die optimistischen Werte für Gürtel und Decksdurchschlag der Britischen Granaten analysiert, komischerweise zeichnen die in ihrem Querschnitt die Böschungen ein, beziehen sie aber null mit ein in den Vertikalschutz, aber zusätzlich ist die Immunitätszone einer KGV gegenüber den deutschen 38er beim Vertikalschutz völlig neben der Realität. Die hatte keine IZ bis 19000-20000m gegen einen Gürtelpanzerdurchschlag bei Lage 0.

Insoweit kann man den britischen Admirälen zu Gute halten, dass sie annehmen mußten ihr Panzer hält wesentlich besser gegen deutsche Granaten als in Wirklichkeit der Fall und der deutsche Vertikalschutz ist bei weitem schlechter als er in Wirklichkeit war.
...

Richtig! Das faszinierte mich auch so als Ulrich die Daten praesentierte. Die sind ziemlicher Murks. Warum nur?! Intelligence? Glaube ich nicht. Allein Paul Zieb, der ehemalige Chef der Kriegsmarinewerft Wilhelmshaven schrieb mal  brummelig, dass allein vier seiner Leute nach dem Krieg Britische Auszeichnungen bekommen haetten. Ich glaube nicht, dass den Briten die Daten gefehlt haben.

Aber terminal ballistics (Entschuldigung; wie heisst die Lehre vom Einschlag der Geschosse ins Ziel auf Deutsch?) ist mehr eine Kunst denn eine Wissenschaft. Da sind viele Schaetzfaktoren, ueber-den-Daumen-Komponenten und andere Unsicherheiten mehr. Die Briten scheinen sich eher verrechnet als verspioniert zu haben. Aber in welcher Komponente? Haben die die Geschuetze falsch eingeschaetzt? Sowohl die eigenen als auch die Deutschen? Oder haben die die Berechnung komplexer Kombipanzerungen (Schulterdeck, Doppeldeck und so) falsch angesetzt?     

Ufo

Matrose71

ZitatRichtig! Das faszinierte mich auch so als Ulrich die Daten praesentierte. Die sind ziemlicher Murks. Warum nur?! Intelligence? Glaube ich nicht. Allein Paul Zieb, der ehemalige Chef der Kriegsmarinewerft Wilhelmshaven schrieb mal  brummelig, dass allein vier seiner Leute nach dem Krieg Britische Auszeichnungen bekommen haetten. Ich glaube nicht, dass den Briten die Daten gefehlt haben.

Aber terminal ballistics (Entschuldigung; wie heisst die Lehre vom Einschlag der Geschosse ins Ziel auf Deutsch?) ist mehr eine Kunst denn eine Wissenschaft. Da sind viele Schaetzfaktoren, ueber-den-Daumen-Komponenten und andere Unsicherheiten mehr. Die Briten scheinen sich eher verrechnet als verspioniert zu haben. Aber in welcher Komponente? Haben die die Geschuetze falsch eingeschaetzt? Sowohl die eigenen als auch die Deutschen? Oder haben die die Berechnung komplexer Kombipanzerungen (Schulterdeck, Doppeldeck und so) falsch angesetzt?     

Irgendwie kann ich mir das schwerlich vorstellen. Bei der Berechnung des deutschen Doppeldecks gehe ich mit der Vermutung konform, dass es sehr schwierig war/ist dort Decksdurchschläge zu berechnen, da sich Heute noch alle Welt darüber streitet wie Effektiv Decapping ist und wie sich eine Granate danach verhält. In den letzten 2 Jahren schneidet die deutsche Lösung ja in Foren wieder bedeutend besser ab als davor. Allerdings bin ich kein Spezialist und kann das nicht selber mit Gewissheit einschätzen.

Das Thema Gürtelpanzer und Böschungen, leuchtet aber auch jedem technischen Laien sofort ein, wenn man sich nur ein bischen damit beschäftigt.
Und von den Böschungen auf deutschen Schiffen und dem tiefliegenden Panzerdeck wußten die Briten ja, wie ma an Hand ihres Querschnittes sieht.
Eine Böschung aber eventuell (Spekulation) nur mit 25mm Bausstahl zu veranschlagen leuchtet mir nicht ein, da auch ich denke das sie genügend Spionage Informationen hatten. Auch hatten sie sehr viel mehr reale Beschusswerte durch Baden, also an der Rechnerei kann es m.E. nach auch nicht liegen. Und eine Granate zu berechnen die erst durch 320mm Gürtel und anschließend noch durch 120mm Böschungen muss halte ich für einfacher, da hier das Decapping in der Art des Deckes wesentlich weniger eine Rolle spielt, da die Granate sowieso schon sehr stark mitgenommen ist nach solch einem Durchschlag.
Auch halte ich es für unmöglich bis fahrlässig die deutsche 38er als so schwach zu veranschlagen, da sie wußten das Bismarck eine völlig andere Kanone bekommt als die alte 38/45 der Baden. Die Werte aus diesen "Heftchen" sind schon sehr rätselhaft.

Edit:
ZitatHmmmm ... der Wundertreffer wieder. Ich gestehe, dass ich mehrfach und auch von Leuten, deren Meinung ich ausgesprochen respektiere (Bill Jurens zum Bispiel) vorgerechnet bekommen habe, dass dieser 'Treffer' genau zwei Dinge erreichen konnte:

Könntest du das bitte nochmal genauer ausführen? Deutsche AP Granaten hatten doch auch einen "Verzögerungszünder" der erst aktiviert wurde, wenn die Granaten irgendwo einschlugen. Also wird der AP Zünder beim aufschlagen auf das Wasser gesetzt oder wird er erst gesetzt, wenn er in das Schiff eindringt? Insoweit leuchtet mir die Erklärung noch nicht ein, warum die deutsche Granate auf alle Fälle ein Blindgänger sein musste und die von POW nicht?
Viele Grüße

Carsten

Nobody

Zitat von: ufo am 24 Februar 2010, 14:35:46
Aber terminal ballistics (Entschuldigung; wie heisst die Lehre vom Einschlag der Geschosse ins Ziel auf Deutsch?) ist mehr eine Kunst denn eine Wissenschaft. Da sind viele Schaetzfaktoren, ueber-den-Daumen-Komponenten und andere Unsicherheiten mehr. Die Briten scheinen sich eher verrechnet als verspioniert zu haben. Aber in welcher Komponente? Haben die die Geschuetze falsch eingeschaetzt? Sowohl die eigenen als auch die Deutschen? Oder haben die die Berechnung komplexer Kombipanzerungen (Schulterdeck, Doppeldeck und so) falsch angesetzt?     
Soweit ich weiß:
  • Granate im Rohr --> Innenballistik
  • Granate im Flug --> Außenballistik
  • Granate im Ziel --> Zielballistik

    Zitat von: Matrose71 am 24 Februar 2010, 15:03:21
    Auch halte ich es für unmöglich bis fahrlässig die deutsche 38er als so schwach zu veranschlagen, da sie wußten das Bismarck eine völlig andere Kanone bekommt als die alte 38/45 der Baden. Die Werte aus diesen "Heftchen" sind schon sehr rätselhaft.
    Ja wussten sie, aber wenn ich mich an den britischen Untersuchungsbericht über die Gründe zum Untergang der Hood richtig erinnere, dann gingen Sie davon aus das die deutschen 38/52 wesentlich überschätzt haben. Ich meine die schätzen deren v0 auf ~914 m/s (3000 ft/s) bei ähnlichem Granatgewicht wie Hood, also ~860 kg, was eine erheblich flachere Flugbahn ergibt als die tatsächlichen werte von 820 m/s & 800 kg.

Matrose71

@ Nobody

ZitatJa wussten sie, aber wenn ich mich an den britischen Untersuchungsbericht über die Gründe zum Untergang der Hood richtig erinnere, dann gingen Sie davon aus das die deutschen 38/52 wesentlich überschätzt haben. Ich meine die schätzen deren v0 auf ~914 m/s (3000 ft/s) bei ähnlichem Granatgewicht wie Hood, also ~860 kg, was eine erheblich flachere Flugbahn ergibt als die tatsächlichen werte von 820 m/s & 800 kg.

Sehr interessant. Frage ist dann aber wie kommt dieses Diagramm zu stande!?

http://picasaweb.google.com/urudofsky/ArmourEfficiencyTirpitzVsKGVNelsonQE02#5428444175289985394

Frage ist in dem Diagramm auch (Yard oder Meter), bei Yard wäre man noch weiter weg von der Realität.

Die originale deutsche 38er schaffte noch einen Durchschlag bei 20000m bei Lage 0, bei den angenommenen Daten "wäre wohl gar keine IZ" mehr vorhanden.
Und die Briten hatten doch reale Werte von den Beschusstests von Baden, also konnten sie sehr wohl ausrechnen was durch einen geraden Gürtel mit 385mm ging. Die Informationen stehen völlig konträr zu einnander.
Viele Grüße

Carsten

Thoddy

Die Combo Gürtel 320 mm + Böschung 100mm (auf Höhe Maschinenraum) zu 22° aus der horizontalen geneigt + 45mm Torpedoschott
Egal was passiert eine einfliegende Granate muß durch ca 320 mm oberflächengehärtetes Material, verliert die Kappe - wird vielleicht auch strukturell beschädigt und muß danach nominell einen Weg von rund 260 mm durch die Böschung zurücklegen, wenn sie nicht abgleitet und trifft zu guter letzt auf 45mm Torpedoschott

Alles in allem die Kleinigkeit von rund 620 mm Stahl, diese Gesamtmenge an zu durchdringenden Stahl bleibt relativ konstant bei allen Einfallswinkeln

sehen wir uns den Weg durch die Combo in Höhe der Magazine an wird dem kundigen Beobachter auffallen, daß hier der Gürtel um etwa 14% geneigt ist und der Weg durch die Böschung über 300mm lang wird mit entsprechenden Wirkungen



Tauchtreffer

Für Bismarck hab ich ne Kalkulationen anstellen können
das britische Geschoss kam mit etwa 18° Fallwinkel rein
der Zünder wird bei Aufschlag aufs Wasser gesetzt
und wird die Granate nach ca 13,5 m Restweg(wenn man Geschwindigkeitsverlust im Wasser ignoriert) in einer Tiefe von rund 4,5 m unter der Wasseroberfläche(wenn der Restweg eine stetige Linie ist)  zur Explosion bringen
um unter dem Gürtelpanzer durchzukommen muß in Höhe Bordwand ein Tauchtiefe von mindestens 1,90 m erreicht sein
das heißt die Granate muß etwa 6 m vor dem Schiff einschlagen
interessanterweise endet diese explosive Tauchfahrt dann ziemlich genau auf dem Torpedoschott

Trifft eine Granate 5 m vor dem Schiff trifft sie den Gürtel
Trifft eine Granate 7 m vor dem Schiff detoniert sie 1 m vor dem Torpedoschott
45mm Wotan dürften gegen Splitter von Panzersprengranten dieses Kalibers sicher sein wenn man den Unterlagen zur Bestimmung HKE glauben kann. lokaler Wassereinbruch im Bereich vor dem Torpedoschott die Folge

hinsichtlich der Treffer bei PoW habe ich keine Informationen in welcher Tiefe der Einschlag auf der Schiffhülle erfolgt ist
zumindest dürfte zumindest ein 38 cm Loch in Bordwand und alle folgenden Torpedo- und Splitterschotte gestanzt worden sein
ansonsten gilt dasselbe wie oben nur das die Restlaufzeit nach setzen Zünder etwa 15 m gewesen wäre
Da Einfallswinkel deutlich flacher ist und Gürtel PoW tiefer eintaucht eigentlich keine Chance für Explosion im Schiff

um Tauchtreffer erzielen zu können, müssen meiner Meinung die Zünder verschiedene Aufschlagarten unterscheiden können
1 Aufschlag auf schweren Panzer
2 Aufschlag auf dünne Bleche
3 "Softaufschlag Wasser"
es gibt vermutlich Lösungsmöglichkeiten aber ob diese so zuverlässig unterscheiden können...
Meine Herren, es kann ein siebenjähriger, es kann ein dreißigjähriger Krieg werden – und wehe dem, der zuerst die Lunte in das Pulverfaß schleudert!
WoWs : [FMA]Captain_Hook_

Nobody

Ich bestreite ja gar nicht das die Informationen "konträr" sind.

Um sicher zu gehen hab ich mich auf die suche begeben und bin, allerdings nur teilweise, fündig geworden.
Und zwar findet man hier dann eine Auszug aus dem Untersuchungsbericht (den ich leider noch nicht gefunden habe) in dem es heißt:
Zitat
i) If the muzzle velocity of Bismarck's guns was between 830 and 930 meters per second then a 380mm penetration to the main magazines was "quite possible"; if over about 930 meters per second, then the probability was "considerable."
Die Briten hielten also offenbar einen deutlich höhere Anfangsgeschwindigkeit der Granaten als dies tatsächlich der Fall war nicht für abwegig. Es stellt sich mir allerdings die Frage ob das von dir erwähnte Diagramm vor oder nach dieser Untersuchung erstellt wurde.

Gerade diese hohe v0 macht aber die große Immunitätszone der Deckpanzerung verständlich - oder wie groß war die tatsächlich?

Matrose71

@ Nobody

das mit den konträren Informationen war auch nur eine Feststellung von mir, ich wollte dir auf keinen Fall unterstellen, dass du das bestreitest.

ZitatDie Briten hielten also offenbar einen deutlich höhere Anfangsgeschwindigkeit der Granaten als dies tatsächlich der Fall war nicht für abwegig. Es stellt sich mir allerdings die Frage ob das von dir erwähnte Diagramm vor oder nach dieser Untersuchung erstellt wurde.

Gerade diese hohe v0 macht aber die große Immunitätszone der Deckpanzerung verständlich - oder wie groß war die tatsächlich?

Die IZ bezgl. der Deckspanzerung kommt hin. Die deutsche 38er konnte nach Navyweapons 126mm Deckspanzer bei 27000m durchschlagen.
Die V0 ist übrigens nicht die einzige Komponente die den Einfallswinkel bestimmt, da eine schwerere Granate das wieder aufheben kann.

Bei dem von mir gezeigten Diagramm ist es bezgl. des Vertikalschutzes eigentlich ziemlich egal, ob das vor oder nach der Untersuchung erstellt wurde, da die Briten mit dem Beschusstests der Baden und ihren eigenen Laborbedingungen eigentlich genügend Daten an Hand haben mußten, um zu Wissen, ab wann man mit einer 38er ungefähr durch den geraden Gürtel 385mm von KGV kommen musste/sollte. Die werden ja auch Beschusstests von geneigten Systemen durchgeführt haben, um einen Anhaltspunkt für die geneigten Gürtelpanzer der Nelson Klasse zu bekommen. Also die Datenlage müsste schon lange vor dem Krieg vorhanden gewesen sein.

Es ist auch erstaunlich, dass die Briten denken das 385mm gerader Gürtel reichen während die Deutschen 320mm geraden Gürtel + 110mm geneigte Böschung und 45mm gerades Torpedoschott veranschlagen. Beide Seiten bewegen sich m.E. nach in die falsche Richtung, der eine zu viel, der andere aber viel zu wenig, da der 385mm gerade Gürtel von KGV ein Rückschritt gegenüber dem geneigten Gürtel der Nelsonklasse war, wenn man die nicht sehr große Tiefe des geneigten Gürtels aussen vor läßt. 


Viele Grüße

Carsten

Nobody

Zitat von: Matrose71 am 24 Februar 2010, 17:38:32
Die V0 ist übrigens nicht die einzige Komponente die den Einfallswinkel bestimmt, da eine schwerere Granate das wieder aufheben kann.
Ja und nein. Eine schwere Granate wird bei gleicher v0 (!) weniger gebremst als eine leichtere Granate des gleichen Kalibers was eine flachere/gestrecktere Flugbahn bewirkt. Das wiederum vergrößert die Entfernung ab der ein Durchschlag stattfinden kann, es könnte aber natürlich sein, dass sich dieser Effekt für eine gegebene Entfernung mit der höheren Energie zusammen aufhebt.

t-geronimo

Zitat von: Thoddy am 24 Februar 2010, 16:26:08
...hinsichtlich der Treffer bei PoW habe ich keine Informationen in welcher Tiefe der Einschlag auf der Schiffhülle erfolgt ist
zumindest dürfte zumindest ein 38 cm Loch in Bordwand und alle folgenden Torpedo- und Splitterschotte gestanzt worden sein

Aus ADM 267/111:

ZitatOn Friday 6th June, on pumping out the dry dock a clean hole in the side about 15" diameter was found, a foot above the bilge keel at 187 starboard.
Holes were also found in the light plating forming the sides of the outer oil fuel tank 184-206.
Heavy marking was found on the protective bulkhead but there were no signs of explosion.
3. When the ship's bottom was visible it became apparent that there was no exit hole and a search was made for the shell.
The inner air space 184-194 was pumped out and the shell was found to be lying on the bottom between two frames 190-192 nose forward.
The shell was in good condition with the fuse in place, but without a ballistic cap.
The angle of entry was 10º from forward and the angle of descent (measured from the ship's perpendicular) was from 2º to 4º.
[...]
The shell referred to herein struck the ship slightly forward of of 186 station and about 12" above the bilge keel. At the point of impact therefore the shell had travelled a distance of about 80 ft. underwater and was about 28 ft. below the water surface.

It was still stable and travelling nose first with little "yaw", as is evidenced by its path within the ship. From point of first impact on the ship to point of impact on the protective bulkhead the shell travelled 12 ft. It was deflected about 20? forward whilst passing through the outer bottom plating and about 15? forward whilst passing through the outer longitudinal bulkhead of the O.F. compartment. Its path within the ship, relative to the ship, was on a slightly rising trajectory. The damage caused to the protective bulkhead (two of 30 lbs. D. quality steel) was slight.

To summarize, this shell travelled a distance of about 80 ft. in water and to a depth of about 28 ft. It then travelled 12 ft. within the ship and pierced 30 lbs. D. + 17 lbs. D. + 17 lbs. D ( + brackets and stiffeners) and was stopped by the protective bulkhead.

It is of special significance that the shell did not explode, presumably on account of a defective fuze. It is understood D.N.C. is arranging for this and all other details of the shell to be examined. Assuming the German fuze functions on water (and we believe it does) and that the length of delay is approximately equal to that of the British fuzes, a shell which is going to burst will have done so before it reaches the position attained in this instance.

Alternatively, if the German fuze does not function on water, then under conditions similar to this instance it is unlikely to function on any of the ship's structure it will encounter.

Thus the danger from such a 'hit' as received by PRINCE OF WALES is more apparent than real. None the less steps have already been taken with a view to providing existing Capital Ships and new construction with some additional protection against this type of eventuality.
Gruß, Thorsten

"There is every possibility that things are going to change completely."
(Captain Tennant, HMS Repulse, 09.12.1941)

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