12 Zoll/l 35 (Mark VIII): Die richtig schnelle Kanone

Begonnen von Leutnant Werner, 27 Dezember 2005, 22:26:47

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Leutnant Werner

Hallo,

ich bin bei meinen Buchkäufen immer sehr daran interessiert, zu erfahren, was die Waffen, die auf den Schlachtschiffen zum Einsatz kamen, wirklich konnten, und zwar in Bezug auf Treffgenauigkeit, Reichweite, Durchschlagskraft und Feuergeschwindigkeit. Natürlich gibt es widerstreitende Angaben in der Literatur.
Ich bin auf das folgende nette Detail gestossen: Jane 1906-07 gibt die Feuergeschwindigkeit für die 12-Zöller der MAJESTIC-Klasse mit 1 pro Minute an, bei Weyer (1914) gibt es leider keine genaue Angabe, bei Conway gar keine.

Bei Padfield: Battleship ist nun zu lesen: "The seven battleships were the Majestics. They were of 14,900 tons, virtually enlarged "Royal Sovereigns" but with a number of improvements and technical refinements (...) after these (the initial 8 rounds) had been fired the guns had to return to a keel-line position for replenishment. This system allowed a rate of fire every 45 seconds, but was improved to nearly two rounds a minute in the last two of the class, which were fitted with chain instead of telescopic rammers and continuous all-round loading."

Also waren alle in der Lage, bedeutend schneller als allgemein angegeben und die letzten beiden sogar doppelt so schnell zu feuern. Was ist daran so bemerkenswert? Sie waren damit auch mindestens doppelt so schnell wie die zeitgenössischen schweren Geschütze aller anderen Nationen. Das letzte Schiff der Brandenburg-Klasse war gerade mal 1 Jahr vorher in Dienst gestellt worden und verschoss eine Granate nur alle zwei Minuten. Die Franzosen und Russen mit ihren  neuen Türmen vom Zentralpivot (Coles)-Typ waren ein bisschen schneller als das, aber noch weit entfernt von den Briten.
An dieser Stelle kommt dann immer das Gegenargument, in der Hitze der Schlacht hätte man die Feuergeschwindigkeit nicht erreichen können. Das ist ein Irrtum. Die Briten waren mindestens genauso gut wie die Deutschen, wenn nicht besser, im Laden und Richten der Kanonen gedrillt. Und das Abwarten der Aufschlagsbeobachtung zieht als Argument auch nicht, weil die effektive Gefechtsentfernung für diese Waffen zwischen 1000 und 6000 m angegeben werden kann (Empirie aus Santiago, Yellow Sea und Tsushima), was auch mit den zu kleinen Barr & Stroud-Entfernungsmessern zu erklären ist.

Zusammenfassend: Fakt ist, dass die britischen Schlachtschiffe des Einheitstyps (Royal-Sovereign-Nachfolger) eine viel größere als allgemein bekannte Zerstörungskraft hatten, wenn man die Tatsache mit einbezieht, dass die Briten auch die wohl besten Richtschützen in der Seeartillerie dieser Zeit waren.

Ich behaupte: 1 Schlachtschiff der Majestic-Klasse hätte vor Santiago sowohl die spanische als auch die amerikanische Flotte kampfunfähig gemacht.

Abweichende Meinungen?

Gruß
Lt.

Spee

@Lt. Werner

Herr Padfield verwechselt wohl das Mk.VIII mit dem Mk.IX. Die Feuergeschwindigkeit des Mk.VIII lag nach dem ersten Schuß bei 70sec, danach bei 100sec. Erst ab Mk.IX wurden 1,5 Schuß pro Minute erreicht. Bei Tests wurden 2 Schuß pro Minute erzielt, aber die Briten rechneten mit 1 Schuß pro Minute als "Battle Practice". Da das Mk.IX erst 1901 eingeführt wurde, käme ein Gefecht vor Santiago nicht mehr in Betracht.

Zum Vergleich von Mk.VIII und Mk.IX:

http://www.navweaps.com/Weapons/WNBR_12-35_mk8.htm
http://www.navweaps.com/Weapons/WNBR_12-40_mk9.htm
Servus

Thomas

Suicide Is Not a War-Winning Strategy

Wilfried

Moin, moin zusammen!

Ist wohl heftig OT; habe mir gerade einmal den zweiten Link von Thomas angesehen; dieses Geschütz muß wohl absolut rückstoßfrei geweisen sein ... :)
Wenn nicht, wären die Brückenwachen - so denn bei Abschuß vorhanden - wahrscheinlich locker über Bord gefallen ? Oder?

Mit einem lieben Gruß
der Wilfried
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Leutnant Werner

@Thomas, @Wilfried,

Nee Jungs, Peter Padfield hat nichts verwechselt. Die Quelle, die Spee verwendet, von Warships1, benutzt selbst nur Sekundärquellen als Grundlage. Padfield hat zuvorderst Primärquellen benutzt. Wir wissen, dass die amtlichen oder halbamtlichen Flottenkataloge (Jane´s, Weyer) nicht immer die ganze Wahrheit erzählen, insbesondere, wenn es um die eigenen Schiffe geht. Die Schiffe ab MAJESTIC, die mit Mk. VIII bewaffnet waren, schossen so schnell, immer vorausgesetzt, die Bedienungen waren entsprechend gedrillt. Padfield benutzt im Übrigen nicht einmal die Bezeichnung Mk VIII, aber dass es sich um diese Geschütze gehandelt hat, ist in Jane´s und im Weyer nachzuvollziehen. Die Leistungsdaten, die Padfield außerdem zu den Stücken mitteilt, sind 100prozentig Mk VIII. Der breech mechanism war auch bei diesen Geschützen vom französischen Typ. Insoweit ist die Quelle von Thomas nicht genau.
Schauen wir uns zeitgenössische Geschütze der "Konkurrenz" an: Auf BRENNUS und auf JEMMAPPES fur eine 42-Kaliber-34cm-Waffe herum, die nach Meinung der Altvorderen das damals mächtigste Gerät war. Bei BRENNUS schoss die Kanone noch einmal alle zwei bis zweieinhalb Minuten, bei JEMMAPPES war die ROF auf 1 Schuss pro Minute gesteigert. Die Deutschen setzten ja auf die "Hail-of-fire"-Strategie. Schon die alten Mantelringkanonen (24 cm/l 35) auf den AEGIR-Küstenpanzern erreichten eine ROF von eindreiviertel Schuß pro Minute. Das ist Weyer, also amtlich. Die WETTINS und die alte KAISER-Klasse (Batch 2) waren mit einem 24cm/l40 -Geschütz bewaffnet, dass patronierte Munition verschoss und all-around geladen werden konnte. Und dass soll auch nur eindreiviertel Schuss pro Minute abgegeben haben? Da kratz ich mich doch an der Mütze! Die haben wenigstens drei Schuss pro Minute geschafft, die Dinger. Und die Besatzungen erst recht.
In Padfield gibt es eine Stelle, in der ein Übungsschießen auf einem Schlachtkreuzer der LION-Klasse beschrieben wird. Da wird eine Primärquelle zitiert, das Schiff schieße "as if by seconds". Ich denke, die Feuergeschwindigkeiten mit den schweren Geschützen dieser Zeit ist eine historische Grauzone - aus Gründen der damaligen Geheimhaltung und Verschleierung heraus, und wenn ich Zeit und Muße hätte, würde ich mal in die Richtung forschen. Hab ich aber nicht, ist nichtsdestoweniger ein extrem interessantes Gebiet und läd zum Diskutieren ein.

Das Buch von Padfield, dass ich erst einmal im Überblick gelesen habe und nun etwas gründlicher durcharbeite, werde ich übrigens zeitnah bei "Bücher" vorstellen.

Gruß
Lt

Spee

@Lt. Werner,

ok, ich habe mal etwas herumgesucht und was passendes gefunden.
Das Mk.VIII als Geschütz war wohl in der Lage, die schnelle Schußfolge zu halten, nicht aber die Barbetten der ersten 7 Schiffe der "Majestic"-Klasse (Majestic, Victorious, Prince George, Mars, Magnificent, Jupiter und Hannibal). Die hatten noch die alte "birnenförmige" Barbette, die nur über eine feste Ladestation verfügte. Somit konnten diese Schiffe zwar die ersten 2 Schuß sehr schnell abfeuern, dann mußte die Türme aber in Null-Stellung, die Rohre ebenfalls. "Caesar" und "Illustrious" erhielten erstmals runde Barbetten, die ein Nachladen in jeder Turmstellung ermöglichten. Die zur "Canopus"-Klasse gehörende "Vengeance" war das erste britische Linienschiff, welches eine Nachladevorrichtung für jeden Winkel der Rohre erhielt.
Damit sind die 70 bzw. 100sec. Schußfolge der ersten 7 Schiffe wohl erklärlich, es ist ein Mittelwert, der das Schwenken der Türme beinhaltet.
Btw. der breech mechanism war nicht französisch. Der Welin-Verschluß wurde von einem in London lebenden schwedischen Ingenieur entwickelt und Vickers erwarb die Lizenz dafür.
Servus

Thomas

Suicide Is Not a War-Winning Strategy

Leutnant Werner

Hallo Thomas,

Schon klar, dass die ersten 5 Majestics noch eine Rendell-Barbette hatten, in der die Geschütze nur "end on" geladen werden konnten. Trotzdem war laut Padfield die Feuergeschwindigkeit 45 Sekunden. "Technical refinements" muss sich daher auch auf das Schwenkwerk der Türme beziehen. Außerdem wurden die ersten 8 Granaten noch schneller verfeuert. Sie und die dazu gehörigen Ladungen wurden im Turm geschütznah vorgehalten.
Auf der anderen Seite hat das mit dem Durchschnittswert auch was für sich. Es wird schon einen erheblichen zeitlichen Unterschied gemacht haben, wenn der Turm nach dem Laden der Geschütze 40 Grad oder 120 Grad nach seitwärts ausgeschwenkt werden musste.
Hinsichtlich der Geschützverschlüsse habe ich das bis jetzt so verstanden, dass es im Wesentlichen das französische System und seine Nachahmer gab und das System von Krupp. Aber da mach ich mich bei Gelegenheit noch einmal schlauer.

Gruß
Ekkehard

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