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Flotten der Welt => Die Kaiserliche Marine => Die Kaiserliche Marine - U-Boote => Thema gestartet von: Götz von Berlichingen am 10 Juli 2011, 17:27:57

Titel: Unternehmungen von U 20 Anfang 1915
Beitrag von: Götz von Berlichingen am 10 Juli 2011, 17:27:57
Ich versuche gerade die Schilderungen von → Werner Fürbringer (http://www.uboat.net/wwi/men/commanders/81.html), damals WO auf U 20 bis Ende März 1915 in seinem Buch Alarm! Tauchen!! U-Boot in Kampf und Sturm [Deutscher Verlag, Berlin 1933] mit den bekannten Versenkungen in Übereinstimmung zu bringen. Allerdings will das nicht recht zusammenpassen.

Fürbringer schreibt (S. 36 ff.):

Zitat von: Werner Fürbringer[Aus den vorhergehenden Ausführungen ergibt sich, daß sich die geschilderten Ereignisse im Januar 1915 abgespielt haben müssen, Anm. GvB]
Wir laufen bis dicht vor die Straße Dover - Calais, dann tauchen wir. Bei der unsichtigen Wetterlage fürchten wir, im aufgetauchten Zustand überrascht zu werden und dann nicht mehr rechtzeitig unter Wasser zu kommen. Tatsächlich kommen ein paar große englische Zerstörer in Sicht. Das Wetter wird dann klarer, wir wollen auftauchen, aber dazu müssen wir erst Abstand von den Zerstörern gewinnen, so fahren wir, 20 Meter unter Wasser, mit großer Fahrt in Richtung auf die französische Küste zu; wir glauben, in der Mitte des Kanals zu sein, aber da stoßen wir schon derart heftig auf felsigen Grund, daß einige von uns vom Anprall einfach umgeworfen werden. Schwieger fragt ganz ruhig aus dem Turm: "Was ist los?" Ich versuche ebenso ruhig zu antworten: "Wir müssen aufgebrummt sein, Herr Kapitänleutnant." Unser Boot, das wir eigentlich für leckgeschlagen halten, zeigt plötzlich die Tendenz, an die Oberfläche zu kommen. Schwieger stoppt zunächst die Maschinen, geht dann aber sofort wieder an, als er sieht, daß das Boot sich hebt und Gefahr läuft, an die Oberfläche zu kommen. Obwohl wir unsere Reglertanks sofort nachfluten, um das Boot unten zu halten, durchbricht es wenige Augenblicke später die Oberfläche. Schwieger öffnet sofort das Turmluk und ruft herunter: "Donnerwetter, Fürbringer, sehen Sie mal, wir sind direkt unter den Felsen von Gris Nez." Gottlob sind keine Zerstörer und Bewacher in der Nähe, die uns angreifen könnten, uns so können wir in aller Ruhe wieder abhalten von der Küste.
Es gelingt uns, wieder zu tauchen und das Boot einzusteuern, ohne daß wir die Ursache seines Hochkommens ergründet hätten. Merkwürdigerweise müssen wir, um das Boot wieder in tauchklaren Zustand zu bringen, den Regler wieder um etwa 3 Tonnen fluten. Was im Augenblick des Aufbrummens eigentlich geschehen war, bleibt uns zunächst ein Rätsel.

Wir steuern gegen die Mitte des Kanals, der ohne jeden Verkehr ist, und fahren glatt durch nach Westen, greifen vor Liverpool einen Transporter an und versenken ihn, ebenso einen weiteren im Nordkanal, dann treten wir durch den Südausgang der Irischen See den Heimweg an.

Im Englischen Kanal begegnen wir in der vorletzten Nacht der Unternehmung einem vollständig abgeblendeten Dampfer. Pechschwarz und unheimlich wälzt sich der dicke Kerl heran, nur seine Bugsee leuchtet grellweiß auf. Er läuft offenbar direkt von England nach Le Havre. Es muß ein Truppen- oder Materialtransportdampfer sein, und Schwieger gibt Befehl zum Überwasserangriff. Der erste Überwassernachtangriff eines U-Bootes im Weltkrieg!

Mit wunderbarer Ruhe und Selbstverständlichkeit fährt Schwieger den Anlauf. Seine Kommandos gibt er genau so ruhig wie bei den Übungen auf der Ems. Sobald "Torpedo fertig!" gemeldet ist, läuft Schwieger mit hoher Fahrt auf den Dampfer zu, gibt dann noch ein paar Kommandos, und schon jagt aus 300 Meter Abstand der Torpedo mit gurgelndem Aufbrummen auf den Dampfer los. In wenigen Sekunden hat er sein Ziel erreicht und detoniert mit ungeheurer Explosion; der Dampfer wird in Atome zerfetzt, so daß die Sprengstücke nur so auf unser Deck hageln. Ich stehe neben Schwieger auf dem Turm. Wir ducken uns unwillkürlich. Von der aufgeworfenen Wassersäule, unter der wir direkt durchfahren müssen, werden wir klatschnaß. Zwanzig Sekunden nach der Explosion ist vom Dampfer nichts mehr zu sehen, nur Ölflecke und hölzerne Wrackteile bezeichnen die Untergangsstelle. Jedes menschliche Wesen, das sich an Bord befand, muß in wenigen Sekunden vernichtet worden sein.

Die Fahrt geht dann weiter durch die Straße Dover - Calais.

[...]

Wenige Wochen später machen wir mit Schwieger eine weitere Unternehmung, diesmal ist unser Operationsgebiet die Gegend von Le Havre. Wir legen in kurzer Zeit im Unterwasserangriff zwei größere Dampfer um.
Eines Nachmittags kommt von England herüber ein großer Lazarettdampfer mit Kurs auf Le Havre. Er kommt direkt auf uns zu, und Schwieger beschließt, ihn mal scharf unter die Lupe zu nehmen, da wir seit einiger Zeit vermuten, daß die Engländer Mißbrauch mit ihren Lazarettdampfern treiben. Schwieger läßt ihn ganz dicht an uns herankommen und ruft: "Fürbringer, mal schnell in den Turm kommen!" Ich muß durchs Sehrohr gucken und mir den Lazarettdampfer ansehen. Ich traue meinen Augen kaum: an der ganzen Reling entlang wimmelt es von dichtgedrängten englischen Soldaten. "Sie haben es doch einwandfrei gesehen, Fürbringer?" fragt mich Schwieger. "Jawohl, einwandfrei, Herr Kapitänleutnant!" antworte ich. "Dann Angriff, Heckrohr beschleunigt fertigmachen, hart Steuerbord!" ruft Schwieger. Wir müssen uns mächtig beeilen, um zum Schuß zu kommen, aber es gelingt doch noch gerade, wenn auch aus ganz achterlicher Position. Leider ist Torpedo Fehlschuß, und Schwieger ist tief geknickt, daß er gerade in diesem wichtigen Fall, wo er den Engländern Mißbrauch von Lazarettschiffen so klar hätte nachweisen können, vorbeigeschossen hat.

Aber schon am nächsten Morgen werden wir für diesen kleinen Mißerfolg entschädigt; direkt vor der Einfahrt von Le Havre versenken wir einen ganz feisten Engländer. Am Nachmittag desselben Tages laufen wir unter Wasser von Le Havre ab, wir wollen den Rückmarsch antreten, weil der Ölvorrat zur Neige geht. [...]

Aus den Angaben bei → uboat.net (http://www.uboat.net/wwi/boats/successes/u20.html) ergibt sich jedoch, daß die drei Versenkungserfolge im März 1915 an der Westküste Englands stattfanden, während am 30. Januar 1915 drei Dampfer vor Le Havre und im Kanal versenkt wurden.

Der im Buch von Fürbringer zuerst genannte vor Liverpool versenkte Transporter müßte demnach wohl die → Princess Victoria (http://www.uboat.net/wwi/ships_hit/ship.html?shipID=4925) gewesen sein (+ 9.3.1915), "im Nordkanal" wurde lt. → uboat.net (http://www.uboat.net/wwi/boats/successes/u20.html) im fraglichen Zeitraum, d.h. zu Fürbringers Zeit als WO, kein Schiff von U 20 versenkt.

Bei dem Munitionsdampfer, der im Überwassernachtangriff mit Kurs auf Le Havre versenkt wurde und der in einer gewaltigen Explosion zerrissen wurde, müßte es sich wohl um die → Oriole (http://www.uboat.net/wwi/ships_hit/ship.html?shipID=4579) gehandelt haben ("Sunk with all hands and posted as missing. Torpedoed about 20 miles NW of Cap d'Antifer 30.1.1915").

Der "feiste Engländer", der direkt vor der Hafeneinfahrt von Le Havre versenkt wurde, könnte demnach die → Tokomaru (http://www.uboat.net/wwi/ships_hit/ship.html?shipID=6042) (6.084 ts, versenkt am 30.1.1915 "7 miles NW of Le Havre LV") gewesen sein.

Sollte die Geschichte mit dem Lazarettschiff zutreffen, so muß man wohl froh sein, daß Schwieger dennoch vorbeigeschossen hat, denn dies wäre im Februar/März 1915 ein gefundenes Fressen für die Greuelpropagandisten in London, Paris und New York gewesen, über das sie sich wohl die Hände gerieben hätten. Außer den Aussagen des Kommandanten und des Wachoffiziers auf U 20 hätte den Deutschen kein unwiderlegbarer Sachbeweis (hier wäre eine Sehrohrkamera von unschätzbarem Wert gewesen) zur Verfügung gestanden und diese Aussagen wären in der ganzen Welt außerhalb des Machtbereichs der Mittelmächte sogleich als "teuflische Hunnen-Lügen" gebrandmarkt und als wertlos abgetan worden.

Nun meine Frage: Weiß jemand, was das KTB von U 20 zu diesen von Fürbringer anscheinend datumsmäßig etwas konfus geschilderten Ereignissen (offenbar hat er Ereignisse aus der Januar-Unternehmung mit denjenigen der März-Unternehmung verwechselt) sagt, insbesondere zu dem angeblichen Mißbrauch des Lazarettschiffes vor Le Havre und dem in einer gigantischen Explosion zerplatzenden Munitionsdampfer?
Titel: Re: Unternehmungen von U 20 Anfang 1915
Beitrag von: Thomas am 11 Juli 2011, 08:17:07
Zitat von: Götz von Berlichingen am 10 Juli 2011, 17:27:57Sollte die Geschichte mit dem Lazarettschiff zutreffen, so muß man wohl froh sein, daß Schwieger dennoch vorbeigeschossen hat, denn dies wäre im Februar/März 1915 ein gefundenes Fressen für die Greuelpropagandisten in London, Paris und New York gewesen, über das sie sich wohl die Hände gerieben hätten. Außer den Aussagen des Kommandanten und des Wachoffiziers auf U 20 hätte den Deutschen kein unwiderlegbarer Sachbeweis (hier wäre eine Sehrohrkamera von unschätzbarem Wert gewesen) zur Verfügung gestanden und diese Aussagen wären in der ganzen Welt außerhalb des Machtbereichs der Mittelmächte sogleich als "teuflische Hunnen-Lügen" gebrandmarkt und als wertlos abgetan worden.

In solchen Fällen sollte man mittel Quellenkritik vorgehen.
Memoirenliteratur läßt sich auch kontextualisieren.
Titel: Re: Unternehmungen von U 20 Anfang 1915
Beitrag von: Götz von Berlichingen am 11 Juli 2011, 11:43:25
Deshalb ja meine Frage nach dem KTB!   :roll:
Titel: Re: Unternehmungen von U 20 Anfang 1915
Beitrag von: Thomas am 11 Juli 2011, 21:07:32
Zitat von: Götz von Berlichingen am 11 Juli 2011, 11:43:25
Deshalb ja meine Frage nach dem KTB!   :roll:

Das wird leider nicht reichen, unabhängig von dem Inhalt.
Titel: Re: Unternehmungen von U 20 Anfang 1915
Beitrag von: Götz von Berlichingen am 12 Juli 2011, 00:49:26
Zitat von: Thomas am 11 Juli 2011, 21:07:32
Das wird leider nicht reichen, unabhängig von dem Inhalt.

Womit nichts anderes als Ihre dem aufmerksamen Beobachter ohnehin offenkundige Voreingenommenheit und Parteilichkeit bewiesen wäre. Anscheinend fürchtet man anglophilerseits, daß im KTB die Schilderungen bestätigt werden könnten und versucht deshalb schon mal prophylaktisch, diesen im vorauseilenden Gehorsam jede Glaubwürdigkeit abzusprechen.

PS.: Sie heißen nicht zufällig Wittek mit Nachnamen?
Titel: Re: Unternehmungen von U 20 Anfang 1915
Beitrag von: UC 67 am 12 Juli 2011, 01:15:19
ZitatDeshalb ja meine Frage nach dem KTB!


http://www.dubm.de/gebuhren.html
Titel: Re: Unternehmungen von U 20 Anfang 1915
Beitrag von: harold am 12 Juli 2011, 01:27:13
==> http://de.wikipedia.org/wiki/Sine_ira_et_studio
(gilt für alle beteiligten Seiten - denn "gälte es denn ein Geschehnis um der Erlangung einer preiseswerten Belobigung wegen beweisen zu müssen, welchen Wert hätte demnach dieser Beweis? Doch wohl nur den mindesten; ein unvoreingenommner Schuster [Anspielung auf Sokrates] mag wohl Trefflicheres erzählen von jener Schlacht, welche sein Feldherr verloren, als dieser je nun beigeben will", etc.)

Also KTB und Recherche nach dem Transporter, am 29./30. 1. 1915.
Der sollte sich doch auch feststellen lassen, oder?

Stay on topic!
:MG: Harold


Titel: Re: Unternehmungen von U 20 Anfang 1915
Beitrag von: Spee am 12 Juli 2011, 08:54:58
Servus,

"U20" versenkte im besagten Zeitraum die Handelsschiffe "Oriole", "Tokomaru" und "Ikaria". Das am 1.3. angegriffene Lazarettschiff war die "Asturias", auf dem Weg von Le Havre nach Southampton. Am 11.3. gab das deutsche Aussenministerium bekannt, daß der Angriff auf die "Asturias" ein Versehen war.

Quelle: Home Waters
Titel: Re: Unternehmungen von U 20 Anfang 1915
Beitrag von: UC 67 am 12 Juli 2011, 09:59:24
ASTURIAS wurde am 01.02.1915 angegriffen und von einem Torpedo verfehlt.
Titel: Re: Unternehmungen von U 20 Anfang 1915
Beitrag von: Urs Heßling am 12 Juli 2011, 10:48:23
Zitat von: Götz von Berlichingen am 10 Juli 2011, 17:27:57
... Eines Nachmittags kommt von England herüber ein großer Lazarettdampfer mit Kurs auf Le Havre.

Zitat von: Spee am 12 Juli 2011, 08:54:58
Das am 1.3. angegriffene Lazarettschiff war die "Asturias", auf dem Weg von Le Havre nach Southampton.

ein schlichter Irrtum des Autors oder absichtliche Unwahrheit (um den Angriff begründen zu können) ?

Zitat von: UC 67 am 12 Juli 2011, 09:59:24
ASTURIAS wurde am 01.02.1915 angegriffen und von einem Torpedo verfehlt.

oder war die ASTURIAS etwa am 1.2.1915 auf dem Weg nach Le Havre und Fürbringers Beschreibung ist korrekt ?

Gruß, Urs
Titel: Re: Unternehmungen von U 20 Anfang 1915
Beitrag von: Spee am 12 Juli 2011, 11:57:31
Servus,

1.2. ist natürlich richtig, mein Tippfehler  :-o .
Titel: Re: Unternehmungen von U 20 Anfang 1915
Beitrag von: Thomas am 12 Juli 2011, 13:58:23
Zitat von: Götz von Berlichingen am 12 Juli 2011, 00:49:26
Womit nichts anderes als Ihre dem aufmerksamen Beobachter ohnehin offenkundige Voreingenommenheit und Parteilichkeit bewiesen wäre. Anscheinend fürchtet man anglophilerseits, daß im KTB die Schilderungen bestätigt werden könnten und versucht deshalb schon mal prophylaktisch, diesen im vorauseilenden Gehorsam jede Glaubwürdigkeit abzusprechen.
Wieso denn gleich in die Luft gehen? Mein Hinweis bezog sich ergebnisoffen lediglich auf den zu beachtenden state of the art der Quellenbehandlung:
http://gonline.univie.ac.at/htdocs/site/browse.php?a=2649&arttyp=k
Vielleicht erklärt es dir Wiki einfacher:
http://de.wikipedia.org/wiki/Quellenkritik

Zitat von: Götz von Berlichingen am 12 Juli 2011, 00:49:26PS.: Sie heißen nicht zufällig Wittek mit Nachnamen?
Nein, mein Name ist James Hook. Ich kapere laufend Hospital Ships mit der Jolly Roger.

Aber im Ernst: Auch der Hafen oder die Richtung führt ohne weitere Quellen zur der in Rede stehenden Begegnung nicht weiter, da das Schiff wohl auch Havre-Nazaire bzw. Belgien anfuhr.