Die deutsche Marine-Aufklärung 1914-1945. - Beiträge zur Wehrforschung Band XX/XXI
Heinz Bonatz, Darmstadt 1970, 174 Seiten
Interessantes Buch!
Der Autor, selbst langjähriger Mitarbeiter (schliesslich Chef) des Marine Nachrichtendienstes, gibt ein ausgesprochen genaues Bild von der Entwicklung und der Arbeit des so oft angeführten und so selten genau beschriebenen B-Dienstes. Wie eigentlich haben die gearbeitet, woher bekamen die ihre Informationen, wann konnten die welche Schlüssel lesen, und wie schnell ging das? Was konnten die B-Dienst Einheiten an Bord schaffen und was nicht?
Das alles stellt er recht genau dar. Das ist kein Kryptologiebuch. Er belästigt seine Leser nicht damit wie dieser Schlüssel ging und wie jener; warum die Deutschen das lesen konnten und jenes nicht. Das würde da auch nicht wirklich rein passen. Er stellt die Geschichte des Dienstes dar, zeigt auf, was möglich war zu gewissen Zeiten und was nicht.
Der Autor wird hie und da allerdings von Blauäugigkeit geplagt. Der Teil zur Hochseeflotte gewinnt sehr davon, dass er viel erster Hand Informationen verarbeiten konnte. Woimmer er das aber nicht zu Hand hatte, greift er auf das Offizielle Seekriegswerk zurück und beteuert, dass das – es sei ja das offizelle Seekriegswerk – nun schon im Wesentlichen richtig sei. Ähm ... so kommt bei ihm dann wieder die alte Räuberpistole vor von U-31, dass mit toter Besatzung vor Great Yarmouth gestranded sei. Etwas peinlich! Hätte er das 1928 geschrieben – ok! Aber 1970?! Da hätte er schon wissen können, dass im ,,Krieg in der Nordsee" nicht immer nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit steht.
Aber, wo eigenes Erleben und eigene Sachkenntnis verarbeitet sind, ist das Buch ausgesprochen gut! Und er lässt nicht viele Gute Haare an der Hochseeflotte, ihrer laxen Funkerei und ihrer haahnebüchenen Chiffrierkunst. Aus eigenem Erleben erzählt er von einem Nachrichtenoffizier, der ohne den entsprechenden Schlüssel zu haben (!) eine eingegangene Stabsmeldung entziffert. Als jener das pflichtschuldig melded, wird er nicht flugs in die Chiffrierabteilung abgeordnet sondern bekommt einen dienstlichen Ansch*** weil er ja keine Zugangsberechtigung zu Stabsmeldungen hatte. Dass die Briten dann ganz, ganz offensichtlich vielleicht auch in der Lage sein könnten Deutsche Stabsfunksprüche zu entziffern – das scheint den ordnungsliebenden Germanen bei der ganzen Geschichte entgangen zu sein.
Interessant ein unterschiedlicher Ansatz zu den Briten: Während Bletchley Park haufenweise spinnerte Mathematiker und Originale rekrutierte, was viel, viel Reibungsprobleme gab und die Meldungen von Bletchley Park anfangs bei der Admiralität heftig in Misskredit brachte, streicht Bonatz heraus, dass der B-Dienst Leute bevorzugte, die Kenntnis von Borddienst und Marinebelangen mitbrachten. Das machte es viel einfacher Meldungen nach Bedeutung zu gewichten, schon eine Ahnung zu haben, worum es gehen könnte bei diesem Spruch oder jenem. Hatte sicher Vorteile! Der B-Dienst lief sicher reibugsärmer als die Allierten Ausgaben. Mag aber eben auch dazu beigetragen haben, dass auf Deutscher Seite eher Scheuklappen aufgesetzt wurden, dass eher gesehen wurde, was man erwartete, nicht was wirklich da war.
Erschienen 1970 – ja – wenig später nur glaube ich wurde der Schleier von ,Ultra' gelüftet. Ach hätte der Autor doch noch ein Wenig länger recherchiert. Dann hätte er nicht am Ende des Buches Seitenlang beweisen müssen, dass die Allierten gar nicht in der Lage sein konnten, Enigma zu lesen ...
Na, ja – es macht nochmal deutlich wie ausgesprochen sicher sich die Kriegsmarine iher Codes war. Dumm gelaufen!
Lesenswert das Teil!
Ufo
:-) Danke für die tolle Rezension. Wie ist denn die Gewichtung? Ist es für mich natürlich nur bis 1919 so wirklich interessant...
Zitat von: Torpedo am 12 April 2007, 14:11:47
:-) Danke für die tolle Rezension. Wie ist denn die Gewichtung? Ist es für mich natürlich nur bis 1919 so wirklich interessant...
... nuuun in dem Falle ... nee - so knapp das erste Drittel dreht sich um die Kaiserlichen. Das krankt wie gesagt sehr daran, dass er wannimmer er eine Information nicht aus eigenen Unterlagen parat hat, er offenbar gern auch Unsinn zitiert, wenn der Unsinn denn nur 'offiziell' und von einer Deutschen Marine ist.
Ja - das drastischere Beispiel ist sicher die 'Strandung' von U-31, der Bonatz dann prompt den Verlust von Nachrichtenmaterial zuschreibt. Die Briten haben im ersten Weltkrieg durchaus vielen U-Booten kurz nach der Versenkung ein Loch in den Turm gesprengt, um durch Taucher Material zu bergen und haben dabei (moeglicherweise) auch Nachrichtendienstliche Unterlagen erbeutet. Aber ausgerechnet U-31 haben die nu' auch nicht gefunden. Da ist's dann drollig, wenn die Raeuberpistole 1970 nochmal als 'tauchender Hollaender' wieder zum Vorschein kommt, nur, weil jemand unbedingt aus 'Krieg in der Nordsee' abpinnen muss.
Man ist also ein wenig am Picken nach reellen Informationen.
Aber - doch - er gibt schon einen guten Einblick ab wann sich die Hochseeflotte Gedanken um Schluessel und Schluesselsicherheit machte und ab wann Funkaufklaerung betrieben und zunehmend verstanden wurde. Sehr schoen die Passagen, wo Bonatz die Probleme aufzeigt, die entstanden, weil man zunaechst glaubte aus der Klarheit und Staerke des Empfanges auf die Distanz zurueckrechnen zu koennen. Das fuehrte zu peinlichen Begebenheiten wenn der 'erwiesenermassen' 80 sm abstehende feindliche Kreuzer dann gerade ueber den Horizont dampfte ...
Ja - Drittel etwa; davon viel ausgesprochen spannend und informativ, manches (weniges) eher drollig.
Ufo