Weiter mit M 575

Begonnen von Seekrieg, 03 Februar 2012, 21:00:54

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Bubblewatcher

Das würde ich mir auch wünschen.


,,Taucher sind Männer großer Muskelkraft, mit gesunden Organen.
Taucher sind Männer hoher geistiger Kraft,
von Verstand und einwandfreier Moral."
Hermann St

Ritchie

Wieviele Männer der Besatzung von M 511 konnten denn gerettet werden?

Grüße

Ritchie

RonnyM

...aber Ritchie, wer lesen kann ist klar im Vorteil  :-D Da stand doch: Besatzung gerettet, 1 Verletzter... 8-)

Grüße Ronny
...keen Tähn im Muul,
over La Paloma fleuten...

t-geronimo

Zitat von: Teddy Suhren am 05 Februar 2012, 17:48:05
Hai

Frage an die Boardschrauberführung: Ist es möglich den Bericht um M 575 und Jürgens Vater irgendwie zu Bündeln und evtl. in einer eigenen Rubrik und/oder eigenes Thema zusammenzufassen/ -führen?

Theoretisch ja.
Allerdings kann ich die Reihenfolge der Beiträge nicht beeinflussen, so dass ich die Tagebuch-Einträge nicht chronologisch hintereinander bekomme.
Daher würde ich Jürgen überlassen, ob er alles in ein Thema reinhaben möchte oder lieber so wie bisher in mehrere (da wird er sich ja auch was bei gedacht haben).
Gruß, Thorsten

"There is every possibility that things are going to change completely."
(Captain Tennant, HMS Repulse, 09.12.1941)

Forum MarineArchiv / Historisches MarineArchiv

Baunummer 509

Ich könnte mir vorstellen dass die Verfügbarkeit einer chronologisch korrekten Zusammenfassung nicht unbedingt "erwünscht" ist?

Ich hätte nämlich ein zusammengefasstes Dokument aller bisherigen Inhalte in der richtigen Reihenfolge (ca. 200 Seiten; inkl. Bilder), dass ich aber nicht ohne Jürgens Zustimmung veröffentlichen möchte und werde.

@Jürgen: Würde es Dir helfen wenn ich Dir dieses Dokument zur Verfügung stellen würde? Du könntest neue Tagebuchinhalte dann einfach in dieses Dokument einfügen und eine neue Version des Dokuments veröffentlichen.

Gruß

Sebastian

Ritchie

Ronny,

ich wollte ja auch wissen, wieviele denn "ALLE" waren :)

Ich habe nämlich bei den alten M-Booten Besatzungsstärken von 44 bis 69 Mann gefunden.

Grüße

Ritchie

Seekrieg

Hallo an die tapferen Leser.
Die begrenzte Dateigröße verhindert den Anhang mancher Bilder. Mit einigen habe ich noch den Text ab 3. Aug. ergänzt. Wen es interessiert...
Gruß Jürgen

Seekrieg

4. November 1941 Kolberg
Wir bleiben im Hafen und warten die Antwort der Führungsstellen auf unseren gestrigen Funkspruch ab.
Am Nachmittag brachte man uns unseren Umformer zurück, den wir vor acht Tagen zur Reparatur gegeben hatten. Er hat eine neue Wicklung erhalten und schnurrt wieder. In knapp zwei Stunden war er eingebaut, so daß wir bereits am Abend wieder unseren eigenen Rundfunkempfang hatten und nicht mehr beim Nachbarboot borgen mußten. Einen Satz Reserveröhren habe ich mir vorsichtshalber auch noch in meine Vorratskiste gelegt, so daß in unserem Ressort kaum noch irgendein Ausfall zu befürchten ist. Solange wir nicht ganz abblubbern, ist der Import an Radiowellen gesichert. Und das ist wesentlich; denn wir können zur Not ohne jeglichen Dienst auskommen, niemals aber ohne Musik, und das muß man in Rechnung setzen.

5. November 1941 Kolberg
Nicht ausgelaufen. Der Untergang von M 511 steht nach wie vor im Mittelpunkt des Geschehens, und es gibt keinen, den das Ereignis nicht aufs Tiefste beeindruckt und erschüttert hat. Bei unserem jungen Signalgefreiten Arnold, dem man wirklich noch keine Lebensschwere nachrühmen kann, war das Erleben so stark, daß er es in einigen Versen zum Ausdruck bringen mußte. Sie lauten:
Volldampf voraus! Bald ist´s geschafft.
Kamerad ans Werk mit ganzer Kraft.
Wenn auch die Mine uns bedroht,
wir fürchten nicht den Teufel, noch den Tod.
Wenn gleich der Feind unsichtbar ist,
wir suchen, aber weichen nicht.
Gerät bringt aus! Ausguck, gebt acht!
Wer weiß, wann schon die erste Mine kracht.
Die letzte Mine detoniert!
Frei ist der Weg, der heimwärts führt.
Ein jeder denkt schon an sein Lieb,
das er in kurzer Zeit nun wiedersieht.
Doch wenn der Herrgott anders denkt
und uns auf eine Mine lenkt,
laßt uns in kühlem Wellen ruh´n.
Wir sterben gern für Deutschlands Heldentum.
Wenn einstens in der Heimat dann
vom stillen Helden jemand spricht,
vergeßt mir den braven Mann,
vergeßt den schwarzen Minensucher nicht. -
Goethe griff in solchen Situationen nicht zum Reim, sondern sprach schlicht und einfach: ,,Jeder ging vor sich hin, man sah sich nicht an, oder wenn es geschah, so war es, um zu fluchen und zu verwünschen. ...die meisten schwiegen, einige sprachen, und es fehlte doch eigentlich einem jeden Besinnung und Urteil. Und als man mich nach meiner Meinung fragte, sagte ich: Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabeigewesen."

6. November 1941 Kolberg
Wir suchen weiter. Seit 6 Uhr sind wir wieder in See, fahren beiderseitig Otter und grasen die Sperre noch einmal kreuz und quer ab. Vergeblich. Es verfängt sich nichts mehr in unserem Gerät. Bereits am Montag hatten wir das Nordende der Sperre erreicht. Unser Boot hatte vier Minen geschnitten, die übrigen Boote zusammen auch noch einmal vier und die allerletzte Mine hatte M 511 gefunden, und das war sein Untergang. Die Sperre gilt nunmehr als beseitigt. Unsere Räumergebnisse und die angestellten Berechnungen zeitigen das gleiche Resultat.
13.00 Uhr. Seit mittag ist grobe See aufgekommen. Wir können nicht mehr arbeiten und laufen deshalb ein. Eben passieren wir die markierte Untergangstelle von M 511. ,,Dort liegt es nun", sage ich zu Ernst, mit dem ich im Philosophengang stehe und klöne. ,,Ja", antwortet er, ,,und 80 000 Zigaretten, und der viele Sprit, der mit abgesoffen ist!" -

7. November 1941 Kolberg
Seeklar belegt. Das kann es öfters geben. Das ist wie ein Sonntag, der einem unvermutet in den Schoß fällt.
Die See ist wieder unartig. Wir bleiben also im Hafen. Aber was nun? Dringende Arbeiten liegen im Augenblick nicht vor, und der Ersatzdienstplan wird wohl erst am Nachmittag anrollen. So steht man denn gelangweilt herum, wartet auf das Mittagessen und sehnt den Feierabend herbei. Langsam schleicht die Zeit dahin. Dauernd sieht man nach der Uhr und sagt: Erst 10 Uhr, erst 11. Früher  sprach man: Es ist schon um 11 Uhr oder gleich wieder Mittag. Jeder Minute sah man auf die Finger und jedem Tag trauerte man hinterher, der nicht voll Arbeit war und nicht voll Erfolg. Heute ist das alles ganz anders. Jetzt ist am Leben zu viel Verschnitt. Nichts hat mehr Bestand. Alle Werte sind unterhöhlt. Wozu also noch arbeiten, wozu die Hände rühren? Wozu?

8. November 1941  Kolberg
Der Herbststurm tobt weiter. An ein Auslaufen ist gar nicht zu denken. Wir sind nicht böse darüber. Es läßt sich auch ohne Seefahrt und Minensuchen leben.
Am glücklichsten sind unsere jungen Kameraden. Sie haben jeden Tag eine Beschäftigung. Sie gehen an Land. Man kann es ihnen nicht verdenken. In Kolberg sind die Häuser noch beieinander. Die Cafés warten mit Kuchen auf, und selbst im Kino findet man zu jeder Zeit noch ein Plätzchen.
Natürlich sieht man sich auch nach einer netten Unterhaltung um, damit das Einerlei des Tages wenigstens durch einen lieblichen Abend verrosigt wird. Zwar geht uns hier im Osten der Schreckensruf voraus: ,,Marielche, zieh die Blechbuchs an. Die Mariners kommen!" Aber ich bin mir bis heute noch im Zweifel, inwieweit diese Verleumdung nicht eher einer indirekten Empfehlung gleichzusetzen ist. Die schnellen oder vielseitigen Eroberungen auf diesem Gebiet, ob mit oder ohne Büchsenöffner, mögen dahingestellt bleiben, lassen diesen Schluß jedenfalls zu. Sogar an Bord trifft man abends immer häufiger auf Damenbesuch, alles neue Gesichter, alles angelachte Kolbergerinen. Manchmal ist unser kleiner U-Raum so voll, daß man Mühe hat, für sich selbst noch ein Fleckchen zu finden.
Das Hauptkontingent stellt das nahe Genesungsheim. Es beherbergt Mädchen und Frauen, die erholungsbedürftig sind oder im Arbeitseinsatz Schaden gelitten haben. Sie kommen aus den verschiedensten Gauen und sehnen sich natürlich auch nach etwas Unterhaltung und  Ablenkung. Sie sind infolgedessen bei uns  gerade am richtigen Platz, zumal jetzt, wo wir tagelang nicht auslaufen können und die Arbeit mühsam über den ganzen Tag verteilen müssen. Daß an diesen Besuchsabenden auch nicht so viel getrunken und geraucht wird, ist ein weiterer zusätzlicher Vorteil und sei nur nebenbei vermerkt als klassische Illustration zu dem schönen Dichterwort: ,,Das ewig Weibliche zieht uns hinan." – Über den Abstieg reden wir später. -

9. November 1941  Kolberg
Der anhaltende Sturm macht auch heute ein Auslaufen unmöglich. Wir bleiben also geruhsam im Hafen, und ich werde den Tag zu einem Schreibtag machen und Gertrud wieder einmal ausführlich berichten. Außerdem kommt Günter am Mittwoch in die Schule und da muß ich ihm und seiner Mutti doch mit ein paar lieben und aufrichtenden Worten zur Seite stehen. Gertrud hat zwar geschrieben, ich solle unbedingt auf Urlaub kommen, sonst würde sie sich selbst an den Kommandanten wenden. Ich habe sie aber dringend gebeten, dies doch zu unterlassen, und ich selbst habe auch davon abgesehen. Wir haben die ganze Zeit praktisch nichts gemacht, und jetzt, wo wir tatsächlich einmal ein paar Wochen ernstlich im Einsatz stehen, widerstrebt es mir, um Urlaub nachzusuchen. Und was wären schon drei oder vier Tage? Zwei gingen bereits durch die Fahrt verloren, und der eine frohe Tag wiegt den schweren Abschied dann auch nicht auf. Lassen wir den Dingen ihren kriegsbedingten Verlauf, und uns genug sein an der Erkenntnis, daß uns letzten Endes doch nichts trennen kann.
Meinem lieben Günter aber werde ich zu seinem ersten Schultag alles Liebe und Gute wünschen. Und seiner Mutti werde ich schreiben: Sei tapfer auf diesen ersten Schulgang mit Günter, und wenn du ihn bei seiner kleinen Hand faßt, dann denke daran, daß es auch meine ist.

10. November 1941 Kolberg
Sturm. Im Hafen geblieben. –
Es ist doch so, wer keine Sorgen hat, der konstruiert sich welche, und wer keine Arbeit hat, der sucht sich eine. Sorgen und Arbeit sind für den Menschen nun einmal lebensklimatische Voraussetzungen. Mit Sorgen bin ich eingedeckt. Darum brauche ich mich nicht zu bemühen. Arbeit habe ich auch; denn meist sitze ich bis mitten in die Nacht am Schreibtisch, aber der manuelle Ausgleich fehlt mir noch, der Umgang mit Hammer und Schraubenzieher. Kaputt ist bei uns z. Z. nichts. Also muß ich notgedrungen etwas bauen oder basteln. Bald ist Weihnachten. Für die Kinder gibt es kein Spielzeug. Wie wäre es, wenn ich meinen Buben irgendetwas Schönes baue? Werkzeug und Material ist vorhanden. Zwei tüchtige Gehilfen habe ich auch, und für die größeren Arbeiten steht mir gratis die Werft zur Verfügung. Also was? Ein Kran? Etwas zum Schießen? Oder einen elektrischen Motor? Das muß ich mir einmal durch den Kopf gehen lassen. Gebrauchen können die Buben alles.

11. November 1941 Kolberg
08.30 Uhr ist seeklar. Wir wollen es wieder einmal versuchen. Bis gegen 10 Uhr geht es auch einigermaßen, aber dann brist es schon wieder auf. Meinem kleinen Funkgasten, der neben mir am Empfänger sitzt, macht der Seegang schon schwer zu schaffen. Er kaut verzweifelt, bis er schließlich doch hinausstürzt und seinem gequälten Magen Luft verschafft.
Wir sind unterdessen bis in die Höhe von Henkenhagen gekommen, aber das Wetter wird nicht besser. Der Wind bläst unentwegt mit Stärke 6. Wir drehen deshalb doch lieber bei und erreichen gegen 14 Uhr wieder Kolberg. An der Pier ist es doch sicherer.

12. November 1941 Kolberg
Schlechtwetter. Im Hafen. – Die Kameraden sagen, ich wäre heute recht mürrisch. Das ist nicht wahr. Ich bin überhaupt nicht da, sondern in Gedanken ganz zu Hause. Heute kommt doch unser Günter zur Schule. Weiß Gott, diesen Tag hatte ich mir etwas anders vorgestellt. Ob denn Gertrud mit allem rechtzeitig fertig geworden ist? Ob die Zuckertüte im letzten Augenblick nicht doch noch geplatzt ist? Jürgen wird auch eine kleine Zuckertüte bekommen und recht schmunzeln. Und Kuchen wird es geben, viel Kuchen. Aber der vierte Stuhl am Tisch wird wieder leer sein, wie immer jetzt.
Man darf gar nicht darüber nachdenken, sonst wird man see-, bzw. zeitkrank und der ganze Ekel an dem täglichen Geschehen bricht aus einem heraus. Aber was hilft es, besser wird es davon auch nicht. Die Brutalität der Zeit bleibt.

13. November 1941  Kolberg - Swinemünde
Um 08.00 Uhr liefen wir in Kolberg aus, gegen 13.00 Uhr in Swinemünde ein. –
Swinemünde liegt an der Swine, Kolberg an der Persante. Das erste wußte ich, das zweite war mir neu. Vielleicht ist Geographie meine schwache Seite. Vielleicht liegt es auch daran, daß wir im Osten unseres Vaterlandes viel zu wenig heimisch sind. Die Schwerpunkte unserer Geschichte, unserer Wirtschaft und unserer Kultur liegen nun einmal im westlichen Deutschland. Hier erfolgt unsere politische Orientierung, hier wurzelt unsere nationale Mentalität. Hier sind wir Deutschen auch im wahrsten Sinne des Wortes zu Hause.
Wenn wir Fremden deutschen Fleiß und deutsches Können zeigen wollen, dann führen wir sie an die Ruhr und die Wupper. Wenn wir zu den Stätten großer deutscher Kultur und Geschichte wallfahrten, dann reisen wir ins Rheinland und besuchen die Städte Aachen, Köln, Worms, Speyer, auch Kaub. Dort ist sozusagen Deutschlands gute Stube.
Wenn wir schöne Landschaft genießen wollen, gehen wir ebenfalls dorthin, und wenn wir froh und lustig sein wollen, dann nehmen wir ,,Vom Rhein den Wein" und ,,Ein rheinisches Mädchen" und singen von der ,,Loreley". ,,Darum ist es am Rhein so schön"; denn ,,Es liegt eine Krone im tiefen Rhein", die Krone einer großen, sagenumwobenen, deutschen Vergangenheit.
Auch ,,am Neckar grasen" wir noch und singen auch ohne ,,alte Burschenherrlichkeit" ,,Alt-Heidelberg, du feine"; denn ,,unser Herz, das liegt" oder hängt auch am Neckarstrand. Wir kennen alles und alle dort bis zum ,,Wirtshaus an der Lahn", dann aber hört unser vaterländisches Vertrautsein auf. Höchstens an der Weser sitzt der Deutsche noch manchmal mit seiner Laute.
Wer aber sitzt an der Elbe, an der Oder? Keiner! Wer grast an der Weichsel? Niemand! Sind das Gaue, die der nationalen Vergessenheit anheimfallen sollen? Warum spricht man kaum von Königsberg, unserem philosophischen Weimar? Warum verliert man sein Herz nur noch in Heidelberg und nicht mehr in Tharau? Warum liebt man das blonde Kind vom Rhein und nicht mehr das schmucke ostpreußische Ännchen? Warum?
Mag die Frage offen bleiben. Eines aber steht fest: Wir haben unser Sinnen und Trachten ganz in den Westen unseres Vaterlandes verlagert und im Osten nationales Brachland geschaffen. Damit aber hat unser Volk eine politische Schuld auf sich geladen, für die die Sühne möglicherweise noch aussteht. -

14. November 1941 Swinemünde
Kohlen. -

15. November 1941 Swinemünde - Kolberg            
08.00 Uhr. Wir treten den Rückmarsch nach Kolberg an. Mit halber Kraft geht es hinaus. Im Hafen stehen schon große Eisschollenfelder, die vom Haff hereintreiben. Heiser ist der Schrei der Möwe geworden, und der eisige Ostwind läßt jeden Wasserspritzer, der über Deck kommt, sofort zu Eis erstarren.
Ich ziehe mich in meinen warmen Funkraum zurück, drehe die Heizung auf AK und lasse den lieben Gott einen frommen Mann sein. Sonnabend ist heute, morgen ist Sonntag? Doch es stimmt. Ich habe mich extra vergewissert; denn normalerweise weiß man nie, wie man in der Zeit lebt. Heute weht der Ostwind mit Stärke 6. Morgen macht er das sicher auch. Also haben wir heute und morgen Feiertag, ein geruhsames Wochenende. Schön wird das. Wir werden es zu nutzen wissen; denn so gut wie jetzt bekommen wir es nicht gleich wieder.    14.00 Uhr einlaufen Kolberg.

16. November 1941 Kolberg
Der Ostwind hat sein Versprechen eingehalten. Mit seiner kalten Bissigkeit fegt er weiterhin über See und Land. Weiß schäumen die Wogen. Ängstlich ächzen im nahen Wald die Bäume. Flüchtig wirbelt buntes Herbstlaub durch die Luft. Raschelnd fegt es über den Kai und unsere Boote. Hilflos treibt es im Wasser davon. Der Herbst führt ein strenges Regiment. Zeitig lockt er den Winter ins Land.
An Bord herrscht Sonntagsruhe. Flüchtig steckt man einmal den Kopf durchs Bulley und zieht ihn dann ebenso schnell wieder in die wohlige Behaglichkeit des Decks zurück. Heute hat man draußen nichts verloren. Heute setzt man sich und seine Seele einmal der heilenden Wirkung des Nichtstuns aus. Es wird jedem gut tun.
Gegen 11 Uhr bringt der Postbote einen Brief. Der Stempel ist vom 13. Sollte dies etwa schon der Bericht von Günters Schultag sein? Der umfangreiche Briefbogen deutet auch darauf hin. Ich habe richtig geraten.
,,Nun ist auch dieser Tag überstanden", schreibt Gertrud aufatmend. ,,Günters erster Schultag liegt hinter uns. Morgen wird er schon alleine zur Schule trippeln, und bald wird die Woge des Besonderen verebben und die Tage werden wieder wie sonst still verkettet dahinfließen, bis wieder ein neuer Lebensabschnitt beginnt und die Ereignisse sich aufs neue zu einem Knoten verschlingen. Wieder wird man aufhorchen und von der Zeit sprechen, die so schnell vergangen ist und die man nicht zu halten vermochte."

17. November 1941  Kolberg
Bei selten ruhigem Wetter haben wir heute wieder den ganzen Tag Minen gefischt. Wir fuhren beiderseitig Otter und kämmten noch einmal die Sperre in ihrer Längsrichtung ab. Vorsichtshalber gehen wir dabei auf jeder Seite noch drei Seemeilen darüber hinaus, so daß wir zu einer Strecke etwa 45 bis 50 Minuten benötigen.
Ich hing fast den ganzen Tag im UK-Geschirr. Da die Verständigung gut war, verlief die Befehlsdurchgabe glatt und reibungslos. Nur einmal habe ich gestutzt, als der Flottillenchef durchgab: ,,Ich schlage einen Kringel." Ein Kringel? Was ist das? Der Ausdruck ist mir kaum geläufig. Kleine Kinder machen manchmal ein Kringel, wenn sie auf der Straße Kreisel spielen. Ich gehe auf die Brücke und ziehe beim Kommandanten Erkundigungen ein. ,,Sie haben schon richtig gehört", antwortet er und lächelt. ,,Der Flottillenchef dreht." Aha, jetzt geht mir ein Licht auf. Der Ausdruck drehen ist ja in Marinekreise verpönt, bedeutet er doch gleichzeitig so viel wie durchdrehen, zu deutsch, nervös werden, einer Sache nicht gewachsen sein.
Man beherrscht tatsächlich noch nicht alle stilistischen Feinheiten der oberen Zehntausend. Auf meinem alten Vorpostenboot mußte ich ja auch schon einmal eine solch betrübliche Erkenntnis einstecken, als mich mein Kaleu belehrte, daß er nicht ,,geschlafen", sondern nur ,,geruht" habe. Mag sein, aber wie soll man das als Außenstehender feststellen. Soll man seinem Kommandanten denn immer erst unter die Augenlider gucken? Sicherheitshalber habe ich aber seit damals den Ausdruck ,,schlafen" aus meinem Konversationsschatz gestrichen. Heute streiche ich nun noch das Wort drehen. Von mir aus habe ich außerdem noch das Wort Frieden gestrichen. Schade, auf diese Weise wird unsere Muttersprache immer ärmer und engbrüstiger.
18.30 Uhr: Wir sind eingelaufen und haben eben festgemacht. Gefunden haben wir nichts mehr. Die Sperre scheint restlos beseitigt zu sein. Trotzdem wollen wir auch morgen noch weitersuchen. Ein Zuviel kann nie schaden, aber ein zuwenig. – Eben erfahren wir, daß in der vergangenen Woche ein Dampfer außerhalb unseres augenblicklichen Räumgebietes auf eine Mine gelaufen und gesunken ist. Wir rätseln, wie so etwas möglich ist.

18. November 1941 Kolberg – In See
Seit 08.00 Uhr morgens sind wir schon wieder unterwegs. Um möglichst große Flächen abzugrasen, fahren wir wieder beiderseitig Ottergerät wie gestern und in Längsrichtung der Sperre. Es dauert bis 17 Uhr, wo wir in der Nähe der Sperre vor Anker gehen. Das Suchergebnis war wie gestern gleich Null. Der Flottillenchef gibt ein FT ab und meldet die negativen Ergebnisse. Wir halten das uns zur Räumung befohlene Gebiet für minenfrei.

19. November 1941 In See - Kolberg
Ringsum dichter Nebel. Es wird 10.30 Uhr, ehe wir es wagen, die Anker zu lichten. Das ist nun einmal so: Entweder Sturm oder Nebel, etwas kommt gewöhnlich dazwischen. Heute kommt sogar noch etwas ganz Unerwartetes und Apartes. Gegen 11.30 Uhr schmuggelt sich ein FT in unsere Antenne und flüstert uns zu, daß uns Admiral Kassner von der Sperrschule Kiel mit seinem Besuch zu beehren gedenkt. Auf diesen Schreck hin laufen wir sofort ein. Um 14 Uhr liegen wir fest und sind für den Rest des Tages schachmatt.

20. November 1941 Kolberg
08.00 Uhr: Wir laufen wieder aus. Vor dem Hafen müssen wir aber noch einmal eine halbe Stunde ankern, bis sich die letzten Nebelschwaden verzogen haben. Aber dann geht es frisch, fromm, fröhlich und frei, wieder an die Sucherei. Plötzlich kracht es bei uns. In unserem Gerät ist eine Mine hochgegangen. Bald darauf meldet auch das F-Boot: ,,Habe Mine geschnitten." Also doch! Das ist beinahe peinlich und schlägt wieder einmal dem Faß die Krone ist Gesicht. Wir knobeln, wo die zwei Minen noch herkommen könnten. –
Gegen 15 Uhr laufen wir ein und machen 15.45 Uhr fest. Anschließend wird Rein Schiff gemacht und aufgeklart. Unterdessen begibt sich der Flottillenchef mit seinem Gefolge auf den Bahnhof zur Bewillkommnung. 18.46 Uhr werden seine Admiralität erwartet.

21. November 1941 Kolberg
Nebel ringsum, nicht nur im U-Raum, sondern auch an Land und auf See. Wir bleiben im Hafen. Abends besuchte mich unser Borddichter. Kamerad Arnold hat wieder ein Gedicht verbrochen, diesmal mit lieblichem Inhalt. Was ich davon halte, wollte er wissen. –
Die seelischen Erschütterungen sind eben verschiedener Natur. Merkwürdig, die jungen Kameraden kommen meist zu mir, wenn sie etwas auf dem Kerbholz haben.

22. November 1941 Kolberg
Zum Wochenende müssen wir natürlich wieder hinaus. Mit Hellwerden 08.30 Uhr legen wir ab. Der Admiral fährt auch mit. Ich habe ihn gestern im Vorübergehen gesehen. Er sieht harmloser aus als ich dachte und hat noch eine ganz kahle Brust. Vielleicht will er sich hier bei uns das Minensuchabzeichen verdienen.
Es muß schon mit dem Teufel zugehen. Heute haben wir noch drei Minen gefunden. Wer soll sich jetzt noch in der Sperre auskennen. Unsere Sperrmixer haben einen schweren Stand und müssen sich manches Spottwort sagen lassen. Und mit Recht; denn entweder können sie nicht rechnen, oder die haben bei der Aufstellung der geräumten Minen gemogelt. –
19.30 Uhr Kolberg eingelaufen. – 
Durch FT erfahren wir, daß M 1706 auf eine Mine gelaufen und sofort gesunken ist!

23. November 1941 Kolberg - In See
08.00 Uhr: Wir machen uns wieder auf die Socken. Trüb ist es draußen, aber die See ist ruhig, und das wollen wir ausnützen. In einem Monat ist Weihnachten, da wollen wir doch fertig sein und unseren wohlverdienten Urlaub haben.
Bis zur Dunkelheit haben wir den ganzen Tag wieder mit einer Begeisterung gesucht, die keine Grenzen kennt. Jetzt, gegen 17 Uhr, sind wir vor Anker gegangen, damit wir morgen früh gleich zur Stelle sind und mit dem ersten Lichtstrahl anfangen können. Nur das Führerboot und M 557 laufen ein. Sie müssen neues Gerät für uns holen. Wir haben keines mehr, dafür aber haben wir 7 (sieben!) Minen gefunden. Ossi sitzt schon wieder an der Back und rechnet mit heißen Wangen. ,,Das stimmt doch nicht", foppe ich ihn. ,,Doch", entgegnet er und schaut mich gequält an. Unterdessen lese ich, was wir heute allein am 23. an Gerät verloren haben. Es ist eine lange Liste:
1  Räumleine (102 m)     steuerbord
3  25 m-Stander      steuerbord
1  10 m-Stander       steuerbord
1   5 m-Stander       steuerbord
1    1,2 m-Stander    steuerbord
1    1m-Stander       steuerbord
1 10 m-Schwimmstander    steuerbord
1  Trageboje          steuerbord
2  Steuerbordscherdrachen
1  Steuerbordboje
1  Spurboje
1  Spurbojenleine  (30 m)
2  Wirbelschäkel  C 31
1  Wirbelschäkel  C 12
1  4 Zoll-Schlüsselschäkel
1  2,5 Zoll-Schlüsselschäkel
5  Doppelgreifer
1  Federpuffer
1  Hahnepoot
Ich möchte einmal nur innerhalb unserer Sperre über den Meeresboden wandern und auflesen dürfen, was da an Werten herumliegt. Ich glaube, es würde keine Stunde dauern, und ich wäre Millionär. Ja, und dann würde ich mich pensionieren lassen von unserem Boot und vom Krieg. Ich wurde ruhig leben und eines natürlichen Todes sterben. So einfach wäre das. 

Urs Heßling

moin, Jürgen,

ein erneutes  top :MG:

Zitat von: Seekrieg am 06 Februar 2012, 15:34:26
22. November 1941 Kolberg
19.30 Uhr Kolberg eingelaufen. –  Durch FT erfahren wir, daß M 1706 auf eine Mine gelaufen und sofort gesunken ist!

Hilfsminensucher M 1706 war der (ehemalige) moderne (Bj 1938) und große (481 BRT) Fischdampfer Gertrud Kämpf

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

Urs Heßling

moin,

anbei ein "farbiges Intermezzo" zum Thema , zufällig heute bei mir eingetroffen  :O/Y

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

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