Operation "Rheinübung" im Blickfeld des brit. O.I.C.

Begonnen von Mario, 08 November 2006, 16:06:57

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

0 Mitglieder und 2 Gäste betrachten dieses Thema.

Mario

Schon vor Ausbruch des 2.Weltkrieges, um genau zu sein im Jahr 1937, wurde Ltn.-Com Ned Denning beauftragt, innerhalb der britischen Admiralität eine Institution aufzubauen, die ähnlich wie der Room 40 im 1.Weltkrieg alle nachrichtendienstlichen Informationen zu sammeln und auszuwerten hatte. Zunächst begann er, nur auf sich allein gestellt, die Berichte und Analysen über den Vorgänger aus der Zeit des 1.Weltkrieges auszuwerten, um aus den früher gemachten Fehlern und Versäumnissen zu lernen.
Als der Krieg 1939 ausbrach, bestand das Operational Intelligence Center nur aus einer Handvoll Spezialisten, die sich im Keller der britischen Admiralität eingerichtet hatten. Hierher wurden sämtliche Luftaufnahmen, Agentenberichte, Funkpeilungen usw. geschickt und ausgewertet. Die daraus erzielten Erkenntnisse wurden an einige wenige Stellen innerhalb der Admiralität und Flotte weitergeleitet, doch entstanden hierbei immer wieder Probleme und Mißverständnisse. In den ersten Monaten des Krieges tappten die Experten des O.I.C. weitestgehend im Dunkeln. So wurden z.B. erst zwei Tage vor der deutschen Besetzung Norwegens die ersten Luftaufnahmen vom Flottenstützpunkt Kiel gemacht. Hätte man frühere Aufnahmen zu Vergleichszwecken heranziehen können, wäre eine ungewöhnlich massive Konzentration an Schiffen aufgefallen.
Erst im Frühjahr 1941 stellten sich die ersten brauchbaren Erfokge ein.

Den britischen Agenten war die Kriegsbereitschaft der Bismarck nicht verborgen geblieben. Ende März 1941 verlegte das deutsche Schlachtschiff in diejenigen Ostseegebiete, die von der britischen Luftaufklärung nicht mehr erfasst werden konnte, aber eine Agentenmeldung aus Gotenhafen besagte, daß das Schiff mit Seekarten vom Atlantik ausgestattet wurde. Daraufhin wurden Teile der brit. Home Fleet in Alarmbereitschaft versetzt. Als in der 2. Maiwoche 1941 aufgrund entzifferter Luftwaffenfunksprüche eine verstärkte deutsche Luftaufklärung über Scapa Flow bis hin nach Island erkannt wurde, traf Admiral Tovey seine ersten Vorbereitungen für den Einsatz der schweren britischen Kriegsschiffe.
Am 20.Mai um ca.15.00 Uhr sichtete der neutrale schwedische Kreuzer Godland den deutschen Verband um das Schlachtschiff Bismarck und informierte seine vorgesetzten Dienststellen. Major Törnberg, Stabchef im schwedischen Geheimdienst sorgte dafür, das sein Freund Captain Henry Denham, britischer Marineattache in Stockholm davon erfuhr und schon am frühem Morgen des 21. Mai starteten auf Veranlassung des O.I.C. die ersten britischen Aufklärer Richtung norwegische Küste, wo die beiden deutschen Schiffe am Nachmittag in der Nähe der Stadt Bergen entdeckt wurden. Daraufhin gingen die Hood und die PoW Richtung Dänemarckstraße in See.
Aufgrund der fehlenden Agentenmeldungen und der Funkstille von deutscher Seite verlor die britische Nachrichtenzentrale nun erstmal die Spur der deutschen Kampfgruppe. In den nun folgenden Tagen wurden Bismarck und Prinz Eugen in der Dänemarckstraße zunächst vom brit. Kreuzer Suffolk entdeckt, beschattet und am frühen Morgen des 24.Mai von den beiden brit. Schlachtschiffen Hood und Prince of Wales gestellt. Der Bismarck gelang es jedoch zu entkommen, die Prinz Eugen verschwand in den offenen Atlantik. Aufgrund der noch mangelhaften Leistung und Zuverlässigkeit des britischen Radarsystems auf der Suffolk verlor die Royal Navy die Spur der beiden deutschen Kriegsschiffe.
Dann aber begingen die Deutschen einen fatalen Fehler, als sie am Morgen des 25. Mai um ca. 7.00 Uhr einen langen Funkspruch absetzten. Da dieser Funkspruch auf einer speziellen Frequenz gesendet wurde, der nur von deutschen Großkampfschiffen genutzt wurde, war den Briten im O.I.C. sofort klar, das es sich um eines der beiden deutschen Raider handeln mußte. Allerdings war dieser Funkspruch nur von Peilstationen auf den brit. Inseln empfangen worden, die Stationen auf Island und in Gibraltar hatten nichts gemeldet. Deshalb ergab sich nur eine ungenaue Peilmessung. Trotzdem konnten sie die Peilung auf 55°N und 34°W festlegen. Diese Peilung lies nur den einen Schluss zu, daß sich das deutsche Schiff auf dem Weg nach Brest in Frankreich befand.
Um ca. 10.00 Uhr erhielt Admiral Tovey einen Funkspruch vom Operation Intelligence Center, worin ihm die vermutete Position der Bismarck, nicht jedoch deren vermuteter Kurs Richtung Brest mitgeteilt wurde. Admiral Tovey hatte persönlich angeordet, das der O.I.C. ihm nur Peilmeldungen, jedoch keine Lagebeurteilungen senden solle, da Toveys Geschwader über zwei Zerstörer mit Peilsendern verfügte und er selber über die entsprechende Lage entscheiden wolle. Dummerweise hatte sich die Lage geändert, weil beide Zerstörer wegen Treibstoffmangels umkehren mußten.
Eine übermittelte Lagebeurteilung hätte möglicherweise den nächsten nun folgenden Fehler verhindern können, denn an Bord der King Georg V. trug man nun die Peilmeldung in eine normale Seekarte ein. Für das Einzeichnen von Funkpeilstrahlen werden jedoch zwingend Seekarten mit gnomonischer Projektion verwendet. Aufgrund dieses Versäumnisses kam Admiral Tovey zu dem falschem Schluss, daß die Bismarck auf dem Weg Richtung Norwegen sei und änderte darufhin seinen Kurs und entfernte sich von der Bismarck, anstatt sie zu verfolgen. Im O.I.C. verfolgte man aufgrund einer Funkmeldung den neuen Kurs der King Georg V. und wunderte sich. Allerdings wagte niemand, dem Befehlshaber der Home Fleet dazwischenzureden, man ging davon aus, das der Befehlshaber draussen im Atlantik mehr Informationen zur Verfügung hatte. In der darauffolgenden Zeit empfingen britische Peilstationen erneut einen Funkspruch (allerdings von einem dt. U-Boot, was aber niemand in London zu diesem Zeitpunkt wußte) und übermittelten der KGV. die Peildaten. Diesmal übermittelte das O.I.C. auch seine aktuelle Lagebeurteilung.
Daraufhin erkannte Tovey wohl den Fehler und änderte kurz nach 13.00 Uhr seinen Kurs Richtung Südost.
Im Laufe des Nachmittags trafen noch weitere Beweise für die Annahme des O.I.C. ein. So wurden Funksprüche der Luftwaffe entschlüsselt, die auf einen Einsatz der Luftwaffe zur Deckung der Bismarck im Seegebiet vor der Bretagne hindeuteten. Um 18.45 übermittelte Bletchley Park die entzifferten Funksprüche an das O.I.C. nach denen ein hochrangiger deutscher Luftwaffenoffizier wegen der Bismarck in Berlin angefragt hatte. Sein Sohn diente als Fähnrich zur See auf dem deutschem Schlachtschiff. Berlin teilte daraufhin mit, die Bismarck befände sich auf dem Weg nach Westfrankreich.
Am Vormittag des 26. Mai wurde schließlich durch ein Catalina-Flugboot der genaue Standort des deutschen Kriegsschiffes entdeckt und am Abend gelang es Flugzeugen der Arc Royal, die Bismarck manöverierunfähig zu schießen. Am Morgen des 27.Mai trafen die KGV. und die Rodney ein und versenkten die Bismarck.
Obwohl der Fehler bei der Einzeichnung der Funkeinpeilung an Bord der King Georg V. abgestritten wurde, erfolgte kurz daruf die Weisung, alle maßgeblichen brit. Schiffe mit den entsprechenden Gnomonischen Seekarten auszustatten. Admiral Tovey soll gegenüber Roskill dieses Versäumniss spater auch zugegeben haben.

In diesem Zusammenhang würden mich einmal diese gnomonischen Seekarten interessieren.
@Peter K.
Bist Du als Segler damit vertraut ?? ??

Quelle der Informationen: Patrick Beesly: "Very Special Intelligence"  erschienen 1977


harold

Ein interessanter Beitrag!

Ja, und zur gnomonischen (oder azimutalen) Projektion:

Azimut = Horizont, geteilt in 360°. Azimutale Projektion = nur in Nord- und Südrichtung mit den üblichen Projektionen identisch ...
... mal n Beispiel:
gehst du nach der "üblichen" (Merkator-)Projektion von einem Punkt aus nach Süden, dann meinetwegen genausoweit nach Osten, und dann genausoweit nach Norden - und landest wieder am Ausgangspunkt (geht natürlich nur am Nordpol), dann hast du die Schwachstelle der Merkatorprojektion erkannt.

Eine Azimut-Projektion (oder, meinetwegen gnomonische) legt die Richtung vom Standort aus fest, und diese Richtung wird dann als "Großkreis" weitergeführt.
Je weiter weg vom Äquator, desto erheblicher die Abweichung vom üblichen N-S/O-W-Schema.

Lass mir n bisseken Zeit, dann mach ich ne Zeichnung dazu...

Ciao,
Harold
4 Ursachen für Irrtum:
- der Mangel an Beweisen;
- die geringe Geschicklichkeit, Beweise zu verwenden;
- ein Willensmangel, von Beweisen Gebrauch zu machen;
- die Anwendung falscher Wahrscheinlichkeitsrechnung.

Peter K.

#2
Nu, HAROLD hat das ja schon wunderbar erklärt ...  :-D

In den allermeisten Fällen kommen Seekarten in Mercatorprojektion zum Einsatz, weil

  • die Loxodrome (Kurslinie als konstanter Winkel zum Meridian) als Gerade abgesetzt werden kann,
  • sie durch die parallele Darstellung der Meridiane (Großkreise) eine winkeltreue Projektion ist und
  • Distanzen direkt aus der Karte (auf der selben Breite) abgelesen werden können!
Die Nachteile der Mercator-Projektion sind folgende:

  • Die Orthodrome (kürzeste Verbindung zweier Punkte auf der Erdöberfläche) ist eine polwärts gekrümmte Linie.
  • Gebiete über 70° Breite sind nicht mehr darstellbar!
  • Sie ist nur flächenähnlich!
  • Der Maßstab der Karte ändert sich mit zunehmenden Abstand vom Äquator (Großkreis)!
Die Mercatorprojektion stellt den Globus also auf einen Zylinder projiziert dar, der um den Äquator herumgewickelt ist. Die Meridiane laufen parallel und die entstehende Ost-West-Verzerrung in höheren Breiten wird durch eine gleichstarke Nord-Süd-Verzerrung ausgeglichen!

Die sehr viel weniger verbreitete gnomonische Projektion bei Seekarten ist eine Azimutalprojektion, also die Projektion der Kugeloberfläche aus dem Kugelmittelpunkt auf eine tangential anliegende Fläche.
Sie wird eigentlich nur für die Navigation in hohen Breiten, für die Funknavigation und auch für die klassische Großkreisnavigation verwendet.
Ihr großer Vorteil ist, daß

  • die Orthodrome (kürzeste Verbindung zweier Punkte auf der Erdöberfläche) als Gerade eingezeichnet werden kann.
Andererseits stellt sich

  • die Loxodrome (Kurslinie als konstanter Winkel zum Meridian) leider immer als äquatorwärts gekrümmter Bogen dar!

Zu einer anständigen Törnplanung über große Entfernungen (z.B. Atlantiküberquerung, o.ä.) gehört es daher, mit beiden Projektionen zu arbeiten!
Grüße aus Österreich
Peter K.

www.forum-marinearchiv.de

Q

Vielen Dank euch beiden. 

Wußte bisher nichts von der gnomonischen Projektion.

Don´t Panic

Edit: äh dreien
Quand tu veux construire un bateau, ne commence pas par rassembler du bois,
couper des planches et distribuer du travail,
mais reveille au sein des hommes le desir de la mer grande et large.

St.Ex

harold

#4
Peter bringt die Fachvokabeln,
und ich mach mal a bissl was für die "Visuellen" unter uns:



Rot eingezeichnet das übliche Orientierungsnetz aufm Globus, und blau eingezeichnet die gnomonische oder azimutale "Orient"-ierung - unschwer zu erkennen, dass der blaue "Großkreis" (gepeilt von unserer -vergrößert eingezeichneten- grauen Tangentialebene) stark nach Süden abweicht.
Umkehrschluss: bekomme ich eine gnomonische Peilung "90°" und trage die als "90°=Osten" in eine Merkatorprojektion ein, so hau ich nach Norden daneben.

Ein verblüffend einfaches Instrument, diese Fehlpeilungen zu korrigieren, ist das seit etwa 1200 Jahren bekannte Astrolabium (wie alles halbwegs Logische natürliche eine arabische Weiterentwicklung antiker Ideen).
Auf alten Seekarten sind für verschiedenste Breiten immer mal wieder Netz-Sterne eingezeichnet ... das sind die gnomischen Peil-Linien je nach Breite (unverzichtbar für Navigation nach Gestirn und Normalzeit).

Soweit mal auf die Schnelle; ...es juckt mich seeehr in den Fingern, mal in aller Ruhe einen kleinen thread zu beginnen, "die Geschichte der Navigation"; aber a)sollt ich jetzt Klarschiff machen in der Küche und Wildlachs auf Broccoli veranstalten, b)in der Gansl-Organisationsfrage herumtelefonieren, c)die Gascogne-Pläne präsentationsbereit bekommen - und d)warten die japanischen Kreuzer und ihre Bugwellen auch noch auf mich.
... :MZ: Harold
4 Ursachen für Irrtum:
- der Mangel an Beweisen;
- die geringe Geschicklichkeit, Beweise zu verwenden;
- ein Willensmangel, von Beweisen Gebrauch zu machen;
- die Anwendung falscher Wahrscheinlichkeitsrechnung.

Mario

Was mich an dieser Geschichte am Meisten interessiert, ist der Widerspruch bei den Begründungen für die Verwechslung des peilpunktes. Alle meine bisherigen Informationen besagten, das die Fehleinpeilung an Bord des Flaggschiffs von Admiral Tovey aufgrund einer Fehleintragung vorgenommen wurde.
Patrick Beesley trägt nun in seinem Buch von 1977 glaubhaft vor, das der Fehler aufgrund der nicht vorhandenen gnomonischen Seekarten entstanden ist.

Ein weiterer interessanten Gesichtspunkt ist die Einmischung eines Luftwaffenoffiziers aus Athen und die Brechung der Geheimhaltung durch die per Funk übermittelte Antwort.

Impressum & Datenschutzerklärung