Minensuchboot M 575 in der Werft, eine Fortsetzung

Begonnen von Seekrieg, 20 Januar 2012, 16:06:54

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Seekrieg

23. April 1942 Kiel  –  In See
Von 01.00 Uhr bis 03.00 Uhr wieder Fliegeralarm. Die Brester Vernebelungskünstler hatten Kiel wieder fein verschwinden lassen. Es kam aber nicht zu einem direkten Angriff, sondern handelte sich nur um Störflüge.
Da uns die Schule wieder kein Material schickt, wollen wir die Zeit zu einem zweitägigen, privaten Übungstörn ausnützen. Um 9 Uhr legen wir ab und freuen uns, daß es wieder ein-mal ein Stück weiter hinaus gehen soll. Leider wurde zunächst nichts daraus. Da der nächtliche Fliegerbesuch auf Minenverdacht schließen läßt, so werfen wir bereits in der Förde wieder Anker und halten bis zum Nachmittag unsere Übungen hier ab. Erst gegen 16 Uhr schrieben wir uns etwas weiter hinaus und legen uns dann dicht unter der Küste für die Nacht vor Anker.

24. April 1942 In See – Kiel
Die Nacht beginnt natürlich wieder mit Fliegeralarm. 01.11 Uhr quakt aus dem Kopfhörer das ,,Otto Otto 1 fl" und erst gegen 03.45 Uhr ist alles wieder auf Null. An der Küste spielen die Scheinwerfer. Die Flak spricht auch und schießt gleich zu Beginn dicht unter der Küste ein feindliches Flugzeug ab. Es ist das übliche, allnächtliche Bild.
Tagsüber setzen wir unsere Übungsfahrt und unseren Ausbildungsdienst fort. 17.30 Uhr liegen wir wieder im Scheerhafen fest.

25. April 1942 Kiel
Schon in der ersten Morgenstunde kreischten wieder die Sirenen. Ich glaube, es würde uns etwas fehlen, wenn es einmal nicht so wäre. Ich hänge mich an das U.K. Eben passieren die feindlichen Flugzeuge die Kieler Außenförde, halten aber nicht auf Kiel zu, sondern wenden sich nach SO. Wo werden sie sich wieder ihr schwaches Opfer aussuchen?
Wir sind im Hafen geblieben, haben Reinschiff gemacht und Besorgungen in der Werft erledigt. Es war der übliche Sonnabendtörn. Das Wetter ist sonnig, aber kalt und windig. Man bleibt deshalb am besten  an Bord, und macht es sich im Kameradenkreise bequem.
Laut Wehrmachtsbericht galt der nächtliche Angriff der alten Hansestadt Rostock.

26. April 1942   Kiel
00.45 Uhr wieder Fliegeralarm. Heute ist es die vierte Nacht, in der uns der Tommy aus den Kojen schreckt. Das Aufstehen fällt uns allmählich etwas schwer, aber schließlich erheben wir uns doch. Es bleibt uns ja nichts anderes übrig.
Nun sollen wir uns eigentlich in die Luftschutzkeller der  Sperrschule begeben, aber wer tut das schon. Wer nicht unbedingt in den Keller muß, der bleibt an Bord und verholt sich irgendwohin, wo er vor Entdeckung sicher ist. Der eine geht in die Maschine und schläft dort weiter. Der andere sucht sich im Heizraum ein sicheres Fleckchen. Andere wieder verstauen sich in der Kombüse, im Hängemattenschap, auf der Brücke im Kartenhaus, kurz, überall dort, wo sie sich vor Entdeckung sicher wähnen.
Ich selbst begebe mich auf meine Gefechtsstation im Funkraum, peile aber nur kurz die La-ge, und da es sich allem Anschein nach wieder nur um vorüberfliegende Feindflugzeuge handelt, bereite ich mir auf drei Stühlen ein Lager, und gedenke ein wenig zu ruhen.
Es ist ein halb 7 Uhr, als ich wieder aufwache. Na, nun ist bestimmt Entwarnung, aber jetzt lohnt es sich wirklich nicht mehr, in die Koje zu gehen. Den Rekord im Schlafen hatte ich aber nicht, den hielt Maschinenmaat Rodewald, der erst um 9 Uhr aus der Maschine kam. Warum auch nicht. Es ist ja Sonntag. Da soll man lange ruhen.  –  Im Hafen.  –

27. April 1942   Kiel
01.30 Uhr Sirenengeheul. Also wieder hoch. Erst wird einmal der Himmel gepeilt. Herrliches Mondlicht. Klare Sicht. Dazu ein scharfer Ostwind, der die künstlichen Nebelwolken wegfegt.
Das U.K. meldet:
01.40 Uhr: Durchflüge in Richtung Flensburg – Langeland – Laaland.
01.55 Uhr: Die Durchflüge halten an.
02.05 Uhr: Ein Nachtjagdabschuß in der Eckernförder Bucht.
02.10 Uhr: Ein weiterer Abschuß nördlich Kiulwik, Süddänemark.
02.17 Uhr: Ein Abschuß bei Amrum.
02.30 Uhr: Ein vierter Abschuß bei Rerik in Mecklenburg.
02.35 Uhr: Zur Luftlage: Die Durchflüge nach den Osten halten immer noch an.
02.43 Uhr: Jetzt erfolgen die ersten Rückflüge.
02.50 Uhr: Ein Gegner am Schöneberger Strand. Die Masse der feindlichen Flugzeuge befindet sich auf dem Rückflug. Keine neuen Einflüge nach dem Osten mehr.
03.20 Uhr: Kriegswache Achtung.
03.40 Uhr: Entwarnung. –
09.00 Uhr seeklar. Nach etwa 15 Minuten Fahrt in der Förde geankert.
Bis 16.30 Uhr Rollendienst.
16.30 Uhr Anker auf.
16.55 Uhr: Boot ist fest. –
Wie der Wehrmachtsbericht meldete, galt der nächtliche Angriff wieder Rostock.

28. April 1942   Kiel
02.30 bis 02.40 Uhr Fliegeralarm. – Tagsüber fahren für die Schule. Ich konnte aber nicht mitfahren, da ich Kamerad ,,Müllschnut", unseren erfolgreichsten Nachtjäger, einschleusen, d.h. zur Abbüßung seiner Strafe in die Arrestanstalt einliefern mußte.
Obwohl mir dieser Dienst als Wachtmeister äußert zuwider war, blieb mir doch nichts anderes übrig, als das Schießeisen, übrigens das erste Mal in diesen Krieg, umzubinden und den Delinquenten abzuführen.
Um aber den musternden Blicken, jeder Kieler weiß ja, was ein solches Gespann bedeutet, auszuweichen, ging ich auf der rechten Straßenseite und mein Kamerad auf der linken. So kamen wir denn auch wohlbehalten an, und ich hatte noch die Freude, in seiner Zelle den lakonischen Sinnspruch zu lesen: ,,Sei gepriesen, du lauschige Nacht, hast mir drei Tage ,,Dicken" eingebracht!"
Ganz trifft er zwar nicht zu; denn es war nicht eine lauschige Nacht, sondern deren viele. Darüber aber schweigt des Sängers Höflichkeit betreten.

29. April 1942 Kiel
Die Nachtschichten hören nicht auf. 01.20 Uhr wieder Alarm.
Heute aber lassen uns die feindlichen Flieger nicht links liegen, heute gilt uns ihr Besuch. Die Wetterlage ist denkbar ungünstig: Wolkenloser Himmel, heller Mondschein und vom Wind umgerührte Nebelfetzen. Die Scheinwerfer sind gut. Schnell haben sie die feindlichen Bom-ber erfaßt, aber der Flak gelingt kein Abschuß. Dafür aber bringen die Nachtjäger zwei Bomber zum Absturz. Unterdessen gehen Spreng- und Brandbomben über die Stadt nieder. Grell flammt an einigen Stellen Feuer auf. Der Tod feiert seine Orgien.
Erst nach 3 Uhr tritt langsam Ruhe ein. 03.40 Uhr erfolgt die Entwarnung.
Unser F-Boot, das z. Z. in der Werft liegt, hat auch eine Brandbombe abbekommen, sonst aber keine Schaden erlitten. Ich glaube, auch uns könnten Brandbomben nicht viel anhaben. In der Kombüse steht ja immer noch ein riesiger Kessel mit Mehlbreibratensoßentunkenschlamm. Der genügt, um auch den größten Brandherd sofort abzuschrecken!
Der Wehrmachtsbericht meldet 11 Anschlüsse in dieser Nacht. Kiel ist für den Engländer immer noch ein heißes Pflaster und die gefürchteste Route. –
Tagsüber Schulfahrt

30. April 1942 Kiel
01.20 bis 01.40 Uhr Fliegeralarm. – Tagsüber Schulfahrt. –
Nach dem Einlaufen statte ich unserer Feldpostdienststelle einen Besuch ab. Seit einigen Tagen trifft unsere Post nur spärlich und lückenhaft ein und heute blieb sie ganz aus. Viel ausrichten konnte ich aber nicht, da in der Nacht vom 28. zum 29. in der Austauschstelle Kiel-Wik 12 Sack Post durch ,,Feindeinwirkung in Verlust gerieten."
So verliefen denn alle Proteste im Sande, bzw. in der Asche und das Warten auf Post geht weiter, bis aus der Heimat neuer Nachschub anrollt.

Seekrieg

5.   Im alten Fahrwasser

1. Mai 1942 Kiel
Mai. – Einmal hatte das Wort einen bezaubernden Klang. Jetzt aber ist alles farblos, fade, und ohne jeden Inhalt, wie alles. Wir bleiben im Hafen. Vormittags war Schießen angesetzt, Flinte und Revolver. Vier Bedingungen, vier erfüllt. Wieder einmal ein Grund zum Trinken. –

2. Mai 1942
Im Hafen gelegen. – Durch den letzten Angriff in der Nacht zum Donnerstag sind doch beträchtliche Schäden angerichtet worden. Neben den zahlreichen Wohnhäusern sind auch die Augenklinik, die Laboratorien und die Bibliothek getroffen worden. Vor dem ausgebrannten Bibliotheksgebäude liegen noch jetzt die Bücher wild durcheinandergeworfen in meterhohen Haufen. Stark gelitten hat ebenfalls das Viertel zwischen Brunswiker, Flecken- und Hegewich-straße. An vielen Stellen schwelt in den ausgebrannten Häusern noch jetzt die Asche.
Unter der Bevölkerung kursiert das Gerücht, Kiel solle völlig zerstört werden. Im englischen Rundfunk sei verbreitet worden, in Lübeck hätte die englische Luftwaffe Lehrlingsarbeit geleistet, in Rostock habe sie  ihr Gesellenstück geliefert und Kiel solle nun das Meisterstück werden. Diese Nachrichten, die durch die letzten Angriffe eine ständige Bestätigung erfah-ren, rufen naturgemäß unter der Einwohnerschaft eine starke Beunruhigung hervor und sind nicht geeignet, den Glauben an ein baldiges, glückliches Ende des Krieges aufrecht zu erhal-ten. –

3. Mai 1942 Kiel
Wir sind wieder Wachboot und müssen deshalb an Bord bleiben. Bei dem kalten und unfreundlichen Wetter fällt uns das nicht allzu schwer. Außerdem kann man bei dieser Gelegenheit einmal richtig aus-, bzw. auf Vorrat schlafen; denn heute nacht war bereits wieder von 02.20 bis 03.30 Alarm.
Auf die Dauer fällt einem das allnächtliche Aufstehen doch etwas schwer, und es ist dann gut, wenn sich einmal die Möglichkeit bietet, den versäumten Nachtschlaf nachzuholen. Also wird für heute Schlafen angesetzt. Man muß die Feste feiern, wie sie fallen und schlafen, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Die Zeiten sind jetzt so.

4. Mai 1942
Nachts, bzw. früh wieder eine Stunde Fliegeralarm. Dem U.K. zufolge galt der Angriff Hamburg. Bei den letzten Einflügen scheint der Feind auch Minen geworfen zu haben. Wie anders wäre sonst das heutige FT. zu verstehen: ,,Dampfer Herrenwyk 14.51 Uhr in Kieler Bucht auf Mine gelaufen und in der Mitte durchgebrochen. Dampfer sinkt auf 17 m Wassertiefe." - Tagsüber wieder Schulfahrt.

5. Mai 1942 Kiel
Schulfahrt. –  Wie die FT. berichten, ist die Durchfahrt nach Kopenhagen wegen Eis bei Stevensdrogden immer noch unmöglich, und dabei schreiben wir doch schon Mai.
Der Tag verlief im Übrigen aber ohne jede Besonderheit. Wir stehen wieder einmal auf einem toten Punkt, kommen nicht vorwärts und auch nicht rückwärts. Es fehlt jedes tragende Moment. Jeder Tag aber, jedes Erlebnis und jede Erkenntnis machen uns nur ärmer. Der einzige Reichtum ist noch der Glaube, aber auch er geht schon einer Inflation entgegen. Was dann?

6. Mai 1942 Kiel
Fahren für die Schule. Leider mußte ich heute wieder zurückbleiben, um Kamerad ,,Müllschnut" in Empfang zu nehmen. Er hat die ,,Kur" gut überstanden, sieht wohl und ausgeruht aus und klagt nur über starken Zigarettenappetit.
Anschließend war ich im Ausrüstungslager der Werft einkaufen. Dabei fiel neben allerhand technischem Kleinkram auch ein neuer, schöner Radioapparat meinen begehrlichen Blicken zum Opfer. Kamerad Müllschnut half mir mit, meine Beute an Bord zu schleppen. Jetzt sitzen wir gemütlich an der Back hinter ein paar Flaschen Bier und freuen uns des vollen Klanges, der alle Decks erfüllt und das Boot in seinen Grundfesten erzittern läßt. Die Kameraden meinen: ,,Heute ist es wieder einmal schön bei der Kriegsmarine!"

7. Mai 1942 Kiel
Schulfahrt. – Von Rügen und aus der Gegend von Flensburg kommt die traurige Mitteilung, daß drei Tote von M 557 angetrieben sind. Die Kameraden haben sich einen weiten Weg gemacht. -

8. Mai 1942 Kiel
Von 01.10 bis 03.20 Uhr Fliegeralarm. Der Kurs der feindlichen Bomber ist Langeland, dänische Küste, Kieler Außenförde. Hier fällt der erste unserem Abwehrfeuer zum Opfer. Das Gros fliegt weiter nach Osten.
09.00 Uhr seeklar. - Schulfahrt. Es ist herrliches, sonniges Wetter. Da sich unser U.K.-Antennenstab dauernd mit dem Kommandantenwimpel in den Haaren liegt, benutzen wir die ruhige See, um eine neue Antenne zu ziehen. So hocken wir denn den halben Nachmittag hoch oben im Mast. Die ganze Kieler Bucht kann man überschauen. Am Horizont zieht eben ein Geleitzug seinen Weg. Rings um uns huschen U-Boote und fahren ihre Übungen. Nicht weit davon probiert ein Vorpostenboot seinen Flammenwerfer aus. Es ist das neueste Abwehrmittel gegen angreifende Tiefflieger. Aller Augenblicke schießt ein riesiger Feuerstrahl aus der Mastspitze empor und macht ein direktes Überfliegen unmöglich. Schade, daß wir das nicht schon auf unserem Vorpostenboot in der Nordsee hatten.
Über uns zieht ein Flugzeug seine Kreise. Es schleppt einen Luftsack. Die Küstenflak übt  und setzt am Himmel in gerade Reihe ein Sprengwölkchen neben das andere.
Es ist Leben, wohin man blickt. Sogar in der obersten Mastspitze regt es sich jetzt. Mein Funkgast ist fertig und gibt das Zeichen zum Abstieg. Eben passieren wir das Ehrenmal von Laboe. Wir laufen ein. Der Tag geht seinem Ende entgegen. -

9. Mai 1942 Kiel
Kurz nach Mitternacht war wieder zwei Stunden Fliegeralarm. Der Feind flog aber nördlich von Kiel vorbei und nahm Kurs  in Richtung Rostock.
Im Hafen geblieben. – Nachmittags war ich einmal an Land, ein kurzer Spaziergang, ein Glas Bier, eine Zeitung. –
In Berlin ist der Höflichkeitsrekord ausgebrochen. Was haben die Leute Zeit und Sorgen! denke ich, werde aber schon auf dem Heimweg eines besseren belehrt; denn die Kieler scheinen sich daran ein Beispiel nehmen zu wollen. Wie ist es sonst möglich, daß die Straßenbahn an der Haltestelle hält, obwohl niemand wartet und auch niemand aussteigt. Ich selbst aber bin noch eine halbe Seemeile von der Haltestelle entfernt. Wie wäre es ferner zu erklären, daß mir der Schaffner gönnerhaft von meinen 15 Pfg. Fahrgeld 5 Pfg. wiedergibt und mich die ganze Strecke für 10 Pfg. fahren läßt? Will er der erste Aspirant im Höflichkeitswettbewerb in Kiel sein?  Kaum; denn andere Kameraden berichten über ähnliche Erlebnisse. Einer mußte sogar ganz umsonst fahren!
Höflichkeit und Verbindlichkeit ist doch etwas Schönes. Das Leben wird dadurch viel geschmeidiger und reibungsloser, und auch Kiel könnte eine so schöne und liebe Stadt sein, wenn seine Menschen ein klein wenig aufgeschlossener wären. Wenn ... -

10. Mai 1942    Kiel
Von 01.20 Uhr bis 02.20 Uhr Fliegeralarm. Keine Feindberührung. Die feindlichen Flieger schwirren in Richtung Langeland und Jütland. Nur einige wenige dringen bis zum Schönber-ger Strand vor, suchen aber auch bald wieder das Weite.
Im Hafen gelegen. – Sonntagsroutine. Bin an Bord geblieben, hatte große Wäsche und
Zeugdienst. Erlebniskoeffizient gleich Null.

11. Mai 1942
Heute haben wir wieder keine Schüler. Nun liegen wir schon den dritten Tag stumpf an der Pier. Dieser häufige Leerlauf macht uns recht müde, viel müder als rechtschaffene Arbeit. Es geschieht nichts, man erlebt nichts und fällt nur sich und den anderen zur Last. Manchmal streiten wir. Streiten macht immer Eindruck und vertreibt die lange Weile. Streiten zerstört aber auch die Kameradschaft und ist infolgedessen auf die Dauer zu kostspielig. Ossi wünscht sich wieder einen richtigen Einsatz. Die anderen aber sind dagegen und meinen: ,,Damit wir auch noch abblubbern!"
An Land gehen kann man auch nicht dauernd. Außerdem fehlt in Kiel jede Gelegenheit zum Sündigen. Außerdem strengt Liebe auch an. Aber was könnte man sonst noch tun? Denken? Nein! Denken tut weh. Ja, um alles in der Welt, was soll man dann den ganzen langen Tag machen? Was? -

12. Mai 1942 Kiel
Es regnet. Über dem Hafen liegt dichter Nebel. Es wird 10.30 Uhr, ehe wir uns von der Pier lösen und endlich hinauswagen. Aber auch hier müssen wir bald ankern. Die Sicht ist gleich Null. Aller Augenblicke wird mit der Schiffsglocke geläutet und mit der Sirene gehupt. Trotzdem weicht der Nebel nicht. So wird denn auch aus unserer Schulfahrt nicht allzuviel, -,,und bald ist wieder ein Tag vollbracht, voller Arbeit, Müh und Sorgen, und haben wir auch nicht viel gemacht, so wurde doch der Tag vollbracht. Das andere besorgen wir dann morgen."
Der erste, der nach dem Einlaufen an Land springt, ist Wilhelm. Er leidet sehr unter dem Frühling und scheint wieder irgendwo einen Angriff fahren zu wollen. Hoffentlich fährt er sich nicht noch einmal fest.

13. Mai 1942 Kiel
Heute haben wir keinen Nebel, aber auch keine Schüler, bleiben mithin treu und brav an der Pier. Wir haben ja nunmehr genügend Routine, die Zeit auch im Hafen totzuschlagen. Ich für meinen Teil vergrabe mich gleich in meiner ,,geliebten" Wachtmeisterei und wühle im Aktenstaub. Auch die letzten Verordnungen und Gesetzblätter will ich einmal kurz durchblättern. In der vergangenen Woche fiel mir dabei ein interessanter Ukas des 2.A.d.O. in die Hände, der besagt, daß die älteren Jahrgänge von den fahrenden Einheiten zurückgezogen und an Landdienststellen eingesetzt werden sollen.
Diese Verfügung kommt mir nun nicht mehr aus dem Sinn, und ich überlege immer noch, ob ich ihr zum Opfer fallen soll oder will. Manchmal wünsche ich mir lieber heute als morgen ein neues Kommando. Dann halten mich die Kameraden und die Annehmlichkeiten des Bordlebens. Ich weiß wirklich nicht, wie ich mich entscheiden soll. Vielleicht ist es am besten, man läßt die Dinge erst einmal auf sich zukommen. Das andere wird sich dann schon finden. Wer warten kann, hat im Leben viel voraus

14. Mai 1942 Kiel
Heute fuhren wir für die Schule. Bei dem herrlichen Wetter war es ein Vergnügen. Nach Feierabend unternahm ich dann einen kleinen Spaziergang, um zu sehen, wie weit die Arbeit des Frühlings an Land gediehen ist. An Bord nimmt man den Wechsel der Jahreszeiten ja immer erst mit Verspätung wahr. Infolge dieser falschen jahreszeitlichen Einstellung war ich denn auch nicht wenig überrascht, daß die Bäume teilweise schon in Blüte standen. In den Vorgärten sah ich die Blumen knospen und in den Anlagen zog die Sonne das Gras an den Haaren heraus. Vor den Zeitungsständen aber drängten sich die Menschen und lasen mit Freude die dicken Schlagzeilen vom beginnenden Vormarsch in Rußland. Es scheint tatsächlich Frühling zu sein. -

15. Mai 1942 Kiel
Bei schönem, sonnigem Frühlingswetter wieder Schulfahrt und – Fischen. Ein kleines Räumboot, das in unserem Übungsgebiet kurvt, hat Wasserbomben außenbords gerollt und dadurch so viele Heringe und Dorsche an die Wasseroberfläche zitiert, daß wir notgedrungen Pinaß und Dingi aussetzen und mit angeln müssen. Danach fahren wir wieder in dienst-licher Regie und freuen uns des schönen Sonnentages.
Immer wieder eigenartig und reizvoll ist der Frühling auf See, anders natürlich als daheim zwischen Wiesen, Feldern und Wäldern, aber letzten Endes doch mit derselben klaren Zielstrebigkeit und der gleichen begehrlichen Beharrlichkeit. Wie leicht und spielerisch gleiten die flachen Wellen im spiegelnden Glanz der Maisonne dahin. Schlohweiß und prickelnd schäumt der flockige Gischt auf dem grün schimmernden Wasser hin und her, kommend und gehend.
Vom Spiel der Wellen getragen, gleitet der Blick über die weite See. Wie eine Wiese mit blühenden weißen Blumen, vom streichelnden Wind geliebkost und vom glitzernden Flimmergold des Lichtes durchwirkt, breitet sie sich aus, schier endlos, bis sie, am fernen Horizont verblassend, sich mit dem Himmel still vermählt. Köstlich ist diese Weite, beruhigend diese erhabene Ausgeglichenheit, wohltuend dieses stille Ruhen in sich. Frühling auf See. -

16. Mai 1942 Kiel
Im Hafen. – Am Nachmittag unternahm ich wieder meinen üblichen Sonnabendnachmittagsbummel durch Kiel. Dabei traf ich einen alten Kameraden von meiner Vorpostenbootflottille, den Funkmaat Hans Diebitz vom Vp.-Boot 1306. Die Freude war groß und rasch ging es ans Erzählen. Auch er war von seinem Boot zum Maatenkursus beordert und dann einer motorisierten Nachrichteneinheit zugeteilt worden. Mit dieser ging es dann im Galopp nach Rußland hinein, bis der Vormarsch durch den barbarischen Winter aufgehalten wurde. Seine letzte Stellung war kurz vor Petersburg. Hier erkrankte er aber dermaßen, an der Ruhr, daß er im November abgelöst werden mußte. Anschließend fuhr er dann den ganzen Winter hindurch auf dem Eisbrecher ,,Wal", bis dieser schließlich nach einem Bombentreffer im Rostocker Hafen sank. Nun sitzt er hier in Kiel, lebt einen guten Tag und wartet auf ein neues Kommando.
Da ist nun die Welt so groß, und die Menschen werden so weit hin und her gewirbelt, und doch treffen sie sich wieder. Wenn der Himmel auch nicht größer ist, dann gibt es dort sicher auch dann und wann ein Wiedersehen.

17. Mai 1942 Kiel
Man kann vor Kakerlaken nicht mehr geradeaus sehen. Deshalb ist für heute nachmittag eine große Entseuchungsaktion angesetzt. Bis 14 Uhr müssen alle das Boot verlassen haben. Zum Glück ist das Wetter wieder frühlingshaft schön, so daß sich ein Sonntagsnachmit-tagsspaziergang verlohnt.
Wilhelm schließt sich mir an. Erfreut bin ich zwar nicht sehr davon; denn bei seiner einseitigen Blickrichtung betrachtet er die Naturschönheiten doch nur unter dem Gesichtswinkel der Beinperspektive, und das ist nicht zu jeder Zeit angebracht.
Wir schlendern durch die Straßen, peilen im Vorübergehen in eine Konditorei und versuchen dann, im eigentlichen Zentrum angekommen, eine Kinokarte für die Abendvorstellung zu ergattern. Es bleibt aber vergebliche Liebesmüh. Vor den Kassen der wenigen noch heilgbliebenen Kinos stauen sich schon so viele Menschen, daß es zwecklos erscheint, sich mit dazuzustellen. So müssen wir denn notgedrungen unsere Langeweile wieder selbst verzehren.
Wilhelm hat dieselbe Empfindung und meint: ,,Ich sehe schon, ich muß mit wieder einen zweibeinigen Zeitvertreib suchen", und damit steuert er auch schon in das seichte Fahrwasser, das ich wegen seiner sexuellen Untiefen gerne gemieden hätte. Nun läuft nichts Weibliches mehr vorüber, das nicht kritisch gemustert, stieläugig beaugenscheinigt und erotisch fixiert wird. Dabei legt Wilhelm wie üblich das Hauptaugenmerk auf schöne Beine. Auf seine besseren Instinkte bauend, verweise ich ihm bald diese einseitige Betrachtungsweise und sage: ,,Schöne Beine tun´s nicht alleine." Wilhelm entgegnet aber sofort: ,,Oh, sage das nicht! Wo eine gute Gleisanlage ist, da ist auch ein guter Bahnhof." -
Ich habe nicht die Absicht, ihm auf der Gasse der Frivolitäten zu folgen und den Sonntagnachmittag zu verstreiten. Ich verabschiede mich deshalb und stelle nur noch bedauernd fest: ,,Aus dir, Wilhelm, wird nie ein feiner Mann werden!" Er lacht, schüttelt mir die Hand und meint: ,,Hast recht, aber so lange ich täglich zwei Eßlöffel ,,Okasa brutal" für Elefanten und Marine nehme, kannst du auch nichts anderes erwarten."
Und dann geht er, leicht, behend und unbeschwert, ein Mensch ohne Tiefgang, der nie auf Grund geraten wird. -

18. Mai 1942 Kiel
Von 00.30 bis 02.00 Uhr Fliegeralarm. Feindliche Flugzeuge am Belt. Vermutlich Minenflieger. Tagsüber Schulfahrt. Abends Post von daheim. Es ist ein Sonntagsbericht. ,,Bei dem schönen Frühlingswetter waren wir heute einmal ein Stückchen an der Elbe spazieren. Die Schiffe und die Fähren waren überfüllt, und der Strom der sonntäglichen Spaziergänger riß überhaupt nicht ab. Wir ließen uns mit treiben und die Kinder hatten auf diese Weise auch ihre Unterhaltung und Ablenkung. ...Ich bin ja so froh, daß wir wenigstens brieflich miteinander plaudern können, und über alles andere will ich hinwegsehen, wenn wir Dich nur heil und gesund wiederbekommen." – Wenn. -

19. Mai 1942 Kiel – In See
Für 08.00 Uhr ist seeklar befohlen. Da wir aber im Augenblick keine Schüler zur Ausbildung erhalten, hat der Flo-Chef einen zweitägigen Seespaziergang angeordnet. Leider haben wir mit dem Wetter Pech. Kaum im freien Fahrwasser, bläst uns ein scharfer NW 7-8 so in die Seiten, daß wir schon gegen 10 Uhr die ruhigere Strander Bucht aufsuchen, hier vor Anker gehen und auf sanfteres Wetter warten. Darüber vergeht schließlich der ganze Tag. Da es auch nachts in der windgeschützten Strander Bucht einigermaßen ruhig ist, wird beschlossen, bis morgen früh hier vor Anker liegen zu bleiben. Wir finden diese Art der Seefahrt sehr erträglich, bewundern die aufgehenden Sterne, den keimenden Mond und das spielerische Geplätscher der leichten Wellen, die neckisch an die Bordwand klopfen und – begeben sich zur Ruhe. -

20. Mai 1942 In See -  Kiel
Ich habe herrlich geruht bei dem sanften Geschaukel und fühle mich so wohl, daß mir von aus die Fahrerei nunmehr wieder beginnen kann. Schließlich kommt man auch meinen Wünschen nach und befielt für 9 Uhr seeklar. Wir holen die Anker auf und zotteln seewärts. Das Wetter ist zwar noch nicht ganz wunschgemäß, aber immerhin so, daß man sich zwischen den Wellen wieder einigermaßen sicher bewegen kann. Heute spielen wir zur Abwechslung einmal  selbst Schüler und fahren eigenhändig unser diverses Gerät. Man muß ja sehen, ob man es noch bringt.
Punkt 12 Uhr ist Mittag. Wir werfen den Anker noch einmal für zwei Stunden weg. Nach Tisch variieren wir unsere Vormittagsbeschäftigung noch etwas und nehmen gegen 17 Uhr wieder Kurs auf Kiel. Hier hat sich unterdessen an unserer Pier ein dicker Bobby breit gemacht. Wir machen ihn bald als den Schweren Kreuzer ,,Prinz Eugen" aus und erfahren, daß er auf seinem Kriegsmarsch südlich von Kap Lindesnäs von zahlreichen Bombern und Torpedo-flugzeugen angegriffen worden ist. Zwar gelang es ihm, sieben aus der Meute herauszuschießen, dafür aber mußte er seinerseits einen Treffer am Heck hinnehmen. Nun soll das Schiff hier in der Werft wieder zusammengeflickt werden.
Mit Eintritt der Dunkelheit stellt man vorsichtshalber noch einige Autos mit Nebelgeräten in seine Nähe, um ihn bei Fliegeralarm notfalls verschwinden zu lassen; denn ein solches Objekt ist eine kostspielige und wertvolle Waffe, als daß sie bei einem feindlichen Angriff leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden darf. Die Dinger müßten auch tauchen können wie unsere U-Boote, dann wäre manches einfacher. 

21. Mai 1942 Kiel
Fahren für die Schule. Abends kohlen. –
Meine Abkommandierung scheint nunmehr doch akut zu werden. Habe so etwas läuten hören. Als routinierter Nachrichtenmensch muß man ja seine Verbindungen haben. Ich habe dem 2.A.d.O. daraufhin wissen lassen, daß im Falle einer Abkommandierung als neues Kommando nur Dresden in Frage käme. Notfalls sollte man dort eine Marinefunkstelle bau-en. Bin gespannt, wie er darauf reagiert.

Seekrieg

22. Mai 1942 Kiel
00.45 bis 01.30 Uhr Fliegeralarm. - Keine Feindberührung. -
08.00 Uhr seeklar. 08.30Uhr: Wir liegen immer noch an der Pier. Unser Ausbildungs,,material" ist noch nicht angerollt.
09.00: Feuer aus. Alles auf Null. Bleiben im Hafen. Was nun? Dumme Frage. Großreinschiff. Übermorgen ist Pfingsten. Da muß der Pott glänzen wie Speckschwarte.
Wie die Zeit vergeht. Eben war noch Weihnachten und übermorgen können wir schon mit Goethe sagen: ,,Pfingsten, das liebliche Fest war gekommen, es grünten und blühten Feld und Wald."
Mit ein paar Kameraden, denen Reinschiff gleich mir ein Greuel ist, setze ich mich in den U-Raum, spinne den Faden weiter und schildere ihnen kurz die Fabel von Reinecke Fuchs. Das gefällt den Kameraden so, daß sie selbst unmerklich ins Fabulieren geraten und phantasieren, wie es auf unserem Boot aussehen  und zugehen würde, wenn es statt mit Menschen mit Tieren besetzt würde. Was einem Goethe recht ist, ist uns billig. Und dann ist es durchaus nicht abwegig, auch einmal einen abseitigen Gedankengang bis in die letzte Konsequenz durchzudenken; denn je gründlicher man sich in einen anderen Standpunkt vertieft, desto schärfer treten die Konturen der eigenen Verhältnisse zu Tage.
Nach einigem Hin und Her einigen wir uns dann dahin, daß die morgendliche Musterung vor dem Auslaufen auf unserem Boot etwa folgendermaßen verlaufen würde. Die Tiere sind an Oberdeck angetreten. Das Stinktier, der leitende Ingenieur, läßt ausrichten und begibt sich dann unter Deck in die Höhle des Löwen, das angetretene Tierreich zu melden.
Müde blinzelnd erhebt sich daraufhin Nobel, der königliche Kommandant von seiner breiten Liegestatt und steigt wiegenden Schrittes den schmalen Niedergang an Oberdeck empor. Mitzusammengekniffenen Augen und rapportsüchtigem Blick mustert er rasch die angetretene Schar. Er ist zufrieden. Schier leblos, wie Disziplin und Gesetz es befehlen, steht sie in Reih und Glied. Sämtliche Pfoten sind sauber nach der Decksnaht ausgerichtet. Zufrieden und selbstgefällig baut Nobel sich darauf vor der Front auf und begrüßt die Angetretenen brüllend mit: ,,Guten Morgen, Tiermänner!" Dann verliest er den Tagesbefehl und spricht, selbstergriffen das mächtige Haupt über dem weißglänzenden Gummikragen schüttelnd, die kernigen, zu Herzen gehenden Worte:

,,Furchtbar seid ihr und unbesiegt,
solang ihr euch nicht selbst bekriegt.
Vereinigt darum eure starke Kraft,
die stets Erfolg und Wunder schafft.
Ihr Großen und Ihr Kleinen
müßt eure Wehr vereinen!
Schlagt zu mit Kralle und mit Tatze!
Beißt, kratzt und springt mit kühnem Satze!
Gebraucht die Flügel und den Schnabel!
Kämpft mit Stachel, Horn und des Geweihes Gabel!
Selbst des Hufes harter Schlag
manchen Feind zerschmettern mag.
Auch ich faß´ zu mit meinen Pranken
und kenne nur noch einen Gedanken:
Fest wollen wir zusammensteh´n,
dann wird das Tierreich niemals untergeh´n,
und stolz und froh kann es auch in künftgen Jahren
die Welt zu Lande, zur See und in der Luft befahren.

Dann läßt Nobel die erschütterten Tiere auf Station wegtreten; denn es ist seeklar befohlen, und man will sogleich auslaufen. Dienstbeflissen begeben sich alle Tiere sofort auf ihre Plätze. Schwerfällig poltert das Pferd die steile Eisenstiege in den Heizraum hinab. Der flinke Affe schwingt sich behend gleich durch die Oberlichter in die Maschine und baut sich, verfolgt von den kritischen Blicken des Stinktieres, griffbereit vor den blankgeputzten Dampfhebel auf.
Das Eichhörnchen wieder strebt mit flotten Sprüngen ausschauhaltend hoch oben im Mast dem Krähennest zu. Hinter ihm flattert mit lautem Flügelschlag Gockel, der Hahn, aufs Peildeck, um mit seinen bunten Fittichen den Dienst als Signalgast zu versehen.
Der schnellfüßige Hase ist auch schon auf seiner FT.-Station. Eigentlich hätte er schon zwei Stunden vor Auslaufen einschalten sollen, aber da niemand an Bord die genauen Dienstvorschriften kennt, vergißt er auch gerne darauf. Die Kopfhörer auf seine langen Löffel gestülpt, äugt er durchs Bulley herab und wirft dem armen Esel einen mitleidigen Blick zu, der nach achtern trottet, das schwere Raumgerät klarzulegen. Neben ihm trabt Spähauge, der Luchs, zum achteren Flakstand. Das Glühwürmchen wieder geht in der Positionslaterne in Bereitschaft.
Auch auf der Brücke haben die Tiere mittlerweile ihre Stationen eingenommen. Breitbeinig und behäbig steht Braun, der Bär, vorm Steuerrad und neben ihm Hinze, der schnurrende Kater, die Füße angeberisch in lange Seestiefel gesteckt, am messingflimmernden Maschinentelegraf.
Draußen aber in der Brückennock lehnt mit verschränkten Armen träge der Ochse, als Obersteuermann und I.W.O. unentbehrlich, der Befehle seines Herren und Kommandanten gewärtig. Dieser stapft, das große Fernglas baumelnd auf der haarigen Brust, eben mit gewichtigen Schritten heran und gibt das Zeichen zum Ablegen. Geschickt wirft Kläff, der Hund, die Leinen los. Hinze rasselt am Maschinentelegraf und Fips, der Affe, im Hebelgestänge der Maschine. Prustend läuft die Maschine an. Langsam löst sich das Schiff von der Pier und strebt dem Fahrwasser zu. In der Kombüse aber werkt unter-dessen der rührige Wolf. Smutje sein steht Isegrim gut an, und so ist auch hier, wie überall bei der Marine, der rechte Mann am rechten Platz. Eben ist er dabei mit schmunzelnder Zufriedenheit, für sich ein Schnitzel zu braten und für die Besatzung einen schreckhaften Tomatentunkeneintopf anzurichten. Die Kameraden sollen es gut haben bei ihm. Reinecke Fuchs, seiner Intelligenz wegen, als Verwaltungsfeldwebel eingesetzt, kramt schon nebenan in der Proviantlast, um gewissenhaft die nötigen Zutaten auf der Briefwaage abzuwiegen und sich selbst durch eine saftige Mettwurst zu stärken. Gute Ver- pflegung ist nun einmal die halbe Kriegsführung. Mit scheelem Seitenblick schaut ihm dabei Schnauzbart, der Seehund zu, der noch eine Stiege tiefer in der Bilge auf dem Bauche liegt und als Unterwasserlauscher seinen Dienst versieht.
So erfüllen alle, jeder an seinem Platz, treu und brav ihre Pflicht. Die großen Worte ihres königlichen Kommandanten Herzen, von der gemeinsamen Idee geführt und von der Fessel der Disziplin zusammengehalten, fahren sie stolz mit ihrem Schiff davon, die Freiheit zu gewinnen. -

23. Mai 1942 Kiel
Eigentlich wollte ich heute wieder nichts tun und dann langsam in die Pfingstfeiertage hineinschlittern. Es kam aber anders. Zunächst hatte ich in der Wachtmeisterei zu tun und Kurzurlaubsscheine für das Wochenende auszuschreiben. Wer einigermaßen kann, sucht sich für die Feiertage ein sonnigeres Liegeplätzchen. Sogar unser lieber Ernst hat Stadturlaub eingereicht. Über Hintertreppen will er dann nach Hamburg auskneifen und dort mit seiner Angebeteten Verlobung feiern. Es ist eben wieder einmal Frühling. Da grünen und blühen Feld und Flur und Mensch. -
Kurz vor Dienstausscheiden traf dann noch meine Abkommandierung ein. Mein neues Kommando heißt ,,MNO Bernau". Bernau soll irgendwo bei Berlin liegen. Mehr weiß ich auch nicht.
Mein Pfingstprogramm muß ich nun natürlich etwas abändern. Zunächst will ich gleich noch die Geschäfte in der Wachtmeisterei und im FT-Abschnitt zum Abschluß bringen und meine ,,Amtsnachfolger" einweisen. Dann könnte man noch seine sieben Sachen einer ordnenden Durchsicht unterziehen, damit man sich dann vielleicht am Montag langsam auf die Socken machen kann. Für unterhaltende Beschäftigung ist also gesorgt.
Eben bin ich wieder von Land zurück. Der Tag hat sogar noch zu einem schönen abendlichen Spaziergang durch Kiel gereicht. Meine Abschlüsse sind auch fertig. Dabei war im FT-Abschnitt von Interesse, daß wir trotz unserer lückenhaften Seefahrt immerhin 6 300 Funksprüche aufgenommen haben. Drei davon waren an uns gerichtet, sechs haben wir selbst abgegeben. Damit soll nicht gesagt sein, daß die anderen FT.´s für uns ohne Belang waren. Die täglichen Wetterberichte, die verschiedenen Warnmeldungen und die häufigen Fliegeralarmsignale waren nicht weniger wichtig, und die übrigen Funk- sprüche wieder vermittelten in ihrer Gesamtheit jederzeit einen aufschlußreichen Einblick in den derzeitigen Schiffsverkehr und die augenblicklichen Verhältnisse auf See.
Darüber hinaus aber liegt es selbstverständlich auch in der Natur einer jeden FT.-Station, daß sie mitunter nur auf Wach- und Bereitschaftsdienst eingestellt ist. Das Mg schießt ja auch nicht ununterbrochen, sondern ebenfalls nur dann, wenn es gebraucht wird. Das liegt nun einmal im Wesen jeder Waffe und auch in dem der FT.

24. Mai 1942 – 1. Pfingstfeiertag Kiel
Das ist nun mein letzter Tag auf M 575. Letzte Tage sind mir immer unangenehm. Wir sind Wachtboot und hocken an Bord. Seit Mittag geht ein schweres Gewitter nieder und erst gegen Abend hört es auf zu regnen. Die Stimmung ist vorzüglich. Die Kantine war geöffnet und jeder hat sich nach Bedarf eindecken können. Der Umstand, daß Kantine und Kombüse auf einem Schiff immer mit fahren, gibt dem Krieg in der Marine seine besondere Note.
Die Kameraden beneiden mich um meine Abkommandierung. Komisch, als ob auf Erden heutzutage noch jemand zu beneiden wäre. -

25. Mai 1942 - 2.Pfingstfeiertag Kiel - Berlin
Wilhelm, der Liebenswürdige, unser westfälisches Kochfaktotum hat ein frugales Abschiedsdiner zusammengestellt: Spargelsuppe, Schweinebraten mit Kartoffeln und Blumenkohl, Staudensalat und gefrorene Pfirsiche. Aber auch das kann mich nun nicht mehr halten.
Der Seesack steht bereit und 14.11 Uhr fährt mein Zug. Einige Abschiedsworte an die Kameraden. Ein Blick noch in den Funkraum. Die Akkus für U.K. müssen wieder aufgeladen werden und auch die Kohlen für den Umformer dürften reif zum Auswechseln sein. Man fühlt sich immer noch irgendwie verantwortlich.
Dann trabe ich los. Jemand pfeift zum Abschied ,,Seite". Noch ein Blick auf das alte, treue Boot, und fort geht es.
16.49 Uhr trudle ich bereits in Altona ein. Hier gibt es zwei Stunden Aufenthalt, Zeit zu einer schönen Abendbrotpause. 18.56 Uhr geht die Fahrt im Urlauberzug weiter. Einige Kameraden von einem Baubataillon fahren mit im Abteil. Sie wollen nach Warschau und erzählen von ihren Erlebnissen im Osten.
23.10 Uhr. Die Metropole ist erreicht. Ich beschließe den zweiten Feiertag hier zu beenden und bringe mich zur Kommandantur. Das Rote Kreuz füttert mich noch ein wenig. Dann lese ich meinen Roman zu Ende und lege mich schließlich zur wohlverdienten Ruhe nieder. Morgen ist auch noch ein Tag und übermorgen auch. - 

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