Minen vor Pillau

Begonnen von Seekrieg, 29 Januar 2012, 10:09:02

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Seekrieg

3. Juni 1941 Kiel M575                           
Wir haben unsere Schulfahrten wieder aufgenommen und fahren in der Hauptsache schwe-res Räumgerät. Ich bin froh, daß ich kein ,,Sperrmixer" bin; denn schon bei schönem Wetter und ruhiger See ist die Arbeit schwer, bei schlechtem Wetter aber wird sie Mühsal und endlose Plagerei. Trotzdem habe ich mich heute einmal mit auf das Achterdeck gestellt und mir von Ossi die einzelnen Phasen des Räumens erläutern lassen. Nach seinen Worten spielt sich der Vorgang etwa so ab:
Besteht in einem Seegebiet Minenverdacht, dann werden zunächst die besonders flach ge-bauten Räumboote  eingesetzt. Diese spüren die etwa vorhandenen Minen in der Weise auf, daß zwischen zwei bis fünf nebeneinander fahrenden Booten dünne Leinen in bestimmter Tiefe geschleppt werden. Da der Abstand der einzelnen Boote voneinander 100 bis 150 m beträgt, überspannen fünf Boote einen Raum von 400 bis 600 m. Faßt eine Suchleine ein Minenankertau oder hakt an einem Unterwasserhindernis (Wrack, Fels) fest, dann löst die auftretende Zugkraft die Haltevorrichtung des Suchseiles aus. Die Suchleine slippt infolgedessen aus und zeigt an, daß das Fahrwasser nicht frei ist.
Jetzt beginnt die eigentliche Arbeit des Räumens. Dazu benutzt man abermals eine lange Stahltrosse. Diese hängt man mit dem einen Ende auf dem Achterdeck in einen Zugmesser ein. Am anderen Ende des Seiles befestigt man eine Otter. Unter Ottern versteht der Minen-sucher bekanntlich einen mannsgroßen, tropfenförmig gestalteten Schwimmkörper mit einen Steuerwerk am Ende, ähnlich dem eines Flugzeugs. Sobald man nun das Seil mit der Otter am Ende ins Wasser fiert, wird es durch den auftretenden Fahrstrom gespannt. Gleichzeitig drücken die Ruder am Steuerwerk die Otter seitlich aus dem Kielwasser heraus. Auf diese präzise und straffe In-Spreizhaltung des Seiles kommt es aber an, denn es die vorhandenen Minen von Boot abdrängen und von ihren Ankertauen abschneiden. Damit das funktioniert muß jede Otter erst einmal eingestellt und eingefahren werden. Dabei wird die günstigste Ruderlage ermittelt, die Schwimmlage ausgeglichen und der vorteilhafteste Spreizwinkel für eine bestimmte Fahrtstufe eingestellt. All dies aber braucht Zeit und Geduld.
Berührt nun das  gespannte Räumseil das Ankertau einer Mine, so gleitet dieses ein Stück an dem Räumseil entlang und gerät schließlich in die am Räum- seil angebrachten Scherengreifer, die durch den Staudruck der Mine ihr Ankertau durchschneiden. Jetzt treibt die Mine auf und kann abgeschossen werden. Gewöhnlich fahren beim Räumen mehrere Boote ge-staffelt hintereinander und kämmen auf diese Weise einen Streifen nacheinander ab. Ist das minenverseuchte Gebiet auf diese Weise abgesucht, dann fährt man noch einmal mit ,,verbundenem" Gerät, das wie die Suchleine gefahren wird, die Strecken ab, um ja ganz sicher zu gehen. Dann erst wird das Seegebiet als minenfrei gemeldet.
Ich dankte Ossi für seine ausführlichen Erläuterungen. Sie gestatten nunmehr auch mir, etwas klarer durch das ständige Drahtgewirr auf dem Achterdeck zu blicken und lassen zu gleicher Zeit erkennen, mit welcher Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit sowohl jeder einzelne, als auch die Boote untereinander arbeiten müssen, um ihrer schweren Aufgabe gerecht zu werden.
Der Wehrmachtsbericht meldet heute den Abschluß der Kämpfe um Kreta.  Damit ist der Krieg im europäischen Südostraum vorläufig beendet. Was nun? -

4. Juni 1941 Kiel                                                               
Wieder Schulfahrt. - Nach dem Einlaufen brachte der Postbüttel einen Stapel Briefe, in der Hauptsache fachliche Korrespondenz für meinen Zivilberuf, so daß ich für den Abend durch postalische Lektüre ausgelastet bin.

5. Juni 1941 Kiel
Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps. Das ist eine alte, bekömmliche Weisheit. Sie not-falls mit Gewalt durchzusetzen ist Aufgabe des 1.W.O. Zu einem solchem Gewaltstreich sah sich heute morgen unser Obersteuermann und 1.W.O. veranlaßt, als die Hälfte der Unteroffiziere infolge allgemeiner, alkoholischer Ermüdung nicht zum Dienst antrat. Er erntete dafür den bezeichnenden Beinamen Dompteur, der den großen, kräftigen und stimmbegabtem Mann staturgemäß ziemlich treffend charakterisierte.
Anderseits kann man ihm sein Durchgreifen billigerweise auch nicht verargen; denn Dienst und Schnaps sind nun einmal zwei grundverschiedene Dinge und wer das nicht begreift, den muß es begreiflich gemacht werden. Es ist eben leider so, daß nicht jeder den Erfordernis-sen des Dienstes Rechnung trägt und auf seine Umgebung die Rücksicht nimmt, die man billigerweise von ihm erwarten darf. Infolgedessen ist die vertikale Kameradschaft, das Verstehen der einzelnen Dienstgrade untereinander, auch nicht immer in dem Maße ausgeprägt, wie man es erwarten könnte.
Im übrigen aber markieren die meisten Vorgesetzten nicht aus Bosheit den unnahbaren oder wilden Mann, sondern aus Angst, bei loyaler Haltung von ihren Untergebenen überfahren zu werden. Selbstverständlich deutet diese Einstellung wieder auf einen Mangel an Masse und Führungstalent hin, aber alles ist nun einmal nicht beisammen, weder beim einzelnen, noch bei der KM. Und damit muß man sich abfinden. Es gehört mit zum notwendigen täg- lichen Verschnitt.  -
Schulfahrt. - Nachmittags Kohlen.

6. Juni 1941 Kiel
Auch das Wasserbombenwerfen will gelernt sein. Von Zeit zu Zeit werden deshalb entsprechende Übungen angesetzt und gefahren. Sie bringen stets eine willkommene Abwechslung mit sich und sind bei weiten unterhaltsamer als das langweilige Minensuchfahren. Außerdem erinnern sie auch geräusch- mäßig etwas an Krieg und an frühere Tage auf 1304.
Mit Höchstfahrt rauschen wir dahin und rollen unsere entsicherten und auf eine bestimmte Wassertiefe eingestellten Wabos achtern über Bord. Kurze Sekunden später erzittert dann das Boot unter dem harten Schlag der schweren Detonation. Achteraus springt das Wasser unter dem Druck der Ex- plosion zu einem breiten, massigen Hügel auf oder bäumt sich in einer schwarzen Wassersäule steil und jäh empor. Die Bilder wechseln.
Wir laufen mehrere Anläufe und kämmen dann das ganze Gebiet noch einmal in breiter Formation ab, um den dabei angefallenen Fischsegen zu bergen. Dorsche und Heringe bilden den Hauptanteil der Beute. Es dauert auch nicht lange, und dann haben wir mit Stangen, Netzen und unserer ausgesetzten Jolle einen Zentner Fisch gesammelt. Das ist kein großes Kunststück; denn durch unser Wasserbombenwerfen haben zahlreiche Fische den Tod gefunden und treiben nun kieloben an der Wasseroberfläche. Sie wandern in die Kombüse oder zu privaten Interessenten, und heute abend wird ganz M 575 und sein ziviler Anhang wieder einmal im Fisch schwelgen. Ab und zu ernährt auch der Krieg einmal seinen Mann.           

7. Juni 1941 Kiel                              
Heute haben wir bis zum späten Abend ,,Ottern gezüchtet". Das war eine langweilige und langwierige Arbeit, aber sie mußte gemacht werden, weil die Nachfrage nach eingefahrenen, d.h. eingestellten Ottern wieder einmal sehr stark war. Bis auf zwei unverbesserliche Grundgänger haben wir auch alle Ottern sauber "dressiert", und unsere Sperrmixer sind nicht we-nig stolz darauf. Trotzdem hoffen wir inständig, daß man uns morgen doch lieber wieder etwas anderes zumutet.

8. Juni 1941  Kiel         
Es ist wieder Sonntag. Man hat diese überflüssigen und unproduktiven 24 Stunden immer noch nicht abgeschafft. Warum nicht? In Kriegeszeiten haben sie doch allen Sinn und jede Berechtigung verloren. Leer und inhaltslos rinnen sie wieder dahin.
Abends besuchten wir gemeinsam ein Kino, kehrten danach gelangweilt wieder an Bord zurück und hätten dann schlafen gehen können, aber der Voll- mond stand so hell und strahlend am wolkenlosen Himmel, daß wir bestimmt mit feindlichem Fliegerbesuch rechneten. So blieben wir denn vorsichtshalber gleich wach und setzten uns gemeinsam zu einem Schoppen in die Messe. Darüber wurde es Mitternacht, ein, zwei und drei Uhr. Wer aber nicht kam, das war der Tommy. Möcht´ wissen, was in ihn gefahren ist. Wie kann er sich solch ein herrliches Wetter und solch herrliche Sichtverhältnisse nur entgehen lassen! Wir stehen vor ei-nem Rätsel.

9. Juni 1941 Kiel                                                                           
Heute laufen wir nicht wie üblich zu unserer planmäßigen Schulfahrt aus. Unschlüssig und untätig bleiben wir an der Pier liegen. Ich weiß nicht warum, aber man tut so geheimnisvoll und meint flüsternd: ,,Es tut sich wieder etwas!" -

10. Juni 1941  Kiel
Dasselbe. Schweigend lehnen wir an der Reling und unser Boot an der Pier. Wir warten. Warten ist auch eine beliebte Beschäftigung.


1.   Minen vor Pillau.

11. Juni 1941 Kiel – In See
Heute morgen um 8 Uhr nahmen wir unsere Schulfahrten wieder auf. Kurz nach mittag liefen wir aber bereits wieder ein und fuhren sofort zum Kohlen. Bis zum Überlaufen werden diesmal die Bunker gefüllt. Am liebsten möchte man noch die Kaffeekanne vollmachen und in jede Koje auch noch ein Häufchen schütten; denn es ist wieder einmal so weit. Unser Einsatzbefehl ist da und noch heute sollen wir zu einem längeren Minenunternehmen auslaufen.
Nach dem Kohlen fahren wir zum Sperrzeugamt und übernehmen Minenschienen und allerhand anderes, sperriges Zeug. Nachdem wir uns noch genügend verproviantiert haben; denn das ist bei solchen Sachen mit das wesentlichste, laufen wir um 20 Uhr aus. Kurs Ost, Ziel unbekannt.
Mit 12 sm Fahrt rauschen wir in den sommerlichen Abend hinein. Die Fahrt verspricht trotz des achterlichen Südwests 7 - 8 schön zu werden. Dick windet sich eine rabenschwarze Rauchwolke aus unserem Schornstein. ,,Herrliche Kohle!", sagen die Heizer und reiben sich die Hände. ,,Sie verbrennt restlos und gibt nicht einen Eimer Schlacke." ,,Furchtbares Zeug!", sagen wir auf der Brücke und schlagen die Kragen hoch; denn der achterliche Wind gibt uns den geballten Rauch noch einmal zu kosten. Ganze Wirbel großer, schwarzer ,,Heizerflöhe" tanzen unentwegt um uns herum. Schon nach kurzer Zeit sind wir ganz rußverkrustet und gleichen Schornsteinfegern.
23 Uhr: Backbord querab laufen drei Zerstörer mit Gegenkurs. Ganz am Horizont heben sich gegen den lichten Abendhimmel die Silhouetten weiterer Schiffe ab, alle auf Gegenkurs. Man kommt nicht mehr klar. Glaubten wir doch, alles müßte gleich uns Ostkurs laufen.
Unser Schornstein qualmt nicht mehr. Dafür schlagen aus ihm jetzt die hellen Flammen wie aus einem Hochofen heraus. Schon glüht der ganze obere Rand des Schornsteins. Wir könnten zur Not also auch als Feuerschiff fahren.
Langsam bricht die kurze, milde Sommernacht herein. Unbeirrt ziehen wir unsere Bahn. Die Funkstation gibt Fliegeralarm. Wie könnte es auch anders sein.

12. Juni 1941 In See
Der Wind ist etwas abgeflaut. Langsam scheint sich auch die See beruhigen zu wollen. Klar und strahlend steht die Sonne am Himmel und verheißt uns einen herrlichen Sommertag. Es ist 8 Uhr morgens. Eben bin ich von Wache gekommen und bei meiner üblichen Morgenpromenade an Oberdeck. Hier herrscht Hochbetrieb. Es klopft und pocht, hämmert und werkt an allen Ecken. Minenschienen werden herbeigeschleppt und auf beiden Seiten von mittschiffs nach achtern verlegt. Sie sollen Minen aufnehmen, die wir dann irgendwo still und heimlich verstecken müssen. Über alle näheren Einzelheiten aber ,,schweigt noch des Sängers Höflichkeit".
Eben passieren wir Arkona. Der Generalkurs bleibt ostwärts. Wir rätseln natürlich, wohin es gehen könnte. Manche glauben, wir geraten mit Schweden aneinander, andere wieder plädieren für Rußland. Ich hoffe, man wird es uns noch rechtzeitig sagen.
11.50 Uhr: Auf Bb.Seite schiebt sich eben Bornholm über den Horizont.
15.00 Uhr: Ein Truppentransporter, 6 – 7 000 BRT, voll beladen bis an den Rand, kreuzt unseren Kurs und hält dann nach Norden zu.
17.00 Uhr: Schon zum zweiten Male wird heute für die westliche Ostsee Fliegeralarm gegeben. Wahrscheinlich hat uns der Tommy in der vergangenen Nacht nicht an unserem alten Liegeplatz im Scheerhafen gesehen und sucht uns nun. Oder hat er gar schon Lunte gerochen und versucht nun Einblick in unsere Karten zu bekommen?
20.00 Uhr: Der Wind ist weiter abgeflaut, steht aber immer noch mit 2 - 3 von achtern und nebelt uns immer noch mit Heizerflöhen ein. Das ist recht ungemütlich. Trotzdem behaupte ich meinen Platz in der Brückennock und assistiere unserem Obersteuermann. Eben haben wir die Sonne geschossen. Dafür darf sie jetzt um 21.28 Uhr zum Schlafengehen wegtreten.
Unterdessen berät die Brückenwache, ob sie sich noch einmal waschen und entrußen soll, läßt aber dann die Angelegenheit auf sich beruhen. Die schwarzen Gesichter passen so gut zu unserem schwarz gepönten Boot und zur Finsternis der hereinbrechenden Nacht. Wer weiß, wozu die Tarnung gut ist. –  Die Fahrt geht weiter.

13. Juni 1941 In See - Pillau
05.45 Uhr: Wir sind in Pillau eingelaufen und haben in dem schönen und kleinen Hafen fest-gemacht. Statt der sonst üblichen trostlosen und leeren Kais, der sachlichen und nüchternen Hafenanlagen in den anderen Häfen, leuchtet uns hier von den Ufern und Anlegeplätzen nur sattes, sommerliches Grün entgegen. Es wird unterbrochen und belebt vom dunklen Violett ausgedehnter Fliederbestände. Wir kommen uns vor, wie beim Sommer zu Gast. Deshalb fühlen wir uns hier auch gleich so zu Hause.
Zu besinnlicher Beschaulichkeit bleibt aber keine Zeit. Wir fahren sofort zum Kohlen. 40 t haben wir für die Fahrt von Kiel nach Pillau verbraucht, und diese sollen gleich wieder ergänzt werden. Wenn wir nicht unser Soll von 130 t im Bauch haben, fühlen wir uns in solch kritischen Tagen nicht wohl. Als Entschädigung für diese neuerliche Plackerei bekommen wir als Mittagessen wenigstens ein ordentliches Schnitzel vorgesetzt. Um 17 Uhr laufen wir wie-der aus und werfen Markierungsbojen zur Bezeichnung der Festpunkte, zwischen denen wir unsere Minensperre legen wollen. In den Hafen zurück- gekehrt, machen wir am Verladepier der Eisenbahn fest und packen unser Boot aus den bereitstehenden Güterwagen mit Minen voll. Darüber wird es Abend.
Im Hafen flammt die elektrische Beleuchtung auf. Schön ist das. Wir stehen an der Reling und bestaunen den erleuchteten Hafen wie ein neues Weltwunder. So etwas gibt es auch noch, und früher soll das überhaupt eine Selbstverständlichkeit gewesen sein? Es kommt einem vor wie im Märchen, und dabei stehen wir schon wieder ganz dicht an der Schwelle zu neuen, schweren Kämpfen. Morgen vielleicht kann es schon anders sein und dann wird es auch hier dunkel sein wie im übrigen Europa.

14. Juni 1941 Pillau
Es regnet. Wir haben Dampf auf und halbstündige Bereitschaft. An Land dürfen wir auch nicht, und das Land darf nicht an Bord. Politische Quarantäne also. Neben uns liegen noch mehrere große Minenschiffe im Hafen, und auch das Heer soll hier stark vertreten sein. Von Landsern erfahren wir, daß hier alles voll Truppen steckt, daß die Pioniere alle Hände voll zu tun haben, um die Schienenfahrzeuge auf russische Spur umzubauen und daß es bald knallen würde. Damit ist die Stoßrichtung unseres Unternehmens wohl eindeutig bestimmt!

15. Juni 1941 Pillau
Wir liegen weiterhin in sofortiger Bereitschaft. An Land dürfen wir selbstverständlich auch noch nicht. So wird die Sache langsam langweilig. Für den Nachmittag wurde deshalb ein Fußballspiel gegen das kleine R-Boot nebenan angesetzt. Wir haben das Match mit 2:0 verloren. Die Meinungen darüber geben auseinander. Die einen sagen, der Platz wäre uneben gewesen, bzw. ihr Blick, und die anderen behaupten, sie hätten das gegnerische Tor über- haupt nicht gesehen. Klarer Fall also.
Der Kommandant erläßt daraufhin Alkoholverbot. Damit wurde eine neue Situation geschaf-fen. Wir versammeln uns in der U-Messe und debattieren über die neue prekäre Lage. Unser Bootsmann Badtke hält danach das Plädoyer und bestimmt: ,,Die alten Germanen tranken schon, und da wir schließlich ihre Nachfolger sind, so trinken wir auch." Daraufhin wird neues Material angefahren. Nur steht es jetzt aus Gründen tarnender Vorsicht nicht mehr auf, son-dern unter der Back. Man soll Leute, die laut Dienstgrad und Gesetz etwas zu sagen haben, nicht unnütz reizen.
Unser Bootsmann ist unterdessen schon wieder bei den alten Germanen, seinem Lieblingsthema, angelangt und stellt kategorisch fest: ,,In der Regel trugen die Germanen rote Bärte." Mit Rücksicht auf seine gleichfarbige Nase und seinen scharlachroten Haarschopf stimmen wir ihm in dieser Hinsicht zu. Uneinheitlich aber wird die Meinung in der Frage, ob die Germanen schon eine Kantine gehabt haben. Einige sind dafür, andere wieder stellen sich auf den Standpunkt, daß  die aufgelockerte Siedlungsweise der Germanen eine Kantine illusorisch macht, und daß die den Verhältnissen besser gerecht werdende Hausbar als alkoholische Keimzelle unserer Vorfahren anzusprechen sei.
Wir sind noch nicht einig, als plötzlich für 02.00 Uhr seeklar angesetzt wird. Schade, wir waren gerade so schön im Zuge und hatten uns außerdem noch vorgenommen, nach Einbruch der Dunkelheit das kleine R-Boot, dem wir die heutige Fußballniederlage zu verdanken haben, etwas anzulüften, bzw. um- zukippen. Diesen Plan müssen wir nun vertagen und unseren kleinen Privatkrieg auf morgen verschieben, der große geht immer noch vor. Wir legen uns deshalb schnell noch etwas aufs Ohr, damit man den neuen Tag dann besser durchstehen kann. Also gute Nacht bis dann. 

Seekrieg

16. Juni 1941 Pillau
Es ist stockdunkel und regnet in Strömen, ein Wetter also, wie wir es für unsere dunklen Machenschaften uns gar nicht besser wünschen können. Vorsichtig schieben wir uns aus dem Hafen und laufen aus.
An Deck ist trotz des starken Regens Hochbetrieb. Geschäftig winden sich die Kameraden der Sperrwaffe zwischen den Minen hin und her. Die setzen die Sprengkapseln ein und schrauben die Bleikappen auf.
Im ersten Morgengrauen erreichen wir mit glühendem und feuerspeiendem Schornstein unsere Position. Mit M 201, mit dem wir gemeinsam die Minensperre vor Pillau legen sollen, gehen wir auf Parallelkurs und beginnen dann mit dem Werfen. Eine Mine nach der anderen wird in den Schienen nach achtern geschoben und über das Heck ins Wasser gerollt. Mit der Stoppuhr werden die Abstände zwischen den einzelnen Würfen genau festgelegt. Präzise fällt eine nach der anderen plumpsend kopfüber in die See. 31 Stück werfen wir. Dann ist unsere Arbeit getan und die Sperre in den vorgeschriebenen Ausmaßen gelegt. Legen geht schneller als räumen. Wir gehen auf Gegenkurs und laufen ein. Es regnet immer noch. 06.30 Uhr liegen wir wieder im Hafen fest.
11.00 Uhr: Der Regen hat aufgehört. Ein dicker Nebelbrei ist an seine Stelle getreten. Sicht 10 m.
14.00 Uhr: Das Verbot des Landganges wird aufgehoben. Da uns nicht bekannt ist, wie lange wir noch in Pillau bleiben, starten wir sofort, um uns einmal in der Gegend umzusehen, zumal das Wetter unterdessen etwas freundlicher und sichtiger geworden ist. Allzuviel ist aber trotzdem nicht zu entdecken, aber das liegt, wie gesagt am Wetter und an der Kleinheit der Stadt. Furchtbar sind die Straßen mit ihrem gigantischen Kopfsteinpflaster. Mir tun die armen Radfahrer leid. Wie mühsam sie vorwärts hoppeln. Man sagt, hierzulande müßte jeder Radfahrer erst das Reiten lernen, bevor er ein Stahlroß besteigen dürfte.
Schön ist das sommerliche Grün, und immer wieder erfreuen die herrlichen Fliederanpflanzungen, die sich überall in der Stadt, besonders aber im Hafengebiet ausbreiten. Das ist das schöne und reizvolle in Pillau. In den anderen Hafenstädten dominiert immer nur das Steinerne, das Nüchterne.
Wir wandern das Seetief, eine zum Hafen führende Straße entlang und verhalten dann am Denkmal des Großen Kurfürsten auf dem Platz vor dem Leuchtturm. Stolz und majestätisch steht er auf seinem hohen Denkmalssockel, die Rechte in die Hüfte gestemmt und den Blick unverwandt hinaus aufs Meer gerichtet. Seine Devise war: Seefahrt und Handel sind die vornehmsten Stützen eines Staates. Jetzt hat man ihm das große K.d.F.-Schiff ,,Robert Ley" vor die Nase geschoben. Nun schaut er es unverwandt an und bestaunt den unfaßbar großen Brocken.   
,,Als wir 1935 das letzte Mal hier waren", erzählt Ossi, ,,hatte er mehr Zeit für uns. Wir dankten es ihm und schoben ihm in einer übermütigen Stunde einmal ein Kommißbrot schön vierkant unter den gewinkelten rechten Arm und legten ihm eine Kellnerserviette lässig über die Schulter. Es sah schön aus, und wir hatten unsere helle Freude an dem kurfürstlichen Ober. Ob er mich noch kennt?"
Ossi gibt noch manche andere Schnurre zu besten und erzählt von der trostlosen Eintönigkeit seiner sechsmonatlichen Ausbildungszeit hier in Pillau, die sich nach seiner Meinung tatsächlich nur im Zuge einer gewissen Disziplinlosigkeit ertragen ließ. Im Übrigen aber wären sie sich hier in Pillau wie Verbannte vorgekommen. Jeder hätte sich die Rückkehr in eine belebtere Garnison gewünscht, und nicht umsonst sei damals der bekannte Spottvers entstanden:
      ,,Oh, Pillau, oh, Pillau, du elender Haufen.
      Nach einer Stadt siehst du wirklich nicht aus.
      Ich verzichte ein Jahr lang aufs Saufen,
      käme ich aus dir nur wieder heraus!"
Wir schreiten die lange Mole entlang. Schön ist es hier, ruhig und erquickend einsam. Die Luft schmeckt sauber und frisch und nicht nach Kohle, Maschine und Zote. Kaum einem Menschen begegnet man. Der einsame Angler, der an der steilen Böschung halb im Wasser steht, ist wohl auch mehr als Stilleben zu werten, als ein belebendes Moment. Ossi, der meine hin- und herschweifenden Blicke beobachtet, meint, noch ganz in unartigen Erinnerungen vertieft: ,,Ein Angler stand am Angelstrand, die Angelrute in der Hand. Am Angelhaken hing der Barsch. Das Wasser ging ihm bis – ans Knie!"
Diese Lyrik paßt wieder einmal wie die Faust aufs Auge. ,,Herrliche Verse hast du auf Lager", entgegne ich ihm mißbilligend, aber Ossi antwortet schlagfertig: ,,Nicht wahr, ein schöner Vers, und stell´ dir vor, jetzt ist Ebbe, aber bei Flut, da reimt er sich dann sogar!"
Schade, daß man gar keine Sicht auf See hat. Dort liegt immer noch schwerer Nebel, und ununterbrochen schreit das Nebelhorn in den Dunst. Wir scheren deshalb nach Steuerbord aus und begutachten die neue, in halber Höhe der Dünen erbaute lange, hölzerne Promenadenbrücke und nehmen dann wieder Kurs nach der Stadt.
Grüner Wald nimmt uns auf. Er schweigt versonnen in sommerlicher Nachdenklichkeit. Auf den Kastanien stehen stolz die weißen Blütenkerzen und aus den üppigen Fliederbüschen strömt wieder aus ungezählten blauen und weißen Rispen der satte Blütenduft.
,,Wenn der weiße Flieder wieder blüht ...", da wollte ich so gern wieder daheim sein. Wollte! -

17. Juni 1941 Pillau
Ich war heute Vormittag noch einmal an Land, bin auf den Leuchtturm geklettert und habe von hoch oben den Blick in die Runde schweifen lassen. Wie niedlich nehmen sich die kleinen Häuschen aus, die Schiffe, wie zart ist das schmale Band der Frischen Nehrung. Das Haff konnte man überblicken, die wogende See und das weite Festland. Es war herrlich.
Von einer hohen Warte aus sieht man aber nicht nur die Dinge, sondern auch ihre Zusammenhänge und die Verflochtenheit der Verhältnisse. Deutlich erkennt man aus dem Landschaftsbild die topographische Bedeutung des Ortes und den bestimmenden Einfluß, den Nehrung und Haff, See und Hinterland auf die Geschichte der Stadt genommen haben. 
Die Nehrung, aus den Flußsandablagerungen des Weichseldeltas entstanden, bilden einen Damm, der einen Teil der See als Haffgewässer abschnürt und das angrenzende Festland von der See abdrängt. Beide aber brauchen den Zugang zum offenen Meer. Das Haffgewässer bahnte sich deshalb einen Abfluß zur See. Die See half dabei und schlug ihm hier bei Pillau eine Bresche in die Nehrung. Das geschah durch einen schweren, orkanartigen Sturm im Jahre 1479, wie mir der freundliche und ortskundige Leuchtturmwärter berichtet. Durch einen zweiten gewaltigen Sturm am 10. September 1510 ward diese Rinne dann so tief ausgespült, daß sie für Schiffe passierbar wurde. Damit aber war zugleich auch der Abfluß für das wirtschaftliche Potential des Hinterlandes gegeben und der Anschluß an den Welthandel geschaffen. So wurde der kleine Flecken Pillau im flüchtigen Dünensand fast über Nacht zur Pförtnerloge für die mächtigen Handelsstädte Königsberg, Braunsberg und Elbing.
Eine solche Schlüsselstellung wirkte sich naturgemäß auch politisch und militärisch aus. Sie mußte befestigt werden. Allein, bevor man dies recht erkannte und begriff, fielen die Schweden im Dreißigjährigen Krieg in Pillau ein und errichteten während ihrer zehnjährigen Besatzungszeit starke Befestigungsanlagen. Nach dem Kriege versuchte Pillau sich mit raschem Anlauf zur See- und Handelstadt zu entwickeln. Der Große Kurfürst, politisch und weltwirtschaftlich weitblickend, leistete dabei jede mögliche Hilfestellung, zumal Pillau in seinem Preußisch-Brandenburgischen Kurfürstentum der einzige brauchbare Seehafen war. Stettin war schwedisch, Danzig freie Reichsstadt. Hier stationierte er deshalb auch seine von den Holländern gemietete Kriegsflotte in Stärke von drei Schiffen. Hier errichtete er, ebenfalls nach holländischem Muster und mit holländischen Arbeitern, die erste deutsche kaiserliche Werft und von hier aus suchte er auch seine großen handelspolitischen und kolonialen Pläne in die Tat umzusetzen. Wenn deshalb zu beiden Seiten seines Standbildes drei alte Kanonen aus seiner ehemaligen Kolonie Großfriedrichsburg an der Guineaküste Aufstellung fanden, dann geschah dies in Dankbarkeit und Würdigung dieser großen und aufstrebenden Epoche, in der man das heute ach so abseitige kleine Pillau noch als Klein-Amsterdam  bezeichnete.
Diese Entwicklung war aber nicht von langer Dauer. Sie wurde abgebremst und von Anfang an aufs stärkste behindert durch Königsberg. Dieser alten Handelszentrale und größten Stadt im damaligen Kurfürstentum war nichts an einer Konkurrenz vor ihren Toren gelegen. Mit der Brutalität des Stärkeren setzte sie durch, daß Pillau eine eigene Handelsflotte untersagt blieb. Unter diesem Würgegriff aber hatte Pillau um so stärker zu leiden, als es über keine bodenständige Industrie verfügte, die als Ausgleich wenigstens ein wirtschaftliches Erstarken ermöglicht hätte. Dafür aber durfte  Pillau von niemandem behindert, im Siebenjährigen Krieg und in den Zeiten Napoleons jederzeit als Außenbastion Puffer und Prellbock sein.
Eine entscheidende Wendung schien noch einmal das Jahr 1865 zu bringen. Pillau erhielt seine Eisenbahn und damit den Anschluß an das Verkehrsnetz und die Wirtschaftszentren des Hinterlandes. Dieser Umstand lockte nunmehr auch große Seeschiffe an, die Pillau bisher gemieden hatten, weil sie wegen ihres Tiefganges Königsberg nicht anlaufen, jetzt aber ihre Ladung in Pillau an die Eisenbahn abgeben konnten. So schien die Stadt gegen Ende des vorigen Jahrhunderts wenigstens noch ein bedeutender Umschlagshafen zu werden. Doch mit des Geschickes Mächten ist kein ew´ger Bund zuflechten und mit den Königsberger Kaufleuten auch nicht. Gar schnell fühlten sie sich wieder benachteiligt und gruben deshalb durch das Haff eine Fahrrinne, die es Schiffen bis zu 6 m Tiefgang ermöglichte, Königsberg anzulaufen, ohne in Pillau zu leichtern. Dieser Königsberger Seekanal, 1901 in Betrieb genommen, wurde nach dem Weltkrieg für Schiffe bis zu 8 m Tiefgang vergrößert und mit Beleuchtung versehen, so daß er sogar nachts befahrbar ist.
So blieb der alten Seestadt Pillau die Nutznießung des Seehandels versagt.  Wieder wurde sie in die karge Aschenbrödelstellung zurückgedrängt, aus der auch ,,Prinz Zukunft" kaum einen Ausgang finden dürfte. Dafür aber darf sich Pillau heute seinen Hafeneingang mit Minen zuwerfen lassen und die ersten Schüsse lösen, wenn die Feinde einmal näher kommen sollten. Es ist eben schwer, Seestadt zu sein, einen großen Bruder zu haben und trotzdem zu leben. -
15.00 Uhr: Wir treten den Rückmarsch nach Kiel an. Die See ist still und das Wetter ruhig, aber die Sonne hat sich verkrochen. Ein dichter Nebel ist aufgekommen. Er scheint hier mit zur Landschaf zu gehören. Langsam tasten wir uns aus dem Hafen, passieren die hohen, schattenhaften Umrisse des  K.d.F.-Schiffes ,,Robert Ley" und nehmen dann Kurs nach Westen. Auf der Back steht ein voller Strauß frischen Flieders, ein Abschiedsgruß von Pillau.
Der Nebel wird immer dichter. Ununterbrochen ruft unsere Sirene durch die milchige Luft. Zweimal ,,Langsame" fahren wir und steuern nur noch mit den Ohren. Von ferne röhrt uns ein anderes Schiff entgegen. Langsam fühlen und horchen wir uns heran. Endlich schiebt sich auf Sb.-Seite in nur 20 m Entfernung etwas Graues vorüber, vermutlich auch ein Schiff. Langsam schrauben wir uns weiter.
Im Heizraum sitzen die drei Stoker beim Skat. So angenehmen und ruhigen Betrieb haben sie lange nicht gehabt. Zweimal ,,Langsame", das hält man aus!
24.00 Uhr: Immer noch Milchsuppe.

18. Juni 1941 In See
11.00 Uhr: Endlich hat es aufgeklart. Warm und sonnig bricht der Tag durch den fallenden Dunst. Mit flotten 16 sm Fahrt geht es jetzt gen Westen. Nur ab und zu halten uns noch vereinzelte, schwache Nebelbänke vorübergehend auf.
Wenn wir noch einigermaßen Fahrt beibehalten können, werden wir in den späten Abendstunden Kiel erreichen. Mir soll es gleich sein. Ja, wenn ich es ganz ehrlich sagen soll, so gefällt es mir hier draußen auf See sogar noch besser. Eine richtige, schneidige Seefahrt kreuz und quer ist mir viel lieber, als in Kiel das ewige Gependel zwischen Hafen und Kieler Bucht. Aber wer fragt heute schon nach lieber. -


smutje505

Hallo Jürgen deine Berichte sind wieder  top top top :MG:
da möchte ich mit Bildmaterial beisteuern...

Albatros

Interessant die Beschreibung des Räumens von Minen und wie ich schon des öfteren feststellen konnte, als Soldat war man bei der Marine sieht man mal von den U-Booten ab am besten aufgehoben, erst recht wohl auf kleineren Einheiten.

:MG:

Manfred

smutje505

@Jürgen... hier habe ich noch zwei Bilder von Pillau(heute Baltisk) und eins vom KdF-Schiff "Robert Ley" aber in Hamburg.

smutje505

Habe noch 2 Bilder von Baltisk gefunden,nur 1966 stand noch Lenin vor dem Leuchtturm.

Blinki

Wieder schöne Bericht und auch eindrucksvolle Fotos dazu.

Danke Euch Zwei! :MG:

Seekrieg

19. Juni 1941 In See - Kiel
00.50 Uhr: Ankern vor der Kieler Sperre.
00.50 Uhr bis 02.45 Uhr Fliegeralarm.
04.00 Uhr: Weitermarsch.
05.00 Uhr: In Kiel festgemacht.
05.30 Uhr: ,,Feuer aus". Hafenbetrieb. -
[J.P.] 19. Juni: Der Volkskommissar der Roten Flotte, Adm. Kusnezow, verkündet die Alarmstufe 2.*J. Pikalkiewicz: Seekrieg

20. Juni 1941 Kiel
Wie gestern, so begann auch heute der Tag bereits um 00.50 Uhr mit Fliegeralarm. Zum Glück war es recht neblig, so daß die zahlreichen Leuchtbomben im Dunst versackten und sich nur wie harmlose Glühwürmchen ausnahmen. So mußte der Tommy lange nicht, wo er ansetzen sollte. Er brummte über eine Stunde über uns herum und zog dann unverrichteter Dinge wieder ab. Wahrscheinlich hat er nach der ,,Tirpitz", unserem größten Schlachtschiff gesucht.
Tagsüber lagen wir wieder im Hafen, überholtem unser Boot und nahmen einige Reparaturen vor, wie sie nach einer längeren Fahrt gewöhnlich nötig sind.
Auch allerhand Schreibereien sind angefallen, die ihrer aktenmäßigen Verarbeitung harren. Ernst knobelt gerade über dem Maschinentagebuch und Wilhelm berechnet den Kohlenverbrauch. Ich setze mich zu ihnen und rechne mit. 70 t Kohle hat uns die Fahrt nach Pillau gekostet. (Kiel - Pillau 340 sm)
70 t, das ist der ungefähre Jahreskohlenbedarf von 25 Haushaltungen. Wir haben ihn in einer Woche verkachelt. Der Verbrauch pro Seemeile beträgt mithin etwa 2 Zentner und kostet, über den Daumen gepeilt, 2 Mark. Billiger kann eine Privatfirma auch nicht arbeiten!

21. Juni 1941 Kiel
Die Reparaturarbeiten werden fortgesetzt. Auch die Kessel werden neu gemauert. Sonst an und hinter den Fronten nichts Neues.
[J.P.] Kusnezow: ,, Am 21. Juni, um 23.15 Uhr hat der Befehlshaber der Baltischen Flotte von mir den mündlichen Befehl bekommen, zur Alarmstufe 1 überzugehen und im Falle der Bedrohung von den Waffen Gebrauch zu machen." Ab 23.30 Uhr legen deutsche Minenschiffe eine Minensperre zwischen dem Fanö-Fjord und Dagö (Finnischer Meerbusen), eine zweite etwa 30 Seemeilen östlich davon. Die Arbeit der beiden Gruppen wird von einem sowjetischen Schlachtschiff und einigen Zerstörern aus beobachtet.* . Pikalkiewicz: Seekrieg

22. Juni 1941 Kiel
Nun ist auch im Osten der Vorhang zu dem großen Kriegstheater aufgezogen worden. Der erwartete neue, große Kriegsschauplatz hat sich aufgetan. Unser Heer marschiert in die Sowjet-Union ein.
An der Pier gelegen. -

11. Der Sommer und seine Sorgen.

23. Juni 1941 Kiel
Im Hafen. - Reparaturen und Arbeitsdienst. Abends Umtrunk und festliche Tafelrunde anläßlich der Beförderung unserer seemännischen Nummer I zum Oberbootsmannsmaaten. Ein fürchterliches Wort. Trotzdem, unser Ossi freut sich und ist glücklich, daß er nach zehn langen Dienstjahren endlich bis zu diesem hohen Dienstgrad vorgedrungen ist, und daß, obwohl er nach eigenen Angaben stets im dritten Glied gestanden hat und nur während der Dienstzeit austreten war. Und das will viel heißen und erfordert die innere Disziplin eines ganzen Mannes; denn manchmal kommt es einem ja schließlich auch in der Freizeit an. Er verspricht uns trotz dieses Zuwachses von 5 cm Litze stets der alte zu bleiben und immer Kamerad vom Scheitel bis zur Sohle, eingedenk des Grundsatzes, daß Diensteifrigkeit schön ist, aber immer einen Mangel an Kameradschaftlichkeit voraussetzt.

24. Juni 1941 Kiel
01.25 Uhr: Wieder einmal Fliegeralarm. In 4 000 m Höhe kreisen sechs Bomber über uns. Die Scheinwerfer sind gut, aber in solchen Höhen läßt sich der Feind nur schwer fassen. Trotzdem schlägt ihm starkes Abwehrfeuer entgegen. Die ,,Tirpitz", die gleich neben uns an der Pier liegt, schaltet sich auch mit ein und entwickelt einen Feuerzauber, daß einem Hören und Sehen vergeht.
Es dauert etwa eine Stunde, bevor wieder Ruhe eintritt. Bombenwürfe haben wir keine beobachtet, aber über Klein-Kiel sollen Luftminen niedergegangen sein, und die haben es bekanntlich auch in sich.
08.00 Uhr: Wir nehmen unsere Schulfahrten wieder auf. Eigentlich hatten wir erwartet, daß man uns noch einmal einsetzen würde. Diese Spekulation erweist sich scheinbar aber doch als irrig. Belassen wir es also vorläufig weiterhin beim harmlosen Training. Vielleicht ruft man uns später noch einmal.

25. Juni 1941 Kiel
Langsam werden die nächtlichen Fliegerangriffe zur gewohnheitsmäßigen Selbstverständlichkeit, und man registriert sie beinahe nur noch aus Gründen statistischer Vollzähligkeit. Die Zeiten, wo man am Morgen nach einem nächtlichen Fliegrangriff die Flaksplitter an Deck als eine Rarität zusammenklaubte, sind längst und endgültig vorüber.
Also: 00.50 Uhr bis 02.30 Uhr Fliegeralarm. Bomben im Hafengelände, Brände in der Stadt, ein Abschuß.
Tagsüber Schulfahrt. In der Förde und Strander Bucht einlaufender Schiffsverkehr und zahlreiche Schiffsansammlungen als Folge des deutsch-sowjetischen Krieges. Die Ostsee ist wieder einmal leergefegt.

26. Juni 1941 Kiel
01.00 Uhr bis 03.00 Uhr Fliegeralarm. Feuerschein über der Stadt. Keine Abschüsse.
Schulfahrt. -

27. Juni 1941 Kiel
Von 00.40 Uhr bis 02.30 Uhr Fliegeralarm. Bombenwürfe in Stadt und Hafen. Ein Abschuß bei Stein. Tagsüber Fahren für die Schule.
An solchen leeren Tagen ist ein Brief von daheim immer noch das größte und schönste Erlebnis. Gertrud schreibt: ,,Wie sehr uns die steten, bangen Sorgen immer quälen, kann uns ja niemand nachfühlen, am wenigsten die, die niemanden im Felde haben. Dabei klagen aber gerade diese Leute am meisten. Sie jammern über die Markenwirtschaft, machen sich Sorgen, wie sie den Tag am besten und gottesfürchtigsten hinbringen und kommen sich recht bedauernswert vor."

28. Juni 1941 Kiel
Im Hafen. Nachmittags war ich an Land. Für den morgigen Sonntag hat man mir die Funktion des B.d.W. in die Hand gedrückt, und so wollte ich mir wenigstens heute ein paar Stunden Landluft vergönnen.
Wenn ich dann aber wieder an Bord zurückkehre, dann frage ich mich immer: Warum bist du eigentlich an Land gegangen? Man findet doch weder Erholung noch Entspannung. Die vielen zerstörten Häuser vergällen einem doch jede Freude. In der Gegend der Bergstraße, wo vor kurzem eine Luftmine niedergegangen ist, stieg ich wieder über endlose Haufen von Schutt und Glas. Mein Stammcafé ist auch zerstört, ein zweites noch nicht wieder eröffnet, und erst in der dritten Konditorei bekam ich für Geld, Marken und gute Worte ein ganzes Stückchen Kuchen. Dabei ist der Besuch einer Konditorei für viele von uns der Grund zu einem Landgang. So pendelt man zwischen Boot und Land einher und überlegt, was von beiden das kleinere Übel ist. -

29. Juni 1941 Kiel
Nun ist der Sonntag auch vorüber. Viel Neues hat er nicht gebracht. Die einzige Störung brachten ein paar feindliche Flieger, die zwischen 16 und 17 Uhr einflogen und die Gegend unsicher machten. Für mich verlief der Tag im Übrigen ruhig, obwohl ich den ganzen Tag Bootsmaat der Wache gespielt habe. Die Bootsmannsmaatenpfeife ist dabei das Wichtigste. Auf ihr kann man ein hohen und ein tiefen Ton blasen. Außerdem kann man den Ton mit der Zunge zu einem Triller variieren. Es ist wie bei einer Oper die ,,Ouvertüre". Jeder Befehl wird durch eine bestimmte Klangfolge eröffnet.
Unbedarfte könnten denken, daß der Bootsmaat früh beim Wecken Rücksicht nimmt. Der hohe Ton wird zunächst leise gepfiffen, es wird ,,gelockt". Doch dann schwillt der Ton an und das hohe ,,Zirpen" ist nicht mehr zu überhören. Es treibt auch den Schläfrigsten, wenn auch widerstrebend, hoch. Die Flaggenparade um 20.26 Uhr klappte bei mir einigermaßen. Hier besteht nämlich die Schwierigkeit darin, beim Pfeifen mit der Bootsmannspfeife den Ton solange auszuhalten, bis die Flagge hernieder geholt ist, und dann mit einem solennen (feierlichen) Trillerschwänzchen zu schließen. Dazu reicht mir aber normalerweise die Puste nicht aus. Ich pfiff deshalb nur die erste Hälfte, und als der Ton dann blasser wurde, blendete sich unser Bootswachtmeister, versteckt in der Telefonzelle, ein und pfiff für mich die zweite Hälfte durchs offene Bullauge. Diese Täuschung gelang so fein, daß diese akustische Nahtstelle nicht einmal der Obersteuermann wahrnahm, der beobachtend in der Brückennock lehnte und den ich rechtzeitig zu wittern das Glück hatte. Dann aber sank rasch die Abenddämmerung hernieder und die eintretende beschauliche Ruhe schob mich bald wieder auf private Gleise. Ich kletterte in meine Funkbude, gleichzeitig mein Studierzimmer hoch und schmökerte in interessanten, geschichtlichen Quellen. Und darüber ging der Tag dann vollends zur Neige.

30. Juni 1941 Kiel
Im Hafen. Gegen 13 Uhr Fliegeralarm. Zwei Staffeln von je drei Bombern ziehen über uns hinweg. Müdes Abwehrfeuer schlägt ihnen entgegen. Unsere Flak scheint es noch gar nicht für möglich zu halten, daß es feindliche Flugzeuge sind. Aber da fallen auch schon die Bomben und wieder mitten in die Stadt. Möchte wissen, wo nur unsere Jäger bleiben.
Abends an Land. Wieder sind drei Häuser zerstört. In den Straßen gähnen wieder tiefe Bombentrichter. Verbogene, aus den Bettungen gewuchtete Straßenbahnschienen sperren den Verkehr. Es riecht nach trockenem Mörtelstaub und Leuchtgas. 26 Bomben sollen gefallen sein.
Eine Sondermeldung besagt, daß von 12 nach Kiel eingeflogenen Bombern neun abgeschossen worden seien. Aber davon stehen unsere Häuser nicht wieder auf und unsere Toten auch nicht.

1. Juli 1941 Kiel
Fahren für die Schule. Thema: Wasserbombenwerfen und –  Fischen.
Bilanz:   10 Wabos           a 400,00 RM    = 4000,00 RM
       +   42 kg Fisch       a     0,23 RM    =      9,89 RM
                         - 3990,11 RM

2. Juli 1941 Kiel
Im Hafen. - Unser elektrischer Lötkolben, für uns Funker ein unentbehrliches Werkzeug, ist durchgebrannt. Was lag näher, als bei der nächsten vierteljährlichen Anforderung für Verbrauchsstoffe auch einen Heizwiderstand für unseren Lötkolben mit zu bestellen, um den kleinen Schaden gleich selbst zu beheben. Leider macht uns die Verwaltung wieder einen Strich durch unsere glatte Rechnung. Sie beruft sich auf § X der Verordnung sowieso, nach der uns einzelne Ersatzteile nicht zustehen und entstandene Schäden zur Behebung der Werft zuzuweisen sind, notfalls mit dem Vermerk des Dringlichkeitsgrades.
Schön, auch daran gewöhnt man sich mit der Zeit. Unbegreiflich aber finde ich es, daß man dann ausgerechnet auf den Flur vor diesen Amtsstuben die Wand mit einem Bilde schmückt, das gewissermaßen als Aushängeschild den gewaltigen und löblichen Unterschied zwischen dem alten Amtsschimmel und dem neuen Zeitgeist herausstreichen soll. Das Fresko vergleicht nämlich den schwerfälligen Amtsapparat von einst mit einem schweren, unförmigen Pferdegöpel, vor den jetzt der neue Geist, verkörpert durch ein edles Roß, gespannt wird. Es legt sich sofort feurig und so stark in die Seile, daß sie reißen. Freudig und befreit galoppiert es davon. Diesen Augenblick hält der Maler im Bilde fest, und er mag für den oberflächlichen Betrachter und die anwohnenden Federfuchser etwas Bestechendes und Erhebendes haben, und das ist wohl auch der Sinn dieser Malerei und ihr tieferer, ökonomischer Zweck.
Trotzdem kann ich mir die logische Feststellung nicht verkneifen, daß hinter dem davongaloppierenden, neuen Geist der Amtsapparat, der sich bislang, wenn auch langsam, immer noch drehte, nunmehr vollends stehen bleibt.

3. Juli 1941 Kiel
Wieder fahren für die Sperrschule. - So vergehen nun die Tage. Schon hat das Jahr seinen sommerlichen Höhepunkt erreicht. Der lichtblaue Himmel ist weit und breit ohne jedes Wölkchen und der klare Silberspiegel der See, auf dem der schwere Glast der grellen Sonne liegt, ist bis zum fernen Horizont ohne jede Welle. Ringsum ist stille Ausgeglichenheit und tiefer Friede. Nur dem Herzen fehlt jede Ruhe. Es schlägt immer noch hastig, bang und schwer. Wie lange noch? -

4. Juli 1941 Kiel
Bei diesigem Wetter und vereinzeltem Sperrfeuer von 01.40 Uhr bis 02.45 Uhr  Fliegeralarm. – Tagsüber Übungsfahren und Evolutionieren im Verbande.
Tage kommen und gehen, Kameraden auch. Bald wird dieser, bald jener abkommandiert. Andere nehmen ihre Plätze ein. Sie akklimatisieren sich, und bald ist wieder alles beim alten.
Die Tage gleichen sich wieder und die Kameraden auch. Von uns Unteroffizieren sind Maschinenmaat Opitz und Steuermannsmaat Kolbe abkommandiert worden. Es waren zwei ruhige und angenehme Kameraden, deren Interessen ganz im Dienstlichen und Fachlichen lagen, und die ihre Kreise stets so zogen, daß sich keine Schlingen bildeten. An  ihre Stelle traten die beiden jungen Maate Kurt Klipp und Hans Rodewald, unkomplizierte Naturen, die sich leicht in unserer Atmosphäre auflösten. Im Übrigen sind sie mehr an Land als an Bord und mit Vorliebe nächtlichen Offenbarungen zugetan.
Besonders Kurt mit seiner Windhundnatur ist es gegeben, sich rasch und unauffällig von der straffen Leine des Dienstes zu lösen und ein ungebundenes Dasein zu führen, was ihm allerdings schon nach wenigen Tagen den bezeichnenden Beinamen Fips eintrug. Zusätzlich wurde ihm dann noch die Bezeichnung Palavermacher zugesprochen, weil er, ohne sich dessen bewußt zu werden, stundenlang flach plätschernd von sich und seinen angeblichen Erlebnissen palavern kann. Trotzdem passen sie ganz gut in unseren Kreis, und wir werden sie schon im Laufe der Zeit so ausrichten, daß sie unser Boot und unser Ansehen nicht in Mißkredit bringen und die große Linie auch in Zukunft gewahrt bleibt.

5. Juli 1941 Kiel - Kellenhusen
Am Vormittag war ich mit meiner Belegschaft in der Werft und im Arsenal, um unsere Vierteljahresanforderungen abzuholen und die vom Zeitgeist gestrichenen Heizplatten für unseren Lötkolben privatim zu besorgen. Nach vollbrachter Tat quirlten wir dann gegen 12 Uhr mit unserer Motorpinasse wieder zu unserem Boot im Scheerhafen zurück. Schon von weitem sahen wir mit Erstaunen, daß unsere Boote Dampf auf hatten. Aus allen Schornsteinen quoll dicker schwarzer Rausch steil in die flimmernde Sommerluft. Was mochte da heute zum Sonnabend Nachmittag noch eiliges anliegen? Wir beschleunigten den Schritt unserer Pinaß und eilten, um nicht zu spät zu kommen.
,,12.30 Uhr ist seeklar!", berichten die Kameraden, ,,und schuld daran ist das herrliche Sommerwetter. Da wollen wir das Wochenende nicht wieder im muffigen Wasser des Hafens und im Schatten der Pier verbringen, sondern den Sonntag einmal nach eigenem Gutdünken gestalten." So kneifen wir denn der Sperrschule einfach aus. -
Pünktlich 12.30 Uhr legen wir ab und paddeln in den sommerlichen Tag hinein. Wir zwängen uns durch den Fehmarn-Sund und steuern dann südlich den Bädern der Lübecker Bucht zu. Vor Kellenhusen scheren wir als erstes Boot aus unserem Verband aus und halten auf die Seebrücke zu, während ,,Arkona" und M 129 noch einige Seemeilen südlicher ziehen.
Wir müssen sehr vorsichtig navigieren und drei Anläufe fahren, um bei dem flachen Wasser nicht auf Grund zu geraten. Schon jetzt ist die zuvor noch so klare See vom aufgewirbelten sandigen Grund vollkommen getrübt.  Interessiert schauen die zahlreichen Badegäste, die bei unserem Herannahen auf die Brücke geeilt sind, den Anlegemanövern zu. Endlich gelingt es uns, wenigstens mit einer Ecke an die Brücke heranzukommen und uns festzuhalten. Es ist 18.20 Uhr. Die Maschine wird abgeklingelt. Das Wochenende kann beginnen.
Großzügig und bevölkerungspolitisch weltblickend gibt der Kommandant Urlaub bis 02.00, bzw. 7.00 Uhr. Im Handumdrehen ist die Besatzung an Land und das Boot leer. Nur ich gammle noch an Bord herum und lasse mir Zeit. Zeitlassen gehört nach meiner Auffassung auch mit zum Genuß des Wochenendes. Außerdem ist es erst 19 Uhr. Bis morgen früh um 7 Uhr verbleiben mir immer noch zwölf Stunden. Soviel Zeit brauche ich nicht. Als Funker arbeitet, schaltet und trinkt man schneller. Ich werde schon noch auf meine Kosten kommen. Zuvor aber muß ich noch einen nicht ungeschickt unternommenen Angriff des B.d.W. zurückweisen, der mir durchaus seinen Posten andrehen will. Dann stärke ich mich mit einem frugalen Abendbrot und verlasse schließlich lt. Urlaubsbuch 21.25 Uhr das Schiff.
Zunächst geht es die lange Seebrücke entlang. Rechts und links von der Brücke ist Wasser. Ein Geländer zu beiden Seiten hindert einen am Hineinfallen. Es ist fest. Morsche oder lecke Stellen, wie in Dünkirchen etwa, sind nicht vorhanden. Man muß das sicherheitshalber immer vorher untersuchen und feststellen; denn man weiß nie, wann und in welchem Zustand man wieder an Bord zurückkehrt.
Von der Seebrücke kommend, stößt man rechtwinklig auf die sogenannte Promenade, einen 2 m breiten zementierten Wegstreifen längs des Strandes. Dahinter liegt,  eingebettet zwischen Bäumen und dunklen sommerlichen Grün der Ort mit seinen Hotels, Pensionen und kleinen, mit Schilf gedeckten, bzw. getarnten Fischerkaten.
Jetzt, zu dieser vorgerückten Abendstunde, ist der Strand natürlich verlassen, und die Strandkörbe sind leer. Was der Badeort an Belegschaft aufzuweisen hat, zeigt sich entweder lustwandelnd auf der Promenade, oder sitzt in seriöser Zurückgezogenheit in den zahlreichen Lokalitäten der Strandbasars.
Schon lange halte ich Ausschau nach meinen Kameraden. Bisher aber vergebens. Nicht einen kann ich entdecken. Sicher sind sie schon irgendwo untergeschlüpft. Ich verlasse mich deshalb nur noch auf mein Gehör und schlendere mit gespreizten Ohren weiter. In der Strandhalle, fast am Ende des Ortes, scheint der Rabatz am größten zu sein. Hier werde ich, nach marinemäßiger Voraussicht, auch am ehesten auf meine Kameraden stoßen. Dies erweist sich indessen als sehr schwierig; denn das Lokal ist wegen Überfüllung geschlossen, und der Hausdrache vor dem verschlossenen Schott läßt zwar jeden heraus, aber niemanden hinein. Ich fahre deshalb einen Überrumplungsangriff und sage in forschem militärischen Ton: ,,Wehrmachtsstreife, mein Fräulein!", während ich meine Erkennungsmarke aus dem Busenlatz nestle und sie der angejahrten Dame wie eine Polizeimarke unter die bartumflorte Stupsnase halte. Das wirkte. Ein Schlüssel dreht sich. Das Schott geht auf und ich bin im Lokal. 1:0 für mich!
Es ist tatsächlich alles überfüllt. Doch dort sitzen die Kameraden, und wo sie sind, da ist auch Platz für mich. Es ist zunächst etwas schwierig, unseren kriegerischen Ton und Elan auf die Ruhe und Bedächtigkeit des Badeortes abzustimmen. Allmählich aber gelingt es uns. Die jüngeren Kameraden kommen in Tuchfühlung mit anderen Geschlecht und wir älteren in alkoholischen Kontakt. Wir verleben einen unterhaltsamen Abend, trotten dann mit etwas Schlagseite an Bord zurück und schlingern langsam und unmerklich vom Sonnabend in den Sonntag hinein. Und das war ja beabsichtigt.

6.Juli 1941 Kellenhusen
Es ist merkwürdig, aber es ist so. Auch der standhafteste Seemann, den draußen auf See kein Sturm aus den Angeln heben kann, der verliert gewöhnlich allen Halt, sobald er seinen Fuß an Land setzt, und so ist es dann passiert.
Da hat doch so ein kleiner Matrose heute nacht sein Mädel so lieb gewonnen, daß er glaubte, er müsse zur Beteuerung seiner Liebe unbedingt Blumen sprechen lassen. Nun sind aber auch in einem Badeort die Läden nach 24 Uhr dicht. Also mußten auf einem anderen Wege irgendwie Blumen ,,besorgt" werden. Das bedeutet aber im Sprachgebrauch der Marine bekanntlich die Heranschaffung des gewünschten Gegenstandes mit allen Mitteln und ohne Rücksicht auf eventuelle Verluste. Hatten also die Blumengeschäfte geschlossen, so waren doch die Blumenbeete noch offen. Und so hat denn der besagte Herr, entsprechend der Größe seiner Liebe, wohl das halbe Blumenbeet eingepackt.
Wie es sich im einzelnen abgespielt hat, weiß man natürlich nicht. Jedenfalls aber soll es, nach dem zorngeröteten Gesicht und den wild fuchtelnden Gebärden zu schließen, mit denen der Besitzer des Strandhotels unseren Kommandanten noch in der Nacht zur Rede stellte, einfach furchtbar gewesen sein. Zugegeben, daß wir nicht nur einen ,,Störtebecker" an Bord haben, so hat dieser jammernde Ankläger doch sicher noch nichts vom Krieg gesehen; denn sonst hätte er sich wegen ein paar abhanden gekommener Blumen nicht bis zu dem Worte ,,furchtbar" verstiegen. Aber diese Betrachtungen haben ja nun alle keinen Sinn. Jetzt nimmt das Schicksal seinen Lauf.
,,10.30 Uhr die gesamte Besatzung auf dem Achterdeck antreten!" Die Sonne hat sich verkrochen. Dunkle Wolken machen sich breit. Sogar der Himmel scheint gegen uns zeugen zu wollen. Der Kommandant kommt. Mit harten Worten gibt er das peinliche Vorkommnis bekannt und fordert den Sünder auf, sich anschließend bei ihm zu melden. Anderenfalls, und seine Stimme nimmt einen grollenden Unterton an, sei er, um eine Wiederholung derartiger Vorkommnisse zu unterbinden, zur Verhängung einer allgemeinen Urlaubssperre gezwungen. –  ,,Wegtreten!" –
Ich weiß nicht, wer die Worte des Kommandanten auf die Seebrücke gehoben und von dort an Land getragen hat. Tatsache ist jedenfalls, daß die interessierten Kreise Kellenhusens eine halbe Stunde später bis ins einzelnste unterrichtet waren und die entsprechenden Gegenmaßnahmen sofort in Szene setzten. Man hatte klar erkannt, daß die Angelpunkte in dieser Affäre einmal unser Kommandant und zum anderen der Besitzer des Strandhotels waren, und hier galt es die Hebel der Befreiung anzusetzen. Lag uns die Bezwingung des ersteren ob, so machten sich die Kellenhusener, voran die jüngeren weiblichen Jahrgänge anheischig, den Strandhotellist zu Fall zu bringen. An beiden Fronten verliefen denn auch die konzentrischen Angriffe planmäßig.
An Bord nahmen sie folgenden Verlauf: Obwohl es in keiner Weise geklärt  und auch jetzt noch nicht bekannt ist, wer sich nun eigentlich der Blumen bemächtigt hat, vorausgesetzt, daß es überhaupt jemand von unserem Boot war, so meldeten sich doch sofort nach der verhängnisvollen Bekanntgabe am Vormittag unabhängig voneinander drei Mann beim  Kommandanten, die angaben, daß sie die Blumen dringend benötigt und deshalb den Unfug angestellt hätten. Ein schöner Beweis dafür, daß der deutsche Soldat auch in aussichtsloser Lage selbständig eigene Entscheidungen zu treffen und zu handeln vermag, und zum anderen, daß die Dosis an Edelmut und Kameradschaftlichkeit niemals zu groß genommen werden darf; denn allen dreien wurde der Umstand zum Verhängnis, daß sie die Frage des Kommandanten, was für Blumen und aus welchem Garten sie diese genommen hätten, nicht glaubhaft zu beantworten wußten. Keiner von ihnen hatte mit dieser, für einen Kommandanten immerhin beträchtlicher Pfiffigkeit gerechnet.
So kam es denn, daß der Kommandant den Vierten überhaupt nicht mehr vorließ. Immerhin aber war durch diesen dreieinhalbfachen Vorstoß die Stellung des Kommandanten schon stark angeschüttert, und den Rest mag ihm dann der Blumenbeet-Bankrotteur vollends gegeben haben, der kurz nach Tisch an Bord einscherte. Die Badegäste hatten ihm nunmehr genügend zugesetzt. Vielleicht dachte er auch an Boykott und zerbrochene Fensterscheiben. Er zog jedenfalls seine nächtlichen Anschuldigungen wieder zurück. Bei Licht besehen wäre alles nur halb so schlimm, und wir sollten um Gottes Willen nicht ihm und dem Badeort unsere Anwesenheit entziehen. Der Kommandant hob daraufhin die Urlaubssperre auf und M 575 siegte wieder einmal klar. -
15.00 Uhr: An Bord wimmelt und kribbelt es von Badegästen und Besuchern. Der Kommandant hat das Schiff zur Besichtigung freigegeben. ,,Die Besucher auch!", meint Störtebecker und verschwindet sofort mit jemandem im Dunkel der Minenlast. Trotz dieser handgreiflichen Gefahren hält der Ansturm unentwegt an. Jung und alt, Männlein und Weiblein, kurz, was nur irgendwie krauchen kann, klettert auf unser Boot. Der Leitende steht an der Reling und versucht den Verkehr zu regeln. Lange hält er es aber nicht aus. Von der Schußwaffe darf er doch keinen Gebrauch machen, und so läßt er lieber den Ansturm und dem Schicksal seinen Lauf. ,,Lauter Frauen und nicht eine Dame", stellt er noch mit Verbitterung fest und wendet sich dann zur Flucht. Seine gerötete Nase deutet die Richtung an.
Unterdessen ist das Getriebe an Bord noch größer geworden. In keinem einzigen Raume ist man mehr sicher. Man kann weder eine Stiege herauf noch einen Niedergang hinunter. Nicht einmal in der eigenen Hose kann man sich noch umdrehen. Unter diesen Umständen ist es am besten, man rettet sich an Land. Zwei Kameraden nehmen mich mit und versprechen mir, auf mich aufzupassen. So gesichert kann mir schwerlich etwas zustoßen, und sorglos und behütet wie selten, überlasse ich mich nunmehr ganz dem Sonntag. Ich weiß, daß es klargehen wird.

7. Juli 1941 Kellenhusen - Dahme
09.00 Uhr: Strahlend steht die Sonne an lichten Sommerhimmel. Trotzdem ist seeklar befohlen. Weh, daß wir scheiden müssen!
Vorsichtig beginnen sich die Schrauben zu drehen. Weiß quirlt am Heck das schäumende Wasser und grau der sandige Grund. Schade, eben konnte man noch durch das klare Wasser bis auf den flachen, gelben Grund sehen und die zahlreichen Kotelettknochen zählen, die vom gestrigen Sonntagsbraten übrig geblieben waren. Auch ein zerbrochener Teller lag dazwischen. Wilhelm hatte ihn beim Essen zerschnitten.
Langsam lösen wir uns über den Achtersteven von der Brücke und versuchen freies Fahrwasser zu gewinnen. Zahlreiche Zuschauer haben sich eingefunden und winken uns zum Abschied zu. Wir bleiben ihnen nichts schuldig und hoffen, bald wiederkommen zu können. Dann segeln wir mit nördlichem Kurs davon.
Bald tauchen voraus unsere beiden Kameraden ,,Arkona" und M 129 auf. Sie streben, gleich uns, dem vereinbarten Treffpunkt zu. In einer guten halben Stunde ist die Flottille wieder vereinigt und geht im Päckchen vor Anker. Bei der ruhigen See läßt sich das leicht machen. Das Wasser ist spiegelglatt und still liegt der Abglanz der Sonne über der schimmernden Weite.
Unseren Kameraden auf den beiden anderen Booten die in den benachbarten Badeorten zu Gast waren, hat es ebenfalls ausgezeichnet gefallen. Ja, es war so schön, daß sich der Flottillenchef veranlaßt sieht, aus der Summe der günstigen Umstände den einzig möglichen Schluß zu ziehen. Er erliegt der militärischen Notwendigkeit und befiehlt, sofort beizudrehen und der nahen Küste wieder zuzustreben. Gesagt, getan.
Bald standen wir vor dem Seebad Dahme und gingen auf flachem Grunde vor Anker, da wir uns an die Seebrücke selbst, die zudem recht baufällig war, auch beim besten Willen nicht heranpirschen konnten. Um 11 Uhr gab es bereits Mittagessen und anschließend Landurlaub bis 16 Uhr. Bis dahin aber sollten wir wieder zurück sein; denn dann wollten wir endlich den Rückmarsch nach Kiel antreten.
16.00 Uhr:  Weil es so schön ist und die Aussichten so verlockend sind, wird seeklar belegt und auf 24 Uhr verschoben. Im nächsten Augenblick flitzt unsere Pinaß wieder zwischen Boot und Land hin und her und zehn Minuten später ist es an Bord wieder wie ausgestorben. Die meisten Kameraden bleiben aber nicht hier in Dahme, sondern eilen spornstracks ins benachbarte Kellenhusen, um dort die angeknüpften Beziehungen lieblicher Natur fortzuspinnen und wenn möglich zu vertiefen. Das ist die oft geschmähte treue Liebe der Matrosen! Die Kellenhusener sind glücklich. -

8. Juli 1941 Dahme -  Kiel
00.30 Uhr: Die Ankerwinden kreischen. Durch die großmäuligen Ankerklüsen haspeln polternd die schweren Ankerketten. Langsam beginnen die Maschinen zu stampfen. Wir lösen uns von dem gastlichen Gestade und treten den Rückmarsch nach Kiel an.
Der Mond ist aufgegangen und zieht eine lange, glitzernde Straße über die nächtliche See. Von ferne blinzeln uns die beiden Leuchtfeuer von Dahmes Hoved und Pelzerhaken zu und weisen uns den Weg durch die stille, laue Sommernacht. Es ist die dritte, die wir durchwachen. Der Leitende hat schon recht, wenn er sagt: ,,Der Dienst bei der Kriegsmarine ist immer schwer und anstrengend."
Gegen 6 Uhr laufen wir in Kiel ein. Zwei Stunden später ist unser Boot wieder seeklar. Pünktlich und programmgemäß beginnen wir mit unserer Fahrt für die Sperrschule um 8 Uhr. Sie dauert wie üblich bis gegen 17 Uhr. Anschließend sind wir Wachboot. Das hat sein gutes; denn auf diese Weise brauchen wir heute wenigstens einmal nicht an Land zu gehen, und können uns einmal etwas zeitiger niederlegen. Müde sind wir ja, und verdient haben wir es auch.

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