1991 - Verabschiedung russischer Marineeinheiten aus Sassnitz

Begonnen von olpe, 15 Februar 2012, 23:28:53

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olpe

Hallo,
von @ der erste habe ich einen YouTube-link über die Verabschiedung russischer Marineeinheiten aus Sassnitz in 1991 erhalten. Dieser stammt von einem russischen Freund, der in dieser Abteilung gedient hat.
Es handelt sich hierbei um Filmaufnahmen (Länge knapp 2 h), die die Ausfahrt eines der U-Boot-Jäger vom Projekt 204 (NATO: FF der POTI-Klasse) zeigen (mit Innenaufnahmen über den Seedienst), die Verabschiedung 1991 in Sassnitz mit Teilnahme von Offizieren und Mannschaften der Bundesmarine (vielleicht sind Bekannte darunter  :-)) sowie das Einlaufen in Baltiysk (Pillau). Der Film ist in russisch und teils in deutscher Sprache ... es lohnt sich, diesen anzusehen ... trotz mancher langgezogenen Szenen ... Es ist ein Zeitdokument nicht nur der russischen (Marine)Geschichte, auch der deutschen ...

1991 - Sassnitz
Vielleicht kann @ hillus noch einige Ergänzungen zur Basierung, Dislozierung und Strukurierung der Abteilung/Brigade machen  :MG:

Grüsse
OLPE

hillus

#1
Moin Olaf und die ganze Forumsgemeinde,

ich soll also den Ball aufnehmen, und die Anfangsgedanken weiterführen. Gern geschehen, noch dazu wenn es von Dir kommt, lieber Olaf. Das Video habe ich mir reingezogen und viele interessante Dinge entdeckt. Der POTI, um den es hier geht, hat die PN 252, die nur kurz im Film an der Gangway zu sehen war. Das war wichtig, denn nun kann ich meine Aufzeichnungen damit koordinieren.

Wie war es also damals bei der Verabschiedung der letzten zwei Einheiten der sowjetischen Seekriegsflotte am 15.07.1991 in Saßnitz auf der Insel Rügen??

Neben meinen Unterlagen werde ich Teile meines Berichtes dem Buch meines lieben guten Freundes Berhard W. Mroß, Kapitänleutnant a.D. und Dolmetscheroffizier a.D. der Deutschen Marine, "Sie gingen als Freunde...Der Abzug der Westgruppe der sowjetisch-russischen Truppen 1990 - 1994", entnehmen. Ich sprach noch heute Morgen mit ihm und er gestattete mir die Auszüge. Vom 03.10.1990 bis zum 01.10.1994 war er als Offizier der Deutschen Marine als Dolmetscher des Befehlshabers Bundeswehrkommando OST, Generalleutnant Jörg Schönbohm und des Beauftragten der Bundesregierung für den zeitweiligen Aufenthalt und planmäßigen Abzug der sowjetischen/russischen Truppen aus Deutschland, Generalmajor Hartmut Foertsch, eingesetzt. Seine Erinnerungen schrieb er in dem o. g. Buch nieder. Leider verstarb Generalmajor Foertsch viel zu früh am 19.02.2011.

Am 17.07.1991 wurde das letzte Kapitel des Abzuges von Einheiten der sowjetischen Seekriegsflotte eingeläutet. In Saßnitz kam es zur Verabschiedung der letzten beiden Boote mit der PN 217 (PETYA-mod -Klasse) und der PN 252 (POTI-Klasse). Sie wurden begleitet von zwei Minensuchbooten und drei Mi-14-Marinehubschraubern (NATO Code HAZE) der deutschen Marine, ehemals Volksmarine. Die Verabschiedung wurde vom Kommandeur des Marinekommandos OST, Flottillenadmiral Otto H. Ciliax, Gästen und Einwohneren von Saßnitz vorgenommen. Von sowjetischer Seite war Vizeadmiral Anatolij Iwanowitsch Kornijenko, seines Zeichens Stellvertreter des Befehlshabers der Baltischen Flotte für politische Arbeit, anwesend. Er richtete ebenfalls Abschiedsworte an die Anwesenden.
Nach dem Abspielen beider Nationalhymnen liefen beide Boote unter der Begleitung von Marschmusik und ca. 140 Mann an Bord aus dem Hafen aus. An der Grenze der Territorialgewässer schoß der sowjetische Verband Salut, das die  beiden deutschen Minensucher mit dem Dippen der Flagge beantworteten. Die Hubschrauber drehten ab.

Beide sowjetischen Boote liefen zunächst den Hafen von Swinoujscie (früher deutsch Swinemünde) an, um dann weiter nach Baltijsk (früher deutsch Pillau) zu laufen. Es kam deshalb zu dieser Extraverabschiedung , weil beide Boote, die ebenfalls zur Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland (WGT) gehörten, im sogenannten 2+4 Vertrag zwischen Deutschland und der Sowjetunion schlicht und einfach vergessen wurden.

Die Unterstellungsverhältnisse der Saßnitzer Schiffe und Boote waren wie folgt:
1. Operativ waren die Einheiten dem Marinehauptquartier der Baltischen Flotte in Kaliningrad (früher deutsch Königsberg) unterstellt.
2. Versorgungstechnisch unterstanden sie der WGT.
3. Reparaturen erfolgten in der sowjetischen Garnison Kolobrzeg (früher deutsch Kolberg) in Polen.
4. Die in Saßnitz mit ihrem Abteilungsstab liegenden Einheiten, es waren nie mehr als drei!!, gehörten zur 24. Raketenschiffsbrigade, die im Hafen von Swinoujscie stationiert war.
5. Letzter Brigadechef der 24. Brigade war Konteradmiral Wladimir Jurjewitsch Korenkow und Korvettenkapitän Alekin war Kommandeur der 234. Sonderabteilung Überwasserkriegsschiffe in Saßnitz.
6. Noch vor der o.g. Verabschiedung erfolgte am 10.07.1991 der Abzug von zwei Truppenteilen in Form von Fernmeldestationen unter dem Kommando von Kapitän zur See Andrejew, die in Ranzow stioniert waren. Sie wurden in Hilfsschiffen der Baltischen Flotte außer Landes gebracht.
7. Insgesamt wurden neben den genannten zwei Kriegsschiffen die nachfolgenden Güter und Technik auf dem Seewege aus Deutschland abgezogen: 3305 Tonnen Material und technische Mittel, davon drei Tonnen Munition sowie 162 Kraftfahrzeuge und Sondertechnik.
Insgesamt kam es zum Abzug von fünf Marinetruppenteilen, der 234. Sonderabteilung Überwasserkriegsschiffe und der 22. Küstenraketenabteilung der Baltischen Flotte aus Deutschland.

Grüße aus Braunschweig

hillus


smutje505

Hallo Olaf und Hans Joachim danke für das Einstellen des Video's und den begleitenden Bericht  top :MG:

The Voice

Moin!
Damals haben ja viele ihre "2. Heimat" verlassen.
Ich hatte das Vergnügen, die Verladung und Verabschiedung von russischen Panzereinheiten in Wismar zu erleben.
Wir lagen zufällig mit zwei Einheiten im Hafen.
Beim Stadtbummel sahen wir Kampfpanzer, die mit der Bahn anrollten, um auf dem Seeweg Deutschland zu verlassen.

Hier kam es zu einer lustigen, aber auch nachdenklich machenden Begebenheit:

Die Deutsche Marine machte "Open Ship". Es war ein recht guter Besucherandrang.
Ich stand an der Stelling und sah einen russischen Panzersoldaten, der sich sehr intensiv unsere Einheit ansah.
Durch Handzeichen lud ich ihn ein, an Bord zu kommen.
Seine Reaktion: Weg war er wie ein Blitz!

Zehn Minuten später erschienen ein Leutnant und ein Oberstleutnant.
Der Leutnant, der gut Deutsch sprach, fragte mich, was ich von dem Soldaten gewollt hatte.
Wahrheitsgemäß antwortete ich ihm, dass ich den jungen Mann zur Besichtigung einladen wollte.
Dies übersetzte der junge Offizier dem Älteren, beide schienen mir jedoch nicht recht glauben zu wollen.
Daraufhin lud ich die beiden ein, als meine Gäste an Bord zu kommen.
Sie machten einen etwas erstaunten Eindruck.
Dann gab es eine komplette Bootsführung und am Ende einen Kaffee.
Als beide dann nach einer Stunde wieder an der Stelling waren, sagte der Leutnant:
"Und wir dachten, sie wollten den Soldaten zum Desertieren auffordern!"
Ich muss wohl ziemlich blöd geschaut haben, denn der recht finster blickende Oberstleutnant,
der die ganze Zeit nichts gesagt hatte, musste nun auch herzlich lachen.

Kleine Begebenheit in einer großen Zeit!
In God we trust - all others we track

Trimmer

- ja aber um an den Beitrag von "The Voice" an zu schließen. Habt Ihr mal genauer hingesehen wer da bei dem Bordfest war ? Nur Offiziere und Fähnrich - Dienstgrade habe ich erkannt. Das war schon zu DDR - Zeiten so. Bei Hilfsaktionen mußten die "Muschkoten " ran - bei der anschließenden Feier waren die Offiziere. Habe ich so sehr oft erlebt.

Gruß - Achim - Trimmer
Auch Erfahrung erhält man nicht umsonst, gerade diese muß man im Leben vielleicht am teuersten bezahlen
( von Karl Hagenbeck)

olpe

Zitat von: hillus am 16 Februar 2012, 10:15:19
Neben meinen Unterlagen werde ich Teile meines Berichtes dem Buch meines lieben guten Freundes Berhard W. Mroß, Kapitänleutnant a.D. und Dolmetscheroffizier a.D. der Deutschen Marine, "Sie gingen als Freunde...Der Abzug der Westgruppe der sowjetisch-russischen Truppen 1990 - 1994", entnehmen. Ich sprach noch heute Morgen mit ihm und er gestattete mir die Auszüge.
Hallo Jochen,
vielen herzlichen Dank für die Infos und die Mühe top ... einen lieben Dank auch an Kapitänleutnant a.D. Berhard W. Mroß ...  :MG:
So erhält der Film noch mehr Hintergrund ... vieles war auch mir nicht bekannt ...

Zitat von: hillus am 16 Februar 2012, 10:15:19
... im sogenannten 2+4 Vertrag zwischen Deutschland und der Sowjetunion schlicht und einfach vergessen wurden.
... unglaublich ! ...  :-D ... An jede Schraube hat man gedacht, aber die POTI's, an denen damals mehrmals am Tage die Schwedenfähren vorbei fuhren, fielen vertraglich hinten runter ...  :MLL:

Grüsse
OLPE

olpe

Zitat von: The Voice am 16 Februar 2012, 19:12:29
"Und wir dachten, sie wollten den Soldaten zum Desertieren auffordern!"
Ich muss wohl ziemlich blöd geschaut haben, denn der recht finster blickende Oberstleutnant,
der die ganze Zeit nichts gesagt hatte, musste nun auch herzlich lachen.
Hallo,
...   :O/Y ... hier trafen augenscheinlich nicht nur Welten, sondern auch völlig andere Denkweisen aufeinander ... Aber: auch der finsterst dreinblickende öffnet sich am Ende ...
Ich vermute, dass bei einem Gläschen Wodka an Bord sich die Laune noch schneller gewandelt hätte ...  :-D
Grüsse
OLPE

hillus

#7
Hallo,

ich gebe noch einen drauf, aber nicht bevor ich sage , was man erlebt hat, ist immer das Salz in der Suppe. Ich finde Deine geschriebenen Erlebnisse aus Wismar einfach umwerfend, danke Uwe. Über Wismar kommt nun auch was von mir.

Ich schrieb im ersten Beitrag, dass am 10.07.1991 auch zwei Fernmeldeeinheiten abgezogen wurden. Während die eine Einheit in Ranzow und nun ergänze ich, in Wiek und Lohme stationiert war, befand sich die andere Einheit in Rerik. Es war eine Radar-, Peiler und Aufklärungsstelle mit MARS-Geräten (maritimes Funknavigationssystem) und Geräten des SHD (Seehydrographischer Dienst) der Seekriegsflotte, die dem Hauptquartier der Baltischen Flotte in Kaliningrad unterstellt war. Diese Einheit wurde von Swinoujscie/Polen aus über den Grenzübergang Ahlbeck versorgt. Im Oktober 1990 sperrte Polen den Versorgungsübergang und es mußte die Versorgung über See erfolgen. Nach Auflösung der sowjetischen Garnison Wismar war dann diese Einheit zeitweise von jeglicher Versorgung von eigenen Stellen abgeschnitten. Es erfolgte ihre Versorgung durch die Deutsche Marine, die auch die ärztliche Vesorgung sicherstellte!!!
Der letzte Kommandeur dieser Einheit, Korvettenkapitän Wladimir Djablow, bat die Deutsche Marine um einen großen Kran zur Verladung des schweren Gerätes. Da sie aber nicht über einen solchen Kran verfügte, verwies der deutsche Befehlshaber Vizeadmiral Dirk Horten auf die Hilfe der WGT, also ihren eigenen Landststreitkräften. Diese Hilfe lehnte Djablow mit den Worten ab, "...das wären nur Landser und die Marine müsse doch zusammenhalten!" Letztlich mußte aber doch deren Hilfe in Anspruch genommen werden. Die Deutsche Marine konnte in Form eines Mi-14 Hubschraubers trotzdem helfen, der die Kuppel seiner Aufklärungsstation bergen konnte und auf einen Tieflader verlud. Von dort ging es nach Rostock und mit einem Schiff zurück in die Heimat.
Zuletzt sei noch angemerkt, dass diese Einheit in der letzten Zeit ihres Aufenthaltes mit Verplegungs-LKW's der Deutschen Marine aus Oldenburg (Schleswig-Holstein) versorgt wurde und auch teilweise der Kraftstoff über Rostock von der deutschen Seite organisiert wurde. Die Russen holten sich jede Woche ihre Ration in Rostock ab!!!

Ja, so war es gewesen, für beide Seiten nicht so einfach!!!

hillus

olpe

Zitat von: hillus am 16 Februar 2012, 21:52:56
Zuletzt sei noch angemerkt, dass diese Einheit in der letzten Zeit ihres Aufenthaltes mit Verplegungs-LKW's der Deutschen Marine aus Oldenburg (Schleswig-Holstein) versorgt wurde und auch teilweise der Kraftstoff über Rostock von der deutschen Seite organisiert wurde. Die Russen holten sich jede Woche ihre Ration in Rostock ab!!!
Hallo,
... ich kann es ja kaum fassen, was da nach gut 20 Jahren noch so hochkommt ... ! Dank an @hillus  top Gut, dass es das FMA als Plattform und Speicher derartiger Geschehnisse gibt ... 
Grüsse
OLPE

SchlPr11

#9
Hallo,
dies Dank der permanenten Aufmerksamkeit vieler...
Hier einige Fotos von den Einheiten der Sassnitzer Station aus dem Jahre 1977 und 1978. Danach kam der Eiswinter 1978/79 mit der Zerstörung und Sperrung der Sassnitzer Mole für die Öffentlichkeit. Dies machte für Jahrzehnte das Fotografieren der Fähren nahezu unmöglich. Und auch von Marineeinheiten im Sassnitzer Hafen. Erst bei der Indienststellung der Fähren SASSNITZ und ihrer öffentliche Besichtigung von Tausenden im damals noch gesperrten Hafengebiet am 12.03.1989 waren wieder einzelne Marinefotos von den TARANTULs möglich. Echte Fotos von der Mole aus, noch wesentlich später.
Kann jemand Angaben zu dem Tanker machen, der damals in Sassnitz stationiert war? Möglicherweise hat dieses Fahrzeug eine deutsche Vergangenheit in seinem Schicksal?

Reinhard

Kaschube_29

Moin Moin,

bei der Verabschiedung/beim Auslaufen der letzten beiden kleinen U-Bootabwehrschiffe des Projekts 204 (NATO: "Poti"-Klasse) ist auf dem Youtube-Video

Zitat von: olpe am 15 Februar 2012, 23:28:53
Es ist ein Zeitdokument nicht nur der russischen (Marine)Geschichte, auch der deutschen ...

1991 - Sassnitz

bei der Laufzeit von ca. 06:45 Minuten auch an der Pier eine Einheit der Deutschen Bundesmarine zu sehen: ein Binnenminensucher ("BiMi") der Klasse 394A ("Frauenlob"-Klasse) mit den Namen "Nautilus" (Kennung: M-2659) zu sehen.

Bis dann,

Kaschube_29
Immer eine Handbreit Wasser unter den Kiel (Bcегда семь футов под кильем)!

Mario

ZitatErst bei der Indienststellung der Fähren SASSNITZ und ihrer öffentliche Besichtigung von Tausenden im damals noch gesperrten Hafengebiet am 12.03.1989
Da war ich dabei  :-D
War schon mächtig beeindruckend, wie tausende gelernter DDR-Bürger brav in der Schlange warteten, bis sie aufs Schiff durften.  :-)

SchlPr11

Hallo,
haben wir nicht damals hintereinander gestanden???

REINHARD

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