Günther Lütjens - ein unentdeckter Widerstandskämpfer?

Begonnen von ZweiDreiVier, 02 September 2012, 04:46:19

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ZweiDreiVier

Die Person des ehemaligen Flottenchefs Günther Lütjens und insbesondere Verhalten und Ablauf des Unternehmen Rheinübung geben heute noch Rätsel auf.

Ich bin kein Historiker und ich habe deshalb in dieser Hinsicht keinen guten Ruf zu verlieren. Ich erlaube mir einmal einen unorthodoxen Lösungsansatz nach dem KISS-Prinzip. Meine These lautet:

Günther Lütjens (und evtl. Erich Raeder) haben den Untergang gezielt herbeigeführt - nicht um die Soldaten zu ermorden - sondern um einem verbrecherischen Regime ein Machtmittel aus der Hand zu schlagen und damit ein schnelleren Ende des Krieges herbeizuführen.

Die These wird sich wahrscheinlich nie beweisen lassen, böte aber eine plausible, einfache und nachvollziehbare Erklärung für viele "Ungereimtheiten" der Rheinübung:

  • Lütjens "Todesahnungen" - er wusste es!
  • Die Einsilbigkeit während der Unternehmung.
  • Den teelöffelweisen Einsatz der Kräfte - taktisch eigentlich völlig unsinnig! Hätten die USA ihre Träger einzeln gen Japan geschickt, wären sie einer nach dem Anderen versenkt worden.
  • Den Anmarsch nach Bergen, auf dem fast keine Gelegenheit ausgelassen wurde, entdeckt zu werden. - Nur ein Inserat in der Times wäre noch auffälliger gewesen.
  • Das Nichtergänzen der Kraftstoffvorräte - Das Unternehmen Berlin lief ganz anders ab
  • Die späte Information des Führers über den Beginn der Unternehmung. - Schon erstaunlich wie Raeder seinen OB mal eben vor vollendete Tatsachen stellt.
  • Der Weitermarsch trotz Entdeckung in der Dänemarkstrasse - auch hier anders als beim Unternehmen Berlin.
  • Die "praktische" Verweigerung des Befehls zur Feuereröffnung gegen die Hood
  • Die Nichtniederkämpfung der PoW - Ziel war nicht größtmöglicher Schaden beim Gegener.
  • Die Fortsetzung der Unternehmung
  • Das Nicht-Verschweißen der Lecks im Vorschiff nach dem Treffer durch PoW
  • Den unverständlich langen Funkspruch nach der Trennung von PE - er zog den Gegener bewußt auf sich. Vielleicht auch um PE zu entlasten.
  • Die zeitweise "Schleichfahrt" in Richtung St. Nazaire / Brest - man sollte doch annehmen, das das Erreichen des eigenen Luftschirms vordringlich ist, sparsam fahren kann man dann immer noch.
  • Die als demotivierend empfundene Ansprache an die Besatzung. - Was sagt man einer Besatzung, die man aus Gewissensgründen in den Tod führt?
  • Und auch im letzten Gefecht überlässt man die Feuereröffnung dem Gegner.
Indizien, die meine These direkt stützen sind rar gesät, aber dass das alles Zufälligkeiten oder "Fehler" sein sollen, glaube ich nicht.

Hinweise finden sich einmal  in dem Thread
http://www.forum-marinearchiv.de/smf/index.php/topic,8738.msg101862.html#msg101862

Dort zitiert Leutnant Werner Francois-Emmanuel Brézets u. a. wie folgt:
Zitat
" (...) Diese letzten Funksprüche sollten Lütjens später häufig vorgeworfen werden. Der erste (21.05 h) war vor allem dazu bestimmt, Raeder mitzuteilen, der Richtlinie zu folgen, die dieser nach dem unglücklichen Ende der Admiral Graf Spee vorgegeben hatte. Beim zweiten (23.40 h) deutet alles darauf hin, dass er in der Hoffnung abgesetzt wurde, von der Marine den Zorn des  Diktators abzuwenden, denn Lütjens war kein überzeugter Nazionalsozialist, ganz im Gegenteil."

"In der dazugehörigen Fussnote wird vermerkt: "Er war einer der wenigen Offiziere, der nach den antisemitischen Ausschreitungen am 9. November 1938, in der die Synagogen verwüstet wurden, bei seinen Vorgesetzten dagegen protestiert hatte".

"Gleichzeitig wirft Brézet gleichwohl die Frage der Gemütserkrankung bei Lütjens auf, was seine Eignung für ein ambitioniertes Unternehmen schon in Frage stellt. Damit verbunden ist wieder die Frage, ob Kapitän Lindemann  nicht der bessere Führer der Unternehmung gewesen wäre."

Brézet, ich muss einräumen, ich kenne sein Werk nicht, vertraue aber darauf dass Leutnant Werner ihn korrekt wiedergibt, sind die Widersprüche innerhalb der Unternehmung aufgefallen. Er kann sich das Verhalten Lütjens rational nur mit einer Gemüterkrankung erklären. Dabei geht er aber davon aus, dass ein Erfolg, wie im Operationsbefehl beschrieben, tatsächlich beabsichtigt war.

Wir wissen heute alle was von Aussagen wie "Niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen!" zu halten war / ist.

Wie verhält sich ein Fussballspieler, der aus welchem Grund auch immer, einen Sieg der eigenen Mannschaft verhindern will? Er geht nicht zum Trainer und sagt da mache ich nicht mit, er macht gute Miene zu bösen Spiel, verliert vielleicht einen Zweikampf mehr als sonst, tritt mal über den Ball, läuft vielleicht etwas langsamer aber immer so, dass es nicht auffällt und er im Spiel bleibt und verschuldet notfalls noch einen Elfer.

Dieser Taktik hat sich m. E. auch Lütjens, evtl. in Absprache mit Raeder bedient.
Lütjens war nicht krank - er führte einen einsamen Kampf gegen seinen Führer.
Lütjens war nicht dumm - dumme Leute wurden vielleicht Gauleiter aber nicht Stabsoffizier in der Reichsmarine.
Lütjens hatte Auslanderfahrung, jedenfalls mehr als die meisten Heeresoffiziere und er kannte das Regime und die Gefahren für sich und alle, die mit einem derart ungeheuerlichen Plan in Zusammenhang gebracht werden konnten.
Und er wusste als Flottenchef  mit Sicherheit, dass der Angriff auf die Sowjetunion und damit letztlich der Weg in die endgültige Niederlage, vorgezeichnet war. 

Brézet erwähnt seinen Protest gegen die antisemitischen Ausschreitungen am 9. November 1938.
Dieser Punkt wird auch bei John Asmussen in seinem "Portrait of the Men Involved" erwähnt.
Ein Leserbrief im Westfalenblatt vom 6.12.2008 spricht von drei Offizieren, die diesen Protest unterzeichnet hätten - Lütjens, Raeder und Dönitz.

Kann dazu jemand etwas genaueres beitragen?

Im Internet findet sich ein Bild auf dem Lütjens seinen Führer im Gegensatz zu den umstehenden Offizieren militärisch, d. h. Hand an die Mütze, grüßt. Das muss zwar nicht, kann aber ein diskretes Abweichen von der "Norm" sein.

Ganz im Geiste von
http://www.marine.de/portal/a/marine/!ut/p/c4/DcqxEYAgDEDRWVwg6e3cQu0C5CCHRi8BWV_uF6_5eOJM6ZNMTR6lC3c8oqxhwE0GnQNbV4fMHovE0hiMp941VRPOPjdRhiGJzRtpwrduyw-b1Hz2/

Vielleicht hat schon Kapitän zur See Hans Wilhelm Langsdorff die Graf Spee ganz elegant aus dem Spiel genommen - unter größtmöglicher Schonung der ihm anvertrauten Besatzung.

Und Lütjens agierte ja auch in den Unternehmen Weserübung (Gefecht mit Renown nicht angenommen) und Berlin (nur Einzelfahrer versenkt) eher behutsam.

Es gibt bisher viele Erklärungen einzelner Details, aber keine umfassende.

Und nun Feuer frei!
Freundliche Grüsse
Stephan

"Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!" ist der Wahlspruch der Aufklärung.
AUFKLÄRUNG ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.
vgl. http://www.uni-potsdam.de/u/philosophie/texte/kant/aufklaer.htm

Trimmer

Hallo Stephan,

ich glaube Du wirst wohl da nie eine generelle Antwort finden. Das viele Offiziere nicht immer mit A.H. überein stimmten ist die eine Seite. Trotzdem fühlten sie sich an ihren Eid auf A.H. gebunden und führten die Befehle aus. Wäre es nach der Vernichtung der "Hood" anders gelaufen dann wäre Lütjens als der "große Held " gefeiert wurden - ohne wenn und aber. Das er einen gewissen teil an Menschlichkeit besessen hat - siehe gegen Ausschreitungen gegen Juden - zeichnet ihn noch lange nicht als Widerstandskämpfer aus. Es hat Generäle und Offiziere  der Wehrmacht gegeben die nach der Machtübernahme den Dienst quittiert haben - also nicht einen Eid auf A.H. Ja und das Lütjens den Führer mit dem militärischen und nicht mit dem deutschen Gruß grüßte - soweit ich informiert bin wurde der deutsche Gruß erst generell 1944 in der Wehrmacht ein geführt.
Ja und " einem verbrecherischen Regime ein Machtmittel aus der Hand zu schlagen " - also ich glaube in diese Richtung ging es sowohl Lütjens als auch Raeder nicht.
Es stand hier wohl mehr das Mißtrauen der preußischen Offizierskaste gegen den "böhmischen Gefreiten " im Vordergrund.

Waren mal so einige Gedanken.

Gruß - Achim - Trimmer
Auch Erfahrung erhält man nicht umsonst, gerade diese muß man im Leben vielleicht am teuersten bezahlen
( von Karl Hagenbeck)

Urs Heßling

moin,

viele dieser Argumente meine ich aus anderen Threads zur Unternehmung "Rheinübung" wiederzuerkennen, daher gehe ich nicht darauf ein, aber zu diesen
Zitat von: ZweiDreiVier am 02 September 2012, 04:46:19
  • Den teelöffelweisen Einsatz der Kräfte - taktisch eigentlich völlig unsinnig! Hätten die USA ihre Träger einzeln gen Japan geschickt, wären sie einer nach dem Anderen versenkt worden.
  • Den Anmarsch nach Bergen, auf dem fast keine Gelegenheit ausgelassen wurde, entdeckt zu werden. - Nur ein Inserat in der Times wäre noch auffälliger gewesen.
(a) Im Frühjahr 1942 (vor Operation "Doolittle") setzte die USN ihre Träger zu Einzeloperationen nicht viel anders ein; man kann nicht mehr einsetzen, als man hat.
(b) Die Raum-Zeit-Faktoren (Anmarsch aus der Ostsee durchs Kattegat und Skagerrak) mit geringerer Fahrt in Flachwassergebieten konnte man nicht ändern. Was hätte Lütjens anders machen sollen, Fahrt durch den Kanal und dann durch die Nordsee ? wäre noch gefährdeter gewesen.
Beide Argumente sehe ich nicht als aussagekräftig.

Des weiteren schlage ich vor, bei einer Erwähnung Hitlers grundsätzlich die Formulierung "der Führer"  :roll: zu vermeiden, so, wie Trimmer es vorgemacht hat  top

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

Herr Nilsson

#3
Todesahnungen habe ich jeden Morgen, wenn ich mich in den Berufsverkehr stürze und einsilbig bin ich auch.   :|

Stephan, Du lässt außer acht, dass Lütjens aus seiner Lage heraus und den Informationen, die er hatte, alles richtig gemacht hat, um seine Schiffe eben nicht zu verlieren, dass er einen Stab hatte, mit dem er sich sicherlich beriet, und Gruppe West mit seinen Entscheidungen vollkommen zufrieden war.
Wäre nicht der Torpedotreffer gewesen, wäre BS vermutlich durchgekommen.

Wäre es nicht besser, PG bei BS zu behalten und immer weiter zu fahren, bis PG der Sprit ausgeht, oder direkt der Home Fleet entgegen, wenn man einen Untergang gezielt herbeiführen möchte? Warum nur ein Schiff dem Untergang weihen, wenn man das auch für zwei machen kann? Und warum nicht schon vorher Scharnhorst und Gneisenau?

Es gab soweit ich weiß auch kein Schreiben, sondern nur Beschwerden bei Raeder (direkt Schulte-Mönting + Patzig sowie Lütjens + Dönitz via Foerster).

Gruß Marc

ZweiDreiVier

Zitat von: Urs Hessling am 02 September 2012, 12:26:02
moin,

...
Des weiteren schlage ich vor, bei einer Erwähnung Hitlers grundsätzlich die Formulierung "der Führer"  :roll: zu vermeiden, so, wie Trimmer es vorgemacht hat  top

Gruß, Urs

Hallo Urs,
warum?
Habe ich in den letzten Tagen die Wiedereinführung einer allgemeinen Sprachregelung verpasst?
Dann befinde ich mich zumindest in guter Gesellschaft mit diversen Schulbuchverlagen.
Ich schlage vor das Thema separat, evtl. per PM zu diskutieren.
Freundliche Grüsse
Stephan

"Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!" ist der Wahlspruch der Aufklärung.
AUFKLÄRUNG ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.
vgl. http://www.uni-potsdam.de/u/philosophie/texte/kant/aufklaer.htm

Urs Heßling

"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

ZweiDreiVier

Zitat von: Urs Hessling am 02 September 2012, 12:26:02
...
(b) Die Raum-Zeit-Faktoren (Anmarsch aus der Ostsee durchs Kattegat und Skagerrak) mit geringerer Fahrt in Flachwassergebieten konnte man nicht ändern. Was hätte Lütjens anders machen sollen, Fahrt durch den Kanal und dann durch die Nordsee ? wäre noch gefährdeter gewesen.
...

Hallo Urs,
nun man hätte bspw. auf die musikalische Begleitung des Ablegemanövers des Bismarck am 18.5.1941 in Gdynia verzichten können (vgl. den Baron, S. 92) oder hätte den Anmarsch in das Operationsgebiet Nordatlantik wie in der Operation Berlin (http://www.scharnhorst-class.dk/scharnhorst/history/scharnberlin.html) gestalten können. Die kannte Lütjens ja nun aus erster Hand.
Freundliche Grüsse
Stephan

"Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!" ist der Wahlspruch der Aufklärung.
AUFKLÄRUNG ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.
vgl. http://www.uni-potsdam.de/u/philosophie/texte/kant/aufklaer.htm

Herr Nilsson

Wo ist den jetzt der große Unterschied zu "Berlin"?
Gruß Marc

Trimmer

Hallo Stephan - aber was hätte sich da insgesamt verändert ? Ich denke jede Bewegung der "Bismarck " wurde aufmerksam verfolgt und besonders auch von Seiten der "Neutralen " sofort an London weiter gegeben.

Gruß - Achim - Trimmer
Auch Erfahrung erhält man nicht umsonst, gerade diese muß man im Leben vielleicht am teuersten bezahlen
( von Karl Hagenbeck)

ZweiDreiVier

Zitat von: Herr Nilsson am 02 September 2012, 12:42:01
...
Stephan, Du lässt außer acht, dass Lütjens aus seiner Lage heraus und den Informationen, die er hatte, alles richtig gemacht hat, um seine Schiffe eben nicht zu verlieren, dass er einen Stab hatte, mit dem er sich sicherlich beriet, und Gruppe West mit seinen Entscheidungen vollkommen zufrieden war.
Wäre nicht der Torpedotreffer gewesen, wäre BS vermutlich durchgekommen.
...

Hallo Marc,
das sehe nicht nur ich anders. Die Abgabe des langen Funkspruches war eindeutig ein taktischer Fehler (oder gewollt nach meiner These). Die Notwendigkeit Funkstille zu bewahren war ja schon seit Scheers Zeiten erkannt worden.

Gruppe West ging nach dem Gefecht in der Dänemarkstrasse davon aus, dass Lütjens sich erst einmal in den Atlantik verholt, von der Absicht direkt nach Frankreich zu gehen und den Treibstoffproblemen wurde sie völlig überrascht.

Und wie ich im Eröffnungsbeitrag schon ausführte, wenn mir der Feind möglicherweise im Nacken sitzt, sehe ich doch zu, dass ich erstmal in den Bereich der eigenen Luftsicherung komme. Dann kann ich immer noch mit vielleicht 5 kn Fahrt den Rest des Weges zurücklegen.

Ohne Rudertreffer, bestanden reelle Chancen Frankreich zu erreichen, Lütjens konnte den aber nicht vorhersehen, deshalb nach meiner These Peilzeichen und Bummelfahrt.
Freundliche Grüsse
Stephan

"Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!" ist der Wahlspruch der Aufklärung.
AUFKLÄRUNG ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.
vgl. http://www.uni-potsdam.de/u/philosophie/texte/kant/aufklaer.htm

Herr Nilsson

Lütjens hat tatsächlich mehrere Stunden Funkstille gewahrt, da der zusammengesetzte lange Funkspruch Uhrzeitgruppen zwischen 4 und 5 Uhr hat. Das heißt, dass diese Mitteilung über Stunden nicht gesendet wurde.  Dann muss irgendetwas geschehen sein, dass Lütjens und sein Stab sicher davon ausgingen, dass sie weiterhin von einem Schlachtschiff und zwei Kreuzern beschattet würden. Aufgrund dieser Ansicht war somit keine Funkstille mehr vonnöten. Gruppe West bewertet das wenigstens so. Heute einen taktischen Fehler daraus abzuleiten, halte ich für nicht angemessen.

Hinsichtlich der Absicht direkt nach Frankreich zu gehen, verwechselst Du etwas. Es stimmt nicht, dass Gruppe West davon ausging, dass BS in den Atlantik verholt. Unmittelbar nachdem Gruppe West überhaupt erst Kenntnis vom Islandgefecht hatte, hat Lütjens bereits angekündigt nach Frankreich zu gehen. Dies tat er aus Ansicht von Gruppe West, weil er sich nicht in der Lage sah die britischen Schiffe abzuschütteln.
Eine gewisse Überraschung hinsichtlich des Funkspruchs, dass die Treibstofflage dringend sei, gab es erst am 26.5. gegen 19 Uhr. Gruppe West geht weiterhin davon aus, dass es sich nicht um eine wirkliche Notlage handelt, sondern vielmehr um eine Antwort auf eine frühere Nachricht an den Flottenchef, dass er vielleicht doch in den Atlantik abschwenken könne. 

Die Verbrauchswerte sind bei 5 kn astronomisch hoch. Insgesamt wäre das auch in Anbetracht von möglicherweise vorhandenen britischen U-Booten oder anderen Torpedoträgern, auch nicht wirklich klug gewesen. Und so bummelig war die Fahrt ja nun auch nicht.
Gruß Marc

ZweiDreiVier

Zitat von: Herr Nilsson am 03 September 2012, 10:52:42
Wo ist den jetzt der große Unterschied zu "Berlin"?

Hallo Marc,

in aller Kürze: unerkannter Durchbruch ins Operationsgebiet mit vollen Bunkern.

Zum Ablauf der Operation Berlin hatte ich ja bereits einen Link kommuniziert. Zur Einschätzung der Operation Berlin verweise ich auf den Beitrag von ufo:
http://www.forum-marinearchiv.de/smf/index.php/topic,1073.msg14434.html#msg14434
Freundliche Grüsse
Stephan

"Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!" ist der Wahlspruch der Aufklärung.
AUFKLÄRUNG ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.
vgl. http://www.uni-potsdam.de/u/philosophie/texte/kant/aufklaer.htm

redfort

#12
Zitat von: ZweiDreiVier am 03 September 2012, 10:57:37

Und wie ich im Eröffnungsbeitrag schon ausführte, wenn mir der Feind möglicherweise im Nacken sitzt, sehe ich doch zu, dass ich erstmal in den Bereich der eigenen Luftsicherung komme. Dann kann ich immer noch mit vielleicht 5 kn Fahrt den Rest des Weges zurücklegen.

Ohne Rudertreffer, bestanden reelle Chancen Frankreich zu erreichen, Lütjens konnte den aber nicht vorhersehen, deshalb nach meiner These Peilzeichen und Bummelfahrt.

Hallo Stephan,
natürlich hat Lütjens dieses versucht !
Zumal die Ankündigung der Marinegruppe West in ihrem FT 19.32 Uhr am 25.05. lautete:
"Starke Luftverbände einsatzklar für Einlaufen BISMARCK, Kampfverbände bis 14° West...."

Am 26.05. starteten am morgen 4 Fw 200 der Aufklärungsstaffel des I./ KG 40 zur stichprobenartigen Aufklärung des Seegebietes zwischen 43°30 und 54° N. Nach 12 stündigen Flug , also praktisch schon auf dem Rückflug  sichtete ein Fw 200 um 15.45 Uhr die RODNEY mit meheren Zerstörern. Pos. ca. 50°30 N und 19°15´West. Die Fw 200 befand sich zu diesen Zeitpunkt noch ca. 600 sm vor Brest.

Am 27.05. um 03.07 Uhr startenten zur bewaffenden Aufklärung, mit Bomben beladen, 2x Fw 200 des I./KG 40, 8x Ju 88 und 10x He 115. Vor ihnen lagen über 6 Std. Flugzeit. Die BS sendet ab den morgen des 27.05. Peilzeichen um das Heranführend der Kampfverbandes zu ermöglichen. Zumal musste der Fliegerführer Atlantik die Startzeiten so legen, das der Kampfverband auch an der äußerten Eindringtiefe auf  Lütjens stossen konnte.

Damit hat Lütjens doch Versuch unternommen in den Bereich der eigenen Luftsicherung zu kommen.  Natürlich konnte er nicht mit dem Torpedotreffer rechnen. Aber dies sind Faktoren die man nicht in der Rechnung hatte.
Gruß, Axel

Luftwaffe zur See

ZweiDreiVier

Zitat von: Herr Nilsson am 03 September 2012, 11:40:41
Lütjens hat tatsächlich mehrere Stunden Funkstille gewahrt, da der zusammengesetzte lange Funkspruch Uhrzeitgruppen zwischen 4 und 5 Uhr hat. Das heißt, dass diese Mitteilung über Stunden nicht gesendet wurde.  Dann muss irgendetwas geschehen sein, dass Lütjens und sein Stab sicher davon ausgingen, dass sie weiterhin von einem Schlachtschiff und zwei Kreuzern beschattet würden. Aufgrund dieser Ansicht war somit keine Funkstille mehr vonnöten. Gruppe West bewertet das wenigstens so. Heute einen taktischen Fehler daraus abzuleiten, halte ich für nicht angemessen.

Hallo Marc,
wir wissen nicht wovon Lütjens sicher ausging. Es deutet nur einiges daraufhin. Das ist genau betrachtet nur eine Annahme.  Ein Gericht würde sagen: "beruht auf Hörensagen!", deshalb mein Hinweis zu "Niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen!" - genau das Gegenteil war der Fall!

Geschichte ist keine exakte Wissenschaft.
Oft sind lassen sich bereits Tatort und Tatzeit nicht zweifelsfrei belegen. Und die Ableitung von Absichten, Überzeugungen usw. ist im Grunde nichts anderes als mehr oder weniger begründetete Spekulation.

Man ist gezwungen mit Theorien und Thesen zu arbeiten. Eine Herangehensweise ist das "Prinzip der Einfachheit":
http://www.uni-protokolle.de/Lexikon/Prinzip_der_Einfachheit.html

Meine These in diesem Sinne ist:
Nehmen wir doch mal an, Lütjens und/oder Raeder lag aus irgendwelchen Gründen mehr an einem Sieg Großbritanniens, als an einem Sieg Nazi-Deutschlands.
Kann diese These anhand der Geschicht völlig ausgeschlossen werden oder bietet sie nicht sogar eine brauchbare Erklärung?

Wenn jemand unter den damaligen Verhältnissen den Mut zu einer schriftlichen Kritik an einer landesweiten Untat aufbrachte, bin ich erstmal geneigt, ihn nicht einfach als willigen Erfüllungsgehilfen abzutun.

Ob es vielleicht nur gekränkte Eitelkeit war, innere Kündigung oder echter Widerstandwille ist für meine These nicht von Bedeutung, ich gehe einfach von planvollem Handeln aus.

Mit der Funkerei auf Bismarck war das so eine Sache, angefangen von nicht aufgefangenen Funksprüchen (Dänemarkstraße, Abgleich mit PG) bis zu jenem langen "Peilzeichen" am 25. Mai.

War für eine vorherige Abgabe des Gefechtsberichts wirklich keine Zeit?


  • Am 24. Mai um 9:50 informiert Lindemann PG per Winkspruch über die Schäden am Schiff.
  • Am 24. Mai 19:50 kalkuliert Gruppe West ein Absetzten in abglegene Seeräume noch mit ein.
  • Am 24. Mai 20:56 soll der Treistoffbestand weniger als 3.000 t betragen haben.
  • Am 25. Mai um 3:06  soll die Fühlung auf Grund eines Manövers des Bismarck, von dem der Baron nur annimmt, das es stattgefunden hat, abgerissen sein. Die entsprechende bisher regelmäßig erfolgte Positionsmeldung der Suffolk bleib jedenfalls aus.
  • Am 25. Mai um 04:01 Uhr meldet Suffolk das Abreißen an Norfolk.

Wenn ich ein solches Manöver fahre, suche ich dann nicht nach Hinweisen ob es erfolgreich war oder nicht? Sowohl Gruppe West als auch PG sollen das Abreißen der Fühlung an Hand der ausbleibenden Positionsmeldungen erkannt haben.

Den Funkern der Bismarck soll das entgangen sein?
Lütjens und sein Stab blind und taub?

Danach setzt Bismarck wiederholt diverse Funksprüch unterschiedlicher Länge ab.
Erst als Gruppe West mit Funkspruch von 8:46 Uhr auf das mögliche Abreißen der Fühlung hinweist, muss Lütjens endlich Funkstille wahren, wenn er nicht als Verräter da stehen will.

Freundliche Grüsse
Stephan

"Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!" ist der Wahlspruch der Aufklärung.
AUFKLÄRUNG ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.
vgl. http://www.uni-potsdam.de/u/philosophie/texte/kant/aufklaer.htm

Herr Nilsson

Zitat von: ZweiDreiVier am 03 September 2012, 12:20:23
Zitat von: Herr Nilsson am 03 September 2012, 10:52:42
Wo ist den jetzt der große Unterschied zu "Berlin"?

Hallo Marc,

in aller Kürze: unerkannter Durchbruch ins Operationsgebiet mit vollen Bunkern.

Zum Ablauf der Operation Berlin hatte ich ja bereits einen Link kommuniziert. Zur Einschätzung der Operation Berlin verweise ich auf den Beitrag von ufo:
http://www.forum-marinearchiv.de/smf/index.php/topic,1073.msg14434.html#msg14434

Genau das stimmt ja so nicht. Am 22.1. verlässt Scharnhorst Kiel mit 5589 cbm Heizöl. Am 27.1. versucht man den Durchbruch zwischen Island und den Färöern mit mehr als 4287 cbm ohne zwischenzeitliches Bunkern. Dabei fährt man zeitweise an die 30 kn. Man wird durch britische Schiffe gesichtet und sucht das Weite, sodass man unverichteter Dinge am 29.1. ziemlich genau wieder dort steht, wo man bereits am 27.1. war. Der Unterschied ist nur, dass man nun nur noch knappe 3000 cbm in den Bunkern hat. Ein weiterer Durchbruchversuch ohne aufzutanken wäre Selbstmord gewesen.
Gruß Marc

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