Kapitän zur See Hans Langsdorff

Begonnen von der erste, 23 Juni 2019, 13:43:30

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michael-1

Zitat von: Hägar am 20 Januar 2021, 19:54:21
Das Schöne an solchen Diskussionen ist ja, dass man dazulernt.
...

Stimmt  :-) und vielen Dank für die ausführliche Stellungnahme, auf die ich kurz antworten möchte:

1. Galt das Genfer Abkommen auch für den Seekrieg?

Ja, und zwar lt. Art. 1 Punkt 2:

Zitat"Dieses Abkommen findet, ..., Anwendung auf ... 2. alle zu den Streitkräften der kriegsführenden Parteien gehörenden Personen, die im Verlaufe von kriegerischen Handlungen zur See oder in der Luft vom Feinde gefangen genommen worden sind, vorbehaltlich der Abweichungen, die sich aus den Umständen dieser Gefangennahme unvermeidlich ergeben sollten. Indessen dürfen diese Abweichungen die wesentlichen Grundsätze dieses Abkommens nicht verletzen und finden ihr Ende, sobald die Gefangenen ein Kriegsgefangenenlager erreicht haben."

sowie Art. 8 (Mitteilung über Gefangennahme) Absatz 3:

Zitat"Hinsichtlich der auf See gemachten Gefangenen haben diese Bestimmungen sobald als möglich nach Ankunft im Hafen Anwendung zu finden."

Die generell dem Landkrieg entnommenen Formulierungen des Abkommens sind also synonym zu verstehen.

2. Schützte das Abkommen auch Besatzungen von Handelsschiffen?

In "Gefangen in Kanada: Zur Internierung deutscher Handelsschiffsbesatzungen während des Zweiten Weltkriegs" von Judith Kestler findet sich ab Seite 125  eine lesenswerte Darstellung. Ich versuche mich mal an einer kurzen Zusammenfassung:

Grundsätzlich war die Frage bis zum Ende des zweiten Weltkrieges nicht geklärt. Der Versuch, die Besatzung von Handelsschiffen in den Kreis der geschützten Personen in das Genfer Abkommen aufzunehmen scheiterte 1929. Es blieb nur der Rückgriff auf die Haager Abkommen von 1907.

Lt. Artikel 6 des XI. Abkommens waren die Besatzungen eines aufgebrachten Schiffes, soweit sie einem gegnerischen Staat angehörten, nicht gefangen zu nehmen, wenn sie schriftlich zusicherten, zukünftig nicht an Kampfhandlungen teilzunehmen. Dies galt nach Art. 8 allerdings nicht für Schiffe, die an Feindseligkeiten teilnahmen.

Schiffbrüchige, Verwundete oder Kranke, die dem Gegner in die Hände fielen, galten gem. Art. 14 des X. Abkommens als Kriegsgefangene.   

Ansonsten war der Status des Schiffes, erkennbar u. a. an der Flagge, bedeutsam. Handelsschiffe, die als Hilfskriegsschiffe eingesetzt wurden, mussten als Kriegsschiffe gelistet werden und die Kriegsflagge führen. Entsprechend galt die Besatzung dann als Kriegsgefangene.

Hilfsbeischiffe, die nur die Dienstflagge oder die Handelsflagge führten, konnten zum Gefolge der Kriegsflotte "befördert" werden und die Besatzung damit den Schutzstatus von Kriegsgefangenen erlangen.

Wurden sie als Zivilinternierte eingestuft, wie vom Deutschen Reich praktiziert, entfiel dieser Schutz. Erst im Laufe des Krieges wurde ihnen auch der Schutz des Genfer Abkommens zuteil. Soweit zu Kestler.

Dass man "Zivilisten" nicht mal eben der "Riesenfreude" (Langsdorf zum Ausgang der Skagerrakschlacht) einer Seeschlacht aussetzte, wenn dies schon bei Kriegsgefangenen verboten war, gebot schon der gesunde Menschenverstand, denn auch Zivilisten waren im Geiste des damaligen Völkerrechts human zu behandeln.

Für für die Frage, ob Langsdorff gegen Regeln des Kriegsvölkerrechts verstoßen hat oder nicht, sind seine Kenntnisse desselben unerheblich. Man kann wohl davon ausgehen, dass er die "Spielregeln" kannte, denn zumindest Artikel 17 des XIII. Abkommens war ihm geläufig, wie sein Einlaufen nach Montevideo zeigt.

Urs Heßling

moin,

Zitat von: michael-1 am 21 Januar 2021, 11:53:02
1. Galt das Genfer Abkommen auch für den Seekrieg?

Ja, und zwar lt. Art. 1 Punkt 2:

Zitat"Dieses Abkommen findet, ..., Anwendung auf ... 2. alle zu den Streitkräften der kriegsführenden Parteien gehörenden Personen, die im Verlaufe von kriegerischen Handlungen zur See oder in der Luft vom Feinde gefangen genommen worden sind, vorbehaltlich der Abweichungen, die sich aus den Umständen dieser Gefangennahme unvermeidlich ergeben sollten. Indessen dürfen diese Abweichungen die wesentlichen Grundsätze dieses Abkommens nicht verletzen und finden ihr Ende, sobald die Gefangenen ein Kriegsgefangenenlager erreicht haben."

sowie Art. 8 (Mitteilung über Gefangennahme) Absatz 3:

Zitat"Hinsichtlich der auf See gemachten Gefangenen haben diese Bestimmungen sobald als möglich nach Ankunft im Hafen Anwendung zu finden."

2. Schützte das Abkommen auch Besatzungen von Handelsschiffen?
Grundsätzlich war die Frage bis zum Ende des zweiten Weltkrieges nicht geklärt. Der Versuch, die Besatzung von Handelsschiffen in den Kreis der geschützten Personen in das Genfer Abkommen aufzunehmen scheiterte 1929.
Wenn ich das zusammenfassend interpretiere, hat Langsdorff also nicht gegen "Genf" verstoßen, denn bis zum Erreichen des Landes waren "Abweichungen" gestattet.


Zitat von: michael-1 am 21 Januar 2021, 11:53:02
Dass man "Zivilisten" nicht mal eben der "Riesenfreude" (Langsdorf zum Ausgang der Skagerrakschlacht) einer Seeschlacht aussetzte, wenn dies schon bei Kriegsgefangenen verboten war, gebot schon der gesunde Menschenverstand, denn auch Zivilisten waren im Geiste des damaligen Völkerrechts human zu behandeln.
Ja, aber hier wechselst Du die Argumentationslinie.

Das Eine ist der Gesetztestext  :O-|, das Andere der "gesunde Menschenverstand"  :angel:

Die beiden haben - leider !  :sonstige_154: - nicht immer viel miteinander zu tun ...

Hielte ein Kommandant sich stur an den Gesetzestext :O/S, auch wenn es dem "gesunden Menschenverstand" widerspräche, wäre er erst einmal "im Recht".

Es kommt hier meinem Empfinden nach zum Tragen, daß die Theorie (Gesetze und ihre Auslegung) die Differenzen zur Praxis (Kommandantenerfahrung) nicht schließen kann.

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

michael-1

Zitat von: Urs Heßling am 21 Januar 2021, 12:34:43
moin,

Wenn ich das zusammenfassend interpretiere, hat Langsdorff also nicht gegen "Genf" verstoßen, denn bis zum Erreichen des Landes waren "Abweichungen" gestattet.


Ich glaube, das ist im Falle AGS eine Fehlinterpretation:

Zitat"Dieses Abkommen findet, ..., Anwendung auf ... 2. alle zu den Streitkräften der kriegsführenden Parteien gehörenden Personen, die im Verlaufe von kriegerischen Handlungen zur See oder in der Luft vom Feinde gefangen genommen worden sind, vorbehaltlich der Abweichungen, die sich aus den Umständen dieser Gefangennahme unvermeidlich ergeben sollten. Indessen dürfen diese Abweichungen die wesentlichen Grundsätze dieses Abkommens nicht verletzen und finden ihr Ende, sobald die Gefangenen ein Kriegsgefangenenlager errreicht haben."

Eine "unvermeidliche Abweichung"?

Mit Wohlwollen gilt dies für die Besatzung der Streonshalh (am 7.12. aufgebracht).

Angesichts Langsdorffs Begründung einer "Abschlussvorstellung" im KTB (26.11.1939) ist auch das zweifelhaft.

Die unvermeidliche Abweichung wäre halt bei einer allein operierenden Einheit ohne Möglichkeit einer Abgabe gegeben.

Hägar

Vielleicht bin ich etwas begriffsstutzig, Michael, was diese Passagen Deines Exzerpts betrifft (#46):

Der Versuch, die Besatzung von Handelsschiffen in den Kreis der geschützten Personen in das Genfer Abkommen aufzunehmen scheiterte 1929. ......
Wurden sie als Zivilinternierte eingestuft, wie vom Deutschen Reich praktiziert, entfiel dieser Schutz
, also der in den Konventionen für Kriegsgefangene vorgesehene.

Das bedeutet doch eigentlich, dass die unserer Diskussion zugrundegelegte Konvention für den Fall SPEE nicht galt, oder habe ich da was missverstanden?

Gruß – Hägar

michael-1

Hallo Hägar,

vielleicht habe ich Frau Kestler auch zu verkürzt wiedergegeben.

Die Genfer Konvention für die Behandlung von Kriegsgefangenen galt natürlich auch für AGS.

Völkerrechtlich nicht eindeutig geregelt war Frau Kestler zu Folge, wie die Besatzungen von feindlichen Handelsschiffen einzustufen ist. Sind sie Kriegsgefangene oder sind sie Zivilinternierte mit entsprechend geringerem Schutz.

Im Entwurf der Genfer Konvention von 1929 soll die Einstufung der Besatzung von Handelsschiffen als Kriegsgefangene vorgesehen gewesen sein, wurde aber nicht angenommen.

Damit wurde es kompliziert, da sich zwar alle einig waren, dass man die gegnerischen Besatzungen "einkassieren" konnte,  sich aber nicht über den Schutzstatus einigen konnte. Der ist nicht nur ein Etikett, sondern hat z. B.  Auswirkungen in Bezug auf finanzielle Versorgung, Rechte und Leistungsansprüche.

Deutschland, Italien, Südafrika und die USA stufen die Besatzungen als Zivilinternierte ein, GB und Kanada orientierten sich an Artikel 7 der Genfer Konvention, d. h. Kriegsgefangene, aber mit Einschränkungen, z. B. in Bezug auf die Besoldung der Handelsschiffoffiziere.

Im Laufe des Krieges soll dann der Schutz der Genfer Konvention auch auf Zivilinternierte ausgedehnt worden sein.

Was soll nun der arme Kommandant vor Ort machen :BangHead:?

Handelsschiff bewaffnet, Militärpersonal für Kanone an Bord. Richtschütze = Kriegsgefangener? Messesteward = Zivilinernierter?

Aus praktischen Gründen, bietet sich m. E. an, zunächst allen den gleichen und umfassenderen  Schutz zu gewähren, d. h. sie als Kriegsgefangene behandeln; sollen sich doch die Juristen an Land den Kopf zerbrechen.

In Kaacks Vortrag vom 11.03.2010 habe ich inzwischen folgende Passage gefunden:

ZitatRasenack notiert unter dem Datum 6. Dezember 1939:

,,Mittags kommt die ,,Altmark in Sicht. 144 Gefangene werden abgegeben, und die Schlauchverbindung hergestellt. Die Offiziere und Funker aller versenkten Dampfer bleiben dagegen bei uns an Bord, um sie auf jeden Fall mit nach Hause zu nehmen und sie auf keinen Fall wieder in Feindeshand fallen zu lassen, da sie von unserer Kreuzerkriegführung zu viel gesehen haben."

Tja, der Mensch denkt ...

Urs Heßling

moin,

Zitat von: michael-1 am 21 Januar 2021, 21:16:35
Was soll nun der arme Kommandant vor Ort machen :BangHead:?
Es freut mich, daß Du erkennst, in welche Dilemmata ein Kommandant geraten kann.
Mit einem Urteil "Er hat gegen ... gehandelt" ist es nicht getan

Zitat von: michael-1 am 21 Januar 2021, 21:16:35
Aus praktischen Gründen, bietet sich m. E. an, zunächst allen den gleichen und umfassenderen  Schutz zu gewähren, d. h. sie als Kriegsgefangene behandeln; sollen sich doch die Juristen an Land den Kopf zerbrechen.
Deine vorherigen Vorwürfe an Langsdorff basierten auf dem (angenommenen) Charakter der Angehörigen der Besatzungen der versenkten Schiffe als Kriegsgefangenen.
Da dies aber - nach deinen eigenen Recherchen :TU:) - berechtigten Zweifeln unterliegt, solltest Du das auch einräumen.

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

michael-1

Zitat von: Urs Heßling am 21 Januar 2021, 22:14:54
moin,

Zitat von: michael-1 am 21 Januar 2021, 21:16:35
Aus praktischen Gründen, bietet sich m. E. an, zunächst allen den gleichen und umfassenderen  Schutz zu gewähren, d. h. sie als Kriegsgefangene behandeln; sollen sich doch die Juristen an Land den Kopf zerbrechen.
Deine vorherigen Vorwürfe an Langsdorff basierten auf dem (angenommenen) Charakter der Angehörigen der Besatzungen der versenkten Schiffe als Kriegsgefangenen.
Da dies aber - nach deinen eigenen Recherchen :TU:) - berechtigten Zweifeln unterliegt, solltest Du das auch einräumen.

Irgendwie verstehe ich dieses Denkweise nicht!?

Meine Aussage war:

Zitat von: michael-1 am 18 Januar 2021, 13:12:31
Halbwegs sicher kann man eigentlich nur bei Handlungen und dem zugehörigen Kontext sein. Von Kapitän Langsdorff ist überliefert, dass er die Kapitäne der gekaperten Schiffe an Bord behielt und nicht an das Troßschiff abgab.

Damit könnte er gegen Art. 7 der Genfer Konvention zur Behandlung von Kriegsgefangenen verstoßen haben:

ZitatDie Kriegsgefangenen sind in möglichst kurzer Frist nach ihrer Gefangennahme nach Sammelstellen zu bringen, die vom Kampfgebiet genügend weit entfernt liegen, so daß sie sich außer Gefahr befinden. ... Die Kriegsgefangenen sind bis zu ihrer Rückführung aus dem Kampfgebiet nicht unnötig Gefahren auszusetzen

Indem Langsdorff Gefangene an Bord seines Kriegsschiffes behielt, setzte er sie der Gefahr weiterer Kampfhandlungen aus, wie am 13.12.1939 zweifelsfrei geschehen.

Ob es nur Kriegsgefangene waren oder nicht, konnten wir nicht zweifelsfrei klären. Nimmt man an, es wären welche, läge ein Verstoß gegen die Genfer Konvention vor, mein Verdacht hätte sich erhärtet.

Da aber Zweifel bestehen, erklären wir sie zu Zivilisten. Sind diese nun vogelfrei und können quasi nach Gutsherrenart beliebigen Gefahren ausgesetzt werden?

Das Prisenrecht besagte:
ZitatEinziehung und Zerstörung ... bei Schiffen allerdings nur, wenn Fahrgäste, Besatzung und Papiere des aufgebrachten Schiffes vor der Zerstörung an einen sicheren Ort gebracht werden.

Straftatbestände wie Körperverletzung oder Tötung gab es damals auch schon. Und wenn man weiß (KTB-Eintrag vom 26.11.), dass man sich möglicherweise in Kampfhandlungen begibt, lässt man die Zivilisten "zu Hause".

Verlangt das eigentlich nicht schon die Offiziersehre?

Hägar

#52
Moin, Michael

Nach meinem Eindruck werden hier von Dir zwei Betrachtungsebenen miteinander vermischt.

Die eine ist die juristische, die Du selbst an den Anfang gestellt hast.
Momentan ist der Stand der, dass nicht klar ist, als was die festgesetzten Besatzungen juristisch einzustufen sind.
Dass 'wir sie zu Zivilisten erklären' würden, geht an der Sache vorbei.
Vielmehr gibt es keinen Ansatz, auch – oder erst recht – nach Deinen Kestler-Erläuterungen, sie als Kriegsgefangene anzusehen.
Allein aus diesem Grund muss hier der Grundsatz 'In dubio pro reo' gelten.

Die andere Ebene ist die humane oder auch die nicht-normative Ebene der Offiziersehre.
Was die menschliche Behandlung von Schutzbefohlenen betrifft, so hast Du zweifellos die Sympathie unser aller.
Nur: Dies ist nichts, was man Langsdorff mit Bezug auf die Genfer Konvention zur Last legen könnte.
Dass er sie als vogelfrei angesehen oder nach Gutsherrenart behandelt hätte, kann man nun wirklich nicht ansatzweise behaupten.
Dass die an Bord SPEE befindlichen gegnerischen Seeleute Gefahren ausgesetzt waren, ist nicht zu bestreiten, allerdings nicht in anderer Weise als die eigenen Leute.

Unter dem Strich bleibt, Michael, dass für ein juristisch unterlegtes Verdikt gegen Langsdorff erst einmal der Status der Besatzungen geklärt werden muss.

Gruß – Hägar

Ortwin

Servus zusammen,

unabhängig der interessanten Diskussion über den Status der Besatzungen einmal eine ganz banale Frage. Die Beantwortung konnte ich aus diesem thread noch nicht herauslesen.
Welcher Schaden ist den gefangen genommenen Besatzungen (egal auf welchem Schiff sie letztlich landeten) durch die konkrete Handlungsweise K.z.S. Langsdorffs eigentlich entstanden?

Grüße
Ortwin

Matrose71

#54
Salve,

ich möchte mal als gelernter Jurist einwerfen, das die rechtlige Lage auch aus einem anderen Grund vollkommen ungeklärt ist, denn nach meinem Wissen handelte es sich bei der Altmark, um ein bewaffnetes Kriegsschiff, das ebenfalls die Kriegsflagge der KM führte.
Insoweit kann m.A. nach die Argumentaion nicht einfach aufstellen, Kriegsgefangene oder Zivilinternierte hätten nach der Genfer Konvention, (kausal) auf dem Troßschiff untergebracht werden müssen, da sie dadurch weniger in Gefahr waren, denn auch das Troßschiff kann genauso in Kampfhandlungen verwickelt werden oder auf eine Mine laufen.

Meiner Ansicht nach ist hier die Subsumtion von michael-1 nicht gegeben, da man auch anders argumentieren kann. Dazu bestand bei beiden Schiffen, kein "Kampfauftrag" im Vordergrund.
Spitzfindig kann man hier genauso gut argumentieren, dass der Kreuzer einen besseren Schutz vor Gefahr bietet, als das Troßschiff, vor allen dingen, wenn man die strategischen und taktischen Aufgaben der ganzen Mission zu Grunde legt.
Viele Grüße

Carsten

Urs Heßling

moin,

Zitat von: Ortwin am 24 Januar 2021, 11:25:51
Welcher Schaden ist den gefangen genommenen Besatzungen (egal auf welchem Schiff sie letztlich landeten) durch die konkrete Handlungsweise K.z.S. Langsdorffs eigentlich entstanden?
1. Möglich: Verlust persönlichen Besitzes, der an Bord des versenkten Schiffs zurückblieb
2. "Freiheitsberaubung" an Bord der Altmark auf dem Weg vom Südatlantik nach Norwegen

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

Ortwin

Servus Urs,
aber welchen konkreten Schaden haben sie tatsächlich erlitten und wäre dieser zu verhindern gewesen, wenn K.z.S. Langsdorff anders gehandelt hätte? Es erscheint mir alles doch recht theoretisch...
Grüße
Ortwin

michael-1

Zitat von: Ortwin am 24 Januar 2021, 12:57:28
aber welchen konkreten Schaden haben sie tatsächlich erlitten

Vom Kapitän der Africa Shell, Patrick Dove, wird berichtet, dass er quasi im Schlafanzug und ohne Pfeife auf AGS übersteigen durfte. Der Bordschneider von AGS hat ihm dann erstmal einen neuen Anzug geschneidert. Auf Grund seiner späteren Buchveröffentlichung und Mitwirkung im Filmgeschäft ist Dove wohl eher untypisch. So friedlich ging es aber nicht immer zu.

Am 22.10. wurde Trevanion gekapert, die Brücke mit 20 mm Maschinenwaffen beschossen um das Funken zu unterbinden, keine Verletzten. Überlegung im KTB:
ZitatEs wäre besser gewesen, statt der M.G.C/30 mit 3,7 cm oder mit 10,5 cm zu schießen, um die Abgabe des Funkspruches unmöglich zu machen, weil die Wirkung der hochempfindlichen 2 cm Granaten nicht ausreicht, wenn der feindliche Funker Mut und Entschlossenheit zeigt.

So wurde am 3.12. bei der Tairoa vorgegangen. Lt. KTB:
ZitatDie ersten 3,7 cm Granaten haben Kartenhaus und Funkstelle getroffen. Der Funker hat zum Schluß auf dem Boden liegend versucht, seine Meldung abzusetzen, bis durch Sprengstücke sein Sender ausfiel. Auf dem Dampfer sind vier Engländer verwundet worden. ... Von den verwundeten Engländern hat einer einen 3,7 Granatsplitter, der zweite einen Schuß durch den Oberschenkel ohne Knochenverletzung, die beiden anderen haben sich verletzt, als sie in der Aufregung über die Beschießung Treppen hinunterfielen.

Die Kaperung der Streonshalh am 07.12. ging friedlicher von statten weil deren Kapitän nicht funken ließ, um nicht unnütz Menschenleben zu gefährden. Gleichwohl bot sie Testmöglichkeiten. Eintrag im KTB:
ZitatUm die Wirkung der 10,5 cm gegen mit Sandsäcken geschützte Brücke, Funkräume festzustellen, 3 Schuß 10,5 cm gegen die Brücke geschossen. Es kann danach angenommen werden, daß ein Treffer die Funkstation außer Gefecht setzt.

Dazu ist es dann nicht mehr gekommen.




michael-1

Zitat von: Hägar am 20 Januar 2021, 19:54:21
...

Bei der Diskussion wäre imho wichtig zu wissen, wie die Marinejuristen im OKM die Konvention interpretierten und ob/wie sie in die Offiziersausbildung, in Weisungen und Operationsbefehle eingebracht wurde.

Zum Beispiel wäre auch von Bedeutung, ob es einen rechtlichen Unterschied machte, es mit Kriegsgefangenen, also gegnerischen Kombattanten, oder Zivilinternierten zu tun zu haben.

Das habe ich nicht gefunden, aber die für Langsdorff  maßgebliche Prisenordnung vom 28.08.1939, veröffentlicht im Reichtsgesetzblatt Teil I von 1939, Seiten 1585 bis 1593. Die Behandlung der Besatzung und der Fahrgäste wird auf Seite 1592 geregelt.

Die Freilassung der Gefangenen in Montevideo soll gemäß der "Genfer Konvention" erfolgt sein.

"In dubio pro reo" (Antwort #52) unterstütze ich gerne, aber in Bezug auf den schwächeren Part, d. h. die Gefangenen, die ja wie in #49 dargestellt, erst am 06.12. zur Seeschlacht eingeladen wurden. Bis dahin war regelmäßig die Abgabe an Altmark erfolgt. Und lt. KTB vom 26.11. heißt es zur Besprechung mit Kapitän Dau:
ZitatMit den Gefangenen keine Schwierigkeiten. Die Inder vom "Huntsman" sind über die Vorgänge in Indien durch F.T. unterrichtet worden, sie möchten schnellstens in die Heimat.

Das galt wohl für die meisten Beteiligten!


Ortwin

#59
Servus Michael,

mir geht es nicht um die Art und Weise des Aufbringens der Handelsschiffe durch AGS. Meine Nachfrage bzgl. "erlittener Schäden" richtete sich auf den Umgang mit den Besatzungen der versenkten Schiffe durch K.z.S. Langsdorff. Denn Dein Einwurf (oder Vorwurf) sieht ja hier einen möglichen Verstoß gegen die Genfer Konvention.

Zitat von: michael-1 am 18 Januar 2021, 13:12:31
Von Kapitän Langsdorff ist überliefert, dass er die Kapitäne der gekaperten Schiffe an Bord behielt und nicht an das Troßschiff abgab.
Damit könnte er gegen Art. 7 der Genfer Konvention zur Behandlung von Kriegsgefangenen verstoßen haben.

Und da stellt sich für mich zunächst schon die Frage, welch gravierende "Schäden" oder unmenschliches Leid K.z.S. Langsdorff den Besatzungen angetan hat, dass man ihm über 80 Jahre später seine Handlungsweise zum Vorwurf macht. Bzw. mit erhobenem Zeigefinger andeutet, er hätte sich vielleicht rechtlich nicht korrekt verhalten.

Die GK war Langsdorff mit Sicherheit bekannt und er wird sich Gedanken über den Umgang mit den gefangen genommenen Besatzungen gemacht haben, möglicherweise auch mit ihrem grundsätzlichen Status. Ob er deswegen schlaflose Nächte hatte oder vielleicht ihr Wohl vor das Wohl der eigenen Besatzung oder die Sicherheit des Schiffes gestellt hätte, wage ich zu bezweifeln. Langsdorff war in erster Linie Offizier und Seemann und kein Rechtsexperte. Bekanntlich werden Rechtsfragen auch heute noch erst Monate später und nach Ausleuchtung sämtlicher rechtlicher Implikationen geklärt. Und selbst dann ist das Ergebnis nicht immer zur vollsten Befriedigung.

Man wird sich somit noch Stunden mit der Frage beschäftigen können, welchen Status die Besatzungen nun eigentlich innehatten. Und man könnte zig Szenarien durchspielen, welche anderen Möglichkeiten Langsdorff im jeweiligen Fall gehabt hätte. Dass die Kommandanten und Offiziere der versenkten Schiffe an seiner Beisetzung teilnahmen, lässt die Vermutung zu, dass sie sich durch Langsdorff durchaus korrekt behandelt fühlten.

Jahrzehnte später und vom Schreibtisch aus jemandem eine Handlungsweise zum Vorwurf zu machen, ohne überhaupt die rechtlichen Grundlagen geklärt zu haben, halte ich für unredlich. Insbesondere dann, wenn ja offensichtlich auch niemand zu Schaden gekommen sein dürfte. Bei allem Respekt, das grenzt dann auch ein bisschen an Besserwisserei. Vielleicht täuscht der Eindruck, aber irgendwie bleibt der fahle Beigeschmack, K.z.S. Langsdorff "etwas anhängen zu wollen".

Grüße
Ortwin

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