Dr. Benjamin Miertzschke "Deutsche Marinepolitik im Ersten Weltkrieg"

Begonnen von mhorgran, 30 Juni 2025, 20:58:26

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maxim

Ein Zitat aus Buch (1. Kapitel, frei zugänglich):

ZitatAls Großbritannien am Abend des 4. August 1914 Deutsch-
land den Krieg erklärte, nachdem das britische Ultimatum, die in Belgien
einmarschierten deutschen Truppen zurückzuziehen, von der Reichsleitung
unbeachtet geblieben war, trat jener Fall ein, den Tirpitz seit beinahe 20 Jah-
ren befürchtet hatte – der Ausbruch eines Krieges, ohne dass die Flotte die
zur Abschreckung Großbritanniens notwendige Stärke erreicht hatte. Das
außenpolitische Druckmittel, das Deutschland ursprünglich gegen alle bri-
tischen Widerstände den Aufstieg zur Weltmacht hatte ermöglich sollen, es
hatte sich damit als nutzlos erwiesen. Dass Großbritannien vor einem Krieg
nicht, wie in Tirpitz' Risikotheorie postuliert, zurückschreckte, obwohl er noch
Anfang 1914 durch die Flottenpropaganda hatte verlauten lassen, die zuletzt
erfolgte Verbesserung der deutsch-englischen Beziehungen sei nicht auf die
Verständigungspolitik des Reichskanzlers, sondern allein auf das Anwachsen
der deutschen Flotte zurückzuführen,5 erwies sich dabei als zusätzliche Bla-
mage. Noch am 1. August hatte der Staatssekretär, als eine Falschmeldung über
ein britisches Neutralitätsangebot die Reichsleitung für kurze Zeit in Euphorie
ausbrechen ließ, mit Genugtuung konstatiert: ,,Der Risikogedanke wirkt".

Das ist genau die normale Darstellung der Risikotheorie: Großbritannien sollte davon abgeschreckt werden, sich an einem Krieg gegen Deutschland zu beteiligen. Da geht es nicht um die Frage von Landungsoperationen, sondern um die viel allgemeinere Frage, ob Großbritannien gegen Deutschland in den Krieg ziehen würde.

mhorgran

ZitatWas im Buch präsentiert wird, ist schlichtweg die möglichst objektive Darstellung des Archivmaterials in mühevoller ,,Puzzlearbeit"
und
ZitatDie ,,»gestrige« Attitüde bundesrepublikanischer Geschichtsschreibung" sehe ich durchaus als Bestätigung, da die Arbeit von mir bewusst als ,,antirevisionistische" Studie gegenüber der jüngeren Literatur gedacht war, welche eher die angeblich defensive Ausrichtung des Flottenbaus und seine ,,Normalität" im damaligen internationalen Kontext betont.
das nennt man wohl ein sich ziemlich ausschließender zumindest stark einschränkender widerspruch und letztlich eine Bestätigung des Amazon-Rezipienten.

@maxim
nach deiner darstellung könnte man meinen das die britische schlachtflotte nur noch gegen das deutsche reich nötig war, für den rest der welt reichten kreuzer, sloops und kanonenboote.
 
ZitatTirpitz scheiterte mit seinem Ziel - aber umso interessanter ist, dass Miertzschke ja anscheinend genügend Belege gefunden hat, dass er sogar noch während des Kriegs an dem Ziel festgehalten hat (als es noch unrealistischer war). Die Belege dürften wohl in dem Buch enthalten sein...
ich hab mal die wichtigsten worte markiert.


maxim

Zitat von: mhorgran am 14 August 2025, 05:45:14nach deiner darstellung könnte man meinen das die britische schlachtflotte nur noch gegen das deutsche reich nötig war, für den rest der welt reichten kreuzer, sloops und kanonenboote.

Genau das war letztendlich die Einschätzung der britischen Admiralität VOR dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und die britische Flotte war entsprechend aufgestellt. Wie davor geschrieben: sie hatten alle Schlachtschiffgeschwader zurück in britische Gewässer geholt. Die gesamte britische Neubaustrategie war auf die Stützung der Schlachtflotte für den Einsatz um die britischen Gewässer auf Kosten der Kapazitäten in Übersee ausgerichtet - also auch auf Kosten der entsprechend ausgelegten Kreuzer, Sloops und Kanonenboote.


Zitat von: mhorgran am 14 August 2025, 05:45:14ich hab mal die wichtigsten worte markiert.
Kurz: hier reden alle über ein Buch ohne es überhaupt selbst vorliegen zu haben - und mit der Formulierung habe ich deutlich gemacht, dass ich das Buch nicht komplett vorliegen habe. Die Aussage von Miertzschke war, dass er die Belege in den Archiven gefunden hat. Dann dürften sie also entsprechend in dem Buch zu finden sein. Niemand sonst hier hat das Buch und hat das überprüft. Und die reine Behauptung eines Zweifelns ist hier noch kein Argument.

mhorgran

#33
Zitat von: maxim am 14 August 2025, 06:47:46
Zitat von: mhorgran am 14 August 2025, 05:45:14nach deiner darstellung könnte man meinen das die britische schlachtflotte nur noch gegen das deutsche reich nötig war, für den rest der welt reichten kreuzer, sloops und kanonenboote.

Genau das war letztendlich die Einschätzung der britischen Admiralität VOR dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs und die britische Flotte war entsprechend aufgestellt. Wie davor geschrieben: sie hatten alle Schlachtschiffgeschwader zurück in britische Gewässer geholt. Die gesamte britische Neubaustrategie war auf die Stützung der Schlachtflotte für den Einsatz um die britischen Gewässer auf Kosten der Kapazitäten in Übersee ausgerichtet - also auch auf Kosten der entsprechend ausgelegten Kreuzer, Sloops und Kanonenboote.
Das war die britische Situation nach langen Vorbereitungen für diesen Krieg, nach langen Verhandlungen mit verschiedensten Staaten. Du nimmst einen, dir passenden, Zeitpunkt und verallgemeinerst ihn.

Die deutsche Schlachtflotte war 1914 keine Bedrohung für England, das haben auch britische Historiker so bestätigt, DAS Problem war die weiter anwachsende Stärke der deutschen Wirtschaft und die große deutsche Handelsflotte. Die deutsche Flotte konnte auch keine Bedrohung sein denn sie hatte aus techn. Gründen nicht die entsprechende Reichweite. Da hätte sie der Homefleet auch 2-5fach überlegen sein können, DAS hätte an diesem Fakt nichts geändert. Darum mußte sich auch England nicht auf Europa konzentrieren, das hatte rein politische Gründe.
Dieser Fakt hätte sich nur unter zwei Aspekten ändern können.
1.) Das Deutsche Reich hätte Verbündete außerhalb Europas gefunden. Nur wer sollte das sein, ohne das dieser sofort Probleme mit dem britischen Empire bekommen hätte?
2.) Eine techn. Weiterentwicklung zugunsten der deutschen Flotte (zb. Dieselmotoren) welche eine größere Reichweite ermöglichen. Aber auch dann hätten diese Schiffe erst gebaut werden müssen.

Deine Argumentation ist zwar Mainstream aber trotzdem falsch.


Zitat
Zitat von: mhorgran am 14 August 2025, 05:45:14ich hab mal die wichtigsten worte markiert.
Kurz: hier reden alle über ein Buch ohne es überhaupt selbst vorliegen zu haben - und mit der Formulierung habe ich deutlich gemacht, dass ich das Buch nicht komplett vorliegen habe. Die Aussage von Miertzschke war, dass er die Belege in den Archiven gefunden hat. Dann dürften sie also entsprechend in dem Buch zu finden sein. Niemand sonst hier hat das Buch und hat das überprüft.
Du gehst davon aus das Hr.Miertzschke die entsprechenden Belege gefunden hat, man könnte von Autoritätshörigkeit reden, die ja typisch deutsch sein soll.

Davon gehe ich nicht aus, deshalb meine Nachfrage, denn es gibt unzählige Beispiele die zeigen das von einander abgeschrieben, nicht recherchiert aber behauptet wird. Bezeichnenderweise meinst du das die Frage an dich gerichtet ist. War und ist sie nicht.

Aber du kannst ja gerne das Buch kaufen und dann die entsprechenden Passagen zitieren.

ZitatUnd die reine Behauptung eines Zweifelns ist hier noch kein Argument.
Du schreibst einen Text in der Möglichkeitsform und das soll ein Argument sein?

wirbelwind

Moin,

kleiner Einwurf als Landratte an die Disputierenden. Wie wäre es denn, sich das Buch einfach einmal auszuleihen und Entsprechendes nachzulesen, bevor der Ton noch rauher wird. Es ist ja nicht zu bestreiten, dass Autoren unbewiesene oder falsche Behauptungen übernahmen, ohne nachzurecherchieren. Nur allen per se zu unterstellen, geht in meinen Augen ein wenig in die falsche Richtung. Vielleicht äußert sich ja der User B.M. selbst nochmal. Nichts gegen eine sachliche Dikussion, solange sie nicht ausartet und dann verletzend wirkt.Da kann es durchaus konträre Positionen geben. Allein die nachweisbaren Fakten zählen zum Schluss.Die müssen dann aber auch kommen.

MfG Wirbelwind

Big A

Weapons are no good unless there are guts on both sides of the bayonet.
(Gen. Walter Kruger, 6th Army)

Real men don't need experts to tell them whose asses to kick.

mhorgran

Zitat von: wirbelwind am 14 August 2025, 08:50:48Moin,

kleiner Einwurf als Landratte an die Disputierenden. Wie wäre es denn, sich das Buch einfach einmal auszuleihen und Entsprechendes nachzulesen, bevor der Ton noch rauher wird. Es ist ja nicht zu bestreiten, dass Autoren unbewiesene oder falsche Behauptungen übernahmen, ohne nachzurecherchieren. Nur allen per se zu unterstellen, geht in meinen Augen ein wenig in die falsche Richtung. Vielleicht äußert sich ja der User B.M. selbst nochmal. Nichts gegen eine sachliche Dikussion, solange sie nicht ausartet und dann verletzend wirkt.Da kann es durchaus konträre Positionen geben. Allein die nachweisbaren Fakten zählen zum Schluss.Die müssen dann aber auch kommen.

MfG Wirbelwind
Nun, ich kenne Hr.Dr.Miertzschke nicht. Ja, ich bin da inzwischen grundsätzlich mißtrauisch.

ZitatAllein die nachweisbaren Fakten zählen zum Schluss.
Absolut ja.

B.M.

Liebe Forenmitglieder,

es freut mich, dass mein Beitrag auf eine so rege Resonanz gestoßen ist. Ich möchte daher die weiteren Fragen beantworten und noch hinzufügen, dass ich eine kritische Betrachtung, solange sie mit fundiertem Wissen untermauert wird (und jeder hat ja hier, wie ich es sehe, für seinen Standpunkt gute Argumente), sehr zu schätzen weiß.

@TW: Die genannte Passage, in den 1930er Jahren in der Flottenstärke mit Großbritannien gleichzuziehen, ist mir zumindest indirekt aus der Literatur bekannt. Ich werde die Stelle nochmal raussuchen, um zu schauen, auf welche Dokumente hierbei genau Bezug genommen wird.
Ich glaube, Tirpitz war in den letzten Jahren vor dem Weltkrieg so darum besorgt, überhaupt die 2/3-Flotte mit ,,Dreiertempo" umsetzen zu können, dass er an ein Weiterbauen zu dieser Zeit nicht konkret denken konnte. Die Hoffnung darauf hat ihn aber, wie dann die Dokumente aus dem Weltkrieg belegen, offenbar niemals verlassen.

@mhorgran: Mir ging es lediglich darum, dass dieser plakative Begriff, an dem sich hier so die Gemüter erhitzt haben, von mir nicht gebraucht wurde. Dass es freilich bei einem Rüstungswettlauf darum geht, wer von beiden den längeren Atem hat, da haben Sie natürlich vollkommen recht. Im Übrigen sehe ich es genau so wie Sie, dass die Hochseeflotte Stand 1914 aufgrund ihrer technischen Limitationen keine Bedrohung für Großbritannien darstellen konnte, das industrielle und technologische Potenzial eines nach Seemacht streben Deutschlands aber sehr wohl. Nun zur Frage der Parität in der Flottenstärke. Bezüglich der Zeit um 1900 gibt es dazu Hinweise im Buch von Berghahn: Der Tirpitz-Plan, hier insb. S. 206-207 und 508-511. Im Allgemeinen hat Tirpitz sich, wohlwissend auf welchem gefährlichen Pfad er sich hier außenpolitisch bewegte, zumindest in schriftlichen Quellen bis 1914 über die Fernziele seines Plans leider sehr bedeckt gehalten. In meinem Buch präsentiere ich allerdings etliche Aussagen von Tirpitz und seinen unmittelbaren Mitarbeiten (aus dem Tirpitz-Nachlass und den RMA-Akten), in denen (während des Krieges!) unmissverständlich erklärt wird, dass die Parität mit Großbritannien immer das eigentliche Ziel gewesen sei.

Noch zum zweiten Post: Die beiden Aussagen schließen sich keineswegs aus, da 1) bei guter geschichtswissenschaftlicher Arbeitsweise Quellendarstellung und Interpretation so getrennt werden sollten, dass der Leser sich auch ein eigenes Urteil bilden kann und 2) die Originalquellen die offensive Intention hinter dem Flottenbau m.E. ohnehin eindeutig belegen. So hat Tirpitz z.B. bei den von ihm nach dem Krieg veröffentlichten Akteneditionen (,,Politische Dokumente") einige Dokumente gezielt verfälscht. Im Original steht dort z. B. ,,gleich starke Flotte", in der Edition aber nur ,,Risikoflotte", wodurch die Aussage der Quelle gleich eine ganz andere wird.

@maxim: Sehr richtig, die weltpolitische Konstellation war Ende der 1890er Jahre noch eine andere, Großbritannien (freiwillig) isoliert usw.


Mir scheint, dass es vor allem die Frage um das eigentliche Endziel des Tirpitz-Plans ist, welche auch heute noch polarisiert. Ich plane zur Zeit einen Artikel, der sich mit diesem Aspekt und den zugehörigen Quellen noch einmal konzentriert auseinandersetzt. Ich würde dann ggf. auch hier Mitteilung machen, wann und wo dieser erscheint.

maxim

Zitat von: B.M. am 14 August 2025, 10:41:34Mir scheint, dass es vor allem die Frage um das eigentliche Endziel des Tirpitz-Plans ist, welche auch heute noch polarisiert. Ich plane zur Zeit einen Artikel, der sich mit diesem Aspekt und den zugehörigen Quellen noch einmal konzentriert auseinandersetzt. Ich würde dann ggf. auch hier Mitteilung machen, wann und wo dieser erscheint.

Ich bin gespannt!


Zitat von: mhorgran am 14 August 2025, 07:35:09Das war die britische Situation nach langen Vorbereitungen für diesen Krieg, nach langen Verhandlungen mit verschiedensten Staaten. Du nimmst einen, dir passenden, Zeitpunkt und verallgemeinerst ihn.

Ich habe die Entwicklung davor schon beschrieben - und auch explizit, dass sich meine letzten Ausführungen auf dem Stand vor dem Krieg bezogen und nicht etwa allgemein auf die gesamte Zeit seit 1898. 1898 war die Situation noch ganz anders: damals hatte Großbritannien keine Bündnispartner und noch Schlachtschiffe im Mittelmeer und Pazifik. 1898 wäre es noch viel leichter gewesen, eine Flotte aufzubauen, die die Vormachtstellung der Royal Navy herausforderte als 1914 (im Ersten Weltkrieg wurde es wieder leichter, da Großbritannien viele Ressourcen vom Schlachtschiffbau wegnehmen musste, so dass die US Navy und die japanische Marine aufholen konnten).

Zitat von: mhorgran am 14 August 2025, 07:35:09Die deutsche Schlachtflotte war 1914 keine Bedrohung für England,
Deshalb hat der politische Ansatz von Tirpitz auch nicht funktioniert - Großbritannien konnte darauf mit einer noch stärkeren Flotte reagieren. Entsprechend konnte Tirpitz Flotte auch nicht Großbritannien dazu zwingen, sich nicht an dem Krieg zu beteiligen und entsprechend auch nicht die imperialistische Ziele erreichen.

Zitat von: mhorgran am 14 August 2025, 07:35:09Die deutsche Flotte konnte auch keine Bedrohung sein denn sie hatte aus techn. Gründen nicht die entsprechende Reichweite.
Dieser Punkt ist mir unverständlich. Sowohl die Kaiserliche Marine als auch die Royal Navy bereitete sich auf einen Konflikt zwischen den Schlachtflotten in der Nordsee vor. Dafür brauchte es keine massive Reichweite. Wie schon erwähnt, baute die Royal Navy in Reaktion sogar Kreuzer mit geringerer Reichweite, da diese nur die Schlachtflotte in der Nordsee unterstützen sollten.

In Reaktion auf die ersten Erfahrungen im Ersten Weltkrieg entwickelte deutsche Offiziere Ansätze, die eine große Reichweite erforderten, siehe https://www.degruyterbrill.com/journal/key/mgzs/82/2/html

Die Royal Navy hatte sich im Ersten Weltkrieg für die Strategie der Fernblockade entschieden, so dass die Kaiserliche Marine nicht ihre Strategie der Abnutzung umsetzen konnte und ihr dann auch die Reichweite (aber noch viel mehr die Zahl der Schiffe) fehlte, um die Fernblockade zu beenden. Die Strategie der Fernblockade wurde aber genau in Reaktion auf die Hochseeflotte entwickelt.


Zitat von: mhorgran am 14 August 2025, 07:35:09Darum mußte sich auch England nicht auf Europa konzentrieren, das hatte rein politische Gründe.
Natürlich hatte dies auch politische Gründe, aber war eben auch eine Reaktion auf die Entwicklung der Hochseeflotte. Dadurch, dass Großbritannien Verbündete fand, konnte es die Flotte zu Hause konzentrieren. Trotzdem wurde es als notwendig angesehen, auch Kapazitäten für die Einsätze in Übersee zugunsten der Schlachtflotte zu opfern. So wurde der Bau von Sloops und Kanonenbooten für den Einsatz in den Kolonien eingestellt, genauso wurden fast nur noch Kreuzer für den Einsatz mit der Schlachtflotte gebaut (Ausnahme waren die Town-Klassen, die für beides geeignet waren).

mhorgran

Herr Hr.Dr.Miertzschke
Ich bedanke mich.


Zum Rest - kein Kommentar (nicht das ich dem zustimmen würde)

TW

Zitat von: maxim am 14 August 2025, 12:35:50
ZitatDie deutsche Schlachtflotte war 1914 keine Bedrohung für England,
Deshalb hat der politische Ansatz von Tirpitz auch nicht funktioniert - Großbritannien konnte darauf mit einer noch stärkeren Flotte reagieren. Entsprechend konnte Tirpitz Flotte auch nicht Großbritannien dazu zwingen, sich nicht an dem Krieg zu beteiligen und entsprechend auch nicht die imperialistische Ziele erreichen.
Ich kann der These, dass die deutsche Schlachtflotte 1914 keine Bedrohung für England darstellte, nicht zustimmen.
Gerade wegen ihrer Stärke (im engen Raum der Nordsee) hat sich England auf eine Auseinandersetzung mit der deutschen Hochseeflotte nicht eingelassen, sondern eine weite Blockade vorgezogen. Insofern ist Tirpitz' Risikokonzeption aufgegangen, wenn auch zum Unmut ihres Schöpfers.
Immer wieder hat Tirpitz versucht, die Briten "aus der Reserve" zu locken, ohne großen Erfolg. Die Skagerrak-Schlacht 1916 haben die Briten ja nicht gesucht, die Deutschen haben auf so eine Gelegenheit gewartet, und sie haben bewiesen, dass die deutsche Schlachtflotte durchaus ein ernstzunehmender Gegner gewesen ist.

P.S. Allerdings haben die Deutschen selber ihrer Hochflotte nicht zugetraut, die englische Blockade in der nördlichen Nordsee anzugreifen und zu durchbrechen. Oder war es tatsächlich nur die Eitelkeit ihres obersten Befehlshabers, des Kaisers, der seine "schöne" Flotte nicht gefährden wollte ?
(Aber Millionen von Soldaten schon).

P.P.S. Richtig ist natürlich, dass die Hochseeflotte ihrer Konzeption nach keine Bedrohung für die maritime Vormachtstellung Englands auf den Weltmeeren darstellte. Das ist für mich (wie auch für Kritiker aus der Kaiserlichen Marine) nach wie vor ein Rätsel, wie Tirpitz den imperialen Ausgriff auf die Weltmeere mit seiner Flottenkonzeption erreichen wollte. Die wird nur verständlich, wenn Tirpitz langfristig auf einen Gleichstand im Wettrüsten gegen England setzte, und ihm der Krieg im Grunde völlig ungelegen kam.
Schönen Gruß aus Stuttgart
Thomas

maxim

Zitat von: TW am 14 August 2025, 15:25:00Gerade wegen ihrer Stärke (im engen Raum der Nordsee) hat sich England auf eine Auseinandersetzung mit der deutschen Hochseeflotte nicht eingelassen, sondern eine weite Blockade vorgezogen. Insofern ist Tirpitz' Risikokonzeption aufgegangen, wenn auch zum Unmut ihres Schöpfers.
Immer wieder hat Tirpitz versucht, die Briten "aus der Reserve" zu locken, ohne großen Erfolg. Die Skagerrak-Schlacht 1916 haben die Briten ja nicht gesucht, die Deutschen haben auf so eine Gelegenheit gewartet, und sie haben bewiesen, dass die deutsche Schlachtflotte durchaus ein ernstzunehmender Gegner gewesen ist.

Das war eher umgedreht:
a) die Hochseeflotte hatte eine Konfrontation mit der gesamten Grand Fleet gemieden. Es war immer nur das Ziel, einen Teilverband isoliert zu vernichten, um die britische Überlegenheit zu reduzieren. Eine Schlacht mit der gesamten Grand Fleet wurde nicht angestrebt. Scheer ist in der Skagerrak-Schlacht auch sofort gewendet, als ihm klar, dass ihm die gesamte Grand Fleet gegenüber stand.

b) im Gegensatz dazu ist die gesamte Grand Fleet mehrfach ausgelaufen, um die Hochseeflotte abzufangen (basierend auf abgefangenen Funksprüchen). Jellicoe versuchte es bei Skagerrak mit einer gut vorbereiten Falle (Crossing the T), ihm gelang es aber nicht Scheer nach dessen Flucht (die beiden Gefechtskehrtwenden) wieder zu stellen. Auch z.B. am 19. August 1916 (als die britische Überlegenheit noch größer als bei Skagerrak war) versuchte die Grand Fleet die Hochseeflotte abzufangen und Scheer brach erneut ab, als er über die Sichtung der Grand Fleet informiert wurde.

c) die Royal Navy griff auch sonst mehrfach an, z.B. die Schlachten von Helgoland 1914, Doggerbank 1915 und Helgoland 1917.

d) die Strategie der Fernblockade (also der Ausgänge der Nordsee) vermied die Nahblockade, also den Einsatz eines isolierten Schlachtgeschwaders oder anderer Einheiten nahe der deutschen Küsten, wo  Tirpitz im Kleinkrieg mit Minen, Torpedobooten und U-Booten die britischen Blockadeeinheiten so lange dezimieren wollte, bis die Schlachtflotten gleich stark geworden wären. Durch die Fernblockade fiel diese Abnutzung weg, die Blockade konnte genauso errichtet werden und die Grand Fleet blieb klar überlegen.

e) Tirpitz hatte viel weitergehende Ziele: da ging nicht um die Frage, was in einem Krieg passieren würde (der dann auch ganz anderes lief, als sich die Kaiserliche Marine es sich vorgestellt hatte; gilt allerdings auch die Royal Navy, die nach dem Krieg Probleme hatte ihre Rolle zu rechtfertigen), sondern Großbritannien sollte überhaupt davon abgehalten werden, sich an einem Krieg gegen Deutschland zu beteiligen. Das ist bekanntlich komplett misslungen.

TW

Hallo Maxim,
Ich habe noch einmal in den mir zur Verfügung stehenden Handbüchern nachgelesen und gebe Dir in den meisten Punkten Recht. Vor allem meine Darstellung der Grundpositionen in der Skagerrak-Schlacht war absolut verkehrt.

Ich will dennoch meine Skepsis bezüglich der These,  dass die deutsche Schlachtflotte 1914 keine Bedrohung für England darstellte, verteidigen. Das klingt nämlich so, als sei die deutsche Flottenstärke ein ,,Furz" gewesen, den man in England getrost hätte ignorieren können. Bei Niall Ferguson liest es sich dann so, dass die Briten ganz unnötigerweise in den Krieg eingetreten seien, weil Deutschland weder militaristisch noch imperialistisch noch hinreichend kriegstüchtig gewesen sei. England hätte auch nicht zu den Vereinbarungen der Triple-Allianz stehen müssen. Niall hätte seinen geliebten Großvater :cry: noch kennenlernen können, wenn der dumme, Deutschland-phobe Außenminister Grey :x sein Land nicht fälschlich (mit falschen Argumenten) in diesen, in seinem Endergebnis ganz sinnlosen, Krieg hineingezogen hätte.

Ich hingegen sehe die Sache so, dass England das deutsche Machtpotential und dessen Geltungsdrang als Weltmacht (ich meine damit nicht deutsche ,Welt-Vorherrschaft', sondern Anerkennung als Gleiche unter den Ersten) schon richtig eingeschätzt hat, und dass es erkannt hat, dass Deutschland durchaus das Zeug hatte, Frankreich ein weiteres Mal zu unterwerfen und so an die begehrte Atlantikküste und auch Mittelmeerküste zu gelangen.

Was die Frage der Seeherrschaft betrifft, so lag dem ,,Tirpitz-Plan" doch eine Paradoxie inne, denn entweder wuchs die deutsche Hochseeflotte so stark heran, dass eine Auseinandersetzung im Nordsee-Raum für die Briten ein Risiko bedeutete, dem sie ausweichen mussten, oder man konnte sie zum Kampf (oder zu mehreren Gefechten) herausfordern, bei denen die Grand Fleet sukzessive dezimiert werden sollte. Tatsächlich hoffte Tirpitz (auch nach seiner Demissionierung) immer noch auf eine Vernichtungsschlacht im Raum westlich Helgoland, er versuchte das Flottenkommando dahingehend zu beeinflussen, die Briten herauszufordern; aber England hatte es nicht nötig, auf ein solches Risiko einzugehen. Also: so ein Leichtgewicht, wie eine Gegenüberstellung der Flottenstärken von Deutschland und England leicht suggerieren kann, war die Hochseeflotte am Ende offensichtlich nicht.
Schönen Gruß aus Stuttgart
Thomas

mhorgran

Hallo Thomas

Ich hab nicht behauptet, oder auch nur angedeutet, das die deutsche Flottenstärke ein "Furz" gewesen ist. Sie war bei den strategischen Gegebenheiten keine Bedrohung für England, sie konnte es auch nicht sein.
Selbst wenn die Hochseeflotte die britische Blockade gesprengt hätte wären damit keine Auswirkungen verbunden gewesen. Denn die deutsche Handelsflotte hätte trotzdem nicht die Welt befahren können. Der deutsche Beschuß britischer Nordseestädte -häfen war nervig aber wenig mehr.
Warum wollte die Grand Fleet die Hochseeflotte immer wieder stellen? Weil eine deutliche Schwächung der Hochseeflotte weitere strategische Optionen eröffnet hätte. Bis hin zur Öffnung der Ostsee - Verbindung mit Rußland - Bedrohung der deutschen Ostseeküste /-Häfen und Abschneiden des Dt. Reichs von den Skandinavischen Nickelvorkommen.

Ferguson hat völlig recht, aber er ignoriert augenscheinlich die britischen geostrategischen Interessen. Zb. ausgesprochen durch Herford Mackinder.

England hat das Deutsche Reich als Bedrohung empfunden. Richtig, für ihr Empire, für ihre Machtentfaltung, für ihren Reichtum. Ähnliches gab es in der Weltgeschichte immer wieder, regional aber auch weltweit. Eine Macht wird von aufsteigenden Mächten bedroht und wehrt sich gegen diese Bedrohung. Oft gab es dabei Krieg, weil das, für den Herausgeforderten, der einfachste Weg ist.
Aktuell sehen wir das zwischen USA und China (und Rußland).

Das Deutsche Reich wollte keine Krieg mit Frankreich, warum auch? Dein Szenario ist nur darstellbar wenn Frankreich, wie 1870 oder 1914, angreifen würde. Die begehrte Atlantikküste / Mittelmeerküste, man sollte nicht Wünsche welche während des Krieges geäußert wurden mit Wünschen vor dem Krieg verwechseln.

Die deutsche Hochseeflotte hatte die Aufgabe eine enge Blockade der deutschen Häfen zu verhindern - diese Aufgabe hat sie erfüllt.
Schutz der deutschen Küste - erfüllt
Verhindern des Eindringens eines Gegners in die Ostsee - erfüllt
Sie sollte die deutschen Chancen verbessern außerhalb Europas neue Verbündete zu finden - nicht erfüllt
England davon abhalten in einen europäischen Krieg als Gegner des dt. Reichs einzutreten - nicht erfüllt und eine sehr grundlegende Fehlanalyse.

ZitatOder war es tatsächlich nur die Eitelkeit ihres obersten Befehlshabers, des Kaisers, der seine "schöne" Flotte nicht gefährden wollte ?
(Aber Millionen von Soldaten schon).
Gedanken eines "Fritz Fischers". Komisch das Wilhelm II in der USA als der Friedenskaiser bezeichnet wird, vor Kriegsausbruch den russischen Zaren angefleht hat die Mobilisierung zu beenden und keinen Krieg zu beginnen.


ZitatDas ist für mich (wie auch für Kritiker aus der Kaiserlichen Marine) nach wie vor ein Rätsel, wie Tirpitz den imperialen Ausgriff auf die Weltmeere mit seiner Flottenkonzeption erreichen wollte.
wollte er das überhaupt? Ich behaupte nein.



maxim

Zitat von: TW am 14 August 2025, 21:26:42Was die Frage der Seeherrschaft betrifft, so lag dem ,,Tirpitz-Plan" doch eine Paradoxie inne, denn entweder wuchs die deutsche Hochseeflotte so stark heran, dass eine Auseinandersetzung im Nordsee-Raum für die Briten ein Risiko bedeutete, dem sie ausweichen mussten, oder man konnte sie zum Kampf (oder zu mehreren Gefechten) herausfordern, bei denen die Grand Fleet sukzessive dezimiert werden sollte.
Das liegt daran, dass Tirpitz hier ein politisches Konzept verfolgte - kein militärisches. Das Ziel war eine Flotte aufzubauen, die so stark war, dass ein Konflikt mit dieser das Risiko einer Niederlage und der Verlust der Schlachtflotte darstellte. Das Ziel war, dass Großbritannien so gehindert werden sollte, auf Seiten der Gegner Deutschlands in einen Krieg einzugreifen. Dadurch sollte Deutschland frei seine imperialistische Ambitionen verfolgen können.

Was passierte, wenn das nicht funktionierte und Großbritannien auf der Seite der Gegner Deutschlands in einen Krieg eingriff, war ein ganz anderes Thema. Hier war vor Kriegsausbruch die militärische Strategie, durch Kleinkrieg und durch Angriffe auf isolierte Verbände die britische Schlachtflotte so weit zu schwächen, dass diese in einer Seeschlacht von der Hochseeflotte geschlagen werden konnte. Diese militärische Strategie funktionierte auch nicht - einerseits wegen der Fernblockade, andererseits weil selbst wenn man britische Verbände mal isoliert hatte, es nicht gelang diese zu vernichten (sie entkamen wie bei Skagerrak oder wurden gar nicht erst gestellt).

Die Vermischung bzw. Verwechselung der Politik hinter den Flottengesetzen mit der militärischen Strategie führt auch zu solchen Argumenten, wie sie auch mhorgran vorbrigt - die Hochseeflotte könnte keine Bedrohung sein, weil selbst das Sprengen der Blockade deutschen Handelsschiffen keinen freien Zugang zu den Weltmeeren gebracht hätte. Dabei war das politische Ziel von Tirpitz einen Kriegseintritt Großbritanniens zu verhindern - und damit sowohl die Blockade als auch jede andere Art von Bedrohung deutscher Handelsschiffe durch britische Schiffe zu verhindern. Wenn diese Politik scheiterte, gab es auch keine Strategie Zugang zu den Weltmeeren zu erlangen - außer den Krieg zu gewinnen und dann nach Kriegsende den Zugang zu haben.

Das Deutschland Frankreich und Russland angegriffen hat - und dabei auch das neutrale Belgien überfiel, was wiederum den Kriegseintritt Großbritanniens provozierte - sollte ja bekannt sein. Die Frage, ob Frankreich vielleicht auch ohne die Umsetzung des Schlieffen-Plans seinerseits angegriffen hätte, kann man heute nur noch spekulativ beantworten, weil Deutschland ja angegriffen hatte.

Interessant ist, dass es keine maritime Komponente des Schlieffen-Plans gab und so auch keinen Versuch, das Übersetzen der britischen Truppen nach Frankreich zu verhindern - deren Eingriffen (und nicht das Eingreifen der Royal Navy!) entscheidend dazu beitrug, dass auch die Strategie der deutschen Armee scheiterte.

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