Mein Kriegsende auf M-601 - Todesurteile

Begonnen von Maurice Laarman, 08 Februar 2008, 11:51:26

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Maurice Laarman

Mein Freund Egon Otten hat dieser Bericht verfasst, welcher er gerne mit uns teilen will.


Gedanken an mein Kriegsende auf ,,M 601 ,,
Gedenken an ein Kriegsende mit 11 Opfern auf ,, M 612 ,,.

Ich erlebte das Ende des zweiten Weltkrieges auf dem Minensuchboot "M601" in Sonderburg in Dänemark. Wir waren amTodestag des Führers aus Rostock ausgelaufen, vollgeladen mit Flüchtlingen. Zum Teil Familien welche schon eine lange Flucht hinter sich hatten. Wir verließen morgens am 30.04.45 die Rostocker Neptun Werft und liefen erst einmal nach Warnemünde, hier legten wir beim Verpflegungsamt an und ergänzten unsere Vorräte und viele andere gute Dinge, die wir im Verpflegungsamt vorfanden. Ich persönlich hatte mir eine Kiste Schokolade organisiert, denn das Verpflegungsamt sollte gesprengt werden. Kaum hatten wir die Pier verlassen, als ein russischer Panzer auf dem Strandgelände auftauchte und uns einen Schuß nachsandte.


Unser Zielhafen sollte Kiel sein, da wir dort stationiert waren. Auf der Nachtfahrt dorthin, wo es immer wieder U Boots Alarm gab, wurde die Meldung von Hitlers Tot über die Bordlautsprecheranlage verbreitet, gleichzeitig wurde Großadmiral Dönitz zu seinem Nachfolger ernannt. Für uns ganz jungen Soldaten ein Gefühl von Haltlosigkeit die aufkam. Auf jedenfalls war alles froh darüber, daß nun wohl endlich der Krieg zu Ende gehen soll. Kiel wollte uns nicht haben, man beschäftigte sich damit Papiere und Unterlagen zu verbrennen und es ging nicht einmal eine Leine an Land. Die Order lautete nach Dänemark zu laufen.

In See gab viele Fliegeralarme, der Angriff eines Flugbootes mit Bordwaffen wurde von der Bordflak abgewehrt, ohne Zielvorgabe liefen wir nach Kopenhagen und wollten an der langen Linie bei dem Kreuzer Prinz Eugen" und Kreuzer ,,Nürnberg" anlegen, denn wir wollten gerne unsere Flüchtlinge an Land abgeben. Zu einem Anlegen kam es nicht, indem wir Befehl erhielten nach Sonderburg zu fahren. In Sonderburg gingen wir durch die Drehbrücke, welche schon mit Widerstandskämpfern besetzt war, in den Hafen und legten uns im Päckchen zu ,, M 612 ,,. Wir hatten gehofft die Flüchtlinge abgeben zu können, aber die Dänen waren nicht mehr bereit, Deutsche Flüchtlinge aufzunehmen. Noch herrschte Kriegszustand und man mobilisierte alle Schiffe die noch fahrbereit waren, die eingeschlossenen Truppen aus Kurland zu evakuieren. Auch für unsere beiden Schiffe ,,M 601" und ,,M 612" die zur neuen 12. M S Flottille gehörten, galt es nun Vorbereitungen zu treffen. Zunächst war der Brennstoffvorrat, sprich Kohlen zu ergänzen. Beide Schiffe gingen nach Apenrade zum Bunkern. Der Steinkohlenvorrat war verbraucht und es gab nur noch Braun-kohlenbriketts. Damit eine hochwertige Kesselanlage zu beheizen, in Kriegszeiten war fast unmöglich. Bei dem großen Dampfbedarf der Maschinen, kam anstatt Rauch, nur Funkenflug aus dem Schornstein, welches bei kriegsmäßigen Fahren in der Dunkelheit, sehr gefährlich sein konnte.


Beide Schiffe kehrten nach Sonderburg zurück." M 612" hatte an der Pier festgemacht, wir legten uns dazu ins Päckchen. Jetzt ging durch unser Schiff eine seltene Unruhe. Es wurde von Aussteigen und Abhauen gesprochen und es ist schon richtig, wenn sich diese Unruhe auf die Besatzung von ,,M 612" übertrug und man keine Lust mehr verspürte nach Kurland auszulaufen, überhaupt noch den Kopf hin zu halten. Die Unruhe hatte seinen Ursprung im techn. U-Raum ( Unteroffiziers-messe). Fünf Leute unseres Schiffes waren in der Nacht verschwunden und sind nicht wieder aufgetaucht. Sie sollen von den Dänischen Widerstandskämpfern aufgegriffen worden sein.


Am nächsten Morgen, es war des 5. Mai 1945, machte ,, M 612" seeklar zum Auslaufen. Unser Boot konnte wegen der Flüchtlinge an Bord vorläufig nicht seeklar machen und wir ließen ,, M 612 ,,aus dem Päckchen heraus manövrieren. Inzwischen waren die Kampf-handlungen ab den 5. Mai 1945 im Nordbereich und Dänemark einzustellen d. h. es durften auch keine Schiffsbewegungen mehr geben, aber für die Schiffsführungen bestand einfach noch der Befehl nach Kurland zu laufen .Es waren junge Offiziere an Bord von ,,M 612 die noch vom Tatendrang besessen waren und es ging ,,M 612" in See. Weit ging die Reise nicht. Gerade in See, die Küste war noch zu sehen, bemächtigte sich die Mannschaft der Schiffsführung und sperrte die Offiziere in ihren Kammern und der Messe ein und stellte bewaffenete Posten vor den Türen auf. Dieses war offene Meuterei und gab dem Kommandanten eines vorbei-fahrenden Schnellbootes den Verdacht, daß hier nicht alles in Ordnung sei, nach dem er einen Winkspruch an den Kommandanten absetzte, welcher unbeantwortet blieb Er wurde mißtrauisch und ging bei dem Schiff längseits. Sofort wird eine Meldung an die Flottille abgesetzt. Während des Nachmittags kommt es zu einer gütlichen Einigung zwischen den Meuterern und dem Kommandanten. Es scheint der Friede wieder hergestellt zu sein.


Am Nachmittag erscheinen auch mehrere S Boote und umstellen das M Boot . Es kommt ein Untersuchungs-kommando an Bord, unter anderem ein Crewkamerad des Kommandanten. Der Tatbestand, daß bei der Begegnung mit dem S Boot, nicht der Kommandant oder sonst ein Verantwortlicher auf der Brücke waren, noch auf Anfrage dort erschienen sind,hatten denVerdacht erhärtet.

Die Verhandlung:
Auf Angaben über Tatbeteiligte, Tatanteile , beziehen sich die Standgerichtsurteile. Für 11 Männer Todesurteile und 4 Männer Zuchthausstrafen. 5 Männer werden freigesprochen. Das Alter der Männer war von 18 bis 23 Jahren, noch blutjung.

Die Kommission ging von Bord um sich die Urteile von einer höheren Gerichtsinstanz bestätigen zu lassen und kehrten gegen 22 Uhr auf das vor Anker liegende Schiff zurück. Gegen 23 Uhr beginnt die Vollstreckung der Todesurteile. Es befand sich nicht wie vorgeschrieben ein Arzt an Bord, um den Tot nach dem Vollzug festzustellen. Zur Vollstreckung war ein Kommando von Land, an Bord mitgebracht worden. Die gesamte Besatzung mußte der Vollstreckung zu sehen, welche auf der Back stattfand. Es geschah auf eine unmenschliche Art und Weise. Die Leichname wurden mit Grundgewichten versehen und über Bord geworfen. Später wurden die Toten von Dänischen Fischern geborgen. Alle Leichname konnten nicht gefunden werden. Die geborgenen Toten wurde auf dem Friedhof in Sonderburg beigesetzt, auf dem Teil der für Kriegstote und Verstorbene der Wehrmacht vorgesehen war.

Das Vorgehen und das Urteil wirft viele Fragen auf. War es offene Meuterei, war es ein Aufbegehren gegen staatliche Gewalt einer schrecklichen Diktatur? Die Kampfhandlungen und Schiffsbewegungen waren nach Kapitulationsvertrag nicht mehr erlaubt. Warum wurde die Verurteilung und Vollstreckung in dieser Zeitnot und Tempo ausgeführt? Ich finde hier liegt das unmenschliche Verhalten der vom Nationalismus geprägten Richtenden vor.Wo ist der Verstand? Könnte man das Tun der Soldaten mit dem Tun der Männer vom 20 Juli gleichsetzen? War es ein Unkameradschtliches Verhalten gegenüber der noch in Kurland kämpfenden Truppe? Warum wurde der unsinnige Befehl noch befolgt? Fragen über Fragen? Ich weiß , es wird nicht gerne in Marinekreisen darüber gesprochen, aber zum erstenmal taucht etwas öffentlich auf, in der Ausstellung: ' Germania auf dem Meere' in Wilhelmshaven, gezeigt 1998 im Rathaus. Auch das zur Ausstellung erschienene Buch berichtet über den Vorfall.

Nicht durch die Kriegsgegner, sondern durch die Gewehre der Kameraden fanden die elf Männer den Tod.

Die Volksmarine der ehem. DDR hat diese Vorfälle des 5. Mai 1945 zu Zwecken ihrer Propaganda tendenziös ausgenutzt Schiffe bekamen den Namen der Erschossenen. Wenn von der roten Fahne gesprochen wird, welche an Bord gehißt sein sollte, so ist dieses nicht wahr.

Obwohl ein Lübecker Gericht später auf eine Klage der Angehörigen von einer offenen Meuterei gsprochen und entschieden hat, wurden die Toten rehabilitiert und den Angehörigen Ansprüche auf Kriegsopferentschädigungen zugebilligt.

kalli


Spee

Servus Maurice,

die Frage ist, ob der Befehl zur Einstellung aller Kampfhandlungen in Dänemark (also auch die Einstellung aller Schiffsbewegungen) von einer übergeordneten Dienststelle zu der Dienststelle kam, welche den Kurland-Befehl gab. Dann müßte der Befehl zum Auslaufen nach Kurland aufgehoben sein. Damit wäre die Handlung des S-Boot-Kommandanten befehlswidrig gewesen.
Der Auftrag "Kameraden rausholen" ist ein moralischer, wobei man sich fragen sollte, wie Moral und drittes Reich vereinbar sind.
Servus

Thomas

Suicide Is Not a War-Winning Strategy

Hastei

Hallo,
sehr ergreifend .
Dazu habe ich zwei Bücher :

Ein Kriegsende von Siegfried Lenz und

Hol nieder Flagge,
Ereignisse um ein Standgericht  von Hans Constabel

Aus heutiger Sicht schwer nachvollziehbar, aber im Krieg,auch wenn er gerade zu Ende war , kann man nicht einfach weglaufen. Sage ich mal so kühn.
Menschlich aber auf jeden Fall sehr tragisch.

Gruß Hastei

habichtnorbert

Moin,moin, Maurice,

Das ist ein klasse Bericht von Deinem Freund Egon Otten als Zeitzeuge und Teilnehmer des WW2 auf einem Minensucher, ich mußte ihn erst 2 mal lesen,

schade nur das dieses Thema, von den früheren Amtierenden Personen in Ost und West, jeweils anders ausgelegt wurde,

von der DEFA wurde in den Jahren 1967-68 auch ein Film, leider ist mir der Titel zurzeit entfallen, gedreht, wozu ein Ausgemustertes "KSS 50-Riga" und ein Ausgemustertes "MLR Habicht" der VM hergerichtet wurden.

Danke Dir und Deinem Freund, für die Einstellung dieses Beitrages hier, Tatsachenberichte sind besser als alles was man sonst darüber höhrt und liest.

:MG: Norbert

Gruß Norbert

Wo die Flotte hinfährt, sind die Minensucher schon gewesen

Das Historische Marinearchiv: www.historisches-marinearchiv.de

Albatros

Ich habe in diesem Forum gelernt das heutige Maßstäbe und heutiges Rechtsempfinden nicht anzuwenden sind,so ist es auch hier!.



Gruß, :MG:



Albatros

kalli

#6
Zitatvon der DEFA wurde in den Jahren 1967-68 auch ein Film, leider ist mir der Titel zurzeit entfallen, gedreht, wozu ein Ausgemustertes "KSS 50-Riga" und ein Ausgemustertes "MLR Habicht" der VM hergerichtet wurden.

@Norbert,

meinst Du den Film "Rottenknechte", der hatte aber einen anderen historischen Bezug.

ZitatIch habe in diesem Forum gelernt das heutige Maßstäbe und heutiges Rechtsempfinden nicht anzuwenden sind,so ist es auch hier!.

@Albatros,

richtig, aber zum Weinen ist es trotzdem...

Big A

ZitatDer Auftrag "Kameraden rausholen" ist ein moralischer, wobei man sich fragen sollte, wie Moral und drittes Reich vereinbar sind.
Hallo Leute, ich denke, wenn es darum ging, Kameraden vor der anrückenden Roten Armee aus Kurland herauszuholen, dann hat das nichts mit dem 3.Reich zu tun sondern ist ganz einfach Soldatenpflicht. Ich erwarte dass mein Kamerad für mich einsteht und mich ggf. heraushaut und vice versa.
Allen anderen Äußerungen kann ich nur zustimmen.

Axel
Weapons are no good unless there are guts on both sides of the bayonet.
(Gen. Walter Kruger, 6th Army)

Real men don't need experts to tell them whose asses to kick.

Maurice Laarman

Freunden,

Es ist sicher ein interessantes Bericht. Die Todesurteile im 3.Reich haben mein Interesse. Wenn man es vergeleicht mit die allierten Armeen, war man im 3.Reich nicht karg mit die Verteilung Todesurteilen.

Ob es in dieser Fall zurecht war, ist immer ein Frage wer man das fragt und wann man das fragt. Ich kann mich vorstellen das Jemand, eingesetzt auf einer der Schiffe welcher an die Evakuation 44/45 beteiligt waren, darüber anders denken wird als Jemand der die Geschichte 60 Jahr später vernehmt.

Vielleicht sollen wir auch nicht urteilen?


Ich habe mich bemüht,

Die Welt weder zu verhöhnen, noch zu beweinen,

Noch zu verabscheuen,

Sondern sie zu begreifen.....so wie sie ist!

Baruch Spinoza

kalli

@Maurice Laarman,

Danke Maurice,

bessere Worte sind da wohl schwer zu finden...

Spee

@Big,

wenn dein Befehl ein anders lautender ist, dann kannst entweder deiner "Soldatenpflicht" folgen, wirst dabei aber in Kauf nehmen müssen einem Befehl zuwider zu handeln. Was machst du dann? Genau das ist hier die Frage.
"Kameraden rausholen" wurde doch erst zu diesem Zeitpunkt als eine "moralische Pflicht" propagiert, wobei man gleichzeitig neue Truppen in den Kessel brachte. Wo ist denn da der Sinn?
Servus

Thomas

Suicide Is Not a War-Winning Strategy

Big A

@Spee: Grundsätzlich gilt der letzte Befehl, wenn er denn als solcher erkannt wird. Ob das hier der Fall war vermag ich nicht zu beurteilen. Ob die unten beschriebenen Handlungen Verbrechen waren, weiß ich ic nicht, aus heutihger Sicht und Auffassung definitiv. Ob man im Chaos des Untergangs und Kriegsendes eine Meuterei tolerieren konnte? Wie gesagt, wir wissen aus dem Bericht nicht, wie die genaue Befehlslage war und wie die Kenntnis der Befehle auf dem Boot war, daher vermag ich mir kein abschließendes Urteil zu bilden.
Kameraden herausholen, war nach meiner Kenntnis auf Verwundete bezogen, leider wurden in den Kessel bis zum Schluß noch frische, blutjunge und de facto nicht ausgebildete Landser gebracht, von der Ausrüstung ganz zu schweigen!
Moralisch? Wohl kaum, aus heutiger Sicht...
Weapons are no good unless there are guts on both sides of the bayonet.
(Gen. Walter Kruger, 6th Army)

Real men don't need experts to tell them whose asses to kick.

Spee

#12
@Big,

so wie ich die Sache verstehe (kann also auch falsch sein), waren bereits Kapitulationsverhandlungen in Dänemark in Gang. Eine alliierte Forderung war, daß alle deutschen Marineeinheiten ihre Position nicht verändern. Somit hätten die M-Boot-Fahrer richtig gehandelt.
Moralisch richtig wäre es gewesen, den Kurland-Kessel schon wesentlich früher zu evakuieren und da schließt meine Kritik über Moral an. Besagter Bindung von feindlichen Truppen stand ein für deutsche Verhältnisse zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vertretbarer logistischer Aufwand entgegen. Die deutschen Truppen wurde m.E. mit jedem weiteren Bestand des Kurland-Kessels sinnlos geopfert. Wenn also jemand eine moralische Pflicht von seinen Soldaten einfordert, dann muß er sich fragen lassen, wie er es moralisch vertreten konnte, diese Soldaten erst in diese verhängnisvolle Situation gebracht zu haben.
Servus

Thomas

Suicide Is Not a War-Winning Strategy

Big A

ZitatWenn also jemand eine moralische Pflicht von seinen Soldaten einfordert, dann muß er sich fragen lassen, wie er es moralisch vertreten konnte, diese Soldaten erst in diese verhängnisvolle Situation gebracht zu haben.
Datum/Zeit
Nur dass die für diese Lage verantwortlichen zu dem Zeitpunkt schon tot oder gefangen waren!
Weapons are no good unless there are guts on both sides of the bayonet.
(Gen. Walter Kruger, 6th Army)

Real men don't need experts to tell them whose asses to kick.

kalli

Ihr habt ja beide recht. Das ist eben leider so. Die letzten Kriegstage waren ja so verhängnisvoll wie im Einsatz so sinnlos.
Was da noch passiert ist, kann man meines Erachtens nicht mehr mit Befehlsgewalt und Kriegsrecht beschreiben. Da war auch Chaos. Lest mal was unser Werner dazu berichtet hat. Lasst die formale Diskussion einfach mal weg.
Situationsbeschreibungen gibt es zu hauf, Aufgegängte auch mit ner Pappe um den Hals- Leute, die sich jahrelang im Graben befunden haben...und den Arsch hingehalten haben und dann nicht mehr konnten, die eingangs beschrieben en Erschießungen waren selbst nach dem damaligen "Recht" nicht "zulässig" und somit Mord. Punkt.

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