Unklarheiten zu T. Clancy: "Ehrenschuld"

Begonnen von Schorsch, 02 September 2011, 11:16:44

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Schorsch

Hallo zusammen,

ich lese (gerade wieder einmal) von Tom Clancy: ,,Ehrenschuld" und eine Frage dazu will mir nicht aus dem Kopf. Zunächst, wer das Buch nicht kennen sollte: es geht darin um einen bewaffneten Konflikt der USA mit Japan, in dem Japan versucht, sich die Rohstoffreserven in Sibirien zu sichern und zunächst dafür die USA als ,,Weltpolizisten" ausschalten will, um sich später ungestört mit Russland auseinandersetzten zu können. Dafür werden in einer japanischen Überraschungsaktion während einer gemeinsamen Übung der japanischen Flotte und der US-Navy zwei U-Boote der Pazifikflotte durch japanische SSK versenkt und auch die zwei an der Übung beteiligten Flugzeugträger der Amerikaner schwer beschädigt, um die US-Navy temporär zu einer ,,Fregattenmarine" zu machen. Als Zeitpunkt der Ereignisse ist das Ende der 1990-er Jahre anzunehmen.

Um den Angriff auf die Flugzeugträger geht es mir. Dazu aber noch einige Vorbemerkungen zum besseren Verständnis. Es wird im Kapitel 20 des Buches geschildert, wie nach dem Abschluss eines Trainingsabschnittes der erwähnten Flottenübung vor dem Ausbruch der eigentlichen Auseinandersetzungen die japanischen Überwasserkräfte, darunter vier Lenkwaffenzerstörer des KONGO-Typs auf den US-amerikanischen Flottenverband zulaufen, in ihn eindringen, in dessen Zentrum eine Gefechtskehrtwendung ausführen und den Verband wieder verlassen. All das geschieht vor den eigentlichen Kampfhandlungen bzw. stellt deren Anfang dar, so dass die Besatzungen der US-Schiffe zunächst von einer japanischen Ehrenbezeigung ausgehen. Allerdings werden nach Beendigung der Wendung von einem der Zerstörer ,,versehentlich" auf jeden der beiden Flugzeugträger je drei Torpedos losgemacht. Als die Torpedos von amerikanischer Seite bemerkt werden, erhöhen die Flugzeugträger die Geschwindigkeit und versuchen, durch Abdrehen und das Zeigen des Hecks eine möglichst kleine Silhouette zu präsentieren. Die Torpedos, im Buch als Mk 50 BARRACUDA mit relativ kleinen 50 kg-Gefechtsköpfen zur U-Bootsabwehr benannt, treffen allerdings gezielt die mit Höchstdrehzahl laufenden Schrauben der beiden Flugzeugträger und beschädigen einige durch Abreißen einer bzw. mehrerer Fluken. Durch die entstandene Unwucht werden fast alle Antriebsstränge der Flugzeugträger zerstört.

Jetzt die eigentliche Frage: Ist während der Ausbildung von Marine-Offizieren die Reaktion ,,All ahead flank!" auf den Ruf ,,Torpedo in the water!" derartig fest verankert worden, dass man eigentlich schon fast von einem Reflex sprechen kann, oder hätte mit etwas kühlerer Überlegung die Schiffsführungen der Träger zu dem Schluss kommen müssen, dass ein Stoppen der Maschinen und die Inkaufnahme, dass ein paar 50 kg-Sprengköpfe, die ein 100 000 t-Schiff treffen, zwar Löcher in den Rumpf reißen, aber insgesamt weniger Schaden anrichten, als wenn die Mehrzahl der Wellen nebst Schrauben und Getrieben zum Teufel gehen?

Mit freundlichen Grüßen
Schorsch
'Judea, London. Do or Die.'

"Ubi dubium, ibi libertas." (Wo Zweifel ist, da ist Freiheit.)

dirkP1a

Ist ja eh hypothetisch, aber woher soll man in der Kürze der Zeit mit hoher Sicherheit feststellen, um welchen Torpedotyp es sich handelt !?
Ein standarisiertes Verfahren ist da, nach meiner Ansicht, die bessere Lösung. Auch wenns wie im fiktiven Fall vielleicht kontraproduktiv war.
Diskutiere nie mit Idioten , sie ziehen dich auf ihr Niveau herab und schlagen dich dann mit ihrer Erfahrung .

Gruß  DIRK

Big A

Die "Emergency Tango" - Manöver (Torpedoabwehrmaßnahmen) gem. Allied Tactical Publication gehören zum Standart der Operationsdienstausbildung....


Axel
Weapons are no good unless there are guts on both sides of the bayonet.
(Gen. Walter Kruger, 6th Army)

Real men don't need experts to tell them whose asses to kick.

Schorsch

Zitat von: dirkP1a am 02 September 2011, 11:46:14
Ist ja eh hypothetisch, aber woher soll man in der Kürze der Zeit mit hoher Sicherheit feststellen, um welchen Torpedotyp es sich handelt !?
Ein standarisiertes Verfahren ist da, nach meiner Ansicht, die bessere Lösung. Auch wenns wie im fiktiven Fall vielleicht kontraproduktiv war.
...nun ja, ein Blick z.B. in den Weyer verrät, dass das Torpedokaliber an Bord der KONGOs 324 mm beträgt und da kommen ja nicht allzugroße Sprengköpfe bei den Torpedos in Betracht. Zumal ja BARRACUDAs eine US-amerikanische Entwicklung sind, die bei den Japaneren zum Einsatz waren/sind und im Regelfalle in der "heutigen Zeit" auf größeren ÜW-Einheiten ohnehin keine Schwergewichtstorpedos wie der Mk. 48 oder der DM 2 A1 mitgeführt werden.

Zitat von: Big A am 02 September 2011, 12:07:10
Die "Emergency Tango" - Manöver (Torpedoabwehrmaßnahmen) gem. Allied Tactical Publication gehören zum Standart der Operationsdienstausbildung....
...aber genau das ist ja das eigentliche Problem: Kann man verlangen, die Gegenseite so gut zu kennen, um in gewissen Situationen (auch ohne im Weyer/Jane's o.ä. blättern zu müssen), begründet vom Standard-Prozedere abzuweichen?

Mit freundlichen Grüßen
Schorsch
'Judea, London. Do or Die.'

"Ubi dubium, ibi libertas." (Wo Zweifel ist, da ist Freiheit.)

Big A

Die Emergency Manovres sind aus langer Erfahrung entstanden.
Nicht zu vergessen, dass Japan auch der "westlichen" Allianz zugerechnet wird (auch in dem dem Buch zugrunde liegenden Plott), mithin also die Japaner auch in der entsprechenden Doktrin ausgebildet sind. Daher ist der "Trick", mt dem die Träger vorübergehend aD gestellt wurden, logisch und richtig angewendet.
Nicht vergessen sollte man in dem vorliegenden Fall die ausgesprochen kurze Kampfentfernung und dass bei Abschluss des Manövers quasi schon "aufgeräumt" wurde und weder Nixie noch sonstige Abwehrgeräte ausgebracht waren.

Axel
Weapons are no good unless there are guts on both sides of the bayonet.
(Gen. Walter Kruger, 6th Army)

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Urs Heßling

hallo, Schorsch,

Zitat von: Schorsch am 02 September 2011, 11:16:44
oder hätte mit etwas kühlerer Überlegung die Schiffsführungen der Träger zu dem Schluss kommen müssen, dass ein Stoppen der Maschinen und die Inkaufnahme, dass ein paar 50 kg-Sprengköpfe, die ein 100 000 t-Schiff treffen, zwar Löcher in den Rumpf reißen, aber insgesamt weniger Schaden anrichten, als wenn die Mehrzahl der Wellen nebst Schrauben und Getrieben zum Teufel gehen?

abgesehen von dem von Axel richtig dargestellten Überlegungen zur "Standardtaktik" möchte ich zu Bedenken geben, daß man die Wellen eines turbinengetriebenen Schiffs nicht einfach "abstellen" kann. Ich denke, daß die auf kürzeste Entfernung geschossenen Torpedos eher am Ziel waren als die Wellendrehzahl soweit hätte heruntergefahren werden können, daß eine akustische Zielerfassung nicht mehr möglich war.

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

Schorsch

Hallo zusammen!

Zitat von: Urs Hessling am 04 September 2011, 21:08:40
abgesehen von dem von Axel richtig dargestellten Überlegungen zur "Standardtaktik" möchte ich zu Bedenken geben, daß man die Wellen eines turbinengetriebenen Schiffs nicht einfach "abstellen" kann. Ich denke, daß die auf kürzeste Entfernung geschossenen Torpedos eher am Ziel waren als die Wellendrehzahl soweit hätte heruntergefahren werden können, daß eine akustische Zielerfassung nicht mehr möglich war.
...die akustische Zielerfassung zu vermeiden, war auch nicht das Ziel meiner Überlegungen, zumal im Buch die Torpedos via aktiver Zielsuche zu den Schrauben der Träger geleitet werden. Es ging mir um die Vermeidung der Sekundärschäden an Wellen und Getrieben durch die auftretende Unwucht eines Propellers, dem ein oder zwei Fluken abgerissen wurden.

Natürlich ist es für den dramatischen Aufbau des Plots im Buch wichtig, dass die US-Träger zunächst aus dem Spiel genommen werden. Das umso mehr, um den einen dann später überraschend wieder auf der Bildfläche erscheinen lassen zu können.

Interessant ist unter dem Aspekt ,,Abweichen von Standardtaktiken" aber noch Kapitel 46, in dem ein U-Boot der OHIO-Klasse zwei angreifenden japanischen Torpedos aus dem Weg geht, indem es ein Notauftauchmanöver einleitet und etwa eine halbe Stunde gestoppt an der Wasseroberfläche abwartet, bis den suchenden Torpedos bei ihrer Jagd nach einem Geräuschköder in der ursprünglichen Tauchtiefe des U-Bootes der Atem ausgeht. In dieser Situation entscheidet der Kommandant des angegriffenen Bootes auf Grund seines Wissens über die Eigenschaften der japanischen Torpedos, die auf einem amerikanischen Modell beruhen.

Da ich es bis dato versäumt habe, mich für die fundierten Reaktionen auf meine Fragen zu bedanken, soll das an dieser Stelle noch nachgeholt sein.

Mit freundlichen Grüßen
Schorsch
'Judea, London. Do or Die.'

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Urs Heßling

moin, Schorsch,

Zitat von: Schorsch am 20 September 2011, 07:16:54
, zumal im Buch die Torpedos via aktiver Zielsuche zu den Schrauben der Träger geleitet werden.

bei allem Respekt vor deinem großen U-Boot-Wissen: ich glaube nicht, daß das geht (will sagen, daß akustisch aktive zielsuchende Torpedos von Ihrem Programm genau auf die rotierenden Schrauben gelenkt werden und sich nicht einfach ein "festes" Ziel suchen). Der Treffer an der Schraube ergibt sich meiner Meinung nach eher zwangsläufig aus der vorherigen Zielansteuerungsphase im Passiv-Modus.

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

Schorsch

Hallo Urs,

in der geschilderten Szene werden die Torpedos durch einen Operator an Bord des japanischen Zerstörers bewusst über Kabel und unter Verwendung der aktiven Suchköpfe der Torpedos in die Schrauben der Flugzeugträger geleitet. Dabei werden zusätzlich durch den Operator die Signale ausgebrachter Täuschkörper übersteuert bzw. die Torpedos angewiesen, diese Störsignale zu ignorieren.
Es ist natürlich möglich, dass der Autor bei der beschriebenen Vorgehensweise die Realität seinen Vorstellungen etwas angepasst hat (z.B. haben die ,,realen" Mk 50 als Abwurfwaffen von Helikoptern oder von Flugzeugen keine Kabelsteuerung), aber bei den im Roman genannten Entfernungen sollte eine Lenkung der Torpedos bis zum Treffer im Rahmen des Machbaren liegen.

Mit freundlichen Grüßen
Schorsch
'Judea, London. Do or Die.'

"Ubi dubium, ibi libertas." (Wo Zweifel ist, da ist Freiheit.)

Urs Heßling

moin, Schorsch,

Zitat von: Schorsch am 20 September 2011, 12:42:24
in der geschilderten Szene werden die Torpedos durch einen Operator an Bord des japanischen Zerstörers bewusst über Kabel und unter Verwendung der aktiven Suchköpfe der Torpedos in die Schrauben der Flugzeugträger geleitet. Dabei werden zusätzlich durch den Operator die Signale ausgebrachter Täuschkörper übersteuert bzw. die Torpedos angewiesen, diese Störsignale zu ignorieren.

ah ja, jetzt erinnere ich mich wieder, meine "Lesung"  :-) liegt schon zu weit zurück

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

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