Schadensbild des Rudertreffers auf Bismarck

Begonnen von Schweineferkel, 03 Mai 2012, 17:56:18

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toppertino

ZitatMal eine Frage am Rande: MR's Buch habe ich vor über 20 Jahren in den Anfängen meines Marineinteresses mit Begeisterung gelesen. Heute würde mich interessieren - wie belastbar und zutreffend sind seine Schilderungen und Äußerungen eigentlich. Kurz: Was ist sein Buch historisch wert? Wieviel Fakten stecken drin?

MR war ja nicht nur der ranghöchste Überlebende und 4. AO , sondern auch der Adjutant von Kapitän Lindemann. Also denk ich mal das MR auf dem selben Wissensstand war wie die Schiffsführung. Warum sollte man ihm Informationen vorenthalten haben? Er war auch in der letzten Nacht/Morgen noch mal auf der Schiffsbrücke. Also schätze ich mal das er der bestinformierte Überlebende war.
Lebensende mit 3 Buchstaben: EHE!

Götz von Berlichingen

Zitat von: Karsten am 03 Juli 2012, 21:19:16
Mal eine Frage am Rande: MR's Buch habe ich vor über 20 Jahren in den Anfängen meines Marineinteresses mit Begeisterung gelesen. Heute würde mich interessieren - wie belastbar und zutreffend sind seine Schilderungen und Äußerungen eigentlich. Kurz: Was ist sein Buch historisch wert? Wieviel Fakten stecken drin?

Ist halt ein Jahrzehnte nach den Ereignissen aus der (zwangsläufig lückenhaften) Erinnerung aufgeschriebener Erlebnisbericht eines relativ rangniederen Offiziers, der zur Zeit der Ereignisse nicht unmittelbaren Einblick in die Gedankengänge und Entscheidungsfindung der Schiffsführung, geschweige denn des Flottenstabes hatte - mit all den bekannten Problemen solch lange nach den Ereignissen niedergeschriebenen Erinnerungen (siehe z.B. hier → [wiki]Erinnerungsverfälschung[/wiki] ).

Beispielsweise hat Josef Kaiser in seinem Heft Schlachtschiff Bismarck. Der Beginn der Rheinübung. Eine kritische Untersuchung des Marsches von Gotenhafen zum Grimstadt-Fjord [Köln 2011, S. 18] nachgewiesen, daß Müllenheim-Rechberg den Ort des Zusammentreffens mit der Gotland in seinem Buch falsch darstellt.

Ich habe hier z.B. mal die These aufgestellt, daß es die angebliche Abschüttelungsaktion der Fühlungshalter, die dann durch den berüchtigten Funkspruch zunichte gemacht worden sei, vermutlich gar nicht gegeben hat (Müllenheim-Rechberg nimmt diese aufgrund der Angaben in der Literatur als gegebene Tatsache an, stellt aber fest, daß er davon überhaupt nichts mitbekommen habe, was m.E. vollkommen unmöglich wäre):
http://forum-marinearchiv.de/smf/index.php/topic,8738.msg152947.html#msg152947

R.B.

#77
Zitat von: toppertino am 03 Juli 2012, 15:37:55
Ich tippe mal mangels besseren Wissens auf Resignation. Ich könnte mir höchstens noch vorstellen das Lindemann einen halbwegs geraden Kurs steuern wollte um es der eigenen Artillerieleitung nicht zu schwer zu machen. Hochseeschlepper im Schlachtgetümmel fallen aus und U-Boote waren zur falschen Zeit am falschen Ort bzw hatten keinen Treibstoff/keine Torpedos mehr.

Resignation oder Übermüdung nach den langen Nachtgefechten mit den Zerstörern scheint mir durchaus möglich. Weder Lindemann noch Lütjens konnten wissen, wie lange es dauern würde, bis überlegene britische Kräfte eintreffen. Sie konnten auch nicht wissen, was den U-Booten, die noch Torpedos oder Treibstoff hatten, bis dahin gelingen würde.

Warum liefen sie mit dem Schiff weiter von deren Positionen und aus der Reichweite der deutschen Luftwaffe ab? Nur kurze Zeit nach dem Untergang hatte U-74 die Sinkstelle erreicht, zwar schwer beschädigt, aber mit Torpedos und zumindest tauchfähig. Die Bismarck soll 470 sm = 870 km westlich von Brest gesunken sein. Eine (Ju 87 B Korrigiert)-> He 111 P-4 hatte mit maximaler Bombenlast etwa 600 km (Reichweite Korrigiert)-> Aktionsradius. Es fehlten demnach etwa 270 km bzw. 146 sm. Wenn der Wind in die passende Richtung gedreht hätte, oder das Schiff eventuell rückwärts gefahren wäre, hätte es mit angenommenen 5 sm/Stunde binnen 21 Stunden den Aktionsbereich der deutschen Luftwaffe erreichen können.

Zwischen der Meldung der Manövrierunfähigkeit (26. Mai 1941 21.40 Uhr) und ihrer Versenkung (26. Mai 1941 10:36) schwamm die Bismarck noch 15 Stunden.

Ein U-Boot vom Typ VII-C braucht für die 470 sm von Brest bei Höchstfahrt (17 kn) 28 Stunden. Falls die Bismarck nach dem Torpedotreffer mit durchschnittlich 5 kn von der französischen Küste abgelaufen ist, hat sich dadurch diese Zeitspanne um etwa 4 Stunden vergrößert und gleichzeitig die Zeitspanne bis zum Zusammentreffen der HMS Rodney (Höchstgeschwindigkeit 23,8 kn) um etwa 3 Stunden verkürzt, Übersichtskarte hier:

http://nineteenkeys.blogspot.de/2008/05/in-memory-of-battleship-bismark.html

So völlig aussichtslos scheint mir die Situation nach dem Torpedotreffer nicht von vornherein gewesen zu sein.

toppertino

ZitatWenn der Wind in die passende Richtung gedreht hätte, oder das Schiff eventuell rückwärts gefahren wäre, müsste es mit angenommenen 5 sm/Stunde binnen 21 Stunden den Aktionsbereich der deutschen Luftwaffe erreichen können.
Hat er aber nicht. Und rückwärts ging nur nur für kurze Zeit mit verminderter Leistung. Und wer sagt das es sich im Rückwärtsgang besser steuern läßt?´
Und wir reden hier 71 Jahre später drüber mit dem ganzen geballten Wissen von heute. Hättest du am 26./27. Mai 1941 eine glücklichere Entscheidung getroffen?
Lebensende mit 3 Buchstaben: EHE!

R.B.

Zitat
Hat er aber nicht.

Das konnte man vorab kaum wissen.

Zitat
Und rückwärts ging nur nur für kurze Zeit mit verminderter Leistung.

Viel Leistung ist für 7 statt 30 kn nicht erforderlich. Sehr grob über den Daumen (7³/30³) = 1/79-stel der maximalen Leistung.

Zitat
Und wer sagt das es sich im Rückwärtsgang besser steuern läßt?´

Das ist mir nicht bekannt.

Zitat
Und wir reden hier 71 Jahre später drüber mit dem ganzen geballten Wissen von heute. Hättest du am 26./27. Mai 1941 eine glücklichere Entscheidung getroffen?

Ich muss darauf nicht extra hingewiesen werden. Ich wäre nach mehreren Tagen und Nächten ohne ausreichend Schlaf vor Müdigkeit fast umgefallen und hätte glücklichere Entscheidungen nur zufällig getroffen. Den Vorschlag, dem Gegner entgegenzufahren, um das Schiff gegen den Seegang stabiler zu machen, hätte ich glaube intuitiv abgelehnt, aus Angst.

In der Literatur wird teilweise die Ansicht vertreten, dass Lütjens, in der Überzeugung, dass dieses Unternehmen wegen der großen Überlegenheit der britischen Marine wohl scheitern werde, es unbewusst in diese Richtung gelenkt haben könnte. So kommt man möglicherweise vorschnell zum Ergebnis, dass das bereits erwartete nunmehr eingetreten sei.

toppertino

ZitatZitat

Und rückwärts ging nur nur für kurze Zeit mit verminderter Leistung.


Viel Leistung ist für 7 statt 30 kn nicht erforderlich. Sehr grob über den Daumen (7³/30³) = 1/79-stel der maximalen Leistung.

Wie gesagt, nur kurze Zeit, keinesfalls über 10 -20 Stunden am Stück. Und man hat ja gesehen das Lindemann seine Maschinen nicht riskieren wollte, da er den Gedanken, die Ruder mit Wasserbomben Freizusprengen, wieder verworfen hat.
Lebensende mit 3 Buchstaben: EHE!

R.B.

#81
Zitat von: toppertino am 04 Juli 2012, 07:06:14
ZitatZitat

Und rückwärts ging nur nur für kurze Zeit mit verminderter Leistung.


Viel Leistung ist für 7 statt 30 kn nicht erforderlich. Sehr grob über den Daumen (7³/30³) = 1/79-stel der maximalen Leistung.

Wie gesagt, nur kurze Zeit, keinesfalls über 10 -20 Stunden am Stück. Und man hat ja gesehen das Lindemann seine Maschinen nicht riskieren wollte, da er den Gedanken, die Ruder mit Wasserbomben Freizusprengen, wieder verworfen hat.

Das könnte ein Fehlschluss sein. Die Turbinenleistung vorwärts betrug 3 * 46.000 WPS für 29 kn. Für rückwärts 7 kn hätten grob geschätzt 3 * 46.000 WPS * (7³/29³) = 3 * 647 WPS ausreichen müssen. Die Turbinenleistung rückwärts betrug 3 * 12.000 WPS. Bei "Alle Maschinen äußerste Kraft zurück" soll die Bismark (http://forum-marinearchiv.de/smf/index.php?topic=1580.0) bei einer Fahrt von 25 kn eine Stoppstrecke von 3.412 m gehabt haben, was 11 Minuten und 46 Sekunden dauerte.

Selbst, wie von Dir angegeben, ohne aktive Kühlung sollte es doch technisch möglich sein, die maximale Rückwärtsfahrt wenigstens 60 Sekunden aufrecht zu erhalten, um das Schiff beispielsweise nach einer Kollision oder auf Grund laufen frei zu bekommen oder, eventuell gegen Wind oder Strömung von achtern, überhaupt anhalten zu können. Sonst hätte man sich die Rückwärtsturbinen gleich ganz sparen und statt dessen Bremsklappen einbauen können.

Wenn ich hierfür statt 3 * 12.000 WPS 3 * 647 WPS einsetze, verlängert sich die angenommene Mindestzeit von 60 Sekunden auf 18,5 Minuten. Anschließend müssten 1...2 Minuten Vorwärtsfahrt mit Vorwärtsturbinen ausreichen, um die bisher freigesetzte Wärmemenge abzuführen. Ich halte es daher für wenig plausibel, dass das stimmt.

toppertino

ZitatDas könnte ein Fehlschluss sein. Die Turbinenleistung vorwärts betrug 3 * 46.000 WPS für 29 kn. Für rückwärts 7 kn hätten grob geschätzt 3 * 46.000 WPS * (7³/29³) = 3 * 647 WPS ausreichen müssen. Die Turbinenleistung rückwärts betrug 3 * 12.000 WPS. Bei "Alle Maschinen äußerste Kraft zurück" soll die Bismark (http://forum-marinearchiv...mf/index.php?topic=1580.0) bei einer Fahrt von 25 kn eine Stoppstrecke von 3.412 m gehabt haben, was 11 Minuten und 46 Sekunden dauerte.
Die Berechnungen sind aber nur theoretischer Natur oder? Was ist mit Wind, Wetter und Seegang? Ich nehme mal an das auch bei der Rückwärtsfahrt mit den Schrauben (gegen)gesteuert werden muß; und zwar auch mal mit voller Rückwärtsleistung.
Nehmen wir mal an das deine Berechnungen stimmen und alles so geklappt hätte. Warum hat man es dann nicht so gemacht?
Du hast übrigens auch die Zerstörerangriffe in der Nacht vergessen. Diese auszumanövrieren hätte den bis dahin erreichten Vorsprung wieder neutralisiert.

ZitatSelbst, wie von Dir angegeben, ohne aktive Kühlung sollte es doch technisch möglich sein, die maximale Rückwärtsfahrt wenigstens 60 Sekunden aufrecht zu erhalten, um das Schiff beispielsweise nach einer Kollision oder auf Grund laufen frei zu bekommen oder, eventuell gegen Wind oder Strömung von achtern, überhaupt anhalten zu können. Sonst hätte man sich die Rückwärtsturbinen gleich ganz sparen und statt dessen Bremsklappen einbauen können.

Tippfehler? Was nutzen 60 Sekunden AK Zurück?

@ all
Kann mal jemand, der sich mit der Materie auskennt, uns beiden unter die Arme greifen? Sonst läuft der Thread aus dem Ruder.
Harold??!!
Lebensende mit 3 Buchstaben: EHE!

Herr Nilsson

Bei Rückwärtsfahrt dreht Bismarck erst recht in den Wind.
Gruß Marc

toppertino

Dann sind wir ja quasi mit diesem Thema ("alles versucht?") durch.
Lebensende mit 3 Buchstaben: EHE!

Herr Nilsson

Ist zwar Tirpitz (Schiffsbuch II), sollte aber genauso für Bismarck gelten:

ZitatAuf der Stelle lässt sich das Schiff mit eigener Kraft nicht drehen, da die Ruderwirkung durch Fahrt- und nicht Schraubenstrom erzielt wird und Gegeneinanderarbeiten der Maschinen bei der Länge des Schiffes nichts bringt. Um Ruderwirkung zu haben, sind 6-8 sm erforderlich.

ZitatBei Fahrt über den Achtersteven läßt sich das Schiff nicht steuern, es neigt vielmehr dazu mit dem Heck in den Wind zu gehen. Hat es diesen Dreh erst aufgenommen, so ist er auch durch ungleichmäßigen Maschinengang und entgegengesetztes Ruderlegen nicht aufzuhalten

ZitatBei Stillstand legt sich das Schiff in den Wind, bei Fahrt voraus ist es wenig luvgierig, während es bei Fahrt über den Achtersteven mit dem Heck in den Wind geht.

Gruß Marc

toppertino

Lebensende mit 3 Buchstaben: EHE!

redfort

Zitat von: R.B. am 04 Juli 2012, 00:26:39

Warum liefen sie mit dem Schiff weiter von deren Positionen und aus der Reichweite der deutschen Luftwaffe ab? Nur kurze Zeit nach dem Untergang hatte U-74 die Sinkstelle erreicht, zwar schwer beschädigt, aber mit Torpedos und zumindest tauchfähig. Die Bismarck soll 470 sm = 870 km westlich von Brest gesunken sein. Eine (Ju 87 B Korrigiert)-> He 111 P-4 hatte mit maximaler Bombenlast etwa 600 km (Reichweite Korrigiert)-> Aktionsradius. Es fehlten demnach etwa 270 km bzw. 146 sm. Wenn der Wind in die passende Richtung gedreht hätte, oder das Schiff eventuell rückwärts gefahren wäre, hätte es mit angenommenen 5 sm/Stunde binnen 21 Stunden den Aktionsbereich der deutschen Luftwaffe erreichen können.

Mal zur Info,
aus Holm Schellmann " Die Luftwaffe und das Bismarck Unternehmen" hrsg. vom Arbeitskreis für Wehrforschung.
Zitat:
"am Morgen des 27.05. starten ab 03.07 Uhr zu bewaffeneter Aufklärung, also mit Bomben belanden:
2x Fw 200 (I./ KG 40)
8x Ju 88
10x He 115 (Kü.Fl.Gr. 606 + 406)

Um 9.45 Uhr wurde die Force H von einer Fw 200 ausgemacht.
Kurz vor 10 Uhr erkennen 5 Ju 88 die Bismarck im Kampf mit 2 schweren und 2 leichten Einheiten. Ein Sturzangriff auf einen Kreuzer mißlingt. "Infolge starker Behinderung duch Gladiator-Flugzeuge". Diese Formulierung ist gerade nicht überzeugend. Vermutlich sind die Ju 88 Flugzeuge die Swordfish Flugzeuge der Ark Royal begegnet.
Um 05.48 Uhr starteten 29x He 111 der I./ KG 28 sowie der KG 100 von Nantes aus."


So, der Standort der BS war damit immer noch ca. 500 sm von den nächstgelegenden Flugplatz Brest entfernt und damit an der Grenze der Eindringtiefe der He 111 (bei normalen Brennstoffvorrat) und der Ju 88 (mit Zusatztanks).

Gruß, Axel

Luftwaffe zur See

R.B.

#88
Zitat von: Herr Nilsson am 04 Juli 2012, 12:53:22
Ist zwar Tirpitz (Schiffsbuch II), sollte aber genauso für Bismarck gelten:

ZitatBei Stillstand legt sich das Schiff in den Wind, bei Fahrt voraus ist es wenig luvgierig, während es bei Fahrt über den Achtersteven mit dem Heck in den Wind geht.


Das klingt ja verrückt. Hab ich das richtig verstanden, vorwärts dreht der Bug in Windrichtung, rückwärts das Heck? Wie bekommt man das strömungstechnisch überhaupt hin? Der Luftwiderstand und Wasserwiderstand des Schiffs wissen doch garnichts voneinander.

Nur wenn man konstruktiv den Schwerpunkt des Luftwiderstandes der Aufbauten recht genau auf den Schwerpunkt des Wasserwiederstandes des Unterwasserschiffs platziert, ist das überhaupt zu schaffen. Durchaus sinnvoll, um Windeinflüsse zu neutralisieren, zwecks höherer Zielgenauigkeit der Artillerie. Erst dann können geschwindigkeitsabhängige Nebeneffekte bestimmen, in welche Richtung das Schiff jeweils dreht. Natürlich ein schlagendes Argument.

toppertino

@R.B.
Die Nelson-Klasse war aufgrund ihrer Silhouette auch äußerst windanfällig.

ZitatDas klingt ja verrückt. Hab ich das richtig verstanden, vorwärts dreht der Bug in Windrichtung, rückwärts das Heck? Wie bekommt man das strömungstechnisch überhaupt hin? Der Luftwiderstand und Wasserwiederstand des Schiffs wissen doch garnichts voneinander.

Um mal meinen ehemaligen Mathematik-Dozenten zu zitieren:
"Nehmen Sie es einfach so hin..."
Lebensende mit 3 Buchstaben: EHE!

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