Vor 75 Jahren: Meuterei und Standgericht

Begonnen von Urs Heßling, 05 Mai 2020, 12:04:53

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kalli

Zitat von: Urs Heßling am 06 Mai 2020, 14:56:43
Die Meuterer von M 612 versuchten nur ihr eigenes Leben zu retten.

wer am 05. Mai 1945 versucht sein eigenes Leben zu retten - naja, dafür habe ich schon ein großes Verständnis.

maxim

Zitat von: Urs Heßling am 06 Mai 2020, 14:56:43
Zitat von: maxim am 06 Mai 2020, 14:21:49die die Kriegsmarine war Teil eines Terrorregimes
Das gilt dann auch für jeden Funktionär, wie einen Schwellenleger, der Schienen reparierte, auf denen dann ein Transportzug nach Auschwitz fuhr ?
Meine Aussage war, dass die Kriegsmarine Teil des faschistischen Systems war. Natürlich galt dies auch für die Reichsbahn.

Die Einstellung der einzelnen Personen ist eine Sache, aber so lange sie sich an die Befehle hielten, unterstützt sie gewollt oder ungewollt das Terrorregime. Das ist nun mal die Realität in einem solche System.

Zitat von: Urs Heßling am 06 Mai 2020, 14:56:43
Zitat von: maxim am 06 Mai 2020, 14:21:49
b) egal was die Einstellung des einzelnen Kriegsmarine-Angehörigen gewesen war, sie kämpften tatsächlich für dieses Terroregime - außer, sie stellten sich bewusst dagegen, wie es diese Meuterer vor 75 Jahren machten.
Einspruch !!!  Das ist eine schlimme Verdrehung der Tatsachen !
Die Angehörigen der verschiedenen Widerstandsgruppen (Stichworte Rote Kapelle, Weiße Rose, Kreisauer Kreis, 20. Juli) stellten sich bewußt und unter Inkaufnahme des damit verbundenen Risikos für ihr eigenes Leben und das ihrer Angehörigen gegen das NS-Regime.
Die Meuterer von M 612 versuchten nur ihr eigenes Leben zu retten.
Die Meuterer von M 612 stellten sich bewusst gegen die Befehle unter Inkaufnahme des entsprechenden Risikos - offensichtlich war es ein Risiko, sie wurden dafür umgebracht. Was diese Leute genau wollten, kannst du nicht wissen (ich auch nicht). Tatsache ist, dass sie sich bewusst gegen die Befehle gestellt haben. Damit haben sie einen Widerstandshandlung begangen, egal warum. Es gab auch den sogenannten "konservativen Widerstand", dessen Widerstand nur darin bestand, darüber geredet zu haben, welche andere Form von autoritären, undemokratischen Regime sie gerne gehabt hätten. Das würden die wenigsten Leute als "heldenhaft" oder sonst irgendwie positiv sehen - aber sie zählen auch zum Widerstand und deren Risiko war sogar geringer als das der Meuterer von M 612. Ihr Risiko bestand darin von einem ihren Kumpanen verraten zu werden, die Meuterer von M 612 stellten sich offen gegen ihre Befehle.

smutje505

Ist bekannt, was mit den Verantwortlichen für diese Todesurteile passiert ist? Anfrage von maxim

Nachdem Urs den Hinweis gab das es in der DDR ein Film darüber gab habe ich gleich gekramt und gefunden.Gestern habe ich ihn mir angeschaut und im Umschlag folgendes noch gefunden.Der Film hat 5 Teile und dauert 330 min.und wurde 1971 erstmals im DDR Kinos gezeigt die Version die ich besitze wurde 2013 auf CD herausgegeben.
Noch ein Zusatz das Labo Rolf Peters diente ab 1981 als Transporter"Neuendorf" der Weißen Flotte

maxim

Vielen Dank für die Infos!

D.h. für die Verantwortlichen für die Urteile hatte dies keine Konsequenzen - und die Urteile wurden auch erst 2009 aufgehoben.

Es gibt ja noch einen bekannten Marinerichter, Hans Filbinger, dem seine Urteile auch lange nicht geschadet haben.

jockel

"Was damals rechtens war, kann heute nicht Unrecht sein", Ministerpräsident Hans Filbinger am 15. Mai 1978 in einem Interview, das er dem "Spiegel" gab. Quelle

Gruß
Klaus

Hastei

ein interessantes Buch von Hans Constabel über dieses Thema auf einem Räumboot. Bekannt ?

Gruß Hastei

Urs Heßling

moin,

Hans Constabel war der Kommandant des hier in diesem Thread bereits von Thomas Weis erwähnten Räumboots R 414.

Daher noch einmal ein Verweis zur Quellenangabe in der "Chronik des Seekriegs"
https://www.wlb-stuttgart.de/seekrieg/kriegsrecht/widerstand.htm

@maxim
Wir werden hier wohl bei unterschiedlichen Meinungen bleiben. Das steht uns zu.

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

Hastei

Siegfried Lenz hat das doch auch in einem Buch verarbeitet. Fällt mir aber im Moment nicht ein. ( dabei habe ich es irgendwo ? )

Urs Heßling

moin,

siehe Startbeitrag des Threads :wink:

Gruß, Urs
"History will tell lies, Sir, as usual" - General "Gentleman Johnny" Burgoyne zu seiner Niederlage bei Saratoga 1777 im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg - nicht in Wirklichkeit, aber in George Bernard Shaw`s Bühnenstück "The Devil`s Disciple"

M-54842

Das es auch Offiziere gab, die menschlich und mit Verstand reagierten, hat Gerrit Reichert in seinem Buch ,,U 96 Realität und Mythos" dokumentiert. Dort heißt es auf Seite 137:
,,Mein Name ist Dr. Koreuber, ich war einer der Ärzte, die damals den U-Booten wegen der hohen Fliegerverluste zugeteilt wurden. Als ein Kollege und ich in Bergen auf ein U-Boot sollten, hielten wir das für sinnlos und sprachen offen darüber. Wir wurden denunziert, es kam zu Standgericht und Urteil. Nach kurzer Beratung von Obersten Gerichtsherrn und Beisitzern wurden wir zum Tode durch Erschießen verurteilt. Nach Verkündung bat der Gerichtsherr die Beisitzer, den Raum zu verlassen, um noch ein letztes Wort mit den Delinquenten zu sprechen. Wir saßen natürlich da wie vor den Kopf geschlagen. Der Gerichtsherr war Ihr Vater, Heinrich Lehmann-Willenbrock. Er ließ seine Ordonnanz drei Gläser mit Cognac bringen, diese gehen und sagte, nachdem er uns hatte davon trinken lassen: Meine Herren, Sie wissen, dass ich nicht anders konnte, als Sie zum Tode zu verurteilen. Aber Sie sollten auch wissen, dass sämtliche Todesurteile in Berlin unterschrieben werden müssen. Und manche Post geht von Berlin nach Bergen verloren. Auf ihr Wohl! So war Ihr Vater. Nur durch ihn sitze ich hier vor Ihnen."

Sprotte

Wie heisst es so schön: Mensch bleiben muss der Mensch.
Auch im Orchester des Lebens dringt das Blech am meisten durch.

Elektroheizer

Zitat von: Hastei am 06 Mai 2020, 18:13:00
Siegfried Lenz hat das doch auch in einem Buch verarbeitet. Fällt mir aber im Moment nicht ein. ( dabei habe ich es irgendwo ? )
Meinst Du Der Überläufer, dessen Verfilmung vor kurzem im Ersten gesendet wurde?
,,Ihr seid alle Individuen" - "Ich nicht!"

Spee

Servus,

b) egal was die Einstellung des einzelnen Kriegsmarine-Angehörigen gewesen war, sie kämpften tatsächlich für dieses Terroregime - außer, sie stellten sich bewusst dagegen, wie es diese Meuterer vor 75 Jahren machten. "Nur ihre Pflicht erfüllen" bedeutete damals für den Erhalt eines Terroregimes zu kämpfen.

Da stellt sich mir die Frage, woher ein 18-19 jähriger Soldat das 1944/45 so genau gewusst haben soll?
Servus

Thomas

Suicide Is Not a War-Winning Strategy

maxim

Diese Frage ist aber komplett unabhängig von meiner Aussage. Ich hatte schließlich geschrieben "unabhängig von der Einstellung des einzelnen".

Allerdings frage ich mich schon auch, wie jemand damals das nicht mitbekommen haben soll. Die Auswirkungen waren ja sehr konkret, ich denke, dass den meisten auch Fälle von Terror bekannt war (gegen Nachbarn, Kameraden etc.). Das damals allgegenwärtige Spitzelsystem dürfte den meisten bewusst gewesen sein, genauso wie das bestimmte "Sicherheitsorgane" und fanatische Offiziere eine sehr konkrete Bedrohung waren, wenn man etwas falsches gesagt hat. Die Fälle von Ermordungen von Regimegegnern oder einfach nur Leuten, die denen das vorgeworfen wurde, sind in den letzten Kriegsmonaten gestiegen - und vielfach wurden diese Leichen dieser Leute öffentlich zur Schau gestellt. Ich halte es also für sehr wahrscheinlich, dass den meisten bewusst war, in welchem System sie lebten - und welches Risiko es gab, wenn man sich gegen es stellte - sogar noch nach der Teilkapitulation wie in diesem Beispiel.

M-54842

#44
Ich hatte das Glück, solche Fragen mit meinem Großvater diskutieren zu können. Er hatte sich als 17-jähriger 1938 zur KM gemeldet. Als seefahrtbegeisterter Jugendlicher führte sein Weg über die Marine HJ und den RAD zur KM. Er hatte nicht das Gefühl und konnte dies durch seine Erziehung und seine Jugend auch kaum haben, sich einem Terrorregime zu verpflichten. Politische Ereignisse und Verbrechen wie in Großstädten spielten in der Provinz kaum eine Rolle.
Die Jahre 1940 bis 1945 waren geprägt durch ,,Fahrenszeit in außerheimischen Gewässern", wie er immer sagte. Ich denke, dass er auch in dieser Zeit relativ wenig von den Hintergründen wirklich mitbekommen hat. Und nicht zu vergessen, konnte er sich als Berufssoldat seinem Dienst ja auch nicht entziehen, selbst wenn er von den Verbrechen gewusst hätte.
Es ist schwierig, mit dem Wissen von heute über die damalige Generation zu urteilen. M.E. macht man es sich damit oftmals zu einfach. Und vor allem weiß keiner, wie er sich selbst in der konkreten Situation verhalten hätte.

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