Atomarer Schutzschirm für Europa

Begonnen von Bergedorf, 02 März 2025, 02:46:08

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Bergedorf

Moin,

die Ereignisse vom 28.02.2025 lassen mich zweifeln, ob wir uns noch auf den atomaren Schutzschirm der USA/NATO verlassen können. In mir kommen Überlegungen auf, ob nicht alternativ ein (kern-)europäischer Schutzschirm aufgebaut werden müsste. Könnte das irgendwie erreicht werden?

ichtigwäre, das Personen wie Orban, Fico und Erdogan (gut ist nicht in der EU, aber wo und wie man das ganze aufhängen könnte ist gerade meine Frage) innerhalb des Systems nichts blockieren könnten.

Der finanzielle Aufwand wäre bestimmt enorm, aber ich denke, das müsste, damit wir nicht erpressbar sind gestemmt werden. Meiner Ansicht nach (nur als Diskussionsvorschlag gedacht) wären für eine eigenständig europäische Abschreckung wohl 4 SSBN und 4 atomare Angriffs-Uboote notwendig. Federführend könnten wohk nur die britsche und französiche Marine sein, wobei die Finanzierung und Einsatzführung durch einen größeren europäischen Staatenkreis (wichtig wäre mir auch der Schutz des Baltikumns, Skandinaviens, Polens und wohl auch des Balkans) gesichert sein müsste.

Habt Ihr ähnliche Gedanken? Wie könnte man ein Sysetem errichten in dem dieses Kern-Europa einen glaubwürdigen eigenständigen atomaren Schutz erzielen könnte? Ist so etwas realistisch?

Ich würde mich über eine unaufgeregte Diskussion hierüber sehr freuen.

Viele Grüße

Dirk   

P.S.: Ich hoffe, dass das Thema nicht als zu politisch für das Forum angesehen wird. Ansonsten bitte, einfach löschen....


maxim

Eine Frage dazu:

strenggenommen hat Europa - wenn du Großbritannien dazu zählst - 8 SSBN (4 Vanguard und 4 Triomphant) sowie 10 SSN (5 Austute, 3 Suffren und 2 Rubis).

Wenn die britische und französische Marine federführend sein müssten (weil sie schon Erfahrung haben?), was ist dann der Unterschied zu deinem Vorschlag?

Ich denke, dass die NATO oder die EU entsprechend so gestaltet werden müssen, dass sie ohne die USA verteidigungsfähig sind.

TW

Einem Fernsehbericht habe ich entnommen, dass die britischen Atom-Uboote alle paar Jahre zur Nachrüstung in die USA müssen. Ich nehme an, die atomaren Gefechtsköpfe halten nicht deswegen ewig, weil sie nicht eingesetzt werden.
Sie müssen auf irgendeine Weise immer mal wieder "aufgearbeitet" werden, und sie sind offenbar aus amerikanischer Herstellung. -- Wäre interessant zu wissen, wie das bei den Franzosen aussieht.
Gruß, Thomas

maxim

Die britischen U-Boote haben Trident-D5-Raketen - also die gesamte Rakete ist aus US-amerikanischer Produktion. Das ist auch für die Nachfolge-Klasse, die Dreadnought-Klasse so geplant.

Die französischen U-boten haben M51-Raketen - das ist eine französische Entwicklung. Die Sprengköpfe -TN 75 - sind auch eine französische Entwicklung.

Die deutsche nukleare Teilhabe beruht auf B61-3/-4 der USA - für deren Einsatz F-35A in den USA bestellt wurden... Weitere solche Atombomben lagern in Belgien, Italien, Niederlande und der Türkei.

TW

Zitat von: maxim am 02 März 2025, 09:51:07Weitere solche Atombomben lagern in Belgien, Italien, Niederlande und der Türkei.
... und dürfen am Ende nur mit US-Genehmigung eingesetzt werden ???  "Nicht gegen meinen Freund Putin"  :-D

kalli

#5
Auch wenn das zu unzähligen Anlässen behauptet wird, sollte sich langsam herumgesprochen haben, dass es zwischen Staaten und deren Politiker keine Freundschaften gibt. Staaten und ihre gerade an der Macht befindlichen Politiker verfolgen ureigene Interessen. Und wenn sich das mal auf die eine oder andere Weise zeigt, gibt es allerorten entweder Beifall oder Empörung. Für das Zusammenleben von Staaten wäre es erforderlich, dass Interessen international ausgeglichen werden. Manche nennen das Diplomatie. Wie Geschichte und Gegenwart zeigen, gelingt das nicht so richtig. Mag wohl an Macht- und Kräfteverhältnissen liegen...

maxim

Natürlich wäre es für alle Seiten besser, wenn es statt Kriege und massiver Aufrüstung politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit gibt. Und es gibt zwischen Staaten durchaus Freundschaften. Es gibt viele erfolgreiche Beispiele, dass es zwischen Staaten jahrzehntelange freundschaftliche Beziehungen gab, funktionierende Bündnisse, funktionierende wirtschaftliche Zusammenarbeit bis hin zur politischen und wirtschaftliche Integration im Falle der EU. Ein Beispiel sind große Teile Europas - ein Kontinent, der davor hunderte Jahre fast permanent durch Kriege zwischen den verschiedenen europäischen Staaten gekennzeichnet war.

Aber genauso wie Staaten selbst (auch Staaten sind in der Geschichte schon oft auseinander gebrochen!) sind diese nicht unbedingt ewig, sondern müssen gepflegt werden. Aber ob Diplomatie ausreicht, wenn eine Seite plötzlich andere Ziele verfolgt? Wie in Russland oder jetzt in den USA? Zumindest die Geschichte Osteuropas in den letzten 20 Jahren spricht leider klar eine andere Sprache. Wie will man Interessen international ausgleichen, wenn ein Regime seine alten Kolonien wieder zurück erobern will? Oder wie im Falle von Trump, droht neue zu erobern? Es ist ja kein Ausgleich, wenn man Putin und Trump dies erlaubt. Oder offensichtlich war es ein falscher Ansatz, einzelne Staaten mit Rücksicht auf Putin nicht in Bündnisse aufzunehmen.

Diplomatie reicht aber nicht aus, wenn einzelne Regime nicht akzeptieren, dass andere Staaten unabhängig wurden und unabhängig handeln können. Und stattdessen diese militärisch angreifen. Im Falle von Russland wurde über Jahrzehnte versucht, es politisch und wirtschaftlich einzubinden (unter sehr hohen finanziellen Kosten!), haufenweise diplomatisch Initiativen gab und sogar verhindert wurde (u.a. von den USA und Deutschland), dass Nachbarstaaten (z.B. Ukraine, Georgien) Russlands in eine funktionierende Sicherheitsarchitektur eingebunden wurden - mit dem Ergebnis, dass Russland diese überfallen hat. Man muss schon daran erinnern, dass die NATO-Osterweiterung primär dadurch angetrieben wurde, dass in Russland der Aufbau einer Demokratie gescheitert ist und das russische Regime gewaltsam gegen innere und äußere Opposition vorging. Der Beschuss des Parlaments durch Jelzin 1993 und der Erste und Zweite Tschetschenienkrieg (1994-96 bzw. 1999-2009) waren hier Schlüsselereignisse. Diese bewirkten, dass viele Staaten in Osteuropa dringend nach Möglichkeiten gesucht haben, sich vor Russland zu schützen.

kalli

Ohne auf maxims Darstellung einzugehen, möchte ich lediglich anmerken, dass Bündnisse keine Freundschaften sind. Das schließt ja keineswegs aus, dass Bündnisse sehr gut funktionieren können – oder eben auch manchmal nicht.

maxim

Es gibt aber durchaus jahrzehntelange Freundschaften - wenn man so etwas bei Staaten sagen kann. Ein Staat hat ja auch im engeren Sinn keine Interessen, die er verfolgt. Das zeigt ja eindrucksvoll gerade die USA: die Interessen, die verfolgt werden, haben sich seit dem Regierungswechsel dramatisch verändert. "ureigen" kann man diese Interessen also sicher auch nicht nennen, sonst wären sie ja nicht so leicht änderbar. In Staaten leben einzelne Individuen mit verschiedenen Interessen - und welche Interessen außenpolitisch verfolgt werden, hängt vom politischen System und den politischen Kräfteverhältnissen in diesem ab. Und das Interesse freundschaftliche Beziehung zu verfolgen, ist durchaus ein sehr verbreitetes, häufiges außenpolitisches Interesse - eigentlich in den letzten Jahrzehnten sehr viel dominanter als das Gegenteil.

Das ist auch eben wichtig: staatliche Interessen sind keine Konstanten, sondern hängen von den politischen Bedingungen in den jeweiligen Staaten und den jeweiligen Regierungen ab. Anfang der 1990er gab es ja ein kurzes Zeitfenster, in dem es so schien, dass Russland eine Demokratie werden könnte und in internationale Beziehungen eingebunden werden könnte. Das Fenster endete aber aus heutiger Sicht spätestens, als Putin an die Macht kam - auch wenn dann deutsche Regierungen bis 2022 an der Illusion festhielten, dass eine politische und wirtschaftliche Einbindung Russlands möglich wäre und deshalb u.a. verhinderten, dass die Ukraine sicherheitspolitische Garantien erhielt.

Was dann wieder zurück zum Thema führt: die Ukraine hatte bis zum Budapester Memorandum 1994 einen atomaren Schutzschild. Danach gab es vage Sicherheitsgarantien von Großbritannien, Russland und den USA, die sich als wertlos erwiesen, als Putin 2014 und 2022 angriff. Es hatte sich als falsch erwiesen, nur auf Diplomatie und Ausgleich zu setzen.

Benjamin

Hier geht es um das Thema "Atomarer Schutzschirm für Europa". Bevor hier zu aufgeregt über Weltpolitik diskutiert wird, verweise ich auf das Ursprungsthema, die dort gestellten Fragen und den Wunsch nach einer unaufgeregten Diskussion durch den Themenersteller. Haltet euch bitte daran.
If there's more than one possible outcome of a job or task, and one of those outcomes will result in disaster or an undesirable consequence, then somebody will do it that way.

ede144

Es gab Zeiten, da wurde vermutet Deutschland und Japan brauchen nur 6 Monate bis man Atombomben gebaut hat. Das wird heute in Deutschland länger dauern. Dazu kommen die Verbringungsmittel und eine Zweitschlagsfähigkeit. Das sind die technischen Probleme, eine ganz andere Frage sind die politischen Diskussionen und die Verträge. Aber als Anfang könnte man ja verkünden, die deutsche Marine erhält 6 U212CD+ die mit Mittelstreckenraketen ausgestattet werden. Dazu entwickelt man eigenständig die Raketen. Da würde vermutlich mancher aufhorchen.

Auf europäischer Ebene sind Atomwaffen maximal schwierig, weil man die Entscheidungskompetenz nicht geregelt bekommt.

maxim

Die politischen Auswirkungen wären aber viel minimaler, wenn es um europäische Atomwaffen ginge - das würde nicht einmal notwendigerweise einen Bruch des Atomwaffensperrvertrags bedeuten und keiner der Verbündeten würde hypernervös werden - bei deutschen Atomwaffenwaffen wäre das alles der Fall.

Im Gegensatz zu der Situation 1945 hätte Deutschland heute das Wissen für Atombomben (ob damals der Bau in sechs Monaten möglich war, ist ziemlich umstritten - es gibt auch die Meinung, dass man im Deutschen Reich komplett auf dem Holzweg war) - aber die notwendige Infrastruktur wurde abgeschaltet bzw. schon abgebaut.

Ist mit Mittelstreckenrakete eine ballistische Rakete oder ein Marschflugkörper gemeint?

Marschflugkörper hat Deutschland (Taurus), von der dem britisch/französischen SCALP gibt es eine Version für U-Boote (MdCN) und mit Norwegen wird die hyperschallschnelle Super Sonic Strike Missile (3SM) ,,Tyrfing" entwickelt.

Ballistische Raketen hat man schon länger keine mehr entwickelt, richtig? Südkorea hätte welche - und die aus der Klasse 214 entwickelte Dosan-Ahn-Chang-ho-Klasse, die diese verfeuern kann.

Man hatte ja gerade mit den USA ausgehandelt, dass US-amerikanische Marschflugkörper und andere weitreichende Raketen in Deutschland stationiert werden...

Hatte diesen Artikel hierzu gerade gefunden:
https://www.iiss.org/de-DE/online-analysis/online-analysis/2024/09/neue-abstandswaffen-fur-die-bundeswehr/

Kaschube_29

Moin,

auf die Aussage...

Zitat von: maxim am 02 März 2025, 12:12:44...


Was dann wieder zurück zum Thema führt: die Ukraine hatte bis zum Budapester Memorandum 1994 einen atomaren Schutzschild. Danach gab es vage Sicherheitsgarantien von Großbritannien, Russland und den USA, die sich als wertlos erwiesen, als Putin 2014 und 2022 angriff. Es hatte sich als falsch erwiesen, nur auf Diplomatie und Ausgleich zu setzen.

... möchte ich folgendes anführen:

Die Ukraine hatte NIE einen (eigenen) atomaren Schutzschild. Ja, es gab als Nachfolgestaat der UdSSR (Sowjetunion) einige Trägermittel für Kernwaffen (Bombenflugzeuge Tu-95, Tu-22/M, Tu-16, Tu-160, als auch landgestützte ballistische Langstreckenraketen) auf dem Territorium der Ukraine, ABER: die Ukraine verfügte nie über die entsprechenden Schlüsselmittel für eine Freigabe der mit den Trägermitteln zu verbringenden Atomwaffen.

Also: ein Wolf ohne Zähne. Außerdem wurde die wirtschaftliche Lage der Ukraine seinerzeit nicht als ausreichend bewertet, um solche Systeme auch langfristig einsatzfähig halten zu können.


Bis dann,

Kaschube_29 (Axel)
Immer eine Handbreit Wasser unter den Kiel (Bcегда семь футов под кильем)!

ede144

@ Maxim

die 6 Monate galten nicht 1945 sondern in den 70ern

@Kaschube
du hast recht, die Ukraine hatte nicht die Finanzen um die Raketen und Sprengköpfe zu erhalten. Aber Steuerung und Codes wären keine ewiges Hindernis gewesen.

Bergedorf

Zitat von: maxim am 02 März 2025, 09:13:53Eine Frage dazu:

strenggenommen hat Europa - wenn du Großbritannien dazu zählst - 8 SSBN (4 Vanguard und 4 Triomphant) sowie 10 SSN (5 Austute, 3 Suffren und 2 Rubis).

Wenn die britische und französische Marine federführend sein müssten (weil sie schon Erfahrung haben?), was ist dann der Unterschied zu deinem Vorschlag?

Ich denke, dass die NATO oder die EU entsprechend so gestaltet werden müssen, dass sie ohne die USA verteidigungsfähig sind.


Ja, das ist mir bewusst. Aber können sich die anderen europäischen Länder darauf verlassen, dass Frankreich und UK bereit wären diese für z.B. Estland einzusetzen, oder in dem Fall wenn die USA (hoffentlich kommt es nicht dazu) Dänemark mit der Annektion Grönlands droht?

Mir wäre wohler wenn es eine Archtektur gäbe bei der auch andere euopäische Länder und speziell Deutschland klaren Zugriff auf die Atomwaffen hätten. Wie man das regeln könnte, da bin ich aber auch noch am grübeln. Rein deutsche Atomwaffen dürften politisch wohl tatsächlich ausgeschlossen sei, also muss man irgendeine gemeinsame Lösung finden.

Den Hinweis auf evtl. Marschflugkörper für deutsche Uboote finde ich sehr interessant. Das könnte vielleicht eine kostengünstige Lösung sein. Problem ist m.E. nur, dass für eine wirksame Abschreckung mindestens immer ein Atomwaffenträger vom Gegner unentdeckt und einsatzbereit sein sollte. Geht das mit nicht atomgetriebenen  Ubooten?

Gruß

Dirk

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