Schwerhörigkeit eines Kapitäns führt zur Berufsunfähigkeit

Begonnen von jockel, 14 April 2025, 07:25:20

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jockel

Schwerhörigkeit eines Kapitäns führt zur Berufsunfähigkeit

Die Schwerhörigkeit eines Kapitäns führt auch dann zur Berufsunfähigkeit, wenn grundsätzlich Hörgeräte das Hörvermögen im erforderlichen Umfang wieder herstellen könnten. Gemäß den Regelungen der Maritime-Medizin-Verordnung des Bundes ist Besatzungsmitgliedern des Decksdienstes das Tragen von Hörhilfen nämlich grundsätzlich untersagt. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) hat mit am 07.04.2025 veröffentlichter Entscheidung die beklagte Berufungsunfähigkeitsversicherung zur Zahlung von Berufungsunfähigkeitsrente verurteilt.

Der Kläger ist bei der Beklagten gegen Berufsunfähigkeit versichert. Im Herbst 2019 erklärte ihn der Seeärztliche Dienst seiner Dienststelle für seedienstuntauglich. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete er als Kapitän auf einem Containerschiff. Begründet wurde die Seeuntauglichkeit mit einer nunmehr festgestellten beidseitigen Schwerhörigkeit, die das Tragen von Hörgeräten erforderlich mache. Hörgeräte seien jedoch bei Besatzungsmitgliedern des Dienstzweigs Decksdienst unzulässig.

Die Beklagte lehnte den daraufhin gestellten Leistungsantrag des Klägers ab, da der Kläger die Schwerhörigkeit mit einem Hörgerät kompensieren könne. Die vor dem Landgericht erhobene Leistungsklage wurde im Hinblick auf die Teilkompensationsmöglichkeit durch das Tragen von Hörgeräten zurückgewiesen.

Auf seine hiergegen eingelegte Berufung hat das OLG nunmehr die Beklagte zur Zahlung von Berufsunfähigkeitsrente verurteilt. Zur Begründung führte der zuständige 3. Zivilsenat (Versicherungssenat) aus, dass der Kläger gemäß den Versicherungsbedingungen aufgrund ,,Kräfteverfalls dauerhaft und vollständig berufsunfähig" sei. Die Schwerhörigkeit des Klägers stelle einen Kräfteverfall gemäß den Versicherungsbedingungen dar. Sie sei auch kausal für die Berufsunfähigkeit des Klägers. Der Seeärztliche Dienst habe Seedienstuntauglichkeit festgestellt. Dies habe der gerichtliche Sachverständige auch bestätigt. Als Besatzungsmitglied dürfe jedoch nur derjenige tätig werden, der seediensttauglich sei. Dem Kläger sei damit die weitere Ausübung seines Berufs als Kapitän im Decksdienst dauerhaft unmöglich.

Der Kläger könne den Versicherungsfall auch nicht durch das Nutzen von Hilfsmitteln abwenden. Dabei komme es nicht darauf an, ob der Kläger mithilfe von Hörgeräten die in der Maritime-Medizin-Verordnung geregelten Werte einhalten könne. Dem Kläger sei als Besatzungsmitglied des Decksdienstes gemäß den Regelungen der Maritime-Medizin-Verordnung (Ziff. 3.4 der Anlage 1, siehe Erläuterungen) das Tragen von Hörhilfen nämlich grundsätzlich untersagt.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde kann die Zulassung der Revision vor dem BGH begehrt werden.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 27.3.2025, Az. 3 U 122/23
(vorgehend LG Frankfurt am Main, Urteil vom 26.5.2023, Az. 2-30 O 133/20)

Die Entscheidung ist in Kürze unter
www.rv.hessenrecht.hessen.de abrufbar.

Erläuterungen:

Anlage 1 zur Maritime-Medizin-Verordnung

3.1 Decksdienst

Bei Besatzungsmitgliedern des Decksdienstes muss ohne Hörhilfe Flüstersprache mit dem jeweils dem Untersucher zugewandten Ohr auf eine Entfernung von 3 Metern oder auf eine Entfernung von 1 Meter mit dem schlechteren und auf eine Entfernung von 5 Metern mit dem besseren Ohr verstanden werden. Sprache gewöhnlicher Lautstärke muss auf eine Entfernung von 5 Metern mit dem jeweils dem Untersucher zugewandten Ohr verstanden werden.

(...)

3.4 Hörhilfen

Bei Besatzungsmitgliedern der Dienstzweige Decksdienst, Technischer Dienst und Elektrotechnischer Dienst sind Hörhilfen nicht zulässig. Bei Besatzungsmitgliedern der Dienstzweige Küche und Bedienung sowie Übriger Schiffsdienst sind Hörhilfen zulässig, wenn (...)

Quelle: OLG Frankfurt/M.

Gruß
Klaus

Big A

Interessant top

Und wie immer versuchen die Schreibtischtäter der Versicherung offensichtlich von jeder Sachkenntnis befreit Leistungen zu verhindern.
Und sodass belastet dann unsere Gerichte über mehrere Instanzen  :x

Axel
Weapons are no good unless there are guts on both sides of the bayonet.
(Gen. Walter Kruger, 6th Army)

Real men don't need experts to tell them whose asses to kick.

wirbelwind

#2
Hallo,

allgemein gilt ja nach wie vor, wie gut Versicherungen sind, erweist sich, wenn der Schadensfall eingetreten ist, sprich sie zahlen müssten. Was mir nicht so ganz einleuchtet, die besagte Maritime-Medizin-Verordnung des Bundes ist doch kein Geheimdokument und von beiden Seiten (Kläger/Beklagte)einsehbar. Der Anwalt wird doch in seiner Klageschrift darauf verwiesen haben.Weshalb kommt erst das Oberlandesgericht zu der Einsicht, dass dem Kläger BU-Rente zu gewähren ist? Ob der BGH der Nichtzulassungsbeschwerde statt gibt, bleibt abzuwarten. Ich drück jedenfalls dem Kapitän die Daumen, dass die Versicherung zahlen muss+Zinsen.

MfG Wirbelwind

Sprotte

Davon kann ich ein Lied singen.
Gut 15 Jahre prozessiert und es wurden immer wieder neu Gutachter aus der Tasche gezogen und irgendwann hast du die Schnauze voll und gibst auf. :x  :x  :x
Auch im Orchester des Lebens dringt das Blech am meisten durch.

wirbelwind

Moin Sprotte,

die von Dir beschriebene Vorgehensweise der Versicherung hat ja zum Ziel, dass der Kläger entnervt aufgibt. Außerdem, ohne starke finanzielle Reserven gerätst Du als Kläger ganz schnell ins Hintertreffen.Nicht wissend, wie der Prozess letztendlich ausgehen wird. Schließlich gilt aus da, ,,Auf hoher See und vor deutschen Gerichten bist Du in Gottes Hand".  :-D

MfG Wirbelwind

Sprotte

Zitat von: wirbelwind am 15 April 2025, 09:45:02Moin Sprotte,

die von Dir beschriebene Vorgehensweise der Versicherung hat ja zum Ziel, dass der Kläger entnervt aufgibt. Außerdem, ohne starke finanzielle Reserven gerätst Du als Kläger ganz schnell ins Hintertreffen.Nicht wissend, wie der Prozess letztendlich ausgehen wird. Schließlich gilt aus da, ,,Auf hoher See und vor deutschen Gerichten bist Du in Gottes Hand".  :-D

MfG Wirbelwind

Es ging nicht gegen eine Versicherung sondern um meinen ehemaligen Dienstherren. :x
Auch im Orchester des Lebens dringt das Blech am meisten durch.

wirbelwind

Hallo Sprotte,

das konnte ich Deinem Post nicht entnehmen, dass es gegen Deinen ehemaligen Dienstherrn ging. Die Vorgehensweise ist aber ähnlich.Zermürben, bis der Anspruchsberechtigte/Kläger endlich entnervt aufgibt oder in einen schlechten Vergleich einwilligt. Wie bereits geschrieben, ohne entsprechenden finanziellem Rückhalt, gutem Anwalt und starken Nerven ist da kaum was zu machen. Selbst wenn nach Jahren die Dinge ausgestanden und das Resultat in Ordnung scheint, bleibt abzuwarten, wie es einem selbst dann gesundheitlich geht. Daher erscheint es in manchen Fällen besser, vorher die Reißleine zu ziehen, bevor die gesundheitlichen Beschwerden zu groß werden.

MfG Wirbelwind

Sprotte

Auch im Orchester des Lebens dringt das Blech am meisten durch.

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