Dr. Benjamin Miertzschke "Deutsche Marinepolitik im Ersten Weltkrieg"

Begonnen von mhorgran, 30 Juni 2025, 20:58:26

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mhorgran

von Dr. Benjamin Miertzschke ist im März dieses Jahres ein neues Buch zur kaiserlichen Marine erschienen.
Titel:
"Deutsche Marinepolitik im Ersten Weltkrieg: Das Erbe des Tirpitz-Plans und der Kampf um die 'Zukunft auf dem Wasser'"
Hat es schon jemand gelesen? Was ist die Meinung dazu. Bei Amazon gibts eine längere, nmA, interessante Rezension.
Meine Meinung - ich hab es (noch) nicht gelesen, allerdings gibt es von Miertzschke einen Artikel in Schiff Classic (wußte gar nicht das es eine solche Zeitschriftserie gibt) zu diesem Thema. Mir sind aber in diesem Artikel einige Dinge aufgefallen. So wollte, laut Miertzschke, Tirpitz die Briten totrüsten , was ja faktisch nicht möglich ist. Auch das "herausfordern" halte ich für eher unsinnig.

beck.Schulte

..die Bewertung ( Nr.1) in Amazone läßt in ihrer Ausführlichkeit und Sachkompetenz keine Frage offen.  :-D

TW

Zum Fragen des "Totrüstens" schreibt der Rezensent (nicht der Buchautor):
ZitatEiner der, mehr oder minder latenten, Vorwürfe, im Endeffekt hätte Tirpitz ja doch die Royal Navy < totrüsten > wollen, entspringt dabei prinzipiell dem Gedankengebäude des Admirals selbst, bevor er überhaupt zur Macht kam, und daher noch unter komplett anderen Vorzeichen formuliert. Er forderte einst, um überhaupt Aussicht auf Erfolg zu haben, müsse eine Flotte gegenüber jedwedem Gegner eine 3 : 2-Überlegenheit besitzen. Als dann aber Großbritannien als möglicher Gegner in den Fokus kam, war niemand mehr als ihm die Utopie einer solchen Forderung deutlich – als Ausweg entstand die These gegenüber Kaiser, Parlament und Öffentlichkeit, eine 2 : 3-Unterlegenheit würde es unter bestimmten Voraussetzungen auch bewerkstelligen: die < Risikotheorie > war geboren!
Schönen Gruß aus Stuttgart
Thomas

TW

ZitatBei all diesen zumindest diskutablen Fragen darf man aus übergeordneter Sicht natürlich nicht zwingend den Autor selbst als Träger alten [soll heißen "veralteten"? TW] Gedankenguts schelten, sondern muss immer auch den Ursprung des Buches als Dissertation im Auge behalten; welcher Doktorand würde leichtherzig gegen die Dogmen seines Doktorvaters zu Felde zu ziehen, mit dem existenziellen Risiko der Ablehnung der Arbeit? Die Freiheit eigener Gedanken, ist auf diesem Wege halt recht limitiert.

Diese Bemerkung finde ich krass.
Das Dissertationsprojekt wurde von Prof. Dr. Michael Epkenhans und Prof. Dr. Sönke Neitzel an der Universität Potsdam betreut.
Schönen Gruß aus Stuttgart
Thomas

Thor

Hallo,

@ Stefan:
Danke für das Teilen - das Buch war mir bis dato nicht bekannt !

@ all:
Die Rezension liest sich wirklich spannend; würde ich ins Blaue raten müssen, würde ich den Rezensenten "dn" sogar als anerkannten Experten der Kaiserlichen Marine identifizieren, der im letzten Warship (2025) zwei Artikel beigetragen hat  :wink: .... vlt. kann ja Herr Langensiepen etwas Licht in die Sache bringen ....

Gruß
David
"Wooden ships with iron men beat iron ships with wooden men" - Zusammenfassung der Seeschlacht von Lissa (1866)

beck.Schulte

..na ja wenn ich es nicht war, wer bleibt denn da noch übrig ?  (Scherz)  8-)
Natürlich D.N.  oder wer wäre da noch mit solch "Fachkompetenz" ?

beck.Schulte

Diese Bemerkung finde ich krass.
Das Dissertationsprojekt wurde von Prof. Dr. Michael Epkenhans und Prof. Dr. Sönke Neitzel an der Universität Potsdam betreut.


Epkenhaus ist erklärter "Fischeraner" und Neitzel bei allen Verdiensten kein ausgesprochener Fachhistoriker für die Kaiserliche Marine. Soll das heißen, das diese im Besitz der allgemein seligmachende Wahrheit sind?

Ich bleide dabei, Aussagen von staatlich besoldeten Historikern kritisch zu hinterfragen.
Dafür habe ich in den letzten 50 Jahren reichlich was erleben dürfte.
Thomas, vielleicht kannst du deine Kritik an Beispielen deutlich machen.
Nix für Ungut und Gruß von BHV 


TW

Zitat von: beck.Schulte am 01 Juli 2025, 14:41:14Soll das heißen, das diese im Besitz der allgemein seligmachende Wahrheit sind

Kein Historiker, auch Dirk Nottelmann nicht, ist im Besitz einer seligmachenden Wahrheit.
Krass (oder auch unverschämt) ist die Behauptung, dass Neitzel die Freiheit der Forschungsergebnissse und Schlussfolgerungen seines Doktoranden limitiert haben könnte. Ich bin (da eher links ausgerichtet) gewiss kein Jünger von Sönke Neitzel, aber dieser Historiker denkt keinesfalls dogmatisch. Er kann auch mit Harald Welzer zusammenarbeiten und es kommt etwas sehr, sehr Lesenswertes dabei heraus.

Und noch etwas: Jemand, dessen historischer Tellerrand über 1898-1918 nicht hinausreicht, ist einem Fachhistoriker "Zeitgeschichte" vom Schlage Sönke Neitzels sicher nicht überlegen. Und diese Aussage ist nicht auf Nottelmann bezogen, sondern auf Deine Anspielung gegen Neitzel.
Schönen Gruß aus Stuttgart
Thomas

beck.Schulte

#8
Krass (oder auch unverschämt)   . was ist den daran unverschämt im Bezug auf die "Tirpitz Arbeit" .
kein ausgesprochener Fachhistoriker für die Kaiserliche Marine   .liege ich damit falsch?
Aus den alt-68ziger Jahren stammend habe ich mir bis heute eine große Skepsis gegenüber Aussagen von staatlich alimentierten Fachhistorikern angeeignet. 
Der Herr N. ist fraglos der Experte für Hitlers Wehrmacht auch wird er mir als solcher für die Bundeswehr, den Vietnam Kriegs, den Nahost Konfekt , Ukraine usw usw durch Funk und Fernsehnen vorgeführt. Nun auch noch der Expert für Herrn Tirpitz und die Marinepolitik in 14/18. Woraus schöpft er sein Wissen betr. Herrn Tirpitz. Bestimmt nicht durch jahrelangem Aktenstudium, sondern  - wenn überhaupt -  durch lesen von Literatur.
Ich frage mich wieviel Zeit er in eine Tirpitz Forschung eingebracht hat. Hier geht es um eine universitäre Prüfung. Da wird sich der Doktorvater und seine Zuträger kaum mehr als die übliche Mühe gegeben haben.
War das nun Majestätsbeleidigung einer deutschen Ikone der Historischen Weisheit ? 
Büschen frech wa?
Das abschließen von mir.

mhorgran

Zitat von: TW am 01 Juli 2025, 13:12:59
ZitatBei all diesen zumindest diskutablen Fragen darf man aus übergeordneter Sicht natürlich nicht zwingend den Autor selbst als Träger alten [soll heißen "veralteten"? TW] Gedankenguts schelten, sondern muss immer auch den Ursprung des Buches als Dissertation im Auge behalten; welcher Doktorand würde leichtherzig gegen die Dogmen seines Doktorvaters zu Felde zu ziehen, mit dem existenziellen Risiko der Ablehnung der Arbeit? Die Freiheit eigener Gedanken, ist auf diesem Wege halt recht limitiert.

Diese Bemerkung finde ich krass.
Das Dissertationsprojekt wurde von Prof. Dr. Michael Epkenhans und Prof. Dr. Sönke Neitzel an der Universität Potsdam betreut.
ich hätte es redlich empfunden wenn du auch die "dn"s vorherigen kritikpunkte auch zitiert hättest.

wenn epkenhans, wie beck.Schulte, schreibt ein fischerianer ist kann man seine forschungen mit anführungsstrichen markieren. neitzel + welzer? welches buch meinst du? "Soldaten: Protokolle vom Kämpfen, Töten und Sterben" - wissenschaftlich gesehen völliger unsinn.


Big A

Zitatwissenschaftlich gesehen völliger unsinn.

Aha...
Sagt wer??

Axel
Weapons are no good unless there are guts on both sides of the bayonet.
(Gen. Walter Kruger, 6th Army)

Real men don't need experts to tell them whose asses to kick.

maxim

Zitat von: TW am 01 Juli 2025, 13:06:35Zum Fragen des "Totrüstens" schreibt der Rezensent (nicht der Buchautor):
ZitatEiner der, mehr oder minder latenten, Vorwürfe, im Endeffekt hätte Tirpitz ja doch die Royal Navy < totrüsten > wollen, entspringt dabei prinzipiell dem Gedankengebäude des Admirals selbst, bevor er überhaupt zur Macht kam, und daher noch unter komplett anderen Vorzeichen formuliert. Er forderte einst, um überhaupt Aussicht auf Erfolg zu haben, müsse eine Flotte gegenüber jedwedem Gegner eine 3 : 2-Überlegenheit besitzen. [...]


Diesen Punkt verstehe ich nicht: "Totrüsten" ist ein politisch-ökonomisches Konzept, die Idee, einen anderen Staat dazu zu zwingen, zu viele Ressourcen in die Rüstung zu stecken und sich hierdurch zu schaden.

Wo ist der Zusammenhang mit der 3:2-Überlegenheit?

Aus britischer Sicht musste zum Zeitpunkt der Formulierung der Risikotheorie eine Überlegenheit gegenüber Deutschland, Frankreich und Russland erreicht werden. Wenn diese politische Situation so geblieben wäre, dann hätte Großbritannien wesentlich mehr in die Flotte stecken müssen.


Das Argument der Skepsis gegenüber staatlich angestellten Wissenschaftlern ist bizarr - diese Wissenschaftler mussten sich tatsächlich gegenüber anderen vielfach beweisen, um einer Universität oder einer außeruniversitären öffentlichen Forschungseinreichung angestellt zu werden. Gegenüber anderen Wissenschaftlern, nicht gegenüber dem Staat! Im Gegensatz muss jemand, der nicht an einer Universität oder einer außeruniversitären öffentlichen Forschungseinreichung angestellt ist, keinerlei Qualitätsstandards erfüllen - und kann einfach alles mögliche behaupten...

beck.Schulte

#12
Gegenüber anderen Wissenschaftlern, nicht gegenüber dem Staat!... da habe ich wohl die letzten 50 Jahre geschlafen.
Ging in den 50ziger mit Fischer los, dann das Rumgereiere betr. "Der Falsche Krieg" usw usw.
Der Klassiker für mich war eine Radiosendung mit zwei (!) Historikern der Uni Mainz betr. der deutschen Ausgabe von Ferguson. Da man ihm nicht fachlich beikommen konnte war ihr Fazit das, dass eine deutsche Ausgabe nur Wasser auf die Mühlen der ,,Falschen" sei.  Und heute? Nicht viel anders.


TW

Zitat von: maxim am 02 Juli 2025, 07:04:30Diesen Punkt verstehe ich nicht: "Totrüsten" ist ein politisch-ökonomisches Konzept, die Idee, einen anderen Staat dazu zu zwingen, zu viele Ressourcen in die Rüstung zu stecken und sich hierdurch zu schaden.

Wo ist der Zusammenhang mit der 3:2-Überlegenheit?
Du hast schon Recht, Maxim, wenn man den Gedanken des Totrüstens komplett isoliert.
Ich kenne das Buch nicht, aber ich denke, gemeint ist, dass Tirpitz in seinem jugendlichen Eifer dachte, dass Deutschland von seiner Wirtschaftsleistung her durchaus in der Lage war, mehr in die Rüstung zu investieren als es England möglich war, wenn England sich nicht selbst ökonomisch überfordern und damit seinen eigenen ökonomischen Niedergang (,,Selbstmord") riskieren würde. Dass England so weit gehen würde, wagte selbst Tirpitz nicht zu hoffen, aber für eine 3:2 Überlegenheit sollte es am Ende reichen (so sein Kalkül).

P.S. Die Thesen von Ferguson: https://www.welt.de/print-welt/article569669/Der-falsche-Krieg.html
Schönen Gruß aus Stuttgart
Thomas

mhorgran

Zitat von: TW am 02 Juli 2025, 07:57:58
Zitat von: maxim am 02 Juli 2025, 07:04:30Diesen Punkt verstehe ich nicht: "Totrüsten" ist ein politisch-ökonomisches Konzept, die Idee, einen anderen Staat dazu zu zwingen, zu viele Ressourcen in die Rüstung zu stecken und sich hierdurch zu schaden.

Wo ist der Zusammenhang mit der 3:2-Überlegenheit?
Du hast schon Recht, Maxim, wenn man den Gedanken des Totrüstens komplett isoliert.
Ich kenne das Buch nicht, aber ich denke, gemeint ist, dass Tirpitz in seinem jugendlichen Eifer dachte, dass Deutschland von seiner Wirtschaftsleistung her durchaus in der Lage war, mehr in die Rüstung zu investieren als es England möglich war, wenn England sich nicht selbst ökonomisch überfordern und damit seinen eigenen ökonomischen Niedergang (,,Selbstmord") riskieren würde. Dass England so weit gehen würde, wagte selbst Tirpitz nicht zu hoffen, aber für eine 3:2 Überlegenheit sollte es am Ende reichen (so sein Kalkül).

P.S. Die Thesen von Ferguson: https://www.welt.de/print-welt/article569669/Der-falsche-Krieg.html

"totrüsten" war in quasi anführungsstriche halten, seltsam das dies zu einer ernstgemeinten nachfrage und antwort führt.
deutsche 3:2 Überlegenheit
Auch hier sollte man die Ausführungen der Amazonrezension richtig lesen:
Er forderte einst, um überhaupt Aussicht auf Erfolg zu haben, müsse eine Flotte gegenüber jedwedem Gegner eine 3 : 2-Überlegenheit besitzen. Als dann aber Großbritannien als möglicher Gegner in den Fokus kam, war niemand mehr als ihm die Utopie einer solchen Forderung deutlich – als Ausweg entstand die These gegenüber Kaiser, Parlament und Öffentlichkeit, eine 2 : 3-Unterlegenheit würde es unter bestimmten Voraussetzungen auch bewerkstelligen
1.) "jedwedem Gegner" (allerdings ohne GB - siehe nächster Satz)
und
2.) "Als dann aber Großbritannien als möglicher Gegner in den Fokus kam ..." dann akzeptierte Tirpitz eine 2:3 Unterlegenheit (gegenüber GB).

Und die Realität?
1914
Deutsches Reich - 40
GB - 64
das ist eine 2:3 Unterlegenheit, von einer 3:2 Überlegenheit ist man weit weit entfernt und hätte auch bis 1917 (ohne Krieg) nicht erreicht werden könne.

Im übrigen finde ich es aufschlußreich wie die Realität im deutschen Hochschulbereich und Forschung (und Medien9 völlig falsch eingeschätzt wird.




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