Trägerentwicklungen und Einsatzplanungen 1919-1939

Begonnen von Thomas, 06 August 2009, 19:53:38

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Thomas

Hallo,

ich packe das Thema mal hierhin, möglicherweise würde es auch zur RN oder zur IJN passen.

Es geht mir um die zugedachte Rolle der Flugzeugträger der Zeit zwischen den Weltkriegen. In einer Planungsskizze zu den diversen ORANGE und RAINBOW-Fällen wird ersichtlich (hier speziell War Plan Pacific WPPac-46, Tag 9), dass der Trägergruppe der USN (in dem Fall 3 Träger) quasi die Rolle der Schlachtkreuzer im Ersten Weltkrieg im Operieren vor der Entscheidung-suchenden Schlachtflotte zugedacht war. In diese Pläne spielt hinein, wie man die Rolle der Träger beim Aufeinander-Treffen mit der gegnerischen Schlachtflotte einschätzte. Die Rolle davor wäre eigentlich klar: Aufklärung, Angriffe auf Schiffe vom Kreuzer abwärts.

Das leitet über zu dem Problem, wie die Erfolgsaussichten von (trägergestützten) Flugzeugangriffen auf Schlachtschiffe gesehen wurde. Wichtig sind dabei wohl die verwendbaren Torpedos (Sprengladung), die Frage der verwendbaren Bomben und ihrer Wirkung und der inzwischen erreichte/rezipierte Stand des Panzerschutzes und auch des Torpedoschutzes bei Schlachtschiffen. Schätzt man die Möglichkeiten des Trägers zur Gegenwehr niedrig ein, bleibt nur die Flucht (überlegene Geschwindigkeit). Spielt in diese Überlegungen zu früheren Zeitpunkten auch die Artilleriebewaffnung einiger Träger (8-inch) hinein?

Dazu auch folgender Beitrag:
https://txspace.tamu.edu/bitstream/handle/1969.1/2658/etd-tamu-2005B-HIST-Wadle.pdf;jsessionid=4D255167519358786FE748EA5C5A88C6?sequence=1
Wadle, Ryan David, United States navy fleet problems and the development of carrier aviation, 1929-1933

Schaut man sich die RN an, so gab es wohl in den 20ern folgende Ausgangspunkte aus den diversen Tests, Planstudien etc.: der Träger hält dem Schlachtschiff nicht stand, die trägergestützten Flugzeuge verwenden Bomben nur bis 250 kg, Probleme bei den verwendbaren Torpedos (Gewichtsbeschränkungen?), der Träger benötigt Panzerung und überlegene Geschwindigkeit.
Quelle: Airpower and the battleship in the 1920's, von Geoffrey Till.

Änderte sich etwas an diesen Einschätzungen (sofern ich sie richtig wiedergegeben habe) bei den letzten Träger-Neubauten in den Marinen vor 1940?
Kurzum die Frage: welche Einflüsse hatten solche operativen Überlegungen auf die Trägerentwicklung?

Welche Operationen, welche Rolle bzw. Einsatzformen waren den Trägern vor 1940 zugedacht? Da muss doch eine scharfe Trennung zu den Einsätzen 1943/44 im Pazifik möglich sein? Dazu noch ein Nachsatz: mW sahen die Planungen für die Marshalls (die ausgebliebene Entscheidungsschlacht) trotz Midway etc. noch den letztlich entscheidenden Einsatz von Battlegroups vor, vielleicht lassen sich zu Flintlock die Einsatzplanungen hier noch mit am Rande unterbringen?

So, dass war jetzt ein großer Bogenschlag. Wenn das Thema schon mal durchgekaut wurde, bitte Hinweis.

Grüße
Thomas

t-geronimo

Eieiei, da möchtest Du ja schon fast eine Doktor- oder Diplomarbeit zum Thema Träger-Entwicklung haben... ;)

Um diese Uhrzeit mal in Kürze das Folgende:
Ich kann jetzt nur für die Royal Navy und ihre sowohl Experimental- als auch Einsatzträger sprechen, die Amis mögen da teilweise einen kleinen Schritt voraus gewesen sein.

Allein das Stichwort oder besser die Bezeichung "Experimetal" deutet ja schon an, daß eben vieles von Anfang an in der Entwicklungsphase war, was bedeutete, das eigentlich keiner so richtig sagen konnte, wohin das ganze denn geht.
Da war zum Einen die Entwicklung des Flugzeugs an sich und seine Rolle in einer künftigen Kriegsführung:
Aufklärung? Defensive Waffe mit offensiven Möglichkeiten? Offensive Waffe?
Wie sah es mit Gegenmaßnahmen aus? Flak usw., konnten die der neuen Waffe Flieger Paroli bieten?
Wer würde am Ende als der Stärkere da stehen?
Und dann die Koordination: Wie würde diese neue Waffe, genannt "Flieger", sich von See-gestützten Systemen, also dem Träger, aus entwickeln?
Wie würde dieses Waffensytem "Träger-Flieger" sich in das allgemeine Flottenverständnis hinein entwickeln?

Tja, zu Anfang gab es da einige Theorien, und das Schlimmste für eigentlich alle war: Man konnte es nicht in echt, also in einem Konflikt nachprüfen.
Ein Beispiel aus einem Kriegsspiel-Szenario der Royal Navy aus der Vorkriegszeit:
Man überschätzte die Schutzwirkung der Flak vor allem von einzelnen Schiffen und unterschätzte die Trefferwirkung von Torpedos auf Großkampfschiffe (vor allem der älteren Bauart). 1932 wurden z.B. bei einem Angriff auf das Schlachtschiff Resolution von 27 abgeworfenen Torpedos 7 Treffer erzielt. Man ging davon aus, daß Resolution lediglich 30% ihrer Geschwindigkeit eingebüßt hätte und noch 14 kn laufen konnte - nach 7 Torpedotreffern!!
Noch Fragen??

Also hatten Flugzeuge und Träger lange Zeit eben im Denken der "Kanonen"-Admiräle die Aufgabe, die früher Kreuzer erledigten: Auskundschaften, spähen, beobachten, und erst dann eventuell mit Angriffen schon mal den Gegner belästigen.
Und solange nichts Scharfes passierte, konnte ja auch fast niemand die wirkliche Rolle der neuen Waffensysteme belegen. Niemand opferte ja ein altes Schlachtschiff oder einen Kreuzer, um mal zu zeigen, was denn Torpedoflieger wirklich konnten.
Und das, obwohl man um die tödliche Wirkung von Torpedos ja eigentlich schon seit dem 1. WK wußte.

Also mußten erst die ersten Erfahrungen aus dem 2. Wk zeigen, was Flieger und trägergestützte im Besonderen wirklich zu leisten im Stande waren. Und wo ihre Grenzen waren.
Ein Beispiel waren Anti-U-Boot Missionen.
In der Theorie hatte man schon länger erkannt. daß das Flugzeug eine ziemlich böse Waffe gegen das U-Boot sein konnte.
Aber erst die Praxis zeigte, daß nur ein konsequenter Zerstörer-Schirm den Träger selber gegen U-Boote schützen konnte - die Versenkung von Courageous und fast-versenkung von Ark Royal zu Beginn des 2. Wks sprechen da Bände.
Auch als Anti-Schiffs-Waffe wurden träger-gestützte Flieger selbst von fortschrittlichen Admirälen wie Cunningham lange nur in der Rolle gesehen, den Gegner zu verlangsamen, um dann die Versenkung doch durch Kanonen herbeizuführen.
Andererseits wurde die Rolle der Luftunterstützung in der Defensive (Jäger) im Mittelmeer recht schnell erlernt. Durch die Praxis.

Und nicht umsonst hatte die US-Navy recht fix Beobachtungs-Offiziere an Bord aller britischen Träger um 1940/41 herum, um eben all die theoretischen Vorstellungen in der Praxis einer genauen Überprüfung zu unterziehen.


Was die Frage der Träger-Entwicklung angeht, muß man ebenfalls die britische und die amerikanische unterscheiden.
Aus dem uralten Geschütz-Denken heraus waren die Briten von Anfang an eher auf Defensiv-Eigenschaften gepolt: Horizontal- und Vertikal-Schutz besaßen einen großen Stellenwert, was zu Lasten der Flieger-Kapazitäten ging. Da haben die Amis anders getickt, schon von so ziemlich Anfang an.


Und was Deine Frage zur Entwicklung angeht:
Zu allererst waren alle darauf erpicht, einen Träger auf einen vernünftigen Rumpf zu setzen (eigenen Konstruktion, nicht einfach einen Hangar und ein Flugdeck auf einen Kreuzer-Rumpf packen z.B.), die Beobachtungs-, Kommunikations- und Führungs-Elemente (Stichwort Insel) vernünftig zu platzieren usw.
Das hat so lange gedauert, daß der auf einmal einsetzende 2. WK viele der Antworten gab, die man sich eigentlich nur in der Theorie (ok, der echte Militär mag natürlich nur die echte Praxis, also den bewaffneten Konflikt) zu beantworten hoffte.
Da wurde man dann quasi von der Praxis überholt.


Und im Pazifik passierte das dann in einem noch rasanteren Tempo, aber das ist dann jetzt doch nicht mehr Gegenstand der Frage...


Ich hoffe, das war nicht zu viel bekannte Schwafelei, aber das ist eben auch ein sehr, sehr komplexes Thema, welches in Details sicherlich noch weiterer Klärung bedarf.
Gruß, Thorsten

"There is every possibility that things are going to change completely."
(Captain Tennant, HMS Repulse, 09.12.1941)

Forum MarineArchiv / Historisches MarineArchiv

Q

Zitat von: t-geronimo am 07 August 2009, 02:02:46
....
Was die Frage der Träger-Entwicklung angeht, muß man ebenfalls die britische und die amerikanische unterscheiden.
Aus dem uralten Geschütz-Denken heraus waren die Briten von Anfang an eher auf Defensiv-Eigenschaften gepolt: Horizontal- und Vertikal-Schutz besaßen einen großen Stellenwert, was zu Lasten der Flieger-Kapazitäten ging. Da haben die Amis anders getickt, schon von so ziemlich Anfang an.
....

Vielleicht lag dies auch an den Erfahrungen von Billy Mitchell, das die US- Navy da ein paar Schritte vorsprung hatten.

Klick Mich
Don´t Panic
Quand tu veux construire un bateau, ne commence pas par rassembler du bois,
couper des planches et distribuer du travail,
mais reveille au sein des hommes le desir de la mer grande et large.

St.Ex

MichiK

ZitatVielleicht lag dies auch an den Erfahrungen von Billy Mitchell, das die US- Navy da ein paar Schritte vorsprung hatten.
Weiß nich...
Ohne hier großartig in der Materie drinzustecken, aber Mitchells Versuche waren so meilenweit von jeglichen realistischen Einsatzbedingungen entfernt, daß man daraus eigentlich gar nichts ableiten konnte (mal ganz abgesehen davon, daß Mitchell für seine Show auch ganz schlicht große, mehrmotorige Landbomber benutzen musste).

Bei der ganzen Debatte über für und wider der Britischen bzw. Amerikanischen Trägerkonzepte wird meines Erachtens nach immer ein ganz entscheidender Punkt unterschlagen: Die RN musste ihre Schiffe für ganz andere Einsatzräume konzipieren als die USN. Für GB war bis zum Verlust der Kolonien die Sicherung des Seeweges von und nach Indien von elementarer Bedeutung, d.h. wichtige Einsatzräume waren Rotes und Mittelmeer, beides enge Randmeere in denen immer damit zu rechnen war, daß man von einem unentdeckten feindlichen Verband plötzlich ins Gefecht gezwungen wird und sich diesem auch nicht entziehen kann weil dem gerade die Geographie im Weg steht. Berücksichtigt man das, dann sieht das Britische Schutzkonzept für mich schon gar nicht mehr so traditionalistisch aus.

Michi

ROMANES EVNT DOMVS!

Raptor

#4
Zitat von: Thomas am 06 August 2009, 19:53:38
Schätzt man die Möglichkeiten des Trägers zur Gegenwehr niedrig ein, bleibt nur die Flucht (überlegene Geschwindigkeit). Spielt in diese Überlegungen zu früheren Zeitpunkten auch die Artilleriebewaffnung einiger Träger (8-inch) hinein?

Welche Operationen, welche Rolle bzw. Einsatzformen waren den Trägern vor 1940 zugedacht?

Hallo Thomas,

soweit ich weiß war die amerikanische Vorstellung (1918) zum Einsatz eines Flugzeugträgers folgende:
Der Träger sollte stark gepanzert sein um den Zerstörerschirm der feindlichen Flotte zu durchbrechen dazu wurde eine starke Artillerie gefordert, vorzugsweise 15,2cm. Man wollte erreichen das der Flugzeugträger den Abwehrschirm der feindlichen Flotte durchbricht und damit seine Flugzeuge nah am Feind starten kann. Aber man kann davon ausgehen daß zu dieser Zeit nicht das gegnerische Schlachschiff das Ziel war sondern vielmehr, Uboot-basen, Zeppelinwerften oder feindliche Minenlegerflottillen

Hierzu muß gesagt werden daß die Kampfflugzeuge der ersten Generation eine Reichweite von max. 200km hatten


Big A

Zitataber Mitchells Versuche waren so meilenweit von jeglichen realistischen Einsatzbedingungen entfernt, daß man daraus eigentlich gar nichts ableiten konnte
Mitchell wollte erst einmal nachweisen, dass man Schiffe auch nur durch Flugzeuge versenken kann! Und das hat er getan. Heute nennt man so was wohl Machbarkeitstsudie.

Axel
Weapons are no good unless there are guts on both sides of the bayonet.
(Gen. Walter Kruger, 6th Army)

Real men don't need experts to tell them whose asses to kick.

MichiK

Es ist jetzt schon ein paar Jährchen her, daß ich mich mit Mitchell beschäftigt habe, desweg alles jetzt (fast) nur aus dem Gedächtnis.

So wie ich die Geschichte kenne, wollte Mitchell nur eines: Geld für das Army Air Corps, das zu dem Zeitpunkt am ausbluten war (weil: Wofür sollte die US Army schon besonders viele Flugzeuge benötigen?). Ob das jetzt auch seine innerste Überzeugung war, weiß ich nicht, sein "Marketingkonzept" war jedenfalls, daß die Army für den Preis eines Schlachtschiffes tausend Flugzeuge bekäme, und diese tausend Flugzeuge könnten jede feindliche Flotte von den Küsten der USA fernhalten. Alles was er noch brauchte war die Zeitungsschlagzeile "Flugzeug zerstört schwimmende Festung". Die Art un Weise, wie er sich bei den Abwürfen auf die Ostfriesland (http://www.history.navy.mil/library/online/navybomb2.htm) über die Testanweisungen hinweggesetzt (auch wenn die Navy da natürlich auch "politisch" gehandelt hat) und damit ausgerechnet die aussagekräftigsten Versuche sabotiert, zeigt doch sehr deutlich, daß es Mitchell nicht gerade um den tatsächlichen Erkentnissgewinn ging, sondern daß er mit allen Mitteln die Öffentlichkeit von der Überlegenheit des Bombenflugzeuges über das (Schlacht-)schiff überzeugen wollte.

Michi
ROMANES EVNT DOMVS!

Thomas

Hallo,

erstmal vielen Dank für die Reaktionen und die interessanten Hinweise.
Wollen wir noch etwas weiter sammeln?

Zu Mitchell ist doch die Wahrnehmung in den Flotten wichtig: die Trägerflugzeuge würden deutlich geringere Gewichte tragen können, so dass man trotz dieser Versuche und der weiteren Studien von der Überlegenheit des Schlachtschiffes ausging.

Die Torpedo-Betrachtungen kann ich aus der Quelle bestätigen. Ähnliche Zahlen legte man in der RN auch schon vor 1930 zugrunde.

Wenn ich das richtig sehe, waren die Pazifik-Planungen die ersten mit "Trägergruppen", die Scoutfunktionen und Kreuzerjagd unternehmen sollten. Die Entscheidung vermutete man erst nach solchen Vorgeplänkel und schnellen Rückzügen beim Auftreffen der Schlachtflotten.

Grüße
Thomas

Spee

Servus,

ihr solltet mal nach den amerikanischen Fleet-Problems der 20er und 30er Jahre suchen. Etwa in der Richtung  --/>/> http://www.history.navy.mil/download/car-6.pdf
Servus

Thomas

Suicide Is Not a War-Winning Strategy

Peter K.

Grüße aus Österreich
Peter K.

www.forum-marinearchiv.de

Huszar

Moin,

Ziemlich lange hatte man keine wirklichen Erkenntnisse darüber, welche Trefferchancen ein (schiffgestütztes) Flugzeug gegen bewegliche Ziele erreichen kann. Auch bezüglich Mitchell kam das Argument auf, dass die Treffer nicht erzielt hätten werden können, wenn es um ein realistisches Scenario (Schiff in Bewegung + FLAK) gehandelt hätte.
Die Trefferwahrscheinlichkeit von Bomben war bis zum Erfinden des Sturzkampfbombers (gerade in Amerika) grottenschlecht, wozu auch die primitiven bis nicht existenten Zielgeräte kamen.

Ein anderer Punkt bei der Unterschätzung des Flugzeuges, dass schiffsgestütze Flieger bis in Ende der 30er (!) als Höchstkaliber 250 pdr tragen konnten - was gegen alles Kreuzer aufwärts ein schlechter Witz ist. Die Englander fühlten sich sehr inovativ, als sie beschlossen haben, Decks gegen Bomben von 500 pdr sicher zu machen, und die Skua-Sturzbomber für das Mitführen eben solcher Bomben auszurüsten. Wie sich dann während des 2wks herausgestellt hat, sind gegen grössere Einheiten (10k-Kreuzer und darüber) mindestens 500 kg nötig.

Und ein weiterer Punkt: FLAK. Die Wirkug dieser wurde sehr lange Zeit überschätzt - man erinnere sich an die Kaliber (und Anzahl), die in Fr, Engl, USA und Japan auf den Schiffen eingebaut wurden: 12,7mm, 13,2mm als Standard, die 25mm und 1,1" als mittleres Kaliber.
Ja, gegen die Einkaufstüten, die noch Anfang der 30er rumgeflogen sind (Swordfish ist vergleichsweise modern!) waren diese genügend, danach kam aber ein Sprung in der Entwicklung, die weltweit verschlafen wurde.

mfg

alex
Reginam occidere nolite timere bonum est si omnes consentiunt ego non contradico
1213, Brief von Erzbischof Johan von Meran an Palatin Bánk von Bor-Kalán

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