Begriffserklärung: völliger Bug, Totholz, ablösefreie Form

Begonnen von Teddy Suhren, 19 Oktober 2009, 10:27:31

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Teddy Suhren

Hai

Kann mal jemand folgende Begriffe erklären (bitte nicht nur mit Links):
völliger Bug
völliges Heck
Totholz
weggeschnittenes Totholz (was bewirkt das?)
ablösefreie Form (- Heck)
einsaugen oder festsaugen des Hecks.

Danke!
Gruß
Jörg

WoWarships Nick: Teddy191

harold

Servus,

(bitte nicht nur mit Links) ...also die beiden Artikelchen kennst du schon?

http://forum-marinearchiv.de/smf/index.php/topic,372.0.html
http://forum-marinearchiv.de/smf/index.php/topic,1013.0.html

Ansonsten mach ich dir ne kleine Zeichnung zu alledem - aber nur, wenn du mir auch den Zusammenhang, in dem du das wissen willst, klarlegst.
Dann hammer n konkreten Fall, den mer klären können  :wink:

Ciao,
Harold
4 Ursachen für Irrtum:
- der Mangel an Beweisen;
- die geringe Geschicklichkeit, Beweise zu verwenden;
- ein Willensmangel, von Beweisen Gebrauch zu machen;
- die Anwendung falscher Wahrscheinlichkeitsrechnung.

Big A

ZitatAnsonsten mach ich dir ne kleine Zeichnung zu alledem

Wie ich Harold kenne wird das wiedereien Komplettzeichnung mit Formeln, Graphiken usw. dass das sogar eine technische Niete wie ich verstehen werde!
Freue mich schon drauf :-D

Axel
Weapons are no good unless there are guts on both sides of the bayonet.
(Gen. Walter Kruger, 6th Army)

Real men don't need experts to tell them whose asses to kick.

Teddy Suhren

Hai

Ich lese gerade in Rösslers "U-Boottyp XXlll". Darin werden die Begriffe um das völlige Bug und Heck sowie die ablösefreie Form immer wieder erwähnt. Weiterführende Erklärungen dazu gibts aber nicht (Ich bin noch nicht durch).
Totholz ist mir immer wieder im Zusammenhang mit den Typ 34 Zerstörern begegnet. Beim Typ 34 und 34a war m.W. mehr Totholz weggeschnitten als bei den Nachfolgern.
Das Einsaugen oder Festsaugen des Hecks begegnete mir mal im Zusammenhang mit Gerd Schneiders Buch über die RBoote im Asowschen Meer.
Gruß
Jörg

WoWarships Nick: Teddy191

harold

Wir beziehn uns hier mal nur auf die Unterwasserform des Rumpfes, OK?

"Völliger Bug, völliges Heck":
Die Wasserlinien sind im ersten bzw letzten Schiffs-Sechstel sehr stark konvex, "nach außen rund" - dafür ist der Querschnitt über einen großen Bereich (~ 50-60%) des Rumpfes sehr breit ("voll").
=> bei gegebenen Abmessungen (Breite, zB Kanalquerschnitte; oder Länge, zB Schleusen) die einzige Möglichkeit, so viel Volumen in den Rumpf zu packen wie möglich (Tiefgang lassen wir jetzt mal weg).
Extrembeispiel: Flußkähne.
Die damit in Kauf genommene Verwirbelung im Heckbereich/ Kielwasser kostet zwar Energie, kann jedoch als Wirbelschleppe sogar kursstabilisierend wirken (für Großsegler -und eben auch Flußkähne!- nicht uninteressant!). Quasi ein "rumpfgenerierter Treibanker achtern".

Gegenteil: "feiner Belauf an den Enden", das führt zu

"Ablösung an der Form":
Ablösefrei kann keine Form sein, die ich durch irgendein Medium (Luft, Wasser, Schlamm...) ziehe.
Natürlich kann ich die Form optimieren, dh. den Strömungsverlauf so wirbelfrei und günstig wie möglich halten und damit den Wirkungsgrad meiner Antriebsleistung Richtung Geschwindigkeit verbessern.
Für das Heck eines Überwasser-Schiffes heißt dies:
- Verminderung der Spantkoeffizienten gegen Null mit möglichst flachem Gradienten,
- demzufolge in den achtersten 20% der eingetauchten Form sachte Verminderung des Tiefgangs und der Breite.
Beispiele: den feinen Steert, den die Panzerschiffe hatten, oder die "Verlängerung über Heck" bei fast allen japanischen Modernisierungen (Kongo-, Fuso- u Nagato-Klasse, Kaga u Akagi).

Ein sehr feiner Eintritt in die Form (= sehr schlankes, "hohles" Vorschiff mit konvexen Linien) bringt strömungstechnisch Energie-Ersparnis (Beispiel: Vorschiff-Gestaltung der amerikanischen BB's ab "North Carolina") und damit Geschwindigkeit.
Leider hindert dieses sehr schmale Vorschiff auf vollem Tiefgang auch die Manövrierfähigkeit (es wirkt wie ein starres Ruder vorne).
Gegenmaßnahme - alles, was vorn kein' Auftrieb liefert, sondern nur Gewicht macht, raus (= weggeschnittenes Totholz).
Beispiele: die deutschen großen Kreuzer (und, in Ansätzen, auch die Linienschiffe), allen voran "Derfflinger"; ebenso die schnelleren russischen Bauten dieser Zeit ("Gangut", oder die Entwürfe von Bubnov, Putilov, Kostenko).
In geringerem Maße auch bei der "Viribus Unitis", oder (aus zT srömungstechnisch begründeten) Bugformen japanischer Konstruktion (das führt jetzt hier aber zu weit weg...)- Gegenbeispiel: Wulst- oder Taylorbug.

So, als letztes:
"Einsaugen des Hecks" - bei höheren Geschwindigkeiten vermutlich.
Rumpf generiert in Fahrt Bugwelle, mit Maximum knapp hinter Vorsteven, und natürlich auch eine Wellenlänge in Abhängigkeit zur Geschwindigkeit. Ist die Wellenlänge in Bezug zum Rumpf groß genug (zB. 90 m bei 23 kn; und der Rumpf wäre halb so lange, nämlich 45 m), dann vertrimmt dieser "dynamische Auftrieb" das Schiff ordentlich nach achtern!
Funktioniert natürlich auch (weniger spektakulär) bei anderen Geschwindigkeiten (zB Schiffslänge = 1,5 oder 2,5 Wellenlängen) - aber in jedem dieser Fälle ist das Vorschiff "auftriebiger" und das Achterschiff "sackt ein".
Von "Einsaugen" aufgrund der Schraubenumdrehung kann nur insofern die Rede sein, als Kavitation Sauerstoff oder sogar schon Dampf im Schraubenwasser freisetzt (und dieses Wasser damit an Dichte, und somit der dort umspülte Körper an Auftrieb verliert) - damit würde jedoch auch die Vortriebsleistung massivst leiden, und damit die Geschwindigkeit dramatisch sinken.

Den "suck-in-Mythos" ('she could suck a tennisball through a garden hose') überlassen wir mal dem Gatten der amtierenden US-Außenministerin in Bezug auf seine ehemalige Praktikantin, so als nette Altherrenerinnerung.

Jetzt mal für die Augenmenschen, denen das zu viel Text war:



@ Teddy:
- U-Boot-Geometrie der XXIII-er :
völlig andere Baustelle - ein Überwasserschiff bewegt sich an der Grenze zweier Medien Flüssigkeit/Gas (Wasser= nicht komprimierbar, Luft= schietegol bei diesen Geschwindigkeiten/Amplituden); ein reines Unterwasserschiff nur in einem Medium.
Da gelten ganz andre Formen/Formeln; sogar die Ausbreitungsgeschwindigkeit der (Druck-)Wellen ist anders ... cum grano salis ist die optimale Geometrie eher der von Flugzeugen im Unterschallbereich verwandt.
Wir könnten die Analogie noch ein wenig mehr strapazieren und Überschall-Flugkörper (wie zB Granaten) einbeziehen, und deren Wirbel"kegel" im Drall, den sie nachziehen ... nichts anderes macht eine sehr groß dimensionierte Schraube hinter einem Unterwasserkörper (sie verlängert diesen strömungstechnisch).
Überschall-schnelle Objekte in Gasen, und "über-eigene-Welle-schnelle" Objekte an der Grenzschichte Wasser/Luft verhalten sich (aber bitte immer mit Vorbehalt!, ja?!) erstaunlich ähnlich...

- R-Boote: tja welche Geschwindigkeit, und welche CWL? - guck dir als Extrembeispiel mal übermotorisierte Speedboote an, und deren Rumpflage mit/ohne Bewegung. -

@ Axel .....  :MG:
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- ein Willensmangel, von Beweisen Gebrauch zu machen;
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Captain Hans

na wieder einmal eine sagenhaft gute Erklärung von unserem Harold top top top
,Nur wer sich ändert,bleibt sich treu"!!!
,,Nicht was du bist,ist das was dich ehrt,wie du bist,bestimmt den Wert"!!!

Big A

 :-o :O-_ :-o

Danke! Hab ich kapiert! Prüfung dann am 25.11.???

Axel
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(Gen. Walter Kruger, 6th Army)

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harold

Noch ein Nachtrag zum "weggeschnittenen Totholz", ...erstmal Seydlitz:



und dann auch "Derfflinger" (upside down):



Die sehr ähnlich anmutenden Unterwasser-Bugformen von Clippern des 19. Jhdts (Reaktion auf die mail, die grade reinkam -  :wink: ) haben nix mit Strömungsgeometrie oder Wendigkeit zu tun, sondern sind Austricksereien der britischen Vermessungsverordnung von 1836 => Aberdeen-Bug.
Dazu vielleicht mal mehr, aber nicht in diesem thread (sonst versagt unsere Suchfunktion bei mehr als 100.000 Beiträgen - 8-) ).
@ Axel,
jooh!: Prüfungsstoff = habt ihr auch wieder n messe-eigenen Cognac-Schwenker für mich? (sonst geht da nix, gelle!).

@ Hans, da wern ma mal noch schaun, wer wem was erklärt...  :MG:
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Teddy Suhren

Hai

Danke für deine Ausführungen, Harold.
Kann man das denn 1:1 auf die Zerstörer mit dem weggeschnittenen Totholz im Heckbereich übertragen?
Gruß
Jörg

WoWarships Nick: Teddy191

Big A

@harold

Du bist natürlich Gast der Messe, und da der Gast König ist bekommt er selbstverständlich den eigenen und gut gefüllten Schwenker! Cognac, Calvados oder was darf's sonst sein?? :OuuO:
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harold

Servus Jörg,

im Heckbereich der Zerstörer gab es nix "wegzuschneiden", die Spanten waren dort bis auf einen rudimentären Keil (Strömungsanlenkung auf die Schrauben) so ziemlich flach.

Den Begriff kannst du eigentlich nur auf sehr schmale und tief reichende Rumpfteile anwenden -zB sehr schlankes Vorschiff auf vollen Tiefgang- aber kaum auf ein Z-Heck.-
Anders bei dickeren Schiffen, entweder war bei Dreiwellenanlage die Kielhacke gleichzeitig Wellenhose für die Mittelwelle, oder sollte bei 4- bzw. 2-Wellen-Anlage jeseitige T-Treffer "begrenzen", siehe nochmals "Derfflinger", die Ruderanordnung:



und auch die Ruderwirkung bei Anströmung über Hilfs- und Hauptruder:



Andernorts haben wir ja schon lang und breit die projektierten "Seitenflossen" für die H-Klasse ab 1941 diskutiert - im Prinzip achtern weit ausgezogene Schlingerkiele, die eine Art "Schraubentunnel" machen.
Das gäbe Drehkreise ... oh, oh!
Sinnvoll wäre dies nur, wenn die Geometrie "Ruderklappen" integriert in die Flossen erlauben würde (in etwa so wie hier):



... dann könnte der W-förmige Spantverlauf achtern die Trefferwirkung unter Wasser lokalisieren, und durch die Ruderklappen wäre gleichzeitig eine sehr redundante Steuerfunktion gegeben.-
----------

"Totholz" achtern (als Kielhacke) ist in den meisten Fällen Strömungs-Anlenkung an das/die Ruder, und somit sehr erwünscht (hier -ohne Schrauben und Wellen- die "Yamato" als Halbmodell) :



...und auch hier wieder Vor- und Hauptruder hintereinander, gegenläufig angeströmt, das führt dann zu extrem kleinen Drehkreisen wie hier gut sichtbar:



... obwohl "Yamato" einen recht ausgeprägten Bugwulst über sehr fein einlaufendem Vorschiff hatte (und dies erkennt man auch gut an der Menge Gischt, die hier an Bbd knapp hinter dem Bug aufwallt : die Hartruderlage "siegt" hier also deutlich über das "Steuerbrett" vorderes UW-Schiff - das einfach nur noch quer-quirlt und damit auch gehörig Fahrt weg nimmt, siehe verringerten Radius), da dreht sie doch recht eng.

Ich hielt dies jetzt eher "allgemein" und nicht nur auf Zerstörer zugeschnitten, damit's auch in den thread "Formeln und Begriffe" passt - sorry for that.
:MG: Harold





4 Ursachen für Irrtum:
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- ein Willensmangel, von Beweisen Gebrauch zu machen;
- die Anwendung falscher Wahrscheinlichkeitsrechnung.

harold

4 Ursachen für Irrtum:
- der Mangel an Beweisen;
- die geringe Geschicklichkeit, Beweise zu verwenden;
- ein Willensmangel, von Beweisen Gebrauch zu machen;
- die Anwendung falscher Wahrscheinlichkeitsrechnung.

speedl

Endlich habe ich auch mal kapiert was Totholz ist  top top top Danke Harold!!

Aber deine tollen Grafiken und Bilder haben jetzt noch eine weitere unbeantwortete Frage geklärt. Ich habe immer gedacht, dass das Hilfsruder immer in die gleiche Richtung schwenkt wie das Hauptruder. Ich hätte nie angenommen, dass es gegenläufig ausschwenkt. Ist das bei allen Schiffen mit Hilfsruder so gewesen?

Danke und viele Grüße Stefan  :MG:
WoWs: "speedl2002" und "fluffl"

kalli

@Harold & Axel,

"Klassisch wird Calvados in Trinkgefäßen aus Ton oder Steingut serviert, die mit ihrer Form (3/4 einer Kugel) an die Schädelkalotten der Feinde erinnern sollen, aus denen die Normannen tranken."

Na das schaue ich mir dann sehr interessiert an :MLL:


Big A

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