Dr. Benjamin Miertzschke "Deutsche Marinepolitik im Ersten Weltkrieg"

Begonnen von mhorgran, 30 Juni 2025, 20:58:26

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Matrose71

Zitat von: mhorgran am 22 August 2025, 10:25:16falsch. Das die deutsche Armee nicht im erforderlichen, im Vergleich mit Frankreich / Rußland, verstärkt wurde hatte nichts mit der Marinerüstung zu tun.

Weiss man auch, wenn man sich damit beschäftigt hat, denn dafür wäre eine politische Änderung/ andere Willensbekundung von Nöten gewesen, nänmlich dass das Kaiserreich auch 80% eines Jahrgangs an der Waffe ausbildet (ähnlich wie Frankreich). Das hätte aber bedeutet das man "Sozialdemokraten" auch aktiv (vor dem Krieg) gezogen hätte.
Ex post betrachtet ein sehr schwerwiegender Fehler, denn gerade das Unteroffizierkorps, was dann im WWI sich als eines der besten der Welt herausgebildet hat, war soziademokratisch geprägt und bildete sich erst im Krieg, als "alle gezogen" wurden.
Jemand bezeichnete den WWI als eigentlichen Einigungskrieg der deutschen Bevölkerung (im Kaiserreich).
Ich finde diese Analyse gar nicht unschlau, sondern stimme ihr zu.
Viele Grüße

Carsten

beck.Schulte

..dazu passt, dass so ab 1916 die Masse der Reserve Offiziere sich als ,,Volks-Offizier" und nicht mehr als die des Kaisers fühlten.  Quelle ein um 1985 erschienen Werk aus dem Forschungsamt-Freiburg mit dem Titel    ,, Offizierskorps und Revolution" oder so ähnlich. Galt aber nur fürs Heer, die der Marine blieb dem Kaiser treu:

Thor

Kleiner Exkurs:

Zitat von: Urs Heßling am 21 August 2025, 23:00:48
Zitat von: TW am 21 August 2025, 16:02:40ich kapiere Deine Dreiteilung nicht, und schon gar nicht die Abfolge der Ebenen.
siehe Operation
mit Zitat
Operation und Entstehung einer Operativen Kunst

Die bedeutendste Weiterentwicklung für die Kriegskunst fällt in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Mit dem Begriff Operation waren vordem bereits frühzeitig eine Vielzahl anderer Begriffe (beispielsweise Operationslinie, Operationsbasis) verbunden.

Die zentrale Bedeutung, die er heute besitzt, erhielt er jedoch erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als man von ihm in Deutschland das Adjektiv operativ ableitete, mit dem eine völlig neue Führungsebene zwischen Strategie und Taktik geschaffen wurde, die operative Ebene.

Ob bereits Moltke in Anlehnung an den Begriff der Operation die operative Kriegskunst oder operative Führungsebene zwischen Taktik und Strategie einschob, oder erst sein Nachfolger Schlieffen, ist unbekannt. Es steht jedoch fest, dass dieser neue Führungsbegriff noch vor 1900 in Deutschland entstand.
"Spannender" Wiki-Auszug (Unterstreichungen im o. a. Zitat von mir); schon der erste Literaturbezug im Artikel verweist auf Gerhard Groß' "Mythos und Wirklichkeit. Geschichte des operativen Denkens im deutschen Heer von Moltke d.Ä. bis Heusinger" in dem bereits auf den Seiten 7 bzw. 8 Folgendes zu lesen ist:

".... Es verwundert daher nicht, dass auch in den für ihre sprachliche Genauigkeit bekannten preußisch-deutschen Vorschriften über Jahrzehnte eine Definition von >Operation< fehlt. So erwähnt die auf jene von Generalfeldmarschall Helmuth von Moltke 1869 vorgelegten >Verordnungen für die höheren Truppenführer< zurückgehende D.V.E. Nr. 53 Grundzüge der höheren Truppenführung von 1910 im Zusammenhang mit der Zusammenfassung der Kräfte zur Schlacht den Begriff Operationen lediglich beiläufig. Die von Generaloberst Hans von Seeckt iniitierte Vorschrift HDv 487 Führung und Gefecht der verbundenen Waffen (F.u.G.) sowie die von Generaloberst Ludwig Beck und General Carl-Heinrich von Stülpnagel federführend erarbeitete HDv 300 Truppenführung von 1933 weist das Wort Operation im Stichwortverzeichnis nicht nach...."

".... Auch in der HDv 100/1 Truppenführung der Bundeswehr von 1962 wird der Terminus Operation nicht ausgeführt, sondern in dem Kapitel Führungsbegriffe unter Nr. 55 im Rahmen und in der Anlage 1 der oberen Führung nur erwähnt. Erstmalig in einer Bunderwehrvorschrift wird Operation in der HDv 100/900 Führungsbegriffe (TF/B) von 1977 als zeitlich und räumlich zusammenhängende Handlung einer Seite definiert, die immer auf eine bestimmtes Ziel gerichtet ist und Bewegungen, Kampfhandlungen und sonstige Maßnahmen jeder Art und jeden Umfangs umfassen kann...."


Abgekürzt also (das Kapitel bei Groß lautet "Taktik-Operation-Strategie. Definitionen" und hat 11 Seiten):
Der Begriff "Operation" wurde damals wenig und dann sehr allgemein verwendet, er hatte einfach keine klare Definition.

Zitat von: mhorgran am 22 August 2025, 10:25:16
ZitatUnd Dreadnought-Schlachtschiffe für Küstenverteidigung brauchte es wohl kaum. Aber die Konzentration auf die Küstenverteidigung hätte die damalige, reale deutsche Regierung mit Tirpitz als Mitglied (und wahrscheinlich auch ohne ihn) als massiven Prestigeverlust betrachtet.
das Thema hatten wir schon, deshalb nur kopiert. Auswirkungen eines Wegfalls der HSF
* mögliche Wegnahme von Helgoland,mögliche Wegnahme von Borkum => damit enge Sperrung der deutschen Bucht, Bedrohung der gesamten deutschen Nordseeküste
* mögliche Öffnung des Kattegats mit
Landung in der Ostsee = Sperrung der Ostsee => Wegfall der wichtigen Erzlieferungen aus Finnland, Verbindungsaufnahme mit Rußland, Bedrohung der gesamten Ostseeküste.
=> Auswirkungen mindestens auf Dänemark, Holland, Norwegen, Schweden aber auch auf zig andere weiter entfernte Staaten.
Stefan, bist Du Dir mit den Erzlieferungen aus Finnland sicher ?

Gruß
David
"Wooden ships with iron men beat iron ships with wooden men" - Zusammenfassung der Seeschlacht von Lissa (1866)

mhorgran

Zitat von: Thor am 22 August 2025, 14:33:04
Zitat von: mhorgran am 22 August 2025, 10:25:16
ZitatUnd Dreadnought-Schlachtschiffe für Küstenverteidigung brauchte es wohl kaum. Aber die Konzentration auf die Küstenverteidigung hätte die damalige, reale deutsche Regierung mit Tirpitz als Mitglied (und wahrscheinlich auch ohne ihn) als massiven Prestigeverlust betrachtet.
das Thema hatten wir schon, deshalb nur kopiert. Auswirkungen eines Wegfalls der HSF
* mögliche Wegnahme von Helgoland,mögliche Wegnahme von Borkum => damit enge Sperrung der deutschen Bucht, Bedrohung der gesamten deutschen Nordseeküste
* mögliche Öffnung des Kattegats mit
Landung in der Ostsee = Sperrung der Ostsee => Wegfall der wichtigen Erzlieferungen aus Finnland, Verbindungsaufnahme mit Rußland, Bedrohung der gesamten Ostseeküste.
=> Auswirkungen mindestens auf Dänemark, Holland, Norwegen, Schweden aber auch auf zig andere weiter entfernte Staaten.
Stefan, bist Du Dir mit den Erzlieferungen aus Finnland sicher ?

Gruß
David

Danke für den Hinweis. Meinte Schweden.  :-o  :?

maxim

Interessant finde ich, dass jetzt die Behauptung kommt, dass Großbritannien tatsächlich einen Angriff auf die deutsche Flotte erwogen haben soll - was ja nur sein kann, wenn die deutsche Flotte als Bedrohung wahrgenommen wurde, also die deutsche Flottenrüstung relevant war - also was zuvor verneint wurde (niemand würde dagegen wegen ein paar Küstenpanzerschiffe oder ähnlichem einen solchen Angriff erwägen). Auf jeden Fall gab es nie ein "Kopenhagen", einen Angriff auf die deutsche Flotte im Hafen.

Die Behauptung, dass ohne Hochseeflotte Landungen in Deutschland erfolgt wären, finde ich gewagt. Gibt es ein Beispiel für eine erfolgreiche Landungsoperation im Ersten Weltkriegen, die auf einem verteidigten Bereich erfolgte und erfolgreich war, also erfolgreich einen Brückenkopf etablieren konnte? Auch ohne Dreadnought-Schlachtschiffe hätte es Minen, U-Boote, Küstenartillerie etc. gegeben und sowohl Nord- als auch Ostsee eignen sich sehr gut für den Einsatz von verteidigten Minensperren. Und dann hätte es zumindest auf dem Festland noch das Heer gegeben, was jeder angelandeten Truppe überlegen gewesen wäre (während die strategische Signifikanz von Helgoland oder Borkum jetzt nicht dramatisch gewesen wäre, wenn sowieso niemand Marineoperationen geplant hätte).

Natürlich band die deutsche Marinerüstung Ressourcen - nicht nur Menschen, sondern insbesondere Geld und Industriekapazitäten.

Erztransporte aus Schweden hätten tatsächlich durch die Royal Navy in der Ostsee bedroht werden können, wenn sie dort mit Schlachtflotte eingedrungen wären und es keine Schlachtflotte als Opposition gegeben hätte - aber dafür hätte sie eine dauerhafte Blockade in der Ostsee errichten müssen. Gestützt auf Basen in Russland? Die im Winter einfrieren? Mit der Bedrohung, dass deutsche Truppen in Dänemark einmarschieren und die Zugänge zur Ostsee befestigen (z.B. im Winter, wenn die Nutzung der östlichen Ostsee und der Stützpunkte in Russland schwierig war)?

beck.Schulte

Zu unser aller Entspannung und etwas wochenendliche Distanz zu Tirpitz / Fisher / Wilhelm II und ähnlichen Konsorten empfehle ich die Lektüre  von  Erskin Childers ,,Das Geheimnis der Sandbank"  Lohnt sich!  8-)

MarkusL

Zitat von: maxim am 22 August 2025, 16:53:44Gibt es ein Beispiel für eine erfolgreiche Landungsoperation im Ersten Weltkriegen, die auf einem verteidigten Bereich erfolgte und erfolgreich war, also erfolgreich einen Brückenkopf etablieren konnte?

Ja, gibt es, sogar im bewegten Bild
https://www.youtube.com/watch?v=gcw-94bDGDU
Gruß
Markus

maxim

Ja - das Beispiel hatten wir schon. Die Ladung erfolgte kurz vor der Russischen Oktoberrevolution und damit in einem zusammenbrechenden Russischen Reich. Die Motivation der Verteidiger war entsprechend niedrig und schlecht organisiert.

Wie konnten eigentlich damals so viele russische Schiffe nach Norden entkommen? Lag das an den Minenfeldern oder warum wurden die Schiffe nicht abgefangen? Theoretisch hätte man ja westlich um die Inseln herum fahren können und nicht nur von Süden angreifen können.

/edit: Das Rätsel der Sandbank von Robert Erskine Childers ist schon ein interessanter Hinweis - ein Buch von 1903 über eine deutsche Invasion Großbritanniens... Zumindest einige sahen damals Deutschland schon als Bedrohung.

Da gibt es auch ein neueres Sachbuch zu dem Thema: Spectre of Invasion. The Royal Navy and the Defence of Britain's Coast, 1900–1918 von Steve R. Dunn. Ich habe es aber noch nicht gelesen.

MarkusL

Spannende Frage, ob Heeres- und Marineleitung der teilweise Auflösungszustand der russischen Streitkräfte bekannt war.
Konnte nicht widerstehen und habe mir den das Werk von Benjamin Miertzschke mittlerweile gegönnt.
Achtung Spoiler:
Quergelesen habe ich aus Zeitgründen erst einmal nur die Seiten 383 bis 437, von Türkei bis Ukraine.
Teilweise von erschreckender Aktualität. history repeats. Dabei auch Bulgarien, hatte ich maritim gar nicht auf dem Schirm.
Hinsichtlich der Ostsee sehr lesenswert. Kleine Ergänzung von meiner Seite. In Libau wurde sofort mit Arsenalinstandsetzung begonnen. Dock, je nach Quelle, 2 sogar für Nassau-Klasse (und damit auch von der Thann) verbreitert. Spätestens 1918 befand sich dann, mit Ausnahme von St. Petersburg/Petrograd, praktisch die gesamte Schiffbauindustrie des (ehemaligen) Zarenreiches unter deutscher Kontrolle.
Sehr lesenswert auch die Planungen des osmanischen (und praktisch in Staatspleite befindlichen) Verbündeten zum Flottenausbau. Ergänzend von meiner Seite als fun fact am Rande dazu natürlich die Bestellung eines 40.000t Schwimmdocks bei Blohm und Voss im Jahr 1917 für die Kaiserlich Osmanische Marine.
Freue mich auf die Komplettlektüre, allerdings erst im September.
Gruß
Markus

beck.Schulte

Sehr lesenswert auch die Planungen des osmanischen (und praktisch in Staatspleite befindlichen) Verbündeten zum Flottenausbau.
Na ja. War alles für die Zeit nach dem Endsieg und sollte von den Verlierern bezahlt werden. Ich habe vor Jahren den ,,Türkei-Vorgang" von B&V (SA Hamburg) durchgesehen. Es war der B&V Vertreter, der schon recht früh sehr zum Ärger von Krupp versuchte, sich die Nachkriegs-Bauaufträge zu sichern. Außer viel Papier wurde nix bewegt. Gleiches gilt für die Übergabe-Liste auf der GÖBEN, MOLTKE und reichlich Kreuzer, T & U-Boote standen. Alles auf dem Papier. Was aber schon anlief war die Offiziers-Ausbildung in der HSF. Einige der alten Herren habe ich noch 1969/70 angetroffen. Einer war ganz stolz darauf, dass er auf einem der B-Boote mit vor Skagerrak war. Jo dat dazu.

MarkusL

Ja, die Illusion the winner takes it all and the looser has to pay.
Allerdings, chapeau, da war Blohm und Voss durchaus geschäfstüchtig. Und correspondance en français
Etwas bizarr, aber damals Weltsprache.
Gruß
Markus

MarkusL

Ja, die Illusion the winner takes it all and the looser has to pay.
Allerdings, chapeau, da war Blohm und Voss durchaus geschäfstüchtig. Und correspondance en français
Etwas bizarr, aber damals Weltsprache.
Gruß
Markus

beck.Schulte

Die Geschichte der deutschen Waffen Lobby  im Osmanischen Reich ist schon lesenswert. Am Ende haben sie draufgezahlt bzw keinen Pfennig gesehen. Da waren die Briten besonders bei den Werften erfolgreicher und wäre der Welt der Frieden erhalten geblieben wäre sie wohl auch die, die ne Mark gemacht hätten. Das was B&V dann in Izmit als Großwerft plante war nix anderes, als was die Briten den Osmanen schon ihrerseits vertraglich zugesichert hatten. Aber ich verliere mich in ,,was wäre, wenn?" 

ede144

@maxim
Die Abriegelung der Ostsee und der Nordsee hätte auch keine weitreichenden Konsequenzen über die real im Ersten Weltkrieg existierenden gehabt. Im Endeffekt waren die Ausgänge im Ersten Weltkrieg sowieso abgeriegelt (zwischen Schottland und Norwegen bzw. im Kanal, Fernblockade). Im Deutsch-Französischen Krieg waren die Häfen durch die viel stärkere französische Marine blockiert (Nahblockade), was Frankreich jedoch nicht geholfen hat.

Natürlich hätte eine Abriegelung der Ostsee einen Einfluß auf den ersten Weltkrieg gehabt. Erstens würden die Erztransporte aus Schweden abgeschnitten werden, das wurde erwähnt. Zweitens wäre eine Versorgung Russlands durch die Ostsee möglich geworden. Was dass bedeutet, hat man dan in WK 2 gesehen. Dass sowas für die RN als Möglichkeit angesehen wurde, zeigte der Angriff auf Kopenhagen und die Überlegungen während des Krimkriegs St. Petersburg anzugreifen.
Das alles wurde durch HSF verhindert. Nach meiner Meinung war die HSF eine Entschuldigung, allerdings nicht die Ursache für den Kriegseintritt GB

maxim

Dazu hatte ich oben schon etwas geschrieben: Deutschland wäre als Reaktion wahrscheinlich in Dänemark einmarschiert und hätte die Eingänge der Ostsee befestigt. Selbst der Große Belt ist nicht sehr breit. Der Durchbruch durch befestigte Eingänge wäre für die Royal Navy jedes Mal sehr riskant und verlustreich gewesen und damit wäre es sehr schwer geworden, Flottenverbände in der Ostsee zu unterhalten - und eine Versorgung Russland wäre so wohl gar nicht möglich gewesen.

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